Verordnung zur Ausführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken
Nachwuchses.
Vom 5. Dezember 1933.
Auf Grund des § 17 des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933
(Reichsgesetzbl. I S. 529) wird hiermit verordnet:
A r t i k e l 1
(zu § 1 Abs. 1, 2 des Gesetzes)
[1] Die Unfruchtbarmachung setzt voraus, daß die Krankheit durch
einen für das Deutsche Reich approbierten Arzt einwandfrei festgestellt ist, mag sie auch
nur vorübergehend aus einer verborgenen Anlage sichtbar geworden sein.
[2] Der Antrag auf Unfruchtbarmachung soll nicht gestellt werden, wenn der
Erbkranke infolge hohen Alters oder aus anderen Gründen nicht fortpflanzungsfähig ist,
oder wenn der zuständige Amtsarzt bescheinigt hat, daß der Eingriff eine Gefahr für das
Leben des Erbkranken bedeuten würde, oder wenn er wegen Anstaltsbedürftigkeit in einer
geschlossenen Anstalt dauernd verwahrt wird. Die Anstalt muß volle Gewähr dafür bieten,
daß die Fortpflanzung unterbleibt. Ein fortpflanzungsfähiger Erbkranken, der in einer
geschlossenen Anstalt verwahrt wird, darf nicht entlassen oder beurlaubt werden, bevor der
Antrag gestellt und über ihn entschieden ist.
[3] Die Unfruchtbarmachung soll nicht vor Vollendung des zehnten Lebensjahres
vorgenommen werden.
Die Unfruchtbarmachung erfolgt in der Weise, daß ohne Entfernung der Hoden oder
Eierstöcke die Samenstränge oder Eileiter verlegt, undurchgängig gemacht oder
durchgetrennt werden.
A r t i k e l 2
(zu § 2 Abs. 2)
[1] Wir der Antrag von dem gesetzlichen Vertreter gestellt, so ist
ärztlich zu bescheinigen, daß dieser über das Wesen und die Folgen der
Unfruchtbarmachung aufgeklärt worden ist.
[2] Für die Bescheinigung ist der Vordruck Anlage 1 zu verwenden.
[3] Dem Unfruchtbarzumachenden oder seinem gesetzlichen Vertreter ist ein Merkblatt
nach Vordruck Anlage 2 auszuhändigen.
A r t i k e l 3
(zu §§ 3, 4)
[1] Als beamtete Ärzte im Sinne des Gesetzes gelten |
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a) der örtlich zuständige Amtsarzt (Kreisarzt, Bezirksarzt usw.) und
sein Stellvertreter,
b) der Gerichtsarzt und sein Stellvertreter für die von ihnen amtlich untersuchten
Personen. |
[2] Strafanstalten im Sinne des Gesetzes sind Anstalten, in denen Strafgefangene oder
Untersuchungsgefangene untergebracht oder in denen mit Freiheitsentziehung verbundene
Maßregeln der Sicherung und Besserung vollzogen werden. Als Pflegeanstalten gelten auch
Fürsorgeerziehungsanstalten.
[3] Ist der Anstaltsleiter nicht selbst Arzt, so bedarf sein Antrag auf
Unfruchtbarmachung der Zustimmung des leitenden Anstaltsarztes.
[4] Wird einem approbierten Arzt in seiner Berufstätigkeit eine Person bekannt,
die an einer Erbkrankheit (§ 1 Abs. 1, 2) oder an schwerem
Alkoholismus leidet, so hat er dem zuständigen Amtsarzt hierüber nach Vordruck Anlage 3
unverzüglich Anzeige zu erstatten. Die gleiche Verpflichtung haben sonstige Personen, die
sich mit der Heilbehandlung, Untersuchung oder Beratung von Kranken befassen. Bei Insassen
von Anstalten trifft den Anstaltsleiter die Anzeigepflicht.
[5] Hält der beamtete Arzt die Unfruchtbarmachung für geboten, so soll er dahin
wirken, daß der Unfruchtbarzumachende selbst oder sein gesetzlicher Vertreter den Antrag
stellt. Unterbleibt dies, so hat er selbst den Antrag zu stellen.
[6] Für den Antrag ist der Vordruck Anlage 4, für das nach § 4 des Gesetzes zu erstattende
ärztliche Gutachten von beamteten Ärzten der Vordruck Anlage 5 zu verwenden. |
A r t i k e l 4
(zu §§ 6 bis 10, 16)
[1] Die obersten Landesbehörden können die Befugnis zur
Bestellung der Mitglieder der Erbgesundheitsgerichte und der Erbgesundheitsobergerichte
anderen Stellen übertragen. Die Bestellung erfolgt auf die Dauer von mindestens einem
Jahre.
[2] Soweit nicht in dem Gesetz oder in dieser
Verordnung etwas anderes bestimmt ist, finden auf das Verfahren vor den
Erbgesundheitsgerichten und den Erbgesundheitsobergerichten die Vorschriften des
Reichsgesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechende
Anwendung.
[3] Das Erbgesundheitsgericht und das Erbgesundheitsobergericht können nach
Anhörung des beamteten Arztes die Unterbringung der Unfruchtbarzumachenden in einer
geeigneten Krankenanstalt bis zur Dauer von sechs Monaten anordnen.
A r t i k e l 5
(zu § 11)
[1] Für die Ausführung des chirurgischen Eingriffs sind
staatliche und kommunale Kranken-, Heil und Pflegeanstalten zu bestimmen, andere Anstalten
nur, wenn sie sich dazu bereit erklären. Es muß volle Gewähr dafür geboten sein, daß
der Eingriff durch einen chirurgisch geschulten Arzt vorgenommen wird.
[2] Für die Berichterstattung ist der Vordruck Anlage 6 zu verwenden.
A r t i k e l 6
(zu § 12)
[1] Hat das Gericht die Unfruchtbarmachung endgültig beschlossen,
so hat der beamtete Arzt den Unfruchtbarzumachenden schriftlich aufzufordern, den Eingriff
binnen zwei Wochen vornehmen zu lassen; die in Betracht kommenden Anstalten sind ihm
dafür zu benennen.
[2] Hat der Unfruchtbarzumachende nicht allein den Antrag gestellt, so ist ihm
ferner mitzuteilen, daß der Eingriff auch gegen seinen Willen vorgenommen werden wird.
[3] Das Gericht hat anzuordnen, daß die Vornahme des Eingriffs ausgesetzt wird,
wenn durch ein Zeugnis des zuständigen Amtsarztes nachgewiesen wird, daß die
Unfruchtbarmachung mit Lebensgefahr für den Erbkranken verbunden wäre.
[4] Hat sich der Unfruchtbarzumachende auf seine Kosten in eine geschlossene
Anstalt aufnehmen lassen, die volle Gewähr dafür bietet, daß die Fortpflanzung
unterbleibt, so ordnet das Gericht auf seinen Antrag an, daß die Vornahme des Eingriffs
so lange ausgesetzt wird, als er sich in dieser oder in einer gleichartigen Anstalt
befindet. Ist der Unfruchtbarzumachende geschäftsunfähig oder hat er das achtzehnte
Lebensjahr noch nicht vollendet, so ist sein gesetzlicher Vertreter antragsberechtigt. Ist
die Aussetzung vor Vollendung des achtzehnten Lebensjahres erfolgt, so kann der
Unfruchtbarzumachende nach diesem Zeitpunkt die Wiederaufhebung der Aussetzung beantragen.
[5] Ist bei Ablauf der Frist (Abs. 1) der Eingriff noch nicht erfolgt, und hat sich
der Unfruchtbarzumachende auch nicht in eine geschlossene Anstalt begeben oder ist er
daraus wieder entwichen, so ist der Eingriff mit Hilfe der Polizeibehörde, nötigenfalls
unter Anwendung unmittelbaren Zwanges, in der von dem beamteten Arzt bezeichneten Anstalt
auszuführen. Bei Jugendlichen darf der Eingriff unter Anwendung unmittelbaren Zwanges
nicht vor Vollendung des vierzehnten Lebensjahres ausgeführt werden. Die Polizeibehörde
hat den beamteten Arzt über die getroffenen Maßnahmen zu unterrichten.
[6] Der Leiter eines Anstalt, die eine Person aufnimmt, deren Unfruchtbarmachung
endgültig beschlossen ist, hat dem für das Verfahren zuständigen beamteten Arzt die
Aufnahme unverzüglich mitzuteilen. Entweicht der Unfruchtbarzumachende, so ist der
beamtete Arzt unverzüglich zu benachrichtigen. Der Unfruchtbarzumachende darf nur dann
aus der Anstalt entlassen oder beurlaubt werden, wenn er unfruchtbar gemacht oder die
Entscheidung über die Unfruchtbarmachung wieder aufgehoben worden ist.
A r t i k e l 7
(zu § 13)
[1] Wer den Kostenbedarf für den chirurgischen Eingriff nicht
oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann und ihn auch nicht
von anderer Seite, insbesondere von Angehörigen erhält, ist hilfsbedürftig im Sinne der
Fürsorgepflichtverordnung. Soweit nicht § 15 der Fürsorgepflichtverordnung Platz
greift, sind die Kosten des ärztlichen Eingriffs endgültig von dem Fürsorgeverband zu
tragen, der für den Unfruchtbargemachten bei dem Eintritt oder der Einlieferung in die
Krankenanstalt (§ 11 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes) endgültig fürsorgepflichtig gewesen wäre; § 2 Abs.
5 der Fürsorgepflichtverordnung findet entsprechende Anwendung. Die öffentliche
Fürsorge hat weder gegen den Unfruchtbargemachten noch seinen Eltern oder seinem
Ehegatten einen Anspruch auf Ersatz der Kosten des ärztlichen Eingriffs.
[2] Soweit die oberste Landesbehörde nichts anderes bestimmt, sind als
durchschnittliche Pflegesätze die in den öffentlichen Krankenanstalten (§ 11 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes)
durchschnittlich gezahlten Beträge anzusehen.
A r t i k e l 8
(zu § 14)
Nimmt ein Arzt eine Unfruchtbarmachung oder eine Entfernung der
Keimdrüsen zur Anwendung einer ernsten Gefahr für das Leben oder die Gesundheit vor, so
hat er dem zuständigen Amtsarzt binnen drei Tagen nach Vornahme des Eingriffs einen
schriftlichen Bericht nach Vordruck Anlage 7 zu erstatten.
A r t i k e l 9
Wer vorsätzlich oder fahrlässig der ihm in § 11 Abs. 2 des Gesetzes, Artikel 3 Abs. 4, Artikel 6 Abs. 6, Artikel 8
auferlegten Anzeigepflicht zuwiderhandelt, wird mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig
Reichsmark bestraft.
A r t i k e l 10
Die Gerichtsakten und die Berichte über die Ausführung des
Eingriffs sind nach Abschluß des Verfahrens einer durch den Reichsminister des Innern zu
bestimmenden Dienststelle zur Aufbewahrung zu übersenden.
Berlin, den 5. Dezember 1933.[1]
Der Reichsminister des Innern
Frick
Der Reichsminister der Justiz
Dr. Gürtner
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