Verordnung des Reichspräsidenten auf Grund des Artikel 48 Abs. 2 der Reichsverfassung, betreffend die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Reichsgebiete mit Ausnahme von Bayern, Sachsen, Württemberg und Baden und der von ihnen umschlossenen Gebiete nötigen Maßnahmen.

Vom 13. Januar 1920.


Auf Grund des Artikel 48 der Reichsverfassung verordne ich zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung für das Reichsgebiet mit Ausnahme von Bayern, Sachsen, Württemberg und Baden und der von ihnen umschlossenen Gebiete folgendes:

§ 1

  Die Artikel 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 der Verfassung des Deutschen Reichs werden bis auf weiteres außer Kraft gesetzt. Es sind daher Beschränkungen der persönlichen Freiheit, des Rechtes der freien Meinungsäußerung einschließlich der Pressefreiheit, des Vereins- und Versammlungsrechts, Eingriffe in das Brief-, Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis, Anordnungen von Haussuchungen und von Beschlagnahmen sowie Beschränkungen des Eigentums auch außerhalb der sonst hierfür bestimmten gesetzlichen Grenzen zulässig.

§ 2

  Mit der Bekanntmachung dieser Verordnung geht die vollziehende Gewalt auf den Reichswehrminister über, der sie auf einen Militärbefehlshaber übertragen kann. Sie wird von dem Militärbefehlshaber auf dem Gebiete der Zivilverwaltung unter Mitwirkung eines Regierungskommissars (§ 3) ausgeübt, den der Reichswehrminister im Einvernehmen mit dem Reichsminister des Innern ernennt.

§ 3

  [1] Die Weisungen des Militärbefehlshabers an die Zivilverwaltungs- und Gemeindebehörden sowie seine allgemeinen Anordnungen an die Bevölkerung sind, bevor sie ergehen, zur Kenntnis des Regierungskommissars zu bringen.
  [2] Anordnungen des Militärbefehlshabers, die Beschränkungen nach § 1 enthalten, bedürfen zu ihrer Rechtswirksamkeit der Zustimmung des Regierungskommissars.

§ 4

  Wer den im Interesse der öffentlichen Sicherheit erlassenen Anordnungen des Reichswehrministers oder des Militärbefehlshabers zuwiderhandelt oder zu solcher Zuwiderhandlung auffordert oder anreizt, wird, sofern nicht die bestehenden Gesetze eine höhere Strafe bestimmen, mit Gefängnis oder Haft oder Geldstrafe bis zu fünfzehntausend Mark bestraft.

§ 5

  Gegen die Anordnungen des Militärbefehlshabers im Einzelfalle steht die Beschwerde an den Reichswehrminister offen. Soweit es sich um Beschränkungen der persönlichen Freiheit handelt, ist das Gesetz, betreffend die Verhaftung und Aufenthaltsbeschränkung auf Grund des Kriegszustandes und des Belagerungszustandes, vom 4. Dezember 1916 (Reichs-Gesetzbl. S. 1329) entsprechend anzuwenden.

§ 6

  [1] Jede Betätigung durch Wort, Schrift oder andere Maßnahmen, die darauf gerichtet ist, lebenswichtige Betriebe zu Stillegung zu bringen, wird verboten.
  [2] Als lebenswichtige Betriebe gelten die öffentlichen Verkehrsmittel sowie alle Anlagen und Einrichtungen zur Erzeugung von Gas, Wasser, Elektrizität und Kohle.
  Zuwiderhandlungen werden nach § 4 bestraft.

§ 7

  Diese Verordnung tritt mit der Verkündung in Kraft.[1]


  Berlin, den 13. Januar 1920.

Der Reichspräsident
Ebert

Der Reichskanzler
Bauer

Der Reichswehrminister
Noske

 

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Anmerkung:
[1] Diese Notverordnung des Reichspräsidenten wurde am 13. Februar 1920 verkündet.


Quelle:
Reichs-Gesetzblatt 1920, S. 207-208.


Empfohlene Zitierweise des Dokumentes:
Verordnung des Reichspräsidenten auf Grund des Artikel 48 Abs. 2 der Reichsverfassung, betreffend die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Reichsgebiete mit Ausnahme von Bayern, Sachsen, Württemberg und Baden und der von ihnen umschlossenen Gebiete nötigen Maßnahmen (13.01.1920), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/wr/1920/notverordnung-reichspraesident_reich.html, Stand: aktuelles Datum.


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Letzte Änderung: 03.01.2004
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