Dritte Verordnung zur Ausführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses.

Vom 25. Februar 1935.


  Auf Grund des § 17 des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 (Reichsgesetzbl. I S. 529), des Artikels 5 des Gesetzes über den Neuaufbau des Reichs vom 30. Januar 1934 (Reichsgesetzbl. I S. 75) und des Artikels 5 des Ersten Gesetzes zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich vom 16. Februar 1934 (Reichsgesetzbl. I S. 91) wird verordnet:

A r t i k e l  1

  (1) Artikel 1 Abs. 2 Satz 3 der Verordnung zur Ausführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 5. Dezember 1933 (Reichsgesetzbl. I S. 1021) erhält folgende Fassung:

  "Ein fortpflanzungsfähiger Erbkranken, der in einer geschlossenen Anstalt verwahrt wird, darf nicht entlassen oder beurlaubt werden, bevor die Unfruchtbarmachung durchgeführt oder der Antrag endgültig abgelehnt worden ist; dies gilt nicht, wenn der für die Anstalt zuständige Amtsarzt aus besonderen Gründen der Entlassung oder Beurlaubung ausnahmsweise zustimmt."

  (2) Artikel 4 Abs. 2 der Zweiten Verordnung zur Ausführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 29. Mai 1934 (Reichsgesetzbl. I S. 475) fällt weg.

A r t i k e l  2

  (1) Einem Unfruchtbarzumachenden, der wegen krankhaften Geisteszustandes seine Belange nicht selbst wahrnehmen kann, ist von dem Erbgesundheitsgericht für dieses Verfahren ein Pfleger zu bestellen. Der Pfleger hat die Stellung eines gesetzlichen Vertreters. Der Unfruchtbarzumachende steht wegen Geistesschwäche entmündigten Personen gleich. Der Pfleger bedarf zur Stellung des Antrages auf Unfruchtbarmachung nicht der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts.
  (2) Ein Pfleger soll nicht bestellt werden, wenn der Unfruchtbarzumachende unter elterlicher Gewalt oder unter Vormundschaft steht, oder einen Pfleger für seine Person erhalten hat.
  (3) In dem dem Antrag auf Unfruchtbarmachung beizufügenden ärztlichen Gutachten ist auch zu der Frage Stellung zu nehmen, ob die Bestellung eines Pflegers nach Abs. 1 erforderlich ist.
  (4) Die Pflegschaft endigt, falls das Gericht sie nicht früher aufhebt, mit der Durchführung der Unfruchtbarmachung oder der endgültigen Ablehnung des Antrags.
  (5) Der Pfleger erhält Ersatz seiner notwendigen baren Auslagen aus der Staatskasse.

A r t i k e l  3

  Artikel 2 Abs. 2 der Zweiten Verordnung zur Ausführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 29. Mai 1934 (Reichsgesetzbl. I S. 475) erhält folgende Fassung:

  "Die Beisitzer der Erbgesundheitsgerichte und Erbgesundheitsobergerichte erhalten eine Reisekostenvergütung nach den für die Reichsbeamten der Besoldungsgruppe A 2 geltenden Bestimmungen. Soweit die Beisitzer nicht dem Reich, bei den Ländern, Gemeinden (Gemeinde-Verbänden) oder Körperschaften des öffentlichen Rechts in einem festen Besoldungsverhältnis stehen, erhalten sie außerdem für den ihnen aus der Wahrnehmung des Beisitzeramtes erwachsenden Verdienstausfall eine Entschädigung in Höhe von drei Reichsmark für jede angefangene Stunde der Sitzungsdauer und der Vorbereitung auf die Sitzung; die Vergütung für die Vorbereitung darf die für die Sitzung zu gewährende Vergütung nicht übersteigen."

A r t i k e l  4

  Bevollmächtigten und Beiständen kann das Auftreten vor den Erbgesundheitsgerichten und Erbgesundheitsobergerichten aus wichtigen Gründen untersagt werden; der Beschluß ist unanfechtbar.

A r t i k e l  5

  Falls der Beschluß des Erbgesundheitsgerichts oder Erbgesundheitsobergerichtes dem Unfruchtbarzumachenden persönlich zuzustellen ist, kann nach dem Ermessen des Gerichts von einer Mitteilung der Gründe abgesehen werden. Auf Verlangen ist dem Unfruchtbarzumachenden eine Ausfertigung des vollständigen Beschlusses kostenlos zu erteilen. Die Zustellung eines abgekürzten Beschlusses steht in den Wirkungen der Zustellung eines vollständigen Beschlusses gleich.

A r t i k e l  6

  Die Beschwerde gegen den Beschluß des Erbgesundheitsgerichts kann auch bei dem Erbgesundheitsobergericht schriftlich oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle dieses Gerichts eingelegt werden.

A r t i k e l  7

  Artikel 6 Abs. 3 der Verordnung zur Ausführung Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 5. Dezember 1933 (Reichsgesetzbl. I S. 1021) erhält folgende Fassung:

  "Ist der Eingriff nach Urteil des ausführenden Arztes wegen besonderer Umstände mit Lebensgefahr für den Erbkranken verbunden oder aus einem anderen gesundheitlichen Grunde nicht alsbald durchführbar, so kann der zuständige Amtsarzt aus Antrag des Arztes, der den Eingriff ausführen soll, anordnen, daß die Vornahme des Eingriffs einstweilen unterbleibt. Die Aussetzung erfolgt auf bestimmt Zeit. Wiederholte Aussetzung ist zulässig. Die Aussetzung ist dem Erbgesundheitsgericht anzuzeigen."

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  (1) Der die Unfruchtbarmachung ausführende Arzt hat dem Erbgesundheitsgericht und dem beamteten Arzt einen schriftlichen Bericht über die Unfruchtbarmachung und das hierbei angewandte Verfahren spätestens zwei Wochen nach Vornahme des Eingriffs einzureichen.
  (2) Ist die Heilung zur Zeit der Berichterstattung noch nicht abgeschlossen, so ist dies in dem Bericht zu vermerken und erneut zu berichten, sobald die Heilung erfolgt ist.

A r t i k e l  9

  (1) Als Kosten des ärztlichen Eingriffs gelten:
  1. die Kosten der Reise des Unfruchtbarzumachenden und seiner etwa notwendigen Begleitung in die Anstalt, in welcher der ärztliche Eingriff ausgeführt werden soll,
  2. die Kosten seines Aufenthalts in der Anstalt, solange dieser zur Ausführung des ärztlichen Eingriffs notwendig ist,
  3. die Kosten des ärztlichen Eingriffs selbst,
  4. die Kosten einer während eines halben Jahres nach dem Eingriff etwa erforderlichen Nachbehandlung,
  5. die Kosten, die aus einer Verwahrung des Erbkranken in einer geschlossenen Anstalt auf Grund des Artikels 1 Abs. 2 Satz 3 der Verordnung zur Ausführung Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 5. Dezember 1933 (Reichsgesetzbl. I S. 1021) entstehen, solange der Erbkranke lediglich zur Verhütung der Fortpflanzung und nicht aus anderen Gründen in der Anstalt verwahrt worden ist.

  (2) Die Kosten zu den Ziffern 1, 2 und 5 sind von den im § 13 des Gesetzes bezeichneten Stellen auch dann zu übernehmen, wenn der Eingriff selbst nicht zur Ausführung kommt.
  (3) Die Verpflichtung der Krankenkasse, die Kosten des ärztlichen Eingriffs zu tragen (§ 13 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes), umfaßt auch die im Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 genannten Kosten des ärztlichen Eingriffs an einem nach § 205 der Reichsversicherungsordnung berechtigten Familienmitglied des Versicherten. Die im Abs. 1 Nrn. 4 und 5 genannten Kosten trägt die Krankenkasse nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung über den Umfang der Leistungen, jedoch nur, wenn die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistungen nach der Reichsversicherungsordnung erfüllt sind.
  (4) Soweit die Staatskasse die Kosten des ärztlichen Eingriffs trägt (§ 13 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes), sind die Kosten nicht erstattungsfähig, die nach dem Gutachten des Amtsarztes nicht zu den Kosten des ärztlichen Eingriffs im Sinne des Absatzes 1 gehören oder das Maß dessen übersteigen, was bei einem Hilfsbedürftigen von der öffentlichen Fürsorge zu übernehmen wäre. Die Vorschriften des § 13 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes und des Artikels 7 Abs. 2 der Verordnung zur Ausführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 5. Dezember 1933 (Reichsgesetzbl. I S. 1021) werden hierdurch nicht berührt. Die Feststellung der den Krankenkassen zur Last fallenden Kosten erfolgt nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung im Spruchverfahren.

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  (1) Solange die Unterbringung eines Minderjährigen zur Fürsorgeerziehung angeordnet ist, fallen die Kosten des ärztlichen Eingriffs an dem Minderjährigen dem Träger der Kosten der Fürsorgeerziehung nach den für diese geltenden Vorschriften zur Last; § 75 des Reichsgesetzes für Jugendwohlfahrt findet keine Anwendung.
  (2) Die Verpflichtung der Staatskasse und der Krankenkasse nach § 13 Abs. 2 des Gesetzes bleibt unberührt. Für die Verpflichtung der Krankenkassen ist im übrigen die Vorschrift des § 216 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung entsprechend anzuwenden.

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  (1) Soweit Krankenkasse, öffentliche Fürsorge, Träger der Kosten der Fürsorgeerziehung, Polizei oder Staatskasse bis zu dem auf die Verkündung dieser Verordnung folgenden Tage Kosten des ärztlichen Eingriffs getragen haben, können sie untereinander Rückersatz dieser Kosten auch dann nicht fordern, wenn sie nach dieser Verordnung für die Übernahme der Kosten nicht zuständig waren.
  (2) Fälle, die durch Festsetzung der Kosten bereits abgeschlossen sind, werden nur dann von dieser Verordnung berührt, wenn beim Inkrafttreten dieser Verordnung schriftliche Einwendungen gegen die Kostenfestsetzung vorliegen.

A r t i k e l  12

  (1) Der Reichsminister der Justiz bestimmt Sitz und Bezirk der entscheidenden Gerichte und die Zahl der bei diesen einzurichtenden Kammern. Er kann die Ausübung dieser Befugnis den Oberlandesgerichtspräsidenten übertragen.
  (2) Hinsichtlich der Verwaltung und Dienstaufsicht gelten die Erbgesundheitsgerichte als Teil des Amtsgerichts, die Erbgesundheitsobergerichte als Teil des Oberlandesgerichts.
  (3) Die Zahl der ärztlichen Mitglieder und ihrer Vertreter bestimmt der Oberlandesgerichtspräsident nach dem Bedürfnis.

A r t i k e l  13

  (1) Die Mitglieder der entscheidenden Gerichte und ihre Stellvertreter werden bestellt:
  1. für das Erbgesundheitsgericht im Bezirk des Landgerichts Berlin durch den Präsidenten des Amtsgerichts Berlin;
  2. für die übrigen Erbgesundheitsgerichte durch die Landesgerichtspräsidenten;
  3. für die Erbgesundheitsobergerichte durch die Oberlandesgerichtspräsidenten.

  (2) Die richterlichen Mitglieder werden für die Dauer des Geschäftsjahres, die ärztlichen Mitglieder für die Dauer von zwei Geschäftsjahren bestellt. Die ärztlichen Mitglieder sind auf Vorschlag der höheren Verwaltungsbehörde, in Berlin des Polizeipräsidenten, zu bestellen. Die Vorschläge der ärztlichen Mitglieder für die Erbgesundheitsobergerichtebedürfen der Zustimmung des Reichsministers des Innern.
  (3) Wird während der Amtszeit der Mitglieder die Bestellung neuer Mitglieder erforderlich, so werden diese für den Rest der Amtszeit bestellt.
  (4) Die Reihenfolge für die Heranziehung der Beisitzer bestimmt der Vorsitzende vor Beginn des Geschäftsjahres für seine Dauer.
  (5) Artikel 4 Abs. 1 der Verordnung zur Ausführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 5. Dezember 1933 (Reichsgesetzbl. I S. 1021) fällt weg.

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  Die Amtszeit der beim Inkrafttreten dieser Verordnung im Amt befindlichen ärztlichen Mitglieder der Erbgesundheitsgerichte und der Erbgesundheitsobergerichte endet am 31. Dezember 1935. Artikel 13 Abs. 3 gilt entsprechend.


  Berlin, den 25. Februar 1935.

Der Reichsminister des Innern
Frick

Der Reichsminister der Justiz
Dr. Schlegelberger

Der Reichsarbeitsminister
Dr. Krohn

 

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Quelle: Reichsgesetzblatt 1935 I, S. 289-292.


Empfohlene Zitierweise des Dokumentes:
Dritte Verordnung zur Ausführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (25.02.1935), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/ns/1935/erbk-nws_vo03.html, Stand: aktuelles Datum.


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Letzte Änderung: 03.02.2004
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