Verordnung des Reichspräsidenten auf Grund des Artikel 48 Abs. 2
der Reichsverfassung, betreffend die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit
und Ordnung nötigen Maßnahmen.
Vom 6. September 1920.
Auf Grund des Artikel 48 der Reichsverfassung wird zur Wiederherstellung der öffentlichen
Sicherheit und Ordnung für das Gebiet der Stadtgemeinde Breslau folgende Verordnung
erlassen:
§ 1
Die Artikel 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 der Verfassung des Deutschen Reichs werden vorübergehend außer Kraft
gesetzt. Es sind daher Beschränkungen der persönlichen Freiheit, des Rechtes der freien
Meinungsäußerung einschließlich der Pressefreiheit, des Vereins-
und Versammlungsrechts, Beschränkungen des Brief-, Post-, Telegraphen- und
Fernsprechgeheimnisses, Anordnungen von Haussuchungen und von Beschlagnahmen sowie
Beschränkungen des Eigentums auch außerhalb der sonst hierfür bestimmten gesetzlichen
Grenzen zulässig.
§ 2
Der vom Reichsminister des Innern zu ernennende
Regierungskommissar wird ermächtigt, Anordnungen zur Wiederherstellung der öffentlichen
Sicherheit und Ordnung im Bezirke der Stadtgemeinde Breslau zu treffen. Wer diesen
Anordnungen zuwiderhandelt oder zu solchen Zuwiderhandlungen auffordert oder anreizt,
wird, sofern nicht die bestehenden Gesetze eine höhere Strafe bestimmen, mit Gefängnis
oder Haft oder Geldstrafe bis zu fünfzehntausend Mark bestraft.
§ 3
[1] Alle Zivilverwaltungsbehörden des Bezirkes haben dem
Ersuchen des Regierungskommissars im Rahmen ihrer Zuständigkeit Folge zu leisten.
[2] Bedarf der Regierungskommissar zur Durchführung seiner Aufgaben in
Unterstützung der polizeilichen Organe militärische Hilfe, so ersucht er darum das
Wehrkreiskommando oder bei Gefahr im Verzuge die örtlichen Befehlsstellen. Die Regelung
der Befehlsgewalt innerhalb der Reichswehr wird hierdurch nicht berührt.
§ 4
[1] Gegen die Anordnungen des Regierungskommissars, die im
Einzelfall auf Grund der §§ 1, 2 ergehen, steht die
Beschwerde an den Reichsminister des Innern offen.
[2] Gegen das Verbot periodischer Druckschriften ist die Beschwerde an einen
Ausschuß zulässig. Die Mitglieder des Ausschusses und ihre Stellvertreter wählt der
Reichsrat aus seiner Mitte. Der Ausschuß entscheidet in der Besetzung von sieben
Mitgliedern, die nach eigener freier Überzeugung erkennen. Den Vorsitz im Ausschuß
führt ohne Stimmrecht der Reichsminister des Innern oder ein von ihm bestimmter
Vertreter. Die Beschwerde ist beim Reichsminister des Innern einzureichen; dieser hat sie,
falls er ihr nicht stattgibt, dem Ausschuß zur Entscheidung vorzulegen.
§ 5
Auf Beschränkungen der persönlichen Freiheit findet das Gesetz,
betreffend die Verhaftung und Aufenthaltsbeschränkung auf Grund des Kriegszustandes und
des Belagerungszustandes, vom 4. Oktober 1916 (Reichs-Gesetzbl. S. 1329) entsprechende
Anwendung. An Stelle des Reichsmilitärgerichts tritt der auf Grund des § 5 der Verordnung des Herrn Reichspräsidenten
vom 11. April 1920 (Reichs-Gesetzbl. S. 479) gebildete Ausschuß. Die Vorschriften des
§ 4 Abs. 2 Satz 4 und 5 finden Anwendung.
§ 6
Diese Verordnung tritt mit ihrer Verkündung in Kraft[1] und wird mit dem 20. September 1920 wieder aufgehoben.
Freudenstadt, den 6. September 1920.
Der Reichspräsident
Ebert |
Für den Reichsminister des Innern
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Der Reichskanzler
Fehrenbach
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Der Reichswirtschaftsminister
Dr. Scholz
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