Lichtspielgesetz.
Vom 12. Mai 1920.
Die verfassunggebende Deutsche Nationalversammlung hat das
folgende Gesetz beschlossen, das nach Zustimmung des Reichsrats hiermit verkündet wird:
Prüfung von Bildstreifen
§ 1
[1] Bildstreifen (Filme) dürfen öffentlich nur vorgeführt oder
zum Zwecke der öffentlichen Vorführung im Inland und Ausland in den Verkehr gebracht
werden, wenn sie von den amtlichen Prüfungsstellen (§§ 8, 13) zugelassen sind. Der öffentlichen Vorführung von Bildstreifen werden
Vorführungen in Klubs, Vereinen und anderen geschlossenen Gesellschaften gleichgestellt.
Einer Zulassung bedarf nicht die Vorführung nicht die Vorführung von Bildstreifen zu
ausschließlich wissenschaftlichen oder künstlerischen Zwecken in öffentlichen oder als
öffentlich anerkannten Bildungs- und Forschungsanstalten.
[2] Die Zulassung eines Bildstreifens erfolgt auf Antrag. Sie ist zu versagen, wenn
die Prüfung ergibt, daß die Vorführung eines Bildstreifens geeignet ist, die
öffentliche Ordnung und Sicherheit zu gefährden, das religiöse Empfinden zu verletzen,
verrohend oder entsittlichend zu wirken, das deutsche Ansehen oder die Beziehungen
Deutschlands zu auswärtigen Staaten zu gefährden. Die Zulassung darf wegen einer
politischen, sozialen, religiösen, ethischen oder Weltanschauungstendenz als solcher
nicht versagt werden. Die Zulassung darf nicht versagt werden aus Gründen, die außerhalb
des Inhalts der Bildstreifen liegen.
[3] Bildstreifen, bei denen die Gründe der Versagung der Zulassung nur
hinsichtlich eines Teils der dargestellten Vorgänge zutreffen, sind zuzulassen, wenn die
beanstandeten Teile aus den zur Vorführung gelangenden Positiven ausgeschnitten und der
Prüfungsstelle übergeben werden, auch der Prüfungsstelle Sicherheit dafür gegeben ist,
daß die beanstandeten Teile nicht verbreitet werden.
§ 2
Bildstreifen von wissenschaftlicher oder künstlerischer
Bedeutung, gegen deren unbeschränkte Vorführung Bedenken gemäß § 1
vorliegen, können zur Vorführung vor bestimmten Personenkreisen zugelassen werden.
§ 3
[1] Bildstreifen, zu deren Vorführung Jugendliche unter achtzehn
Jahren zugelassen werden sollen, bedürfen besonderer Zulassung.
[2] Von der Vorführung vor Jugendlichen sind außer den im § 1
Abs. 2 verbotenen alle Bildstreifen auszuschließen, von welchen eine schädliche
Einwirkung auf die sittliche, geistige oder gesundheitliche Entwicklung oder eine
Überreizung der Phantasie der Jugendlichen zu besorgen ist.
[3] Auf Antrag des gemeindlichen Jugendamts oder eines Jugendamts des Bezirkes
oder, falls kein Jugendamt besteht, auf Antrag der Schulbehörde, kann unbeschadet
weitergehender landesgesetzlicher Vorschriften die Gemeinde oder ein Gemeindeverband nach
Anhörung von Vertretern der Organisationen für Jugendpflege zum Schutze der Gesundheit
und der Sittlichkeit weitere Bestimmungen für die Zulassung der Jugendlichen festsetzen,
zu deren Innehaltung die Unternehmer der Lichtspiele verpflichtet sind. Diese können
Einspruch gegen die Festsetzung bei der zuständigen Stelle erheben.
[4] Kinder unter sechs Jahren dürfen zur Vorführung von Bildstreifen nicht
zugelassen werden.
§ 4
[1] Die Zulassung eines Bildstreifens kann auf Antrag einer
Landeszentralbehörde durch die Oberprüfungsstelle für das Reich oder ein bestimmtes
Gebiet widerrufen werden, wenn das Zutreffen der Voraussetzungen der Versagung (§§ 1, 3) erst nach der Zulassung hervortritt.
[2] Der Widerruf erfolgt auf Grund erneuter Prüfung. In dem Verfahren ist einem
Vertreter der antragstellenden Landeszentralbehörde Gelegenheit zur Äußerung zu geben.
§ 5
[1] Die Prüfung der Bildstreifen umfaßt die Bildstreifen selbst,
den Titel und den verbindenden Text in Wort und Schrift.
[2] Die zur Vorführung von Bildstreifen gehörige Reklame an den Geschäftsräumen
und öffentlichen Anschlagstellen und die Reklame durch Verteilung von Druckschriften
bedarf, soweit sie nicht bereits von der Prüfungsstelle genehmigt worden ist, der
Genehmigung der Ortspolizeibehörde. Sie darf nur unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2, § 3 Abs. 2 versagt werden.
§ 6
Bildstreifen über Tagesereignisse und Bildstreifen, die lediglich
Landschaften darstellen, sind von der Ortspolizeibehörde, sofern kein Versagungsgrund im
Sinne der §§ 1 und 3 gegeben ist, für ihren Bezirk
selbständig zuzulassen, ohne daß es einer Entscheidung der Prüfungsstellen bedarf.
§ 7
Ist die Zulassung eines Bildstreifens von einer Prüfungsstelle
abgelehnt, so darf der Bildstreifen, auch in abgeänderter Form, einer Prüfungsstelle nur
unter Angabe dieses Umstandes wieder vorgelegt werden.
Prüfungsstellen
§ 8
[1] Prüfungsstellen werden nach Bedarf an den Hauptsitzen der
Filmindustrie errichtet. Ihre Zuständigkeit wird räumlich abgegrenzt. Zur Entscheidung
über Beschwerden (§ 13) wird eine Oberprüfungsstelle in Berlin
gebildet.
[2] Die von einer Prüfungsstelle erfolgte Zulassung der Bildstreifen hat für das
gesamte Reichsgebiet Gültigkeit.
§ 9
[1] Die Prüfungsstellen setzen sich aus beamteten Vorsitzenden
und Beisitzern zusammen. Von den Beisitzern ist je ein Viertel den Kreisen des
Lichtspielgewerbes und der auf den Gebieten der Kunst und Literatur bewanderten Personen,
die Hälfte den auf den Gebieten der Volkswohlfahrt, der Volksbildung oder der
Jugendwohlfahrt besonders erfahrenen Personen zu entnehmen. Mit Ausnahme der Vertreter des
Lichtspielgewerbes dürfen Beisitzer an diesem Gewerbe nicht geschäftlich oder beruflich
beteiligt sein.
[2] Die Mitglieder der Prüfungsstellen werden vom Reichsminister des Innern
ernannt. Die Beamten sollen Persönlichkeiten von pädagogischer und künstlerischer
Bildung sein. Bei der Auswahl der Beamten und Beisitzer aus den Kreisen des
Lichtspielgewerbes sind die Angestellten und Arbeiter dieses Gewerbes ausreichend zu
berücksichtigen. Die Beisitzer werden auf die Dauer von drei Jahren auf Grund von
Vorschlagslisten der beteiligten Verbände ausgewählt.
§ 10
[1] Die Beisitzer sind von dem Vorsitzenden für die Dauer ihrer
Tätigkeit durch Handschlag darauf zu verpflichten, daß sie nach bestem Wissen und
Gewissen ohne Ansehen der Person ihr Urteil abgeben wollen.
[2] Sie erhalten Anwesenheitsgelder und Ersatz der Reisekosten.
Prüfungsverfahren
§ 11
[1] Die Prüfungsstelle entscheidet in der Besetzung von fünf
Mitgliedern, die aus einem beamteten Vorsitzenden und vier Beisitzern bestehen. Von den
Beisitzern ist einer dem Lichtspielgewerbe und zwei den Kreisen der auf den Gebieten der
Volkswohlfahrt, der Volksbildung oder der Jugendwohlfahrt besonders erfahrenen Personen zu
entnehmen.
[2] Bei Prüfung der Bildstreifen, die zur Vorführung in Jugendvorstellungen
bestimmt sind, sind auch Jugendlich im Alter von 18 bis 20 Jahren nach Bestimmung der
Ausschüsse für Jugendwohlfahrt zu hören.
[3] Hat der Vorsitzende keine Bedenken, so kann er die Zulassung auch ohne
Zuziehung von Beisitzern aussprechen. Auf Verlangen zweier Beisitzer hat die
Prüfungsstelle zu entscheiden.
§ 12
[1] Wird ein Bildstreifen von einer Prüfungsstelle ganz oder
teilweise verboten, so steht dem Antragsteller gegen den Bescheid (§ 15)
innerhalb zwei Wochen vom Tage der Zustellung an das Recht der Beschwerde zu.
[2] Das gleiche Recht steht dem Vorsitzenden sowie zwei bei der Entscheidung
beteiligten Mitgliedern der Prüfungsstelle zu. Die Beschwerde ist in der Sitzung
einzulegen.
§ 13
[1] Auf Beschwerden entscheidet endgültig die Oberprüfungsstelle
in der Besetzung von fünf Mitgliedern, die aus einem beamteten Vorsitzenden und vier
Beisitzern bestehen. Die Vorschriften des § 11 finden Anwendung.
[2] Die Mitglieder der Prüfungsstelle, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben,
sind zu den Verhandlungen zu laden, wenn ihre schriftliche Äußerung nach Ansicht der
Oberprüfungsstelle nicht genügt; an der Beschlußfassung nehmen sie nicht teil. Der
Antragsteller oder ein von ihm bestellten Vertreter ist auf Verlangen zu hören.
§ 14
Über die Zulassung eines Bildstreifens wird, abgesehen von dem
Falle des § 6, dem Antragsteller eine Zulassungskarte ausgestellt.
§ 15
Bei Ablehnung eines Bildstreifens ist dem Antragsteller ein
schriftlicher Bescheid, der auf Antrag mit Gründen zu versehen ist.
§ 16
Für die Prüfung der Bildstreifen und die Ausstellung der
Zulassungskarten werden Gebühren erhoben. Die Gebührenpflicht wird durch eine Ordnung
geregelt, die von der Reichsregierung mit Zustimmung des Reichsrats erlassen wird. Auf
Verlangen der Prüfungsstelle ist der Antragsteller verpflichtet, bei Stellung des Antrags
Vorschuß zu leisten.
Übergangs- und Schlußbestimmungen
§ 17
Bildstreifen, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes hergestellt
und bereits im Verkehre sind, sind innerhalb eines Jahres, nachdem dieses Gesetz
Gesetzeskraft erlangt hat, einer Prüfungsstelle (§ 8) vorzuführen.
Nach Ablauf der Frist finden die Vorschriften dieses Gesetzes auch auf die Vorführung
dieser Bildstreifen Anwendung. Bis zur Prüfung dieser Bildstreifen durch die
Prüfungsstellen unterliegt ihre Zulassung der Genehmigung der einzelnen
Ortspolizeibehörde oder der bisher zuständigen Landesstelle. Sie sind nur zuzulassen,
wenn keine Bedenken gemäß §§ 1, 3 entgegenstehen.
§ 18
[1] Wer vorsätzlich entgegen den Vorschriften dieses Gesetzes
Bildstreifen oder Teile von solchen, die von den zuständigen Behörden verboten, nicht
zugelassen oder deren Zulassung widerrufen ist, vorführt oder zum Zwecke der
öffentlichen Vorführung im Inland oder Ausland in den Verkehr bringt, wird mit
Gefängnis bis zu zwei Jahren und mit Geldstrafe bis zu hunderttausend Mark oder mit einer
dieser Strafen bestraft. Handelt der Täter fahrlässig, so wird er mit Geldstrafe bis zu
zehntausend Mark bestraft.
[2] In gleicher Weise wird bestraft, wer vorsätzlich Bildstreifen, die zur
Vorführung vor Jugendlichen nicht zugelassen sind (§ 3 Abs. 1), in
Jugendvorstellungen vorführt.
§ 19
[1] Wer eine nicht genehmigte Reklame benutzt (§ 5
Abs. 2) oder einer Prüfungsstelle einen bereits abgelehnten Bildstreifen unter
wissentlicher Verschweigung dieses Umstandes vorlegt (§ 7) oeder wer
Jugendliche den Bestimmungen des § 3 entgegen zu den allgemeinen
Vorstellungen zuläßt, wird mit Geldstrafe bis zehntausend Mark bestraft.
[2] Handelt der Täter fahrlässig, so wird er mit Geldstrafe bis zu dreitausend
Mark bestraft.
§ 20
[1] Neben Strafe kann auf Einziehung des Bildstreifens erkannt
werden, ohne Unterschied, ob er dem Verurteilten gehört oder nicht. Ist die Verfolgung
oder die Verurteilung einer bestimmten Person nicht ausführbar, so kann auf Einziehung
des Bildstreifens selbständig erkannt werden.
[2] Außerdem kann, soweit der Täter vorsätzlich gehandelt hat, bis zu drei
Monaten und bei wiederholtem Rückfall dauernd der schuldigen Person
das Betreiben des Gewerbes untersagt werden.
Berlin, den 12. Mai 1920.
Der Reichspräsident
Ebert
Der Reichsminister des Innern
Koch
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