Wahlgesetz zum ersten Bundestag und zur ersten Bundesversammlung der Bundesrepublik Deutschland

vom 15. Juni 1949.


  Auf Grund der mit Schreiben der Militärgouverneure vom 13. Juni 1949 erfolgten Anordnung über das vom Parlamentarischen Rat am 10. Mai 1949 beschlossene Wahlgesetz verkünden wir hiermit dieses Gesetz mit den von den Militärgouverneuren mit Schreiben vom 28. Mai 1949 und 1. Juni 1949 vorgenommenen Änderungen wie folgt:


A. Wahl zum Bundestag

§ 1

  (1) Wahlberechtigt ist, wer am Wahltag
1) deutscher Staatsbürger ist,
2) das einundzwanzigste Lebensjahr vollendet hat
3) und seit mindestens drei Monaten vor dem Wahltag seinen Wohnsitz oder in Ermangelung eines anderen Wohnsitzes seinen Aufenthalt im Bundesgebiet hat.

  (2) Wahlberechtigt sind auch, wenn die Voraussetzungen zu Absatz 1 Ziffer 1, nicht vorliegen, alle diejenigen Personen deutscher Volkszugehörigkeit, welche am 1. 1. 1945 ihren dauernden Wohnsitz innerhalb der Grenzen des deutschen Reiches nach dem Stand vom 1. 3. 1938 hatten oder außerhalb dieser Grenzen beheimatet warten und von dort geflüchtet oder ausgewiesen oder aus Kriegsgefangenschaft entlassen sind, in ihre Heimat nicht zurückkehren können und ihren ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet genommen haben.

§ 2

  Ausgeschlossen von der Wahlberechtigung ist:
1) wer entmündigt ist oder unter vorläufiger Vormundschaft oder wegen geistigen Gebrechens unter Pflegschaft steht;
2) wer durch Richterspruch die bürgerlichen Ehrenrechte rechtskräftig verloren hat;
3) wer nach den im Lande seines Wohnsitzes geltenden Bestimmungen über die politische Säuberung nicht wahlberechtigt ist;
4) wer von der Militärregierung wegen seiner Verbindung mit dem Nationalsozialismus verhaftet oder von seiner Beschäftigung oder einer einflußreichen Stellung im öffentlichen oder privaten Leben entlassen, suspendiert oder ausgeschlossen wurde, falls eine rechtskräftige Eingruppierung im Entnazifizierungsverfahren am Wahltage noch nicht vorliegt.

§ 3

  Die Wahlberechtigung ruht für Personen, die wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche in einer Heil- oder Pflegeanstalt untergebracht sind oder sich in Strafhaft befinden.

§ 4

  Wählen kann nur, wer in einer Wählerliste oder Wahlkartei eingetragen ist oder einen Wahlschein hat.

§ 5

  (1) Wählbar ist jeder Wahlberechtigte
a) der am Wahltag fünfundzwanzig Jahre alt ist,
b) der am Wahltag seit mindestens einem Jahr die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder der, ohne bisher die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen, Flüchtling oder Vertriebener im Sinne des § 1 Absatz 2 ist
c) und nach dem am 8. Mai 1949 geltenden Recht des Landes, in dem er kandidiert, zum Landtag wählbar wäre. Bestimmungen, die die Wählbarkeit von einem bestimmten Wohnsitz oder Aufenthalt oder einer bestimmten Wohn- oder Aufenthaltsdauer in einem Lande abhängig machen, finden dabei keine Anwendung.
  (2) Beamte und Richter des Bundes, sowie Beamte einer bundesunmittelbaren Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechtes oder einer der in Artikel 130 des Grundgesetzes aufgeführten Einrichtungen, die Hoheitsbefugnisse ausüben, müssen vor den Annahme der Wahl in den Bundestag ihre Versetzung in den Wartestand beantragen. Die Versetzung der Beamten in den Wartestand ist ohne Anspruch auf Wartegeld, jedoch unter Aufrechterhaltung ihrer Ansprüche auf Wiedereinstellung für die Dauer ihrer Zugehörigkeit zum Bundestag auszusprechen. Diese Vorschrift gilt sinngemäß auch für Angestellte der vorgenannten Verwaltungen, die Hoheitsbefugnisse ausüben.

§ 6

  Ein gewählter Bewerber ist erst dann Abgeordneter, wenn er dem Landeswahlleiter schriftlich die Annahme der Wahl erklärt hat.

§ 7

  (1) Ein Abgeordneter verliert seinen Sitz
1) durch Verzicht;
2) durch nachträglichen Verlust des Wahlrechtes;
3) durch strafgerichtliche Aberkennung der Rechte aus öffentlichen Wahlen;
4) durch Ungültigkeitserklärung der Wahl oder sonstiges Ausscheiden beim Wahlprüfungsverfahren;
5) durch eine nachträglich festgestellte Änderung des Wahlergebnisses.

  (2) Der Verzicht ist dem Landeswahlleiter, nach der ersten Einberufung des Bundestages dem Bundestagspräsidenten zu erklären; er muß schriftlich sein und kann nicht widerrufen werden.

§ 8

  (1) Der Bundestag besteht aus mindestens 400 Abgeordneten, die in den Ländern des Bundes nach folgendem Verfahren gewählt werden. Es wählen die Länder:
Baden 11

Abgeordnete

Bayern (einschließlich Lindau) 78

"

Bremen 4

"

Hamburg 13

"

Hessen 36

"

Niedersachsen 58

"

Nordrhein-Westfalen 109

"

Rheinland-Pfalz 25

"

Schleswig Holstein 23

"

Württemberg-Baden 33

"

Württemberg-Hohenzollern 10

"

  (2) Die Landesregierungen verteilen die ihren Ländern zugeteilten Sitze zwischen Wahlkreisen und Landesergänzungsvorschlägen im ungefähren Verhältnis von 60 zu 40.

§ 9

  In jedem Wahlkreis wird ein Abgeordneter gewählt; gewählt ist der Bewerber, der die meisten Stimmen auf sich vereinigt.

§ 10

  (1) Alle im Lande abgegebenen Stimmen jeder Partei werden zusammengezählt und aus diesen Summen nach dem Höchstzahlverfahren (d’Hondt) die jeder Partei zustehenden Mandate errechnet.
  (2) Von der für jede Partei so ermittelten Abgeordnetenzahl wird die Zahl der in den Wahlkreisen von ihr errungenen Mandate abgerechnet. Die hiernach ihr zustehenden Sitze aus dem Landesergänzungsvorschlag werden in dessen Reihenfolge besetzt.
  (3) In den Wahlkreisen errungene Mandate verbleiben der Partei auch dann, wenn sie die nach Absatz 1 ermittelte Zahl übersteigen. In einem solchen Fall erhöht sich die Gesamtzahl der für das Land vorgesehenen Abgeordnetensitze um die gleiche Zahl; die so erhöhte Gesamtzahl ist der Berechnung nach Absatz 1 zugrundezulegen.
  (4) Parteien, deren Gesamtstimmenzahl weniger als fünf vom Hundert der gültigen Stimmen im Lande beträgt, werden bei der Errechnung und Zuteilung der Mandate nach Absatz 1-3 nicht berücksichtigt.
  (5) Die Vorschrift des Absatz 4 findet keine Anwendung, sofern die Partei in einem Wahlkreis des Landes ein Mandat errungen hat.

§ 11

  (1) Bei dem Kreiswahlleiter sind spätestens am 17. Tage vor dem Wahltag bis 18 Uhr während der Dienststunden Kreiswahlvorschläge schriftlich einzureichen; sie müssen von mindestens fünfhundert Wählern des Wahlkreises unterschrieben sein. Ist in einem Wahlkreis angegeben, daß der Bewerber für eine politische Partei auftritt, so genügt die Unterschrift der für den Wahlkreis zuständigen Landesleitung der Partei.
  (2) Jeder Wahlvorschlag darf nur den Namen eines Bewerbers enthalten und dessen Namen, Vornamen, Geburtstag, Geburtsort, Beruf und Anschrift angeben; tritt der Bewerber für eine politische Partei auf, so ist deren Bezeichnung ebenfalls beizufügen.
  (3) Jeder Bewerber hat seine Zustimmung schriftlich und gleichzeitig eine amtlich beglaubigte Bescheinigung vorzulegen, daß er die Wählbarkeitsvoraussetzungen erfüllt. Diese Unterlagen sind bis zu dem in Absatz 1 vorgeschriebenen Termin einzureichen.
  (4) Namen, Vornamen, Beruf und Anschrift der Unterzeichner des Wahlvorschlages sind anzugeben.

§ 12

  Jeder Bewerber kann nur auf einem Wahlvorschlag eines Wahlkreises genannt werden.

§ 13

  Jeder Wähler hat eine Stimme. Die Stimmabgabe erfolgt durch Ankreuzen des Kreiswahlvorschlages, dem er seine Stimme geben will.

§ 14

  (1) Beim Landeswahlleiter können bis 18 Uhr des 17. Tages vor dem Wahltag politische Parteien ihre Wahlvorschläge für die Landesergänzungsvorschläge einreichen. Die Zahl der Bewerber eines solchen Wahlvorschlages ist unbeschränkt. Auf Inhalt und Einreichung dieser Wahlvorschläge finden die Bestimmungen der §§ 11 und 12 entsprechende Anwendung; jedoch genügt für die Unterzeichnung des Wahlvorschlages die Unterschrift der obersten Parteileitung im Lande.
  (2) Die Bewerber auf den Landesergänzungsvorschlägen können auch in den Kreiswahlvorschlägen der gleichen Partei in demselben Lande als Bewerber auftreten.
  (3) Landesergänzungsvorschläge können nur von den im Lande im Landesmaßstab zugelassenen politischen Parteien eingereicht werden.

§ 15

  Erklärt ein Bewerber, daß er die Wahl nicht annimmt, stirbt ein Abgeordneter oder verliert er seinen Sitz (vgl. § 7), so findet, wenn er auf einem Kreiswahlvorschlag gewählt war, Nachwahl statt, im anderen Fall rückt der nachfolgende Bewerber des gleichen Landesergänzungsvorschlages nach.

§ 16

  Die Verbindung von Wahlvorschlägen mehrerer Parteien ist unstatthaft.

§ 17

  Die Aufstellung der Kandidaten für Wahlkreise und Landesergänzungsvorschläge ist in geheimer Abstimmung in einer Versammlung der betreffenden politischen Partei festzustellen, zu der eine der Mitgliederzahl oder den statutarischen Bestimmungen der Partei entsprechende Zahl von Delegierten ordnungsmäßig einzuladen ist. Eine beglaubigte Abschrift der Niederschrift solcher Versammlung ist mit den Wahlvorschlägen einzureichen.

§ 18

  Wahlberechtigte können nur in dem Wahlbezirk abstimmen, in dessen Wählerlisten oder Wahlkarteien sie eingetragen sind. Inhaber von Wahlscheinen können in jedem beliebigen Wahlbezirk des Landes wählen.

§ 19

  (1) Seeleuten, die sich infolge ihres Berufes nur vorübergehend in einer Gemeinde aufhalten, ist der Wahlschein von der Aufenthaltsgemeinde zu erteilen, wenn sie ihr Wahlrecht in dieser Gemeinde ausüben wollen; sie müssen aber in ihrem Seefahrtsbuch einen vom Seemannsamt oder von der Gemeindebehörde eingetragenen, noch gültigen Vermerk vorweisen, der sie zur Entgegennahme eines Wahlscheines berechtigt. Zu diesem Zweck ist den Seeleuten ihr Seefahrtsbuch auszuhändigen. Wird der Wahlschein am Wahltag erst nach 12 Uhr mittags beantragt, so kann der Antrag zurückgewiesen werden, wenn eine Beteiligung an der Wahl nicht mehr möglich erscheint.
  (2) Das Seemannsamt ist verpflichtet, auf Antrag einen Vermerk in das Seefahrtsbuch einzutragen, nachdem es bei der Gemeindebehörde, bei der der Antragsteller in der Wählerliste zu führen ist, festgestellt hat, daß keine Bedenken bestehen. Die Eintragung des Vermerks wird der Gemeindebehörde mitgeteilt, die es in der Wählerliste bei dem Namen des Wahlberechtigten vermerk.
  (3) Die Erteilung des Wahlscheines wird bei der Ausfertigung von der Gemeindebehörde bei dem Vermerk unter Angabe des Wahltages bescheinigt.

§ 20

  (1) Die Wahlkreise müssen ein zusammenhängendes Ganzes bilden; bei ihrer Bildung sollen die Stadt- und Landkreisgrenzen möglichst erhalten bleiben. Sie sollen eine annähernd gleichgroße Einwohnerzahl umfassen.
  (2) Die Abgrenzung der Wahlkreise in jedem Land erfolgt durch einen vom Landesparlament zu berufenden Ausschuß.

§ 21

  Wer seine Eintragung in die Wählerliste (Wahlkartei) durch falsche Angaben erwirkt,
wer einen anderen als Wähler einträgt, von dem er weiß, daß er keinen Anspruch auf Eintragung hat,
wer die Eintragung eines Wahlberechtigten als Wähler verhindert, obwohl er dessen Wahlberechtigung kennt,
wer wählt, obwohl er zu den nach diesem Gesetz von der Wahlberechtigung ausgeschlossenen Personen gehört,
wer sich als Bewerber aufstellen läßt, obwohl er nach diesem Gesetz nicht wählbar ist,
wer in mehr als einem Stimmbezirk oder unter falschem Namen wählt,

wird mit Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 5 000.- DM bestraft, soweit nicht in anderen Strafgesetzen eine höhere Strafe angedroht ist.

§ 22

  (1) Die Wahl findet spätestens drei Monate nach dem Tage des Inkrafttretens des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland statt. Der Wahltag ist ein Sonntag.
  (2) Die Ministerpräsidenten bestimmen den Wahltag.

§ 23

  (1) Alle zur Vorbereitung und Durchführung der Wahl einschließlich der Ermittlung des Wahlergebnisses weiterhin erforderlichen Durchführungsbestimmungen erläßt jedes Land durch Verordnung seiner Landesregierung für sein Gebiet.
  (2) Die Länder haben die Wahlergebnisse aus Wahlkreisen und Land schnellstens den Ministerpräsidenten zu übermitteln.


B. Wahl zur Bundesversammlung

§ 24

  (1) Die nach Artikel 54 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland von den Länderparlamenten zu Mitgliedern der Bundesversammlung zu wählenden Delegierten werden nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechtes gewählt.
  (2) Die Ministerpräsidenten bestimmen innerhalb von drei Tagen nach Feststellung des Wahlergebnisses, wieviel Delegierte von jedem Landesparlament zu wählen sind. Die Länderparlamente sind gehalten, die Wahl der Delegierten unverzüglich nach Zugang dieser Mitteilung vorzunehmen und das Ergebnis der Wahl nebst Annahmeerklärungen den Ministerpräsidenten zu übermitteln.

§ 25

  (1) Die Ministerpräsidenten berufen auf spätestens den dreißigsten Tag nach der Wahl des Bundestages diesen zu seiner Konstituierung und die Bundesversammlung zur Wahl des ersten Bundespräsidenten ein. Unmittelbar nach der Wahl des Präsidenten des Bundestages findet die Wahl die Bundespräsidenten statt.
  (2) Die Wahlhandlung leitet der Präsident des Bundestages. Er teilt dem Gewählten die Wahl mit. Der Gewählte gibt die Annahmeerklärung ihm gegenüber ab.
  (3) Der Präsident des Bundestages veranlaßt die Vornahme der Vereidigung des Bundespräsidenten und die Bekanntgabe seines Amtsantrittes in den Amtsblättern der Landesregierungen.


C. Schluß- und Übergangsbestimmungen

§ 26

  Groß-Berlin hat das Recht, bis zum Eintritt des Landes Berlin in die Bundesrepublik Deutschland acht Abgeordnete mit beratender Funktion in den Bundestag zu entsenden.

§ 27

  Dieses Gesetz tritt zugleich mit dem vom Parlamentarischen Rat beschlossenen Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Kraft.

Schlangenbad, den 15. Juni 1949.

Wohleb
Staatspräsident
des Landes Baden

Kaisen
Senatspräsident
der freien Hansestadt
Bremen

Ehard
Ministerpräsident
des Landes Bayern

Brauer
1. Bürgermeister
der Hansestadt Hamburg

Stock
Ministerpräsident
des Landes

Lüdemann
Ministerpräsident
des Landes
Schleswig-Holstein

Kopf
Ministerpräsident
des Landes Niedersachsen

Maier
Ministerpräsident
des Landes
Württemberg-Baden

Arnold
Ministerpräsident
des Landes
Nordrhein-Westfalen

Altmeier
Ministerpräsident
des Landes
Rheinland Pfalz

Müller
Ministerpräsident
des Landes Württemberg-
Hohenzollern

 

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Quelle: Bundesgesetzblatt 1949, S. 21-24.


Empfohlene Zitierweise des Dokumentes:
Wahlgesetz zum ersten Bundestag und zur ersten Bundesversammlung der Bundesrepublik Deutschland (15.06.1949), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/brd/1949/wahlges.html, Stand: aktuelles Datum.


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Letzte Änderung: 03.03.2004
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