Gesetz [des Freistaats Sachsen] über Volksbegehren und
Volksentscheid.
[Vom 8. März 1921.]
Der [sächsische] Landtag hat folgendes Gesetz beschlossen:
I. Volksbegehren.
§ 1.
[1] Der Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens ist schriftlich
an das Gesamtministerium zu richten. Er bedarf der Unterschriften von tausend
Stimmberechtigten. Das Stimmrecht der Unterzeichner ist durch eine Bestätigung der
Gemeindebehörde ihres Wohnorts nachzuweisen.
[2] Von der Beibringung der Unterschriften von tausend Stimmberechtigten kann
abgesehen werden, wenn der Vorstand einer Vereinigung den Antrag stellt und glaubhaft
macht, daß zwanzigtausend stimmberechtigte Mitglieder den Antrag unterstützen.
§ 2.
[1] Sind die Voraussetzungen des § 1 nicht
erfüllt oder ist das Begehren nach Art. 37 der sächsischen Verfassung
unzulässig, so weist das Gesamtministerium den Antrag zurück und benachrichtigt hiervon
den ersten Unterzeichner. Dieser kann binnen zwei Wochen durch Einspruch beim
Gesamtministerium die Entscheidung des Plenums des Oberverwaltungsgerichts anrufen.
[2] Sind die Voraussetzungen erfüllt und geht das Begehren auf Erlaß eines
andern Gesetzes, als in Art. 37
der Verfassung erwähnt ist, so
übersendet das Gesamtministerium den Antrag dem Oberverwaltungsgericht. Das Plenum dieses
Gerichtes entscheidet, ob das Begehren zur Zuständigkeit der Landesgesetzgebung gehört.
Verneint es das, so benachrichtigt es hiervon den ersten Unterzeichner. Der Antrag ist
dann erledigt. Bejaht es das, so veröffentlicht das Gesamtministerium den Antrag in der
zugelassenen Form in der Sächsischen Staatszeitung und setzt Beginn und Ende der
Abstimmungsfrist fest.
[3] Sind die Voraussetzungen des § 1 erfüllt und geht der Antrag
auf Auflösung des Landtags, so erfolgt die Veröffentlichung und Fristsetzung durch das
Gesamtministerium ohne weiteres.
[4] Die Abstimmung hat frühestens zwei Wochen und spätestens einen Monat nach der
Veröffentlichung der Zulassung zu beginnen. Die Abstimmungsfrist beträgt vierzehn Tage.
§ 3.
Nach der Veröffentlichung kann der Zulassungsantrag nicht mehr
geändert werden, er kann aber bis zum Ablauf der Abstimmungsfrist jederzeit
zurückgenommen werden. Die Zurücknahmeerklärung ist gültig, wenn sie von mehr als der
Hälfte der Antragsunterzeichner oder von dem Vorstande der Vereinigung, die den Antrag
gestellt hat, abgegeben ist.
§ 4.
[1] Die Gemeindebehörden müssen den Stimmberechtigten für die
ganze Abstimmungsfrist Gelegenheit geben, während der üblichen Geschäftszeit durch
eigenhändige Eintragung in die vorschriftsmäßigen Eintragungslisten ihre Stimme
abzugeben.
[2] Erklärt ein Stimmberechtigter, daß er nicht schreiben kann, so wird seine
Unterschrift durch die Feststellung dieser Erklärung ersetzt.
§ 5.
[1] Die Eintragungslisten sind den
Gemeindebehörden von den Antragstellern zu übergeben. Am Kopfe der Listen muß der
Gegenstand des Volksbegehrens in der vom Gesamtministerium veröffentlichten Fassung
angegeben sein.
[2] Die Eintragung der Stimmberechtigten muß enthalten: |
- Vor- und Zunamen, bei verheirateten oder verheiratet gewesenen Frauen auch den
Geburtsnamen,
- Stand, Beruf oder Gewerbe,
- Bezeichnung der Wohnung.
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§ 6.
[1] Zur Eintragung ist nur zuzulassen, wer in die zuletzt
abgeschlossene Wählerliste (Stimmliste) oder Wahlkartei (Stimmkartei) eingetragen ist
oder für das Volksbegehren einen Stimmschein erhalten hat. Als in der Liste oder der
Kartei eingetragen gilt im Sinne dieser Vorschrift auch der, der wegen Ausstellung eines
Wahl- oder Stimmscheins bei einer früheren Wahl oder Abstimmung in der Liste oder Kartei
gestrichen worden ist.
[2] Stimmscheine für die Eintragung zum Volksbegehren werden nach denselben
Grundsätzen erteilt wie die Wahlscheine für die Landtagswahl.
[3] Wer nicht eingetragen ist und keinen Stimmschein hat, muß vor der
Eintragung seine Stimmberechtigung nachweisen.
§ 7.
Gegen die Ablehnung der Zulassung zur Eintragung ist Einspruch
zulässig. Gibt die Gemeindebehörde dem Einspruch nicht alsbald statt, so entscheidet die
Aufsichtsbehörde binnen einer Woche.
§ 8.
Ungültig sind Eintragungen, die |
- die Person des Eintragenden nicht zweifelsfrei erkennen lassen,
- von nicht stimmberechtigten Personen herrühren,
- nicht in vorschriftsmäßige Eintragungslisten gemacht sind.
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§ 9.
Nach Ablauf der Abstimmungsfrist beurkunden die Gemeindebehörden
auf den Eintragungslisten, ob die Eingetragenen am Tage der Eintragung in der Gemeinde
stimmberechtigt waren. Darauf sind die Eintragungslisten dem Abstimmungsleiter (§ 12) zu übersenden.
§ 10.
[1] Der Abstimmungsausschuß (§ 12) stellt fest, wieviel
Stimmberechtigte im Stimmkreis für das Volksbegehren gültig gestimmt haben. Das Ergebnis
wird dem Landeswahlleiter mitgeteilt.
[2] Der Landeswahlausschuß stellt das Abstimmungsergebnis im Lande fest. Der
Landeswahlleiter veröffentlicht das Gesamtergebnis in der Sächsischen Staatszeitung.
§ 11.
Die Kosten der Eintragungslisten und ihrer Versendung an die Gemeindebehörden
fallen den Antragstellern zur Last. Die Kosten der Feststellung des Abstimmungsergebnisses
trägt der Staat, alle übrigen Kosten tragen die Gemeinden.
II. Volksentscheid.
§ 12.
[1] Auf den Volksentscheid finden die für die Landtagswahl
geltenden Bestimmungen entsprechende Anwendung, soweit nicht etwas anderes
bestimmt ist.
[2] Die Landeswahlkreise gelten als Stimmkreise. Die Bezeichnungen Kreiswahlleiter,
Wahlausschuß, Wahlbezirk, Wahlvorsteher, Wahlvorstand, Wählerliste, Wahlkartei,
Wahlschein werden durch die Bezeichnungen Abstimmungsleiter,
Abstimmungsausschuß, Stimmbezirk, Abstimmungsvorsteher, Abstimmungsvorstand, Stimmliste,
Stimmkartei, Stimmschein ersetzt.
§ 13.
Das Gesamtministerium bestimmt den Abstimmungstag und
veröffentlicht ihn und den Gegenstand des Volksentscheides in der Sächsischen
Staatszeitung. Betrifft der Volksentscheid mehrere Fragen, so wird auch der Stimmzettel
bestimmt und veröffentlicht.
§ 14.
Das Gesamtministerium liefert die Stimmzettel und läßt sie in
den Abstimmungsräumen in ausreichender Zahl bereithalten.
§ 15.
[1] Die Abstimmenden tragen in den Stimmzettel das Wort
"Ja" oder "Nein" ein. Es können auch gedruckte Stimmzettel verwendet
werden.
[2] Vor der Uebergabe an den Abstimmungsvorsteher sind die Stimmzettel zweimal je
in der Mitte zu falten.
§ 16.
[1] Ungültig sind Stimmzettel |
- die keine Eintragung enthalten;
- aus deren Inhalt der Wille des Abstimmenden nicht unzweifelhaft zu erkennen ist;
- die außer den Worten "Ja" oder "Nein" einen Zusatz enthalten;
- die nicht von weißem oder weißlichem Papier sind;
- die mit einem Kennzeichen versehen sind.
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[2] Mehrere ineinandergefalteter Stimmzettel
gelten als eine Stimme, wenn sie gleichlautend sind oder wenn nur einer von ihnen eine
Eintragung enthält; andernfalls sind sie ungültig. |
§ 17.
[1] Im Stimmkreis stellt der Abstimmungsausschuß zur Ermittlung
des Abstimmungsergebnisses fest, wieviel gültige Stimmen abgegeben sind und wieviel auf
"Ja" oder auf "Nein" lauten.
[2] Das Gesamtergebnis stellt der Landeswahlausschuß fest.
§ 18.
Nach der Feststellung durch den Landeswahlausschuß wird das
Abstimmungsergebnis durch das Plenum des Oberverwaltungsgerichtes geprüft. Es erkennt auf
Grund öffentlicher mündlicher Verhandlung und regelt im übrigen das Verfahren selbst.
§ 19.
Das Prüfungsgericht teilt nach Abschluß
des Prüfungsverfahrens das endgültige Abstimmungsergebnis dem
Gesamtministerium mit. Dieses veröffentlicht es in der Sächsischen Staatszeitung,
wenn die Frage des Volksentscheides durch die Abstimmung
verneint worden ist. Ist die Frage bejaht worden, so gibt das
Gesamtministerium das Abstimmungsergebnis gleichzeitig mit der weiter erforderlichen
Verkündung im Sächsischen Gesetzblatt bekannt.
§ 20.
Die Kosten für die Stimmzettel, für die Vordrucke zu den
Abstimmungsniederschriften und für die Ermittlung des Abstimmungsergebnisses, sowie die
Kosten der staatlichen Verwaltungsbehörden, der Abstimmungsleiter, der
Abstimmungsausschüsse und des Landeswahlausschusses werden vom Staate, alle übrigen
Kosten von den Gemeinden getragen.
Dresden, den 8. März 1921.
Das Gesamtministerium.
Buck
Ministerpräsident.
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