Stellungnahme des Abg. Wels für die Sozialdemokratische Partei
zum Ermächtigungsgesetz
vom 23.03.1933
Meine Damen und Herren! Der außenpolitischen Forderung deutscher
Gleichberechtigung, die der Herr Reichskanzler erhoben hat, stimmen wir Sozialdemokraten
um so nachdrücklicher zu, als wir sie bereits von jeher grundsätzlich verfochten haben.
Ich darf mir wohl in diesem Zusammenhang die persönliche Bemerkung gestatten, daß ich
als erster Deutscher vor einem internationalen Forum, auf der Berner Konferenz am 3.
Februar des Jahres 1919, der Unwahrheit von der Schuld Deutschlands am Ausbruch des
Weltkrieges entgegengetreten bin. Nie hat uns irgendein Grundsatz unserer Partei daran
hindern können oder gehindert, die gerechten Forderungen der deutschen Nation gegenüber
den anderen Völkern der Welt zu vertreten.
Der Herr Reichskanzler hat auch vorgestern in Potsdam einen Satz gesprochen, den
wir unterschreiben. Er lautet: "Aus dem Aberwitz der Theorie von ewigen Siegern und
Besiegten kam der Wahnwitz der Reparationen und in der Folge die Katastrophe der
Weltwirtschaft." Dieser Satz gilt für die Außenpolitik; für die Innenpolitik gilt
er nicht minder. Auch hier ist die Theorie von den ewigen Siegern und Besiegten, wie der
Herr Reichskanzler sagte, ein Aberwitz.
Das Wort des Herrn Reichskanzlers erinnert uns aber auch an ein anderes, das am 23.
Juli 1919 in der Nationalversammlung gesprochen wurde. Da wurde gesagt: "Wir sind
wehrlos, wehrlos aber nicht ehrlos. Gewiß, die Gegner wollen uns an die Ehre, daran ist
kein Zweifel. Aber daß dieser Versuch der Ehrabschneidung einmal auf die Urheber selbst
zurückfallen wird, da es nicht unsere Ehre ist, die bei der Welttragödie zugrunde geht,
das ist unser Glaube bis zum letzten Atemzug."
(Zuruf von den Nationalsozialisten: Wer hat das gesagt?)
Das steht in einer Erklärung, die eine sozialdemokratisch geführte Regierung
damals im Namen des deutschen Volkes vor der ganzen Welt abgegeben hat, vier Stunden bevor
der Waffenstillstand abgelaufen war, um den Weitervormarsch der Feinde zu verhindern. - Zu
dem Ausspruch des Herrn Reichskanzlers bildet jene Erklärung eine wertvolle Ergänzung.
Aus einem Gewaltfrieden kommt kein Segen: im Innern erst recht nicht. Eine
wirkliche Volksgemeinschaft läßt sich auf ihn nicht gründen. Ihre erste Voraussetzung
ist gleiches Recht. Mag sich die Regierung gegen rohe Ausschreitungen der Polemik
schützen, mag sie Aufforderungen zu Gewalttaten und Gewalttaten selbst mit Strenge
verhindern. Das mag geschehen, wenn es nach allen Seiten gleichmäßig und unparteiisch
geschieht, und wenn man es unterläßt, besiegte Gegner zu behandeln, als seien sie
vogelfrei. Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.
Nach den Verfolgungen, die die Sozialdemokratische Partei in der letzten Zeit
erfahren hat, wird billigerweise niemand von ihr verlangen oder erwarten können, daß sie
für das hier eingebrachte Ermächtigungsgesetz stimmt. Die
Wahlen vom 5. März haben den Regierungsparteien die Mehrheit gebracht und damit die
Möglichkeit gegeben, streng nach Wortlaut und Sinn der Verfassung
zu regieren. Wo diese Möglichkeit besteht, besteht auch die Pflicht. Kritik ist heilsam
und notwendig. Noch niemals, seit es einen Deutschen Reichstag gibt, ist die Kontrolle der
öffentlichen Angelegenheiten durch die gewählten Vertreter des Volkes in solchem Maße
ausgeschaltet worden, wie es jetzt geschieht, und wie es durch das neue Ermächtigungsgesetz noch mehr geschehen soll. Eine solche
Allmacht der Regierung muß sich um so schwerer auswirken, als auch die Presse jeder
Bewegungsfreiheit entbehrt.
Meine Damen und Herren! Die Zustände, die heute in Deutschland herrschen, werden
vielfach in krassen Farben geschildert. Wie immer in solchen Fällen fehlt es auch nicht
an Übertreibungen. Was meine Partei betrifft, so erkläre ich hier: wir haben weder in
Paris um Intervention gebeten, noch Millionen nach Prag verschoben, noch übertreibende
Nachrichten ins Ausland gebracht. Solchen Übertreibungen entgegenzutreten wäre leichter,
wenn im Inlande eine Berichterstattung möglich wäre, die Wahres vom Falschen
unterscheidet. Noch besser wäre es, wenn wir mit gutem Gewissen bezeugen könnten, daß
die volle Rechtssicherheit für alle wiederhergestellt sei. Das, meine Damen und Herren
liegt bei Ihnen.
Die Herren von der Nationalsozialistischen Partei nennen die von ihnen entfesselte
Bewegung eine nationale Revolution, nicht eine nationalsozialistische. Das Verhältnis
ihrer Revolution zum Sozialismus beschränkt sich bisher auf den Versuch, die
sozialdemokratische Bewegung zu vernichten, die seit mehr als zwei Menschenleben die
Trägerin sozialistischen Gedankengutes gewesen ist und auch bleiben wird. Wollten die
Herren von der Nationalsozialistischen Partei sozialistische Taten verrichten, sie
brauchten kein Ermächtigungsgesetz. Eine erdrückende
Mehrheit wäre Ihnen in diesem Hause gewiß. Jeder von Ihnen im Interesse der Arbeiter,
der Bauern, der Angestellten, der Beamten und des Mittelstandes gestellte Antrag könnte
mit Annahme rechnen, wenn nicht einstimmig, so doch mit gewaltiger Majorität.
Aber dennoch wollen Sie vorerst den Reichstag ausschalten, um Ihre Revolution
fortzusetzen. Zerstörung von Bestehendem ist aber noch keine Revolution. Das Volk
erwartet positive Leistungen. Es wartet auf durchgreifende Maßnahmen gegen das furchtbare
Wirtschaftselend, das nicht nur in Deutschland, sondern in aller Welt herrscht. Wir
Sozialdemokraten haben in schwerster Zeit Mitverantwortung getragen und sind dafür mit
Steinen beworfen worden. Unsere Leistungen für den Wiederaufbau von Staat und Wirtschaft,
für die Befreiung der besetzten Gebiete werden vor der Geschichte bestehen. Wir haben
gleiches Recht für alle und ein soziales Arbeitsrecht geschaffen. Wir haben geholfen, ein
Deutschland zu schaffen, in dem nicht nur Fürsten und Baronen, sondern auch Männern aus
der Arbeiterklasse der Weg zur Führung des Staates offen steht. Davon könne Sie nicht
zurück, ohne Ihren eigenen Führer preiszugeben. Vergeblich wird der Versuch bleiben, das
Rad der Geschichte zurückzudrehen. Wir Sozialdemokraten wissen, daß man machtpolitische
Tatsachen durch bloße Rechtsverwahrungen nicht beseitigen kann. Wir sehen die
machtpolitische Tatsache Ihrer augenblicklichen Herrschaft. Aber auch das
Rechtsbewußtsein des Volkes ist eine politische Macht, und wir werden nicht aufhören, an
dieses Rechtsbewußtsein zu appellieren.
Die Verfassung von Weimar ist keine sozialistische
Verfassung. Aber wir stehen zu den Grundsätzen des Rechtsstaates, der Gleichberechtigung,
des sozialen Rechts, die in ihr festgelegt sind. Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen
uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und
Gerechtigkeit, der Freiheit und des Sozialismus. Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die
Macht, Ideen, die ewig und unzerstörbar sind, zu vernichten. Sie selbst haben sich ja zum
Sozialismus bekannt. Das Sozialistengesetz hat die Sozialdemokratie nicht vernichtet. Auch
aus neuen Verfolgungen kann die deutsche Sozialdemokratie neue Kraft schöpfen.
Wir grüßen die Verfolgten und Bedrängten. Wir grüßen unsere Freunde im Reich.
Ihre Standhaftigkeit und Treue verdienen Bewunderung. Ihr Bekennermut, ihre ungebrochene
Zuversicht verbürgen eine hellere Zukunft.
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