[Wahlprogramm von Bündnis 90/Die Grünen für die Bundestagswahl
2002]
Vierjahresprogramm 2002 - 2006
vom 25. März 2002[1]
Präambel
8 für 8: Sie haben die Wahl |
5
6 |
1. Ökologische Modernisierung |
7 |
1.1. Lebenswerte Umwelt |
7 |
Klima schützen: Weg von Öl, Kohle und Atom hin zu Sonne und Wind |
8 |
Umwelt schafft Arbeit |
8 |
Ein Land für die Sonne: Erneuerbare Energien fördern - AKWs abschalten |
9 |
Verkehrswende: Für eine neue Verkehrspolitik ist es höchste Eisenbahn |
9 |
Ökologische Finanzreform: die ökologische Marktwirtschaft durchsetzen |
10 |
Natur- und Landschaftsschutz
Die Wälder schützen
Elektrosmog minimieren |
11
11
12 |
Müll vermeiden - Mehrwegquote erhöhen |
12 |
Internationale Umweltpolitik |
12 |
1.2. Wirksamer Verbraucherschutz, Gesunde Ernährung |
12 |
Politik mit dem Einkaufskorb |
13 |
Verbraucherrechte stärken: Wissen, was drin ist |
13 |
Die neue Landwirtschaft: gesunde und sichere Lebensmittel |
13 |
Die Bäuerinnen und Bauern stärken
Agrarsubventionen reformieren
Tiere schützen |
14
14
15 |
Die neue Landwirtschaft: den Welthunger bekämpfen |
15 |
2. Soziale und wirtschaftliche Erneuerung |
16 |
2.1. Mehr Arbeitplätze, Soziale Sicherheit, Wirtschaftliche Erneuerung |
16 |
Umwelt schafft Arbeit |
17 |
Neue Instrumente in der Arbeitsmarktpolitik |
17 |
Soziale Grundsicherung einführen |
18 |
Privathaushalte und kleine und mittlere Unternehmen entlasten |
18 |
Kleine und mittlere Unternehmen fördern - Kultur der Selbständigkeit
stärken |
19 |
Lohnnebenkosten senken - Sozialversicherungen weiterentwickeln |
19 |
Das Gesundheitssystem zukunftsfähig gestalten |
19 |
Haushalt konsolidieren und in die Zukunft investieren |
20 |
Die Kommunen stärken
Die Finanzen neu ordnen
Fairer Steuerwettbewerb in Europa |
20
21
21 |
2.2. Kinderfreundliches Land |
21 |
Kinder haben Rechte |
21 |
Pluralität der Lebensentwürfe: Auf die Kinder kommt es an |
21 |
Vereinbarkeit von Kindern und Beruf verbessern - Kinderbetreuung
flächendeckend ausbauen |
22 |
Kinderbetreuung aufwerten, Bildungsauftrag ernst nehmen |
22 |
Konsequenzen aus der PISA-Studie ziehen |
22 |
Kinderarmut bekämpfen - Kindergrundsicherung schaffen |
23 |
Leistungen für Kinder bündeln, Kinderkasse einführen |
23 |
Unser Land braucht einen Kindergipfel |
23 |
2.3. Gute Bildung, Verantwortliche Forschung, Lebendige Kultur |
24 |
Grundlagen unserer Bildungspolitik
Lebensbegleitendes Lernen
Qualität der Hochschulen verbessern
Wissenschaft als Beruf |
24
24
25
25 |
Mehr Geld für Bildung und Forschung |
25 |
Aktive Forschungspolitik für Mensch und Umwelt |
26 |
Kultur ist das Lebenselixier der Gesellschaft |
28 |
2.4. Selbstbewusstes Ostdeutschland |
27 |
Vom Osten lernen |
27 |
Für ein solidarisches Gesamtdeutschland |
27 |
Arbeitsplätze für Ostdeutschland |
27 |
Die boomende Umweltbranche für Ostdeutschland nutzen |
28 |
Forschungs- und Bildungsschwerpunkt Ostdeutschland |
28 |
Eine Perspektive für die Jugend |
28 |
Für Toleranz und demokratisches Miteinander |
28 |
Chancen der Osterweiterung |
29 |
3. Gesellschaftliche Demokratisierung |
30 |
3.1. Lebendige Demokratie |
30 |
Einwanderungsland Deutschland gestalten |
30 |
Bürgerrechte ausbauen
Diskriminierung beseitigen
Freiheit und Sicherheit |
31
33
33 |
3.2. Die Hälfte der Macht den Frauen |
34 |
Chancengleichheit und Karriere
Frauen und Gesundheit |
35
35 |
Schwangerschaftsabbruch - Frauen in Zwangslagen |
36 |
Fortpflanzungsmedizin |
36 |
Geschlechtergerechtigkeit als Querschnittsaufgabe |
36 |
Frauenrechte sind Menschenrechte |
37 |
4. Gerechte Globalisierung und Europäische Demokratie |
38 |
4.1. Gerechte Globalisierung |
39 |
Ökologische Modernisierung und weltweite Agrarwende |
39 |
Mehr Geld aus dem Norden - mehr politische Beteiligung für den Süden |
40 |
Entwicklung braucht Entschuldung |
40 |
Fairer Handel - Entwicklungszusammenarbeit stärken |
41 |
4.2. Europäische Demokratie |
41 |
Die europäische Integration vertiefen |
41 |
Erweiterung vorantreiben |
42 |
Europäische Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik festigen |
42 |
Südosteuropa stabilisieren |
42 |
4.3. Dauerhafter Frieden |
42 |
Die Vereinten Nationen stärken |
43 |
Bundeswehr verändern - die Wehrpflicht beenden |
43 |
Abrüstung nutzen |
43 |
Präambel
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind die Partei der ökologischen Modernisierung,
der sozialen und wirtschaftlichen Erneuerung und des gesellschaftliche Demokratisierung.
Wir sind die Partei der gerechten Globalisierung und der europäischen Demokratie. Wir
haben seit unserer Gründung viel Bewegung in unser Land gebracht. Wir haben ökologische
Verantwortung und den Gedanken der Nachhaltigkeit in der Gesellschaft verankert. Unsere
Gesellschaft ist weltoffener, unsere Demokratie ist lebendiger und Bürgerrechte sind
gestärkt worden. Die Gleichstellung zwischen Frauen und Männern hat durch uns deutliche
Fortschritte erlebt. Mit der Regierungsbeteiligung 1998 haben wir Verantwortung
übernommen und konnten den Reformstau der Regierung Kohl in vielen Punkten auflösen:
Atomausstieg, Energiewende und Klimaschutz, Einstieg in die Neue Landwirtschaft, Stärkung
der Verbraucherrechte, das neue Staatsbürgerschaftsrecht, die internationale Stärkung
der Menschenrechte, die eingetragenen Partnerschaften für Schwule und Lesben,
Haushaltskonsolidierung, Kindergelderhöhung und Rentenreform. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
waren der Reformmotor der letzten vier Jahre.
Ökologie, Selbstbestimmung, Gerechtigkeit und Demokratie sind unsere Grundwerte.
Wir treten ein für Menschenrechte und unser Ziel der Gewaltfreiheit. Der Wert der
Ökologie verpflichtet uns zur nachhaltigen Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen.
Selbstbestimmt ist eine Gesellschaft, in der die Menschen eine konkrete Chance haben, ihr
Leben selbst zu gestalten - frei von Bevormundung. Als eine dem Wert der Gerechtigkeit
verpflichtete Partei kämpfen wir für die sozialen Rechte der Schwächsten und eine
gerechte Verteilung der gesellschaftlichen Güter. Unsere Vorstellung von erweiterter
Gerechtigkeit geht allerdings über traditionelle Verteilungspolitik hinaus. Grüne
Politik steht auch für Teilhabe an Arbeit, Bildung und Demokratie, für
Generationengerechtigkeit, für Geschlechtergerechtigkeit und für Internationale
Gerechtigkeit. Der Wert der Demokratie steht für starke Bürgerrechte, ein demokratisches
Europa und die Stärkung der Parlamente.
Bei der nächsten Bundestagswahl entscheiden sie über die Grundausrichtung der Politik
und ihres kulturellen Hintergrunds. Stoiber und die Union stehen für ein Deutschlandbild
der "deutschen Leitkultur". In der Gesellschaftspolitik dominiert das klassische
Rollenverständnis von Mann und Frau und die Familienpolitik der Union wird der
Pluralität der verschiedenen Lebensformen nicht gerecht. Politik hat bei Stoiber ein
Element der Ausgrenzung aller, die nicht der selbst definierten Norm entsprechen. BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN stellen dem eine Haltung der Weltoffenheit, der multikulturellen
Demokratie, der Pluralität, der Geschlechtergerechtigkeit und der Toleranz gegenüber.
Soziale Fragen wollen wir gemeinsam lösen. Sie gehen uns alle an. Eine Politik der
Ausgrenzung und der neoliberalen Diskriminierung sozial Schwacher ist mit unserem
Gerechtigkeitsempfinden nicht vereinbar. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stehen für Integration.
8 für 8: Sie haben die Wahl
Am 22. September 2002 entscheiden Sie darüber, ob ökologische und soziale
Modernisierungspolitik in Deutschland fortgesetzt wird. Wir wollen mehr als 8 Prozent der
Stimmen erreichen und damit die Richtung der Modernisierung in Deutschland grün
bestimmen. 8 Punkte stehen im Zentrum unserer Politik für die nächste Legislaturperiode: |
- Weg vom Öl und raus aus der Atomkraft durch Energie aus Sonne und Wind
- Gesundes Essen durch Verbraucherschutz und Neue Landwirtschaft
- Besseres Leben für Kinder durch die Kindergrundsicherung gegen die Kinderarmut und
bessere Kinderbetreuung
- Mehr Arbeitsplätze durch Ökologisches Wirtschaften, durch eine Reform der sozialen
Sicherungssysteme und durch eine neue Arbeitsmarktpolitik
- Das Einwanderungsland gestalten, Integration fördern und Bürgerrechte sichern
- Die Hälfte der Macht für Frauen
- Gerechte Globalisierung durch einen weltweiten ökologischen und sozialen Rahmen
- Stärkung der europäischen Demokratie
|
Sie entscheiden mit Ihrer Stimme!
Die Bundestagswahl 2002 wird nicht zwischen SPD und CDU entschieden. Keine der großen
Parteien wird unser Land allein regieren. Wir stehen dafür, dass
soziale und ökologische Politik fortgesetzt wird und dass nicht schwarzer Rückschritt
und gelbe Rücksichtslosigkeit unser Land regieren. Grün kämpft dafür, dass Erneuerung
statt großkoalitionärem Stillstand unser Land prägt. Grün kämpft dafür, dass sich
Gerechtigkeit statt neoliberaler Ellbogenpolitik durchsetzt. Wer die strukturkonservative
PDS wählt, stärkt in Wahrheit Stoiber und schwächt damit ökologische und soziale
Modernisierungspolitik. Wir kämpfen für eine deutliche Stärkung des grünen Gewichts
und wollen die erfolgreiche rot-grüne Politik fortsetzen. Mit einer Politik der
ökologischen, sozialen und demokratischen Erneuerung haben wir in der Koalition der
Modernisierung eine Richtung gegeben. Nur eine Stimme für die GRÜNEN schützt unser Land
vor CDU/CSU und FDP.
Sie haben die Wahl.
1. Ökologische Modernisierung
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind die Partei der Ökologie. Seit unserer Gründung 1980 haben
wir gemeinsam mit der Ökologiebewegung den Umweltgedanken in der Gesellschaft verankert.
Durch die rot-grüne Regierung seit 1998 haben wir die ökologische Modernisierung
entscheidend voran gebracht: Wir haben wirksame Maßnahmen zum Klimaschutz ergriffen. Der
Atomausstieg und die weltweit beispielhafte Förderung erneuerbarer Energien öffnet den
Weg in das solare Zeitalter. Die neue Landwirtschaft sorgt für gesunde und sichere
Nahrungsmittel. Das neue Naturschutzgesetz beendet den 20-jährigen Stillstand auf
Bundesebene.
Ökologie gehört zu unseren Grundwerten. Wir orientieren uns am Leitbild der Nachhaltigen
Entwicklung, wie es 1992 von den Vereinten Nationen auf dem Umweltgipfel in Rio definiert
wurde. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN denken wirtschaftliche, soziale und ökologische Belange
zusammen. Eine Politik, die den Schutz der Umwelt als nachrangig ansieht und
wirtschaftlichen und sozialen Zielen unterordnet, ist nicht nur ökologisch falsch,
sondern auch ökonomisch und sozial kurzsichtig. Unsere Politik der Nachhaltigkeit beugt
internationalen Konflikten um die Ressourcen unserer Erde vor.
Es gibt viel zu tun. Wir verteidigen die Belange der Umwelt und das Recht kommender
Generationen auf eine lebenswerte Welt konsequent gegen andere Interessen. Nur mit einer
starken ökologischen Partei wird Deutschland zukunftstauglich: Ohne uns gibt es keine
Strategie weg von Öl, Kohle und Atom, hin zur Sonne und zur Energieeinsparung. Ohne uns
gibt es keinen Weg aus der BSE-Krise hin zu einer neuen Landwirtschaft und zu einem
konsequenten Tierschutz. Wir können unsere Umwelt nicht durch ein Zurück bewahren,
sondern nur, indem wir die heutigen Industriegesellschaften nachhaltig verändern.
Ökologische Modernisierung und ökonomische Vernunft sind keine Widersprüche - im
Gegenteil: Umweltschutz schafft zusätzliche und dauerhaft sichere Arbeitsplätze.
Am 22. September 2002 entscheiden Sie: Entweder es gibt einen Rückfall in die alte
Politik der ökologischen Blindheit. Oder Sie stärken mit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine
konsequente Politik der ökologischen Modernisierung.
1.1. Lebenswerte Umwelt
Umwelt- und Naturschutz steht im Mittelpunkt einer verantwortlichen Politik für mehr
Lebensqualität, Generationengerechtigkeit und den Erhalt unsere natürlichen
Lebensgrundlagen. Wir orientieren uns am Leitbild der Nachhaltigen Entwicklung, wie es von
den Vereinten Nationen definiert wurde. Für eine nachhaltige Entwicklung unseres Landes
braucht es Anstrengungen in allen Politikfeldern. Der Umsetzung der von der
Bundesregierung erarbeiteten nationalen Nachhaltigkeitsstrategie kommt dabei besondere
Bedeutung zu. Hierzu bedarf es klarer Indikatoren und messbarer Ziele: Der Verbrauch
natürlicher Ressourcen muss gesenkt werden. Umweltfreundliches Verhalten wollen wir durch
bessere Information, Umweltaudits und ökonomische Anreize für mehr ökologische
Effizienz erleichtern.
Klima schützen:Weg von Öl,Kohle und Atom hin zu Sonne und Wind
Klimaschutz ist die größte umweltpolitische Herausforderung unserer Zeit. Der durch den
Treibhauseffekt ausgelöste Klimawandel hat begonnen: Der Temperaturanstieg ist messbar;
der Meeresspiegel steigt, Wüsten breiten sich aus, Gletscher schmelzen ab, Wirbelstürme
und Überschwemmungen nehmen weltweit an Zahl und Heftigkeit zu. Entschlossenes Handeln
ist national und international gefragt. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stehen dafür, dass das
nationale Klimaschutzziel von 25 Prozent weniger CO2-Ausstoß bis 2005
gegenüber den Werten von 1990 weiter umgesetzt und fortentwickelt wird. Im Rahmen der EU
hat sich Deutschland verpflichtet, seine Emissionen bei allen relevanten Treibhausgasen
bis 2012 um 21 Prozent zu reduzieren. Wir sind von diesem Ziel nur noch ganze 2,3 Prozent
entfernt. Dennoch braucht der Klimaschutz weitere intensive Anstrengungen. Deshalb werden
wir das nationale Klimaschutzprogramm weiterentwickeln und die Grundlage für die weitere
Absenkung der Gase, die den Treibhauseffekt verursachen, auch nach 2012 legen. Auf
EU-Ebene werden wir uns aktiv an der Ausgestaltung der Emissionshandelsrichtlinie
beteiligen und den Emissionshandel in Deutschland einführen.
Der internationale Klimaschutz hört nicht 2012 auf. Für die nächste Verpflichtung des
Kyoto-Protokolls sind weitere deutliche Minderungen der klimaschädlichen Emissionen
nötig. Wir werden uns dafür einsetzen, dass besonders die Industriestaaten, aber auch
die Schwellenländer ihren Beitrag dazu leisten. Die Europäische Union muss mit dem guten
Beispiel einer anspruchsvollen Zielsetzung und wirksamer Instrumente vorangehen. Dafür
werden wir uns in den 2005 beginnenden Verhandlungen einsetzen. Ziel muss es sein, dass
Europa seinen Ausstoß bis 2020 um 20 Prozent senkt. Wir wollen bis 2020 die CO2-Emissionen
in Deutschland um 40 Prozent gegenüber 1990 senken. Nur mit einer Politik, die uns
systematisch von Kohle und Öl unabhängig macht und aus der Atomkraft aussteigt,
erreichen wir diese Klimaschutzziele. Unsere Alternative lautet: Energieeinsparung,
Energieeffizienz und erneuerbare Energien. Wer unsere Lebensgrundlagen wirksam schützen
will, darf nicht nur vom Klimaschutz reden, sondern muss auch handeln. Wir wollen den in
dieser Legislaturperiode begonnenen Kurs der Energiewende, Verkehrswende und der
ökologischer Finanzreform fortsetzen und weiterentwickeln.
Umwelt schafft Arbeit
Ökologie schafft wirtschaftliche Dynamik und Arbeitsplätze. Die Energiewende ist das
Paradebeispiel für das, was wir unter ökologischer Modernisierung verstehen. Statt
bestehende, umweltschädliche Strukturen fortzuführen, setzen wir auf innovative,
umweltschonende Technologien. Das ist wirtschaftlich sinnvoll, weil es den Unternehmen
internationale Wettbewerbsvorteile sichert. Das ist sozial, weil hunderttausende neue und
zukunftsfähige Arbeitsplätze entstehen. Das ist ökologisch sinnvoll, weil wir unsere
natürlichen Lebensgrundlagen erhalten. Wir wollen die ökologischen Pioniermärkte
weiterhin besetzen und ökologische Produkte auf dem Markt etablieren. So schreiben wir
mit grünen Ideen schwarze Zahlen.
Ein Land für die Sonne:Erneuerbare Energien fördern - AKWs abschalten
Deutschland steht in den nächsten Jahren vor einem umfassenden Umbau in der
Stromwirtschaft. Zwischen 1998 und 2002 haben wir die Grundlage dafür geschaffen, dass
aus diesem Umbau eines nennenswerten Teils des heutigen Kraftwerksparks eine echte
ökologische Modernisierung wird. Im Rahmen der Energiewende setzen wir auf den Dreiklang
von Energieeinsparung, Energieeffizienz und Erneuerbaren Energien.
Durch die weltweit einmalige Förderung von Erneuerbaren Energien wie Sonne, Wasser, Wind
und Biomasse nimmt Deutschland ökologisch und ökonomisch einen Spitzenplatz ein. Wir
wollen die Förderinstrumente weiterentwikkeln. Zentral wird dabei die Inbetriebnahme der
ersten Windparks im Offshore-Bereich sein. Durch die Weiterentwicklung des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes und des Marktanreizprogramms für erneuerbare Energien
wollen wir dafür sorgen, dass die Nutzung von Biomasse zur Energieerzeugung zu einer
ähnlichen Erfolgsgeschichte wird, wie es heute die Windenergie ist. Durch die Nutzung von
Biomasse kann zukünftig jeder Landwirt zum Energiewirt werden. Auch andere Formen
Erneuerbarer Energien sollen schnell nutzbar gemacht werden.
Daneben setzen wir auf einen effizienten Energieverbrauch um unsere Klimaschutzziele zu
erreichen. Dazu gehören Anlagen zur Kraft-Wärme-Kopplung, die Förderung von
Energiesparmaßnahmen bei Neu- und Altbauten sowie Anreize für die Entwicklung neuer
Technologien, etwa der Brennstoffzelle im Einfamilienhaus.
CDU/CSU und FDP wollen den eingeleiteten Atomausstieg rückgängig machen. Nur mit
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird der Ausstieg aus der Atomkraft konsequent umgesetzt. Nur mit
uns werden ab 2003 die ersten Kraftwerke abgeschaltet. Nur mit den Grünen wird es den
Ausstieg aus der Wiederaufarbeitung 2005 geben. Nur mit uns wird der Stopp innerdeutscher
Atomtransporte nach Ahaus und Gorleben umgesetzt und eine transparente Suche nach einem
sicheren Endlager durchgeführt.
Verkehrswende: Für eine neue Verkehrspolitik ist es höchste Eisenbahn
Wir wollen das Mobilitätsbedürfnis der Menschen umwelt- und fahrgastfreundlich
gestalten. Viele Menschen sind beruflich auf Mobilität angewiesen und wollen privat nicht
auf die Freiheiten eines leistungsfähigen Verkehrssystems verzichten. Wir setzen auf die
Kombination von Verkehrsvermeidung, Verkehrsverlagerung von der Straße auf die Schiene
und auf umweltschonende Antriebe für Autos.
Mit der Angleichung der Bundesmittel für Straßen- und Schienenbau haben wir einen
wichtigen Schritt in Richtung Chancengleichheit für die Bahn getan. Für den Einsatz der
Mittel muss gelten: Sanierung des Bestands bzw. Ausbau geht vor Neubau. Der Schutz der
Umwelt, vor allem der wenigen noch unzerschnittenen Naturräume, muss bei allen
Entscheidungen ein zentrales Kriterium sein. In diesem Sinn wollen wir den
Bundesverkehrswegeplan überarbeiten und dabei die Bürgerbeteiligung stärken.
Wir erwarten von der Deutschen Bahn, dass sich die von uns durchgesetzte neue
Prioritätensetzung zugunsten der Schiene in mehr Kundenfreundlichkeit und einem
Bekenntnis zum Erhalt der Bahn auch in der Fläche niederschlägt. Die Bahn darf sich
nicht nur als Verkehrssystem verstehen, das die großen Städte verbindet. Auf die
Anbindung der Region kommt es an - sowohl beim Personen- als auch beim Güterverkehr. Wir
wollen der Bahn Dampf machen und die Struktur so verändern, dass echter Wettbewerb auch
auf der Schiene möglich wird. Durch die Einführung einer LKW-Maut wollen wir die
Verlagerung von Gütertransporte auf die Bahn fördern und die Straßen entlasten. Zur
Verbesserung der Wettbewerbsposition treten wir für den halben Mehrwertsteuersatz bei Bus
und Bahn ein. Durch den behutsamen Ausbau der Donau haben wir gezeigt, dass sich die
Verlagerung von Güterverkehr auf die Binnenschifffahrt im Einklang mit der Umwelt
gestalten lässt. Diesen Weg wollen wir fortsetzen. Dabei gilt der Grundsatz, die Schiffe
an die konkreten Transportbedürfnisse und an die Ökologie der Flüsse anzupassen und
nicht umgekehrt.
In der nächsten Legislaturperiode legen wir einen Schwerpunkt auf die Stärkung
umweltfreundlicher Verkehrsträger und den intelligenten Verbund der verschiedenen
Verkehrsmittel. Im Straßenverkehr wollen wir schärfere Abgasstandards, vor allem beim
Diesel, und Abbau der Lärmbelastungen an Straße und Schiene durchsetzen. Für
Diesel-Pkws muss wie für LKWs der Partikel-Filter die Regel werden. Die Fortschritte bei
der Luftreinhaltung und bei der Senkung des Flottenverbrauchs z. B. durch die Durchsetzung
des schwefelfreien Kraftstoffs wollen wir weiter ausbauen. Dazu gehört ein
Aktionsprogramm zur Förderung des Drei-Liter-Autos. Neue technische Möglichkeiten wie
Brennstoffzelle, Erdgas und Wasserstoff wollen wir zur Umweltentlastung optimal einsetzen.
Mit der Umsetzung des in dieser Legislaturperiode erarbeiteten "Masterplan
Fahrrad" wird die Stellung des Verkehrsmittels Fahrrad deutlich gestärkt werden.
Durch eine Änderung der Straßenverkehrsordnung wollen wir Inline-Skatern eigenständige
Rechte zuschreiben.
Zur Bekämpfung des Lärms an Straßen, Schienen und Flughäfen brauchen wir ein wirksames
Flug- und Verkehrslärmgesetz sowie deutlich verschärfte rechtliche Vorgaben und
verstärkte Programme zur Lärmsanierung, sowohl an den Verkehrswegen als auch an den
Fahrzeugen. Vom öffentlich geförderten Verkehr auf Straße und Schiene erwarten wir,
dass er die Lärmminderung durch den Einsatz der heute verfügbaren Technik schon vor
neuen gesetzlichen Maßnahmen als seine Verpflichtung begreift. Wir setzen uns dafür ein,
dass bei Ausschreibungen von Verkehrsleistungen ambitionierte Lärm- und Abgasstandards
zwingend vorgegeben werden.
Ökologische Finanzreform: die ökologische Marktwirtschaft durchsetzen
Wer die Klimaschutzziele erreichen will, braucht die Ökologisierung unserer
Marktwirtschaft. Deshalb halten wir am eingeschlagenen Weg der ökologisch-sozialen
Modernisierung unseres Steuersystems fest. Wir wollen ein gerechteres Steuersystem, das
vor allem kleine und mittlere Einkommen und Unternehmen entlastet. Daher werden wir 2003
und 2005 die Steuersätze nochmals deutlich senken. Auch die Lohnnebenkosten müssen
weiter gesenkt werden. Gleichzeitig wollen wir durch eine ökologische Finanzreform
Anreize für umweltschonendes Verhalten schaffen. Umweltschädliche Subventionen wie die
Steuerfreiheit von Flugbenzin oder die Subventionierung der Kohle wollen wir abbauen.
Subventionen in der Landwirtschaft wollen wir umlenken für naturnahe Produktion und
artgerechte Tierhaltung. Den Marktzugang für umweltschonende Produkte werden wir noch
stärker durch finanzielle Anreize fördern.
Die Ökosteuer wollen wir im Einklang mit den sozialen und ökonomischen Realitäten
weiterentwickeln. Allen Anfeindungen zum Trotz ist das Prinzip richtig, den Faktor Umwelt
zu belasten und den Faktor Arbeit zu entlasten. Die Ökosteuer hat schon jetzt über
100.000 neue Arbeitsplätze geschaffen, entlastet die Rentenkasse allein im Jahr 2002 um
14 Milliarden Euro oder 1,5 Beitragspunkte und leistet durch die Reduzierung des CO2-Ausstoßes
um 7.275 Millionen Tonnen einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz.
Auch in der nächsten Legislaturperiode halten wir an der Aufkommensneutralität der
ökologischen Finanzreform fest: Jeder eingenommene Euro fließt durch niedrigere
Lohnnebenkosten, den Ausgleich sozialer Härten oder durch die Förderung umweltschonenden
Verhaltens wieder zurück.
Natur-und Landschaftsschutz
Beim Natur- und Landschaftsschutz werden wir das neue Bundesnaturschutzgesetz zusammen mit
unseren Fraktionen in den Bundesländern mit Leben erfüllen. Wir werden die
Naturschutzgroßprojekte des Bundes weiter ausbauen und den naturnahen Tourismus
verstärkt unterstützen. Das hält Wertschöpfung vor Ort und stärkt den ländlichen
Raum. Der Einsatz von Landwirten für den Natur- und Landschaftsschutz muss sich stärker
lohnen. Mit einem konkreten Handlungsprogramm soll der Flächenverbrauch reduziert werden,
wie es die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung vorsieht. Zur Sicherung des
nationalen Naturerbes aus den Flächen der ehemaligen DDR haben wir bedeutende
Möglichkeiten für die Übernahme von Flächen durch die Naturschutzverbände geschaffen.
Diese gilt es jetzt zu nutzen. Eine Bundesstiftung Naturschutz oder ein verstärktes
Engagement der Bundesstiftung Umweltschutz können dabei eine entscheidende Rolle spielen.
Die Zuständigkeit für die Bundesstiftung Umwelt wollen wir vom Finanz- ins
Umweltministerium übertragen. Im Streit um bisherige militärische Brachen, wie in der
Neuruppiner Heide, stehen wir auf der Seite der Menschen und der Natur und engagieren uns
gegen die kurzsichtige Zerstörung unwiederbringlicher Naturreichtümer für militärische
oder zivile Zwecke.
Die Meere in ihrer Artenvielfalt und ihrer ökologischen Funktion sind ein einzigartiges
Erbe der Menschheit. Deutschland muss sich daher weiterhin international für einen
umfassenden Meeresschutz einsetzen. Nötig sind großflächige Schutzgebiete in der
Nordsee zur Bewahrung der Fischpopulation und ein internationales Verbot besonders
schädlicher Fischereipraktiken. Die Einleitung gefährlicher Stoffe in Nord- und Ostsee
muss so rasch wie möglich auf Null gebracht werden. Die Sicherheitsstandards für Schiffe
müssen deutlich verschärft werden. Unsere Vision ist eine saubere und sichere Nord- und
Ostsee.
Die Wälder schützen
Der Wald hat eine herausragende ökologische Funktion für unsere Lebensqualität, die
Artenvielfalt und den Klimaschutz. Wir wollen dem internationalen Forst-Zertifikat FSC
(Forest Stewartship Council) in Deutschland zum Durchbruch verhelfen, da es ökologische,
ökonomische und soziale Kriterien gleichermaßen berücksichtigt. Wir wollen die
schädlichen Abgase senken, unsere Wälder erhalten und die letzten Urwälder bewahren.
Der Futtermittelanbau für unsere Intensivtierhaltung führt zur Vernichtung von
Tropenwald. Millionen von Hektar werden gerodet und zum Großteil für den Anbau genetisch
veränderter Organismen genutzt. Wir stehen hier international am Scheideweg bei der
Frage, wie wir unsere Lebensgrundlagen organisieren wollen. Die Neue Landwirtschaft, die
wir in unserem Land umsetzen wollen, leistet somit ein Beitrag zum Schutz der
Tropenwälder.
Elektrosmog minimieren
Die Sorgen um mögliche Schäden durch Elektrosmog nehmen wir ernst. Die Forschung um die
Auswirkungen der Strahlungen insbesondere von Sendemasten, Stromleitungen und Handys muss
weiter verstärkt und die Belastung der Bevölkerung kontinuierlich überprüft werden.
Durch ein Ökosiegel für strahlungsarme Handys und weitere Maßnahmen wollen wir
versuchen, zu einer niedrigeren Strahlungsintensität zu kommen. Bei neuen Erkenntnissen
über gesundheitliche Gefahren müssen die Vorsorgewerte zum Schutz der Bevölkerung
angepasst werden. Im Umkreis von Schulen, Kindergärten und Krankenhäusern soll die
Strahlungsintensität soweit möglich minimiert werden. Wir stehen für Transparenz und
Bürgerbeteiligung bei der Errichtung neuer Anlagen. Außerdem wollen wir, dass die
Gemeinden ein Messkataster der Strahlungsimmission erstellen, das die tatsächliche
Gesamtbelastung zeigt. Bei so genannten niedrigfrequenten Strahlungen im Zusammenhang mit
Starkstromleitungen sind zusätzliche Schutzvorkehrungen zu treffen.
Müll vermeiden - Mehrwegquote erhöhen
In der Abfallwirtschaft setzen wir auf Vermeidung und noch bessere Verwertung,
beispielsweise beim Elektronikschrott. Um die Mehrwegquote bei Getränkeverpackungen
wieder zu erhöhen, werden wir ab 2003 ein Dosenpfand einführen. Mit dem Dosenpfand
unterstützen wir auch die wirtschaftlichen Interessen mittelständischer Brauereien in
Bayern und anderswo.
Internationale Umweltpolitik
Im internationalen Rahmen muss sich Umweltpolitik zunehmend mit den Folgen der
Globalisierung auseinandersetzen. Deshalb brauchen wir einen institutionalisierten Anwalt
globaler Gerechtigkeit für den Bereich Umweltschutz und Ökologie, der auch der
Welthandelsorganisation Paroli bieten kann. Unsere Perspektive ist, das Umweltprogramm der
Vereinten Nationen (UNEP) zu einer Weltumweltorganisation fortzuentwickeln. Hierzu bedarf
es auch der Entwicklung internationaler Finanzierungsinstrumente. Die Nutzung globaler
Gemeinschaftsgüter durch Luftverkehr und Schifffahrt kann nicht ohne Entgelt für die
Nutzer sein. Die Export- und Außenwirtschaftsförderung beispielsweise durch
Hermes-Bürgschaften wollen wir noch stärker am Prinzip der Nachhaltigkeit ausrichten.
Umweltschutz darf dabei kein Instrument zur wirtschaftlichen und sozialen Ausgrenzung
armer Länder sein.
1.2. Wirksamer Verbraucherschutz, Gesunde Ernährung
Wir stehen für eine moderne Verbraucherschutzpolitik: Wir wollen die vier Rechte der
Verbraucherinnen und Verbraucher durchsetzen, nämlich das Recht auf Sicherheit, das Recht
auf Information, das Recht auf Wahlfreiheit und das Recht, Gehör zu finden. Damit
stärken wir die Verbraucherinnen und Verbraucher in der sozialen Marktwirtschaft.
Politik mit dem Einkaufskorb
Verbraucherschutzpolitik ist immer globale Politik. Produktion, Verarbeitung und Verbrauch
liegen wegen der internationalen Warenströme, der internationalen Arbeitsteilung und
falscher Subventionen oftmals weit auseinander. Deshalb gilt es, den Rechten der
Verbraucherinnen und Verbraucher grenzüberschreitend Geltung zu verschaffen. Gleichzeitig
ist es wichtig, den Verbrauchern die Wahlfreiheit über die Beschaffenheit eines Produktes
zu sichern. Dies schließt den Herstellungsprozess mit ein. Die Verbraucher sollen frei
entscheiden können, ob sie soziale und ökologische Verantwortung übernehmen wollen. Sie
müssen beispielsweise wissen, ob sie Waren aus Kinderarbeit kaufen.
Verbraucherrechte stärken: Wissen,was drin ist
Mit dem Verbraucherinformationsgesetz haben wir die Tür zu Informationen für die
Verbraucher über Beschaffenheit und Herstellung von Gütern geöffnet. Von Lebensmitteln
bis Sportbekleidung, von Teddybären bis Möbeln: die Verbraucherinnen und Verbraucher
müssen wissen, was drin ist und wie die Produkte entstanden sind. Wir haben mit dem
Entwurf dieses Gesetzes das Ende der Verschwiegenheitsphilosophie der Behörden
eingeläutet. Wir wollen, dass dieses Informationsrecht in einem weiteren Schritt für
alle Güter und auch alle Dienstleistungen gilt.
Verbraucherpolitik ist eine Querschnittsaufgabe, die alle Ressorts einer modernen
Regierung betrifft. Auch Rente, Gesundheitswesen und Pflege müssen sich an den
Verbrauchern ausrichten. Wir wollen bessere Dienstleistungen für die Verbraucher auch bei
der Telekommunikation, der Gas-, Wasser- und Stromversorgung, bei der Bahn und dem
öffentlichen Personennahverkehr.
Wir wollen die Institutionen der Verbraucher und den staatlichen Rahmen zur Durchsetzung
ihrer Rechte stärken. Dies gilt insbesondere für die Stiftung Warentest.
Die neue Landwirtschaft: gesunde und sichere Lebensmittel
Die Verbraucherinnen und Verbraucher wollen wissen, was auf ihren Tisch kommt. Wir wollen
einen gesundheitlich vorsorgenden Verbraucherschutz, der den Menschen garantiert, sichere
Lebensmittel zu konsumieren. Chemie und Antibiotika gehören nicht in Lebensmittel. Unser
besonderes Augenmerk gehört den Kindern. Weil gesunde Ernährung und das Wissen darüber
wichtig ist für ihre körperliche Entwicklung und die Bewusstseinsbildung, haben wir mit
Ernährungskampagnen für die Kleinsten in den Kitas angefangen. Hier werden wir
weitermachen. Die Gesundheit der Menschen geht vor wirtschaftliche Interessen. Wir haben
die Trendwende in der Landwirtschaftspolitik eingeleitet. Nach Jahren, in denen in der
Agrarpolitik Quantität vor Qualität ging, ein Lebensmittelskandal auf den nächsten
folgte und Tiere nicht als Lebewesen, sondern allzu oft als Gebrauchsgüter behandelt
wurden, gilt jetzt "Klasse statt Masse". Das ist gut für die Verbraucherinnen
und Verbraucher, aber auch gut für die vielen Bäuerinnen und Bauern, die von der
BSE-Krise in ihrer Existenz bedroht waren, obwohl sie sich selbst nichts haben zu Schulden
kommen lassen.
Wir wollen unsere Lebensgrundlage, die Herstellung unserer Lebensmittel, weiter konsequent
neu organisieren. Dabei orientieren wir uns am Leitbild einer ökologisch, sozial und
ökonomisch nachhaltigen Produktionsweise. Der ökologische Landbau hat hierbei eine
Vorreiterrolle. Deshalb wollen wir ihn weiter stärken. Wir wollen 20 Prozent Ökolandbau
in 10 Jahren. Durch das neu eingeführte Bio-Siegel können sich die Verbraucherinnen und
Verbraucher bewusst entscheiden. Wir wollen auch die Perspektiven der konventionellen
Landwirtschaft verbessern und sie immer stärker an den Zielen des naturnahen Landbaus und
der artgerechten Tierhaltung ausrichten. Wir wenden uns gegen die schleichende Einführung
der Gentechnik in der Ernährung und die Freisetzung von genveränderten Pflanzen. Wir
brauchen die sogenannte grüne Gentechnik nicht. Für uns steht die Wahlfreiheit der
Landwirte und Verbraucherinnen und Verbraucher an erster Stelle . Wir fordern eine
europaweite klare Kennzeichnung gentechnisch veränderten Lebens- und Futtermittel.
Die Bäuerinnen und Bauern stärken
Gesunde Lebensmittel gibt es nicht gegen, sondern nur mit den Bäuerinnen und Bauern.
Landwirtschaft ist mehr als die Produktion der "Mittel zum Leben". Wir wollen
die multifunktionale Landwirtschaft stärken, denn Landwirte sind heute auch Energiewirte
und Dienstleister. Sie bieten den Menschen Erholung, sie pflegen die Kulturlandschaft und
leisten damit einen großen Dienst an der Gesellschaft. Dafür müssen sie auch von ihr
entlohnt werden. Wir wollen die bäuerliche Landwirtschaft stärken und
"ausgeräumte" Landschaften verhindern. Die Infrastruktur im ländlichen Raum
muss verbessert werden. Wir wollen besonders für Frauen und Jugendliche die
Erwerbsmöglichkeiten dort ausbauen. Wir wollen die Wertschöpfung in den Regionen halten.
Für die Neue Agrarpolitik gilt immer und weltweit: Regional ist erste Wahl! Wir werden in
der nächsten Legislaturperiode den Ansatz des Wettbewerb "Regionen aktiv"
fortsetzen und ausbauen.
Agrarsubventionen reformieren
Um die neue Landwirtschaft umzusetzen, unsere vielfältige Kulturlandschaft zu erhalten
und den ländlichen Raum zu fördern, brauchen wir eine Neuausrichtung der
Agrarsubventionen. Dafür werden wir uns sowohl bei der so genannten Gemeinschaftsaufgabe
des Bundes und der Länder als auch bei der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU einsetzen. Die
Agrarsubventionen müssen von der Intensivproduktion umgeleitet werden zu naturnaher
Produktion, artgerechter Tierhaltung und in Kulturlandschaftsprogramme. Nur so können wir
den Schutz unserer Böden, unseres Wassers und unserer Tiere verbessern. Im Rahmen der
EU-Osterweiterung müssen wir den Beitrittsländern eine neue Perspektive geben. Alle
können sich so in einer erweiterten EU auf eine nachhaltige Landwirtschaft und die
Anforderungen der WTO einstellen.
Tiere schützen
Wir wollen eine Landwirtschaft, die Hand in Hand mit Umwelt-, Natur- und Tierschutz geht.
Tierschutz muss im Grundgesetz verankert sein.
Wir unterstützen die "Allianz für die Tiere" in der Nutztierhaltung. Wir
wollen eine artgerechte Tierhaltung und die Tiere vor unnötigen Leiden und Schmerzen
schützen. Die Legehennenverordnung war nur ein Anfang. Wir setzen uns auf europäischer
Ebene für eine Verbesserung der Bedingungen von Tiertransporten und eine Fortentwicklung
der Haltungsbedingungen besonders von Geflügel, Schweinen und Pelztieren ein.
Tierversuche wollen wir so weit möglich durch alternative Methoden ersetzen.
Die Meere sind weitgehend leergefischt, die Bestände einiger Arten besonders gefährdet.
Wir wollen eine Fischereiwirtschaft, die auf Nachhaltigkeit ausgerichtet ist. Dabei ist
unsere Politik ausdrücklich Politik zum Schutz der Meeressäugetiere. Dies ist eine
globale Aufgabe. Wir wollen auch im Fischereibereich ein Ökosiegel. Die Einleitung
gefährlicher Stoffe in die Meere wollen wir weiter reduzieren.
Die neue Landwirtschaft: den Welthunger bekämpfen
Wir wollen ökologische und soziale Kriterien auch international bei der
Welthandelsorganisation verankern. Wir wollen Exportsubventionen abschaffen und die
Abschottung Europas für landwirtschaftliche Produkte aus sogenannten Entwicklungsländern
systematisch abbauen, ohne sie zu Anbaugebieten für transnationale Unternehmen zu
degradieren. Es ist untragbar, dass 70 Prozent der mehr als 800 Millionen hungernden
Menschen in den ländlichen Räumen leben, die hauptsächlich für die
Lebensmittelproduktion zuständig sind. Dabei wollen wir auch in diesen Ländern die
bäuerliche Landwirtschaft stärken und der Ernährungssicherung der eigenen Bevölkerung
höchste Priorität einräumen. Wir wollen vor allem den Aufbau demokratischer Strukturen,
das Recht des Zugangs zu Nahrung, zu Land und zu hochwertigem Saatgut ohne Abhängigkeiten
von den Großkonzernen sicherstellen.
2. Soziale und wirtschaftliche Erneuerung
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind die Partei der sozialen Gerechtigkeit und der
wirtschaftlichen Erneuerung. Bereits in der Opposition waren wir die Vorreiter in den
zentralen Feldern der Sozial- und Wirtschaftspolitik. Mit dem Eintritt in die
Bundesregierung konnten wir gut vorbereitet mit den überfälligen Reformen beginnen. Wir
haben einen Anfang bei der Entlastung von Kindern und Eltern gemacht, indem wir das
Kindergeld - auch für die Kinder in Sozialhilfe - erhöht haben. Wir haben die Wende hin
zum Abbau des Schuldenbergs vollzogen. Wir haben die Steuerreform auf den Weg gebracht und
Privathaushalte und mittelständische Unternehmen spürbar entlastet. Wir haben in der
Rentenreform die Interessen unserer Kinder stark gemacht und dabei den Einstieg in die
eigenständige Alterssicherung der Frauen vollzogen. Und wir haben mit der Fortführung
des Solidarpakts die finanziellen Grundlagen für die Weiterführung des Aufbaus Ost
geschaffen.
Gerechtigkeit ist einer unserer Grundwerte. Wir stehen für eine gerechte Verteilung der
gesellschaftlichen Güter, und das erfordert besonders eine Parteinahme für die sozial
Schwachen. Unsere Vorstellung von Gerechtigkeit geht weiter als die der anderen Parteien.
Wir stehen auch für Teilhabegerechtigkeit, Generationengerechtigkeit,
Geschlechtergerechtigkeit und Internationale Gerechtigkeit.
Es gibt viel zu tun. Wir werden die Lebenssituation von Kindern und ihren Eltern deutlich
verbessern, da hier großer Nachholbedarf besteht. Die wirksame Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit hat für uns höchste Priorität und wir werden weiter auf einer
gerechten Reform des Arbeitsmarktes beharren. Wir wollen den Einstieg in eine soziale
Grundsicherung, die ein Abrutschen der Menschen in Armut und Ausgrenzung verhindert. Die
Haushaltskonsolidierung bleibt eine Daueraufgabe für eine Partei, die der
Generationengerechtigkeit verpflichtet ist.
Am 22. September 2002 entscheiden Sie: Der kalten Politik des neoliberalen Ellbogens sowie
der Reformverweigerung schwarz-roter Strukturkonservativer steht unsere Politik der
sozialen und wirtschaftlichen Erneuerung gegenüber. In der nächsten Legislaturperiode
wollen wir die Lage der Kinder verbessern und durch unsere Politik mehr Menschen in Arbeit
bringen.
2.1. Mehr Arbeitplätze, Soziale Sicherheit, Wirtschaftliche Erneuerung
Unser Ziel ist es, in den nächsten vier Jahren die Arbeitslosigkeit weiter spürbar
zurückzudrängen. Wir müssen den Mut zur Eigeninitiative erhöhen und gleichzeitig
nachhaltige Formen der sozialen Sicherung finden. Dreh- und Angelpunkt einer wirksamen
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist, dass die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen weiter
verbessert werden. Deshalb stehen wir für eine Konsolidierung der Haushalte, eine
Steuerentlastung der kleinen und mittleren Unternehmen, eine Senkung der Lohnnebenkosten
und für den Ausbau von Bildung und Forschung.
Umwelt schafft Arbeit
Ökologie schafft wirtschaftliche Dynamik und Arbeitsplätze. Durch das Erneuerbare
Energiengesetz und die Ökosteuer sind in den letzten vier Jahren über 200.000 neue
Arbeitsplätze entstanden. Insgesamt gibt es bereits über 1,3 Millionen
Öko-Arbeitsplätze in Deutschland. Bei Solar- und Windenergie haben wir einen weltweit
beachteten Boom ausgelöst. Diesen Weg werden wir weiter beschreiten. Wir wollen die
ökologischen Pioniermärkte weiterhin besetzen und ökologische Produkte auf dem Markt
etablieren. Dazu werden wir die Ökosteuer zu einer ökologischen Finanzreform
weiterführen, die Forschungsförderung intensivieren und ökologische Standards erhöhen.
Neue Instrumente in der Arbeitsmarktpolitik
Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit braucht es Reformen auf dem Arbeitsmarkt. Wir wollen
Brücken in den ersten Arbeitsmarkt schlagen: gezielte Lohnkostenzuschüsse, ein
befristetes Einstiegsgeld für Langzeitarbeitslose, Bezuschussung der
Sozialversicherungsbeiträge im Bereich zwischen 326 und 870 Euro sind hier der richtige
Weg. Damit bauen wir die in Deutschland künstlich errichtete Teilzeitmauer in diesem
Bereich ab. Wir wollen die individuellen Eingliederungspläne mit den Arbeitssuchenden
nach dem Konzept Fördern und Fordern ausbauen. Notwendig ist außerdem die Gründung von
Transfergesellschaften bei Personalabbau sowie die praktische Anwendung von Jobrotation,
Jobsharing und Lebensarbeitszeitkonten. Für schwer vermittelbare Arbeitslose bleiben
Beschäftigungsmaßnahmen bei wenig aufnahmefähigen regulären Arbeitsmärkten sinnvolle
Mittel, um Eingliederungschancen zu verbessern. Auch müssen wir die
Beschäftigungsmaßnahmen marktnäher ausgestalten.
Wir brauchen eine neue Arbeitsvermittlung, die effektiv und schnell auf die Bedürfnisse
von Arbeitslosen und Unternehmen reagieren kann. Dazu ist eine Entbürokratisierung und
Dezentralisierung der Arbeitsverwaltung geboten. Arbeitsuchende sollen die kostenlose
Wahlfreiheit zwischen privaten und staatlichen Vermittlern sowie ein Beschwerderecht
bekommen. Im Gegenzug sollen sie zur Teilnahme an den Angeboten verpflichtet werden. Die
staatliche und die private Vermittlung müssen gestärkt werden, freier Marktzugang und
Qualitätssicherung sind zu gewährleisten. Eltern und Menschen, die Angehörige pflegen,
brauchen bedarfsgerechte Angebote.
Jugendliche ohne Schulabschluss oder ohne Ausbildungsplatz brauchen besondere
Unterstützung. Die erfolgreichen Maßnahmen im JUMP-Programm werden fortgesetzt. Wir
wollen Ausbildungsgänge als Bausteine konzipieren, die unterschiedlich zusammengesetzt
werden können. Wir wollen zielgenaue Hilfen entwickeln. Außerdem müssen wir die
Jugendhilfe in die Schaffung von Ausbildungs- und Qualifizierungsangeboten einbeziehen.
Die Qualität der berufsbezogenen Weiterbildung muss verbessert werden. Wir setzen uns
für Lernmöglichkeiten am Arbeitsplatz und Lernbrücken in den Arbeitsmarkt ein. Bei den
öffentlich geförderten Maßnahmen fordern wir neue nachfrageorientierte
Finanzierungselemente. Die Erstausbildung muss verkürzt, das lebensbegleitende Lernen
gestärkt und die Abschlüsse weiteren Ausbildungsschritten und dem zusammenwachsenden
Europa gerecht werden.
Wir brauchen eine flexible und sozialverträgliche Arbeitszeitpolitik, die größere
individuelle Wahlmöglichkeiten eröffnet. Wir wollen die Nutzung von Überstunden zum
Freizeitausgleich über Arbeitszeitkonten, zu Sabbaticals, zur Qualifikation, zu
Erziehungsarbeit oder zur Erholung voranbringen. Wir wollen Teilzeitarbeit fördern, indem
wir Altersteilzeit mittelfristig zu einem fünfjährigen, altersunabhängigen
Förderanspruch für alle umwandeln. So können Arbeitszeitreduzierungen für
Kindererziehung, Pflegearbeit, Qualifikation oder Erholungsphasen individuell und frei im
Erwerbsleben geplant werden, ohne dass damit soziale Nachteile verbunden sind.
Ältere Menschen werden mit ihren Erfahrungen im Erwerbsleben gebraucht. Statt einer
Politik der Frühverrentung muss eine Kultur der Altersarbeit mit langfristigen und
gleitenden Übergängen in den Ruhestand entwickelt werden. Wir wollen deshalb
Altersteilzeit zukünftig nur noch fördern, wenn sie nicht dazu benutzt wird, ältere
Arbeitnehmer in die Rente zu drängen oder Arbeitsplätze wegzurationalisieren.
Soziale Grundsicherung einführen
Der Einstieg in eine soziale Grundsicherung ist eines unserer zentralen Reformprojekte
für die nächsten vier Jahre. Wir wollen die soziale Teilhabe von sozial schwachen
Bürgerinnen und Bürgern spürbar verbessern. Dafür sollen die Sozialhilfe und die
Arbeitslosenhilfe an einer Stelle zusammengeführt werden. Durch die Zusammenlegung
eingesparte Mittel bleiben im Grundsicherungssystem und kommen damit den Beziehern zugute.
Die soziale Grundsicherung bietet unbürokratisch Hilfe aus einer Hand. Alle Berechtigten
erhalten Zugang zu den Maßnahmen der aktiven Arbeitsförderung. Anreize zur Aufnahme von
Erwerbsarbeit bleiben erhalten. Mit einer Grundsicherung für Kinder stellen wir sicher,
dass Eltern und Alleinerziehende mit geringem Verdienst nicht unter die Armutsschwelle
geraten. Die eingeführte Altersgrundsicherung wollen wir ausbauen. Die Einführung der
Grundsicherung ist nur möglich, wenn die Kommunen entlastet und ihre Aufgaben neu
bestimmt werden.
Privathaushalte und kleine und mittlere Unternehmen entlasten
Gerechtigkeit und Transparenz stehen für uns im Mittelpunkt der Steuerpolitik. Wir haben
mit unseren Steuerreformen die Privathaushalte und den Mittelstand nachhaltig entlastet.
Diesen Weg wollen wir konsequent weiter gehen. Bis 2005 werden wir den Eingangssteuersatz
von 25,9 im Jahr 1998 auf 15 Prozent gesenkt haben. Der Spitzensteuersatz sinkt auf 42
Prozent.
Wir wollen Steuervergünstigungen weiter abbauen und auf diese Weise das Steuerrecht
vereinfachen. Die Vereinfachung des Steuersystems ist Voraussetzung für mehr
Gerechtigkeit. Und wir wollen den Grundfreibetrag zur Steuerfreistellung des
Existenzminimums auf 7.664 Euro weiter anheben, auch um Schwarzarbeit zurückzudrängen.
Wir wollen mehr Gerechtigkeit bei der Vermögensbesteuerung. Die vom
Bundesverfassungsgericht beanstandete unterschiedliche Behandlung der verschiedenen
Vermögensarten wollen wir durch eine Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer
korrigieren.
Und wir wollen die Ökosteuer zu einer ökologische Finanzreform weiterentwickeln. Auch in
der nächsten Legislaturperiode halten wir an der Aufkommensneutralität der ökologischen
Finanzreform fest. Jeder eingenommene Euro fließt durch niedrigere Lohnnebenkosten, den
Ausgleich sozialer Härten oder durch die Förderung von umweltbewussten Verhalten wieder
an die Bürgerinnen und Bürger zurück.
Kleine und mittlere Unternehmen fördern - Kultur der Selbständigkeit stärken
Kleine und mittlere Unternehmen und Handwerksbetriebe verbinden Kreativität und Vernunft,
Eigeninitiative und Verantwortung. Sie schaffen 70 Prozent der Arbeits- und 80 Prozent der
Ausbildungsplätze. Wir wollen bürokratische Hemmnisse für den Mittelstand abbauen, für
faire Wettbewerbsbedingungen sorgen und die Kultur der Selbständigkeit stärken.
Alternative, einfügen: Im Handwerk darf nicht länger die Meisterprüfung zwingende
Voraussetzung für Selbständigkeit und Existenzgründung sein.
Dazu gehören die Entbürokratisierung der 325-Euro-Jobs, kürzere Genehmigungsverfahren
und einheitliche Fristen im Steuersystem. Der Risikobereitschaft von Existenzgründerinnen
und -gründer müssen Angebote für eine zweiten Chance im Falle des Scheiterns
gegenüberstehen.
Lohnnebenkosten senken - Sozialversicherungen weiterentwickeln
Wer neue Investitionen in Arbeitsplätze in Deutschland will, muss dafür sorgen, dass die
hohen Lohnnebenkosten sinken. Das ist auch Voraussetzung für eine wirksame Bekämpfung
der Schwarzarbeit. Strukturreformen der sozialen Sicherungssysteme besonders im Bereich
der Krankenversicherung und der Arbeitslosenversicherung können dazu beitragen, die
Lohnnebenkosten zu stabilisieren. Durch die Ökosteuer haben wir die Lohnnebenkosten bei
der Rentenversicherung bereits um 1,5 Prozentpunkte reduziert.
Wir wollen die Sozialversicherungen zu Bürgerversicherungen weiter entwikkeln. Das ist
ein Schritt zur Beitragsgerechtigkeit und zur Senkung der Lohnnebenkosten. Dazu gehört
die Einbeziehung von Selbständigen und Beamten, die Überprüfung der Bemessungsgrenzen
sowie die Einbeziehung von Einkünften aus Nichterwerbsarbeit - etwa aus Vermietung,
Verpachtung oder Kapitaleinkünften.
Wir wollen eine angemessene steuerliche Gleichbehandlung von Alterseinkünften durchsetzen
und dabei gleichzeitig die unterschiedlichen Eigenschaften der verschiedenen
Altersversorgungssysteme berücksichtigen. Unser Ziel ist die vollständige
Steuerfreistellung der Sozialversicherungsbeiträge in Verbindung mit einer konsequenten
nachgelagerten Besteuerung. Für die allermeisten Rentnerinnen und Rentner wird es durch
diese vom Bundesverfassungsgericht geforderte Veränderung zu keinen Verschlechterungen
kommen.
Das Gesundheitssystem zukunftsfähig gestalten
Wir stehen für ein solidarisch finanziertes Gesundheitswesen im Interessen der
Versicherten und Patienten. Nachdem die Belastung der Versicherten jahrelang ohne
spürbare Verbesserung der Versorgung gestiegen ist, ist es das Ziel grüner
Gesundheitspolitik, Kosten und Leistungen des Gesundheitssystems in ein angemessenes
Verhältnis zu bringen. Wir wollen den Anstieg der Krankenversicherungsbeiträge stoppen,
ohne die solidarisch finanzierte Krankenversicherung in Frage zu stellen. Alle medizinisch
notwendigen Leistungen müssen auch weiterhin ohne zusätzliche private Versicherungen
allen Patientinnen und Patienten offen stehen. Wir brauchen eine neue Balance zwischen
Markt, Selbstverwaltung und Staat im Gesundheitswesen. Qualität und Wirtschaftlichkeit
sind nur zu erreichen, wenn die Selbstverwaltungsstrukturen dazu auch bereit und in der
Lage sind und wenn sie sich nicht länger auf Selbstbedienung konzentrieren.
Die Rolle der Hausärzte als Lotsen im Gesundheitssystem werden wir weiter stärken. Durch
die Umsetzung der Positivliste wollen wir es den Ärztinnen und Ärzten erleichtern aus
den 45.000 in Deutschland erhältlich Präparaten die richtigen und zugleich
preiswertesten auszuwählen. Der beste Anwalt ihrer Gesundheit sind die Patientinnen und
Patienten selbst. Patientenberatung sowie Information über und Transparenz des
Gesundheitssystems sind für die Krankenversicherten von entscheidender Bedeutung. Das
gilt für die Prävention wie für den Krankheitsfall. Daher wollen wir die Rechte und die
Eigenkompetenz der Patientinnen und Patienten stärken und die Angebote zur Prävention
ausbauen.
Haushalt konsolidieren und in die Zukunft investieren
Wir stehen für Generationsgerechtigkeit. Deshalb lehnen wir Blankoschecks auf die Zukunft
ab und beenden den Schuldenwahn. Ausgaben und Einnahmen müssen auf allen staatlichen
Ebenen ins Gleichgewicht gebracht werden.Haushaltskonsolidierung ist die Basis für eine
dauerhafte Geldwertstabilität, für niedriges Zinsniveau und für günstige
gesamtwirtschaftliche Bedingungen. Nur über einen entschiedenen Kurs der
Haushaltskonsolidierung bekommen wir Luft für Zukunftsinvestitionen wie Bildung oder
Kinderbetreuung.
Die Kommunen stärken
Die Kommunen sind der Ort, an dem Politik gelebt wird. Sie erbringen wichtige
Dienstleistungen für die Bürger und stellen die notwendige Infrastruktur zur Verfügung.
Wir wollen die Finanzkraft der Kommunen stärken und auf eine breite und solide Basis
stellen, wir wollen das Band zwischen örtlicher Wirtschaft und Gemeinde festigen und wir
wollen die Finanzautonomie durch das volle Hebesatzrecht sichern.
Alternative 1: Wir wollen die Gewerbesteuer abschaffen und statt dessen eine
Erhöhung des kommunalen Anteils der Einkommenssteuer mit einem eigenen Hebesatzrecht für
die Gemeinden.
Alternative 2: Eine tragfähige Gewerbesteuerreform ist ein wesentliches Element
der Kommunalfinanzreform.
Wir wollen die Grundsteuer als wichtige Kommunalsteuer stärker ökologisch ausrichten und
dabei auch den Flächenverbrauch und die Versiegelung der Landschaft berücksichtigen.
Die Finanzen neu ordnen
Um Spielräume für Reformprojekte - wie die Entlastung der Kommunen, die soziale
Grundsicherung oder eine neue Kinderpolitik - zu öffnen brauchen wir eine Neuordnung der
föderalen Finanzverteilung. Wir wollen die Aufgaben- und Finanzverteilung zwischen Bund,
Ländern und Gemeinden insgesamt überprüfen. Auch darf der Bund den Kommunen im Zuge
neuer Aufgaben keine weiteren Kosten aufbürden.
Fairer Steuerwettbewerb in Europa
Der EU-Binnenmarkt benötigt faire Wettbewerbsbedingungen und kein Steuerdumping. Bei den
direkten Steuern setzen wir uns für die Harmonisierung von Mindeststeuersätzen und eine
einheitliche Bemessungsgrundlage der Körperschaftssteuer ein. Die einheitliche
steuerliche Erfassung der Zinsen in Europa muss endlich Realität werden. Auch bei den
Öko- und Energiesteuern streben wir europäische Regelungen an. Steuerpolitische Fragen
dürfen nicht länger durch das Einstimmigkeitsprinzip blockiert werden.
2.2. Kinderfreundliches Land
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN treten dafür ein, die Lebensbedingungen von Kindern und ihrer
Eltern zu verbessern. Eine verantwortliche Politik für Kinder verlangt von uns, heute
schon an morgen zu denken. Politik für Kinder ist eine Aufgabe, die nur im Zusammenspiel
aller Politikbereiche gelingen kann. Kinderpolitik ist Querschnittsaufgabe. Wir stehen
für Generationengerechtigkeit und ein kinderfreundliches Land. Wir wollen die aktive
Reformpolitik zugunsten von Kindern und ihren Eltern fortsetzen und ihr neuen Schub geben.
Kinder haben Rechte
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sehen Kinder als vollwertige Mitglieder unserer Gesellschaft. An
Entscheidungen, die sie betreffen, sollen sie in kindgerechter Form beteiligt werden, und
wo das nicht möglich ist, sollen ihre Belange berücksichtigt werden. Kinder haben das
Recht, heute und morgen in einer intakten Umwelt aufwachsen zu können. Dazu gehören der
Klimaschutz ebenso wie die Orientierung von Schadstoffgrenzwerten an den Belangen von
Kindern, die Ursachenforschung über Erkrankungen von Kindern durch Umweltgifte ebenso wie
Spielstraßen und Tempo 30 in Wohngebieten. Wir wollen ein Land, in dem Klagen gegen
Kinderlärm keine Chance haben.
Pluralität der Lebensentwürfe:Auf die Kinder kommt es an
Jede Frau und jeder Mann soll frei entscheiden, wie und mit wem, ob mit oder ohne Kinder
sie oder er lebt. Uns geht es nicht um den Vorrang eines Lebensentwurf vor anderen.
Sowenig der Staat in diesem Bereich Vorgaben zur individuellen Lebensentscheidung machen
darf, sowenig darf die Entscheidung für das Leben mit Kindern mit Nachteilen verbunden
sein oder zum Armutsrisiko werden. Unsere Politik gilt allen Kindern, ganz egal in welcher
Lebensgemeinschaften sie aufwachsen. Gerade die Alleinerziehenden und ihre Kinder brauchen
mehr Unterstützung durch Staat und Gesellschaft.
Vereinbarkeit von Kindern und Beruf verbessern - Kinderbetreuung flächendeckend
ausbauen
Bei der Kinderbetreuung ist Deutschland im internationalen Vergleich Entwicklungsland. Der
Wunsch der Eltern nach Betreuungsangeboten für ihre Kinder fängt nicht erst mit drei
Jahren an und hört nicht mit sechs Jahren plötzlich wieder auf. Gerade die ersten Jahre
nach der Geburt entscheiden oft über die weiteren Berufsperspektiven vor allem von
Frauen. Wir wollen, dass die Erziehungszeiten besser zwischen den Eltern aufgeteilt werden
können. Wir werden innerhalb der nächsten 6 Jahre den bedarfsgerechten Ausbau für alle
Kinder von 0-14 Jahren durchsetzen. Als Schritt dorthin wollen wir in der nächsten
Legislaturperiode einen spürbaren Ausbau des Kinderbetreuungsangebots zwischen 0 und 3
Jahren, das verlässliche Angebot eines Mittagessens in Kindertagesstätten und die
flächendeckende Einführung von Ganztagsangeboten an Schulen. Wir wollen das Recht der
Eltern stärken, sich frei zu entscheiden, ob sie ihr Kind in einem staatlichen oder
freien Angebot, einer kirchlichen Einrichtung oder einer Elterinitiative betreuen lassen.
Wir wollen erreichen, dass der Besuch von Kindertagesstätten kostenfrei ist. Wegen der
Bedeutung der vorschulischen Bildung wollen wir als ersten Schritt den Besuch von
Kindertagestätten ab dem 5. Lebensjahr in einer Kernzeit von fünf bis sechs Stunden
beitragsfrei stellen. Wir wollen außerdem die steuerliche Abzugsfähigkeit von
Betreuungskosten ab dem ersten Euro.
Eine bessere Vereinbarkeit von Kindern und Beruf ist nicht zum Nulltarif zu haben. Die von
uns vorgeschlagenen Verbesserungen werden fünf Milliarden Euro pro Jahr kosten. Wir sind
der Ansicht, soviel müssen uns unsere Kinder und die Lebenssituation der Eltern wert
sein. Die von uns angestrebte Veränderungen dürfen nicht zu Lasten der Länder und
Kommunen finanziert werden.
Kinderbetreuung aufwerten, Bildungsauftrag ernst nehmen
Die Aufgaben der Erzieherinnen und Erzieher in unserem Land gehen längst weit über
Betreuung hinaus. Tageseinrichtungen für Kinder haben mittlerweile ein doppeltes Mandat -
sie sind Bildungs- und Entwicklungsstätte für Kinder und Dienstleister für Eltern.
Gerade wegen der wachsenden Bedeutung der vorschulischen Bildung wollen wir den
Erzieherberuf aufwerten. Wir treten deshalb dafür ein, dass der Beruf der Erzieherinnen
und Erzieher künftig einer Fachhochschulausbildung bedarf. Für die Erzieherinnen und
Erzieher sind die entsprechenden Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen anzubieten. Die
verantwortungsvolle Tätigkeit muss sich auch in einer besseren Bezahlung widerspiegeln.
Konsequenzen aus der PISA-Studie ziehen
Grund- und weiterführende Schulen bereiten unsere Kinder schlechter als in anderen
Ländern auf Leben und Beruf vor. Auf ungleiche Ausgangsbedingungen, wie soziale Herkunft
oder Bildungsstand der Eltern, wird zu wenig eingegangen. Chancengleichheit beim Zugang zu
Bildung bleibt so unverwirklicht. Dies gilt in hohem Maße für Kinder aus sozial
benachteiligten Haushalten und Haushalten von Einwanderern. Wie der internationale
Vergleich zeigt, gelingt die individuelle Förderung sowohl von leistungsschwachen als
auch leistungsstarken Schülerinnen und Schülern im gemeinsamen Lernverband besser als
durch allzu frühzeitige Trennung der Kinder. Es ist unerlässlich die individuelle
Förderung der Schülerinnen und Schüler in den Vordergrund der Unterrichtspraxis zu
rücken. Eine neue Lernkultur kann aber ohne eine Reform der Aus- und Fortbildung der
Lehrerinnen und Lehrer nicht wachsen.
Die bisherigen Strukturen zur Verbesserung unseres Bildungssystems - besonders die
Kultusministerkonferenz - sind ihrer Verantwortung nicht ausreichend gerecht geworden.
Föderalismus dient auch dem Wettbewerb um die beste Lösung. Wo er zu einem
Schwarzer-Peter-Spiel zwischen den Ländern oder zu Stillstand zu Lasten unserer Kinder
führt, ist der Bund in der Pflicht. Wir setzen uns unter Wahrung der Kulturhoheit der
Länder für eine stärkere Moderatorenrolle des Bundes in Fragen der vorschulischen und
schulischen Bildung ein.
Kinderarmut bekämpfen - Kindergrundsicherung schaffen
Kinderarmut ist ein Skandal. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werden in der nächsten
Legislaturperiode die Kinderarmut in der Bundesrepublik bekämpfen. Dazu werden wir
diejenigen unterstützen, die am stärksten benachteiligt sind: die Kinder aus
einkommensschwachen Familien. Unser Modell einer Kindergrundsicherung bewirkt einen
Zuschlag zum Kindergeld für diese Familien und stockt das Kindergeld um bis zu 100 Euro
auf. Durch unsere Vorschläge zur Anrechnung von Transfereinkommen auf Erwerbseinkommen
werden Anreize zur Aufnahme von Erwerbsarbeit gestärkt. Über 4 Millionen Kinder würden
von der Kindergrundsicherung profitieren. Die Kosten von 2,5 Milliarden Euro wollen wir
durch ein konsequentes Abschmelzen des Ehegattensplittings im oberen Einkommensbereich
finanzieren.
Leistungen für Kinder bündeln, Kinderkasse einführen.
Das Leben mit Kindern wird von einer unübersichtlichen Vielzahl staatlicher Stellen auf
unterschiedliche Weise gefördert. Wir wollen diese Leistungen bündeln und in einer
Kinderkasse (KiKa) zusammenfassen.
Unser Land braucht einen Kindergipfel
Viele der vorgeschlagenen Maßnahmen berühren die Zuständigkeiten der Länder und
Kommunen. Dennoch darf sich der Bund nicht aus seiner - auch finanziellen - Verantwortung
stehlen. Für eine wirkungsvolle Förderung des Lebens mit Kindern bedarf es einer
gemeinsamen Anstrengung aller drei staatlicher Ebenen, von Wirtschaft und Gesellschaft.
Wir brauchen einen Aktionsplan zur Förderung des Lebens mit Kindern. Auf diesen Plan
sollen sich Bund, Länder und Kommunen, Arbeitgeber und Gewerkschaften sowie die in diesem
Bereich aktiven gesellschaftlichen Gruppen auf einem Kindergipfel in der nächsten
Legislaturperiode unter Federführung der Bundesregierung verständigen. Wenn der Bund
neue Aufgaben zum Beispiel bei der Kinderbetreuung festlegt, muss er den Kommunen und
Ländern bei der Finanzierung entsprechend helfen.
2.3. Gute Bildung,Verantwortliche Forschung, Lebendige Kultur
Bildung und Forschung sind die entscheidenden Grundlagen für den Zugang zur
Wissensgesellschaft und die aktive gesellschaftliche, politische und ökonomische Teilhabe
jedes einzelnen Menschen. Im Mittelpunkt steht dabei der Mensch mit seinen individuellen
Interessen und Fähigkeiten. Seit 1998 haben wir deshalb nach jahrelangem Bildungsabbau
die bildungspolitische Trendwende eingeleitet. Die Ausgaben des Bundes für Bildung und
Forschung wurden trotz Haushaltskonsolidierung um 15,5 Prozent erhöht. Das neugeregelte
Bafög ermöglicht wieder mehr Menschen, ein Studium aufzunehmen. Die Novelle des
Hochschulrahmengesetzes schafft durch die Einführung der Juniorprofessur die
Voraussetzung für moderne und international anschlussfähige Hochschulen und erleichtert
den Quereinstieg zu einer Professur. In der nächsten Legislaturperiode werden wir uns
stärker für die Autonomie der Bildungseinrichtungen bei gleichzeitiger staatlicher
Qualitätskontrolle und Ausbau der Beratungsangebote einsetzen.
Grundlagen unserer Bildungspolitik
Wir stehen für gleiche Bildungschancen für alle. Dazu gehört auch, Unterschiede bei den
Bildungszugängen von Mädchen und Jungen bzw. Frauen und Männern zu berücksichtigen.
Unser Ziel ist es, die Menschen bei der Erreichung ihrer angestrebten Bildungsziele besser
zu unterstützen und die Abbrecherquote zu senken. Uns geht es um einen Wettbewerb der
Bildungseinrichtungen untereinander für mehr Qualität und Chancengleichheit und nicht um
einen Wettbewerb, der ungleiche Startchancen fortschreibt statt sie auszugleichen. Nicht
ein Zurück zu frühzeitiger Selektion und Abschottung von Bildungszugängen, sondern ein
mehr an individueller Förderung und größerer Vielfalt sind gefragt. Wir setzen auf die
Stärken der einzelnen Bildungseinrichtungen und der Lehrenden. Dafür brauchen sie mehr
inhaltliche, personelle und finanzielle Autonomie, mehr Unterstützung in Form von
Qualifizierung und Weiterbildung und verlässliche finanzielle Rahmenbedingungen. Parallel
dazu erhöhen sich die Anforderungen an die staatliche Qualitätssicherung. Alle
Bildungseinrichtungen sollen klar definierten Qualitätsstandards genügen, die für alle
transparent ausgewiesen werden, beispielsweise durch ein Qualitätssiegel. Evaluationen
von Bildungseinrichtungen sollen zum Standard werden. Der Dreiklang aus Autonomie,
Qualitätsstandards und Transparenz über Struktur und Bildungserfolg der
Bildungseinrichtungen schafft die Grundlage unser Bildungssystem kontinuierlich zu
verbessern. Je vielfältiger das Bildungsangebot wird, desto stärker wächst die
Nachfrage nach objektiver Beratung. Allein das Bereitstellen von Informationen reicht
nicht aus. Gerade bildungsfernen Schichten fällt es schwer, die richtige Wahl zu treffen,
deshalb muss Bildungsberatung aktiv auf die Menschen zugehen.
Lebensbegleitendes Lernen
Lernen findet nicht mehr in einem klar abgegrenzten Lebensabschnitt statt, sondern ist ein
andauernder Prozess. Die Bedeutung der Weiterbildung in späteren Lebensphasen wächst.
Das wirkt sich auf den Aufbau des Bildungssystems aus. Der Zugang zum Bildungssystem muss
auf allen Stufen geöffnet und die Übergänge zwischen den Teilbereichen müssen
vereinfacht werden. Die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Bildungsangeboten oder
zwischen Phasen der Erwerbsarbeit und der Weiterbildung zu wechseln, werden wir weiter
ausbauen. Lebensbegleitendes Lernen findet nicht nur in Bildungseinrichtungen statt. Dem
wachsendem Stellenwert von Distance Learning wollen wir gerecht werden.
Qualität der Hochschulen verbessern
Unsere Hochschulen müssen für die Studierenden besonders auch aus bildungsfernen
Schichten wieder attraktiver werden. Wir wollen eine Studienreform, die den veränderten,
vielfältigen Studienwünschen und -bedürfnissen und den Anforderungen der
Wissensgesellschaft Rechnung trägt. Die Hochschulen müssen zum Ort der Fort- und
Weiterbildung der Gesellschaft werden. Modularisierung, Öffnung des Hochschulzugangs und
flexiblere Studienangebote sind hierfür wichtige Bausteine. Die Qualität des
Lehrangebots wollen wir verbessern. Im Rahmen der leistungsbezogenen Besoldung von
Professorinnen und Professoren belohnen wir nun endlich auch das Engagement in der Lehre
finanziell.
Die Mobilität von Lernenden und Forschenden muss unterstützt werden und darf nicht an
bürokratischen oder finanziellen Hürden scheitern. Das Bildungsangebot im Inland muss
eine starke internationale Perspektive erhalten, und internationale Studiengänge werden
weiter gefördert. Wir werden uns dafür einsetzen, dass der Studienort Deutschland für
ausländische Studierende und Forscher attraktiver wird. Dazu müssen die arbeits- und
ausländerrechtlichen Bestimmungen weiter geöffnet sowie im Ausland erworbene Abschlüsse
anerkannt werden.
Wissenschaft als Beruf
Wir wollen Menschen, die sich für eine wissenschaftliche Laufbahn entscheiden, besser
fördern. Die bessere Unterstützung von Doktorantinnen und Doktoranten und die
Einführung der Juniorprofessur bilden einen wichtigen Baustein hierfür. Ein eigener
Wissenschaftstarifvertrag könnte den spezifischen Anforderungen von Hochschul- und
Forschungseinrichtungen besser Rechnung tragen.
Beim Anteil weiblicher Hochschullehrkräfte bildet Deutschland das Schlusslicht. Wir
wollen, dass sich mehr Frauen für eine wissenschaftliche Laufbahn entscheiden. Die
bessere Vereinbarkeit von Beruf und Kindern ist hierfür eine entscheidende Voraussetzung.
Wir wollen den anstehenden Generationswechsel an den Hochschulen und
Forschungseinrichtungen auch nutzen, um mehr jungen Wissenschaftlerinnen den Einstieg in
eine akademische Laufbahn und mehr Gestaltungsspielräume zu ermöglichen.
Mehr Geld für Bildung und Forschung
Wir werden die Mittel für Bildung und Forschung weiter erhöhen. Durch eine stärkere
Wettbewerbsorientierung in der Bildungsfinanzierung wollen wir die Rechte der
Bildungsteilnehmer stärker. Die eingesetzten Mittel sollen stärker den Menschen und
ihren Entscheidungen für das jeweilige Bildungsangebot folgen. Studiengebühren für das
Erststudium lehnen wir ab. Wir halten weiter an einer grundlegenden Reform des Bafögs
fest. Eine zeitgemäße Studienfinanzierung muss noch stärker elternunabhängige Anteile
enthalten. Die Förderungen von Bildungs- und Forschungseinrichtungen wollen wir stärker
mit Zielvereinbarungen verknüpfen.
Aktive Forschungspolitik für Mensch und Umwelt
Die Forschung legt wichtige Grundlagen für die Welt von morgen. Unsere Forschungspolitik
will die Chancen neuer Technologie nutzen, thematisiert aber auch ihre Risiken. Nicht
alles, was technisch machbar ist, darf auch gemacht werden. Eine mündige
Bürgergesellschaft muss bewusst entscheiden, welche Technologien sie nutzen und welche
Risiken sie dafür in Kauf nehmen will. Daher werden wir uns für eine erneute deutliche
Stärkung der Technikfolgenabschätzung einsetzen. Wir orientieren uns bei dieser
Abwägung am Leitbild der Nachhaltigkeit, das ökologische, soziale und wirtschaftliche
Erwägungen gegeneinander abwägt. Interdisziplinäre Ansätze wollen wir fördern. Ohne
die Verbindung mit den Sozial- und Geisteswissenschaften laufen die Naturwissenschaften
Gefahr, an den Bedürfnissen von Mensch und Umwelt vorbei zu forschen. Deshalb wollen wir
die Geistes- und Sozialwissenschaften aufwerten.
Das Potenzial der Bio- und Gentechnik, Therapien für bislang unheilbare Krankheiten zu
finden, wollen wir nutzen. Allerdings findet auch diese Technologie ihre Grenzen in der
Unantastbarkeit der Würde des Menschen. Verbrauchende Embryonenforschung, das Klonen von
Menschen oder verpflichtende Gentest lehnen wir ab. Entsprechend unserer nachhaltigen
Strategie setzen wir dagegen auf neue Techniken: Neue Werkstoffe, die Nanotechnologie,
Wasserstofftechnologie und die Biotronik.
Trotz deutlicher Verbesserungen seit 1998 gibt es im Bereich der Umwelt-, Frauen- und
Friedensforschung weiter Nachholbedarf. Angesichts ungelöster Umweltprobleme, der noch
unverwirklichten Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau und der neuen
friedenspolitischen Herausforderungen wollen wir hier Schwerpunkte setzen.
Kultur ist das Lebenselixier der Gesellschaft
Bildende Kunst, Theater, Film, Musik und Literatur ermöglichen Wege des Ausdrucks und der
Kommunikation, auf die eine lebendige, offene Gesellschaft nicht verzichten kann. Wir
setzen uns deshalb weiter dafür ein, dass Künstlerinnen und Künstler in Deutschland
ansprechende Rahmenbedingungen vorfinden. Dazu gehören steuerliche und rechtliche
Verbesserungen ebenso wie die Förderung des künstlerischen Nachwuchses und des
internationalen Kulturaustausches.
Wir stehen dafür, Freiräume für Kunst und Kreativität zu sichern und zu fördern.
Kultur und Kunst gehen von den Menschen aus, nicht vom Staat. Der Staat hat die Aufgabe,
den kulturellen und künstlerischen Anliegen in der Gesellschaft Raum zu geben und dabei
der Tatsache Rechnung zu tragen, dass Kunst und Kultur nicht in jedem Fall marktfähig
sind. Er hat Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sich Kunst und Kultur frei entfalten
können.
Die Auseinandersetzung mit und das Lernen aus der Geschichte sind für uns von großer
Bedeutung. Wir müssen wissen, woher wir kommen, um zu wissen, wohin wir gehen. Das
kulturelle Erbe in seiner ganzen Vielfalt und Breite zu erhalten, ist daher ein zentrales
Ziel unserer Kulturpolitik. Dazu gehört auch die Einführung des freiwilligen Jahres im
Denkmalschutz und des freiwilligen kulturellen Jahres. Die deutsche Theaterlandschaft
verdient die besondere Sorgfalt von Staat und Bürgergesellschaft.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen eine aktive Begegnung der Kulturen der Welt. Kultureller
Austausch ist unverzichtbar für ein tolerantes, friedliches Zusammenleben. Wir begreifen
kulturelle Verständigung auch als einen Schlüssel für ein zusammenwachsendes Europa.
2.4. Selbstbewusstes Ostdeutschland
Wir wollen in den nächsten vier Jahren das Zusammenwachsen hin zu einem solidarischen
Gesamtdeutschland weiter voranbringen. Wir setzen auf ein selbstbewusstes Ostdeutschland.
Wir setzen auf gesamtdeutsche Gerechtigkeit - und wollen deshalb den sozialen Abstand
zwischen Ost und West weiter verringern. Wir setzen auf mehr Arbeit für Ostdeutschland -
und wollen deshalb die wirtschaftliche und soziale Infrastruktur verbessern. Wir setzen
auf ein demokratisches Ostdeutschland - und wollen deshalb Vertrauen in die Demokratie
stärken und bürgerschaftliches Engagement fördern. Wir setzen auf ein nachhaltiges
Ostdeutschland - und wollen deshalb Wissenschaft und Zukunftstechnologien fördern. Wir
setzen auf die Jugend in Ostdeutschland - und wollen deshalb in Bildung und Ausbildung
investieren.
Vom Osten lernen
Ostdeutschland hat allen Grund zu Selbstbewusstsein. Die Bürgerbewegung hat 1989
maßgeblich zur friedlichen Revolution beigetragen. Viele Menschen in Ostdeutschland haben
nach dem Fall der Mauer und der deutschen Vereinigung ihre Chancen genutzt. Sie haben in
den vergangenen 12 Jahren ihre Veränderungsbereitschaft und ihre Offenheit für neue
Lösungen unter Beweis gestellt. Durch Eigeninitiative und solidarische Unterstützung ist
viel erreicht worden. Auf diese Stärken gründet sich die gemeinsame Zukunft. Die alten
Länder können von den neuen viel lernen, zum Beispiel in der Kinderpolitik: Die
flächendeckende Versorgungsstruktur im Kinderbetreuungsbereich wollen wir erhalten oder,
wo es zu Abbau gekommen ist, wieder herstellen.
Für ein solidarisches Gesamtdeutschland
Mit der Fortführung des Solidarpakts haben wir die finanziellen Grundlagen für den
Aufbau Ost bis 2020 geschaffen. Das war die wichtigste Weichenstellung für Ostdeutschland
seit langem. Jetzt kommt es darauf an, die Fördermittel zielgenau einzusetzen. Denn was
gut für den Thüringer Wald ist, muss nicht gut sein für die Mecklenburgische
Seenplatte. Wir wollen die Förderung daher stärker auf die unterschiedlichen Regionen
ausrichten. Regionale Besonderheiten sind künftig mehr zu beachten. Darüber hinaus
wollen wir die Verzahnung von europäischen und deutschen Förderungsinstrumenten
verbessern.
Arbeitsplätze für Ostdeutschland
Ostdeutschland braucht eine Offensive gegen die Arbeitslosigkeit. Wir wollen die
Standortbedingungen in Ostdeutschland verbessern - denn nur dann entstehen neue
Arbeitsplätze. Wir müssen die ostdeutsche Infrastruktur stärken. Eine insgesamt
attraktivere soziale Infrastruktur trägt dazu bei, die in den letzten Jahren wieder
steigende Abwanderung zu stoppen. Das gilt nicht nur für Verkehrswege und
Telekommunikation. Das gilt vor allem für soziale Infrastruktur wie Bildung und
Wissenschaft, Kinderbetreuung, Schule, Sport- und Jugendeinrichtungen, Kultur- und
Freizeitangebote. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Strukturanpassungsmaßnahmen bleiben
notwendige Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik in Ostdeutschland - vor allem dort, wo die
soziale Infrastruktur nicht in ausreichendem Maße vorhanden ist.
Die boomende Umweltbranche für Ostdeutschland nutzen
Mit ökologischen Ideen lassen sich schwarze Zahlen schreiben. Im Bereich der Erneuerbaren
Energien wurden in den letzten Jahren Hunderttausende neuer Arbeitsplätze geschaffen.
Hier besteht ein innovativer Markt, der seine Grenzen noch lange nicht erreicht hat.
Ostdeutschland kann zum Vorreiter bei ökologischen Zukunftstechnologien und
Pioniermärkten werden. Hier wollen wir ganz gezielt investieren, fördern und
unterstützen. Wir wollen unter dem Motto "Ideen und Wissen schaffen Arbeitsplätze
und Märkte" mit der Einführung einer Innovationszulage ein neues Instrument der
Förderpolitik schaffen. Damit sollen Erfindungen und Innovationen gefördert sowie
Anreize für die Umsetzung von Forschungs- und Entwicklungsarbeiten geschaffen werden.
Forschungs-und Bildungsschwerpunkt Ostdeutschland
Wir wollen in ostdeutsche Hochschulen und Forschung investieren - denn innovative Produkte
und Dienstleistungen schaffen Arbeit. Wo ein dichtes Netz aus Forschung und Wissenschaft
vorhanden ist, lassen sich neue Firmen nieder und schaffen Arbeitsplätze. Wir wollen den
Technologietransfer aus den Hochschulen und Forschungsinstituten in die Unternehmen
stärken. Innovative Unternehmensgründungen und -erweiterungen wollen wir fördern. So
können Regionen entstehen, in denen vernetzt gelernt, geforscht und produziert wird. Die
Vernetzung von Innovationszentren ist ein wichtiger Schritt zur Stärkung kleiner und
mittlerer Unternehmen.
Eine Perspektive für die Jugend
Wir wollen die Perspektiven von Jugendlichen verbessern. Ob Jugendliche in Ostdeutschland
bleiben, hängt auch von ihrer Lebensqualität und von ihren Perspektiven ab. Wir wollen
die kulturellen Angebote für junge Frauen und Männer stärken und ausbauen, die
politische Bildung verbessern sowie die offene Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit
fördern. Deshalb planen wir den Wettbewerb "Die Jugend bleibt". Hier sollen
innovative und kreative Jugendprojekte sowie Beispiele für die Gestaltung des Lebens- und
Wohnumfelds junger Menschen ausgezeichnet werden. Das stärkt das Selbstwertgefühl und
die Bindung an die eigene Region.
Für Toleranz und demokratisches Miteinander
Wir treten dem Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus - in Ost und West -
entschlossen entgegen. Wir engagieren uns für den Schutz von Minderheiten, für Toleranz
und ein demokratisches Miteinander. Das bestehen "national befreiter Zonen" ist
für uns unerträglich. Gewalt gegen alles "Fremde" ist ein Anschlag auf
Menschenwürde und Demokratie.
Chancen der Osterweiterung
Wir wollen die Vorteile Ostdeutschlands im zusammenwachsenden Europa nutzen:
Ostdeutschland entwickelt sich in eine Verbindungsregion im Zentrum Europas. Wir wollen
diese Entwicklung sozial und solidarisch gestalten. Und wir wollen die kulturellen und
wirtschaftlichen Chancen, die sich daraus für Ostdeutschland ergeben, ausschöpfen.
3. Gesellschaftliche Demokratisierung
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind die Partei der Freiheits- und der Bürgerrechte. Wir haben
seit unserer Gründung viel für die demokratische Öffnung der Gesellschaft, die Rechte
von Minderheiten und die Selbstbestimmung der Menschen erreicht. Unsere Wurzeln liegen im
Engagement der Demokratie- und Bürgerrechtsbewegungen in Ost und West. Die
Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler von BÜNDNIS 90 haben wesentlich zur Überwindung
der SED-Diktatur und zu einer lebendigen Demokratie in Ostdeutschland
beigetragen. Während die anderen Parteien Modernisierung immer nur ökonomisch
buchstabieren, haben wir in den letzten vier Jahren die gesellschaftliche Modernisierung
angeschoben: Das neue Staatsbürgerschaftsrecht, die Eingetragene Lebenspartnerschaft oder
der verbesserte Schutz vor häuslicher Gewalt sind einige Beispiele.
Selbstbestimmung und Demokratie gehören zu unseren Grundwerten. Gleiche Rechte, die
Pluralität der Lebensformen, Minderheitenschutz und Wahrung der Menschenrechte bestimmen
unser Handeln.
Es gibt viel zu tun: Wir werden demokratische Mitwirkungsrechte ausbauen und die
Gerechtigkeitslücke zwischen Frauen und Männern schließen. Wir gestalten Einwanderung,
schützen das Asylrecht und fördern Integration. Wir erweitern das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung und wahren die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit.
Jeder Form von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus stellen wir uns entgegen.
Am 22. September 2002 entscheiden Sie: Unseren Entwurf einer multikulturellen,
weltoffenen, lebendigen Demokratie stellen wir der konservativen Idee einer deutschen
Leitkultur und der neoliberalen Wertebeliebigkeit entgegen. BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
stehen für den gesellschaftlichen Aufbruch.
3.1. Lebendige Demokratie
Demokratie lebt von Einmischung und gesellschaftlichem Engagement. Wir wollen ein großes
Demokratiepaket für Deutschland, indem wir das Einwanderungsland gestalten, die
Bürgerrechte ausbauen, Diskriminierungen beseitigen und die Balance von Freiheit und
Sicherheit gewährleisten.
Einwanderungsland Deutschland gestalten
Deutschland ist ein Einwanderungsland. Wir brauchen Einwanderung nicht nur aus
wirtschaftlichen, sondern auch aus demographischen Gründen. Die Fehler der alten
"Gastarbeiterpolitik" dürfen nicht wiederholt werden. Wir wollen eine
Integrationsoffensive. Dauerhaft hier lebende Ausländerinnen und Ausländer müssen
gleichberechtigten Zugang zum gesellschaftlichen und politischen Leben haben. Migrantinnen
bedürfen hierzu einer besonderen Förderung.
Integrationspolitik ist eine Querschnittsaufgabe und kostet Geld. Aber jeder Euro ist eine
Investition in die Zukunft unserer Gesellschaft. Sprachkompetenz ist eine Voraussetzung
für den Erfolg in Schule und Beruf sowie für soziale Anerkennung. Die
Sprachförderangebote des Bundes für Migrantinnen und Migranten sowie Aussiedlerinnen und
Aussiedler müssen vereinheitlicht und weiter entwickelt werden. Interkulturelle Erziehung
in Kindergärten und Schulen muss zur Regel werden - und zwar zum Nutzen aller Kinder.
Integration erfolgt immer auch über den Arbeitsprozess. Der öffentliche Dienst soll
deshalb eine Vorreiterrolle bei der Ausbildung und Einstellung von Einwanderinnen und
Einwanderer übernehmen. Die Staatsbürgerschaftsreform wollen wir weiterführen und für
die erste Generation der Einwanderer die Möglichkeit des so genannten Doppelpasses
einführen und die Einbürgerung von Kindern weiter erleichtern.
Arbeitsmigration darf aber nicht gegen den menschenrechtlich begründeten
Flüchtlingsschutz ausgespielt werden.
Das Asylrecht ist ein unveräußerliches Menschenrecht. Wir sind die Garanten des
Asylgrundrechts unserer Verfassung und setzen uns auch in Zukunft dafür ein, dass sowohl
die deutsche als auch die europäische Flüchtlingspolitik auf der uneingeschränkten und
umfassenden Gültigkeit der Genfer Flüchtlingskonvention aufbaut. Die Anerkennung von
geschlechtsspezifischer und nichtstaatlicher Verfolgung und von Verfolgung aufgrund der
sexuellen Identität ist ein Gebot der Genfer Flüchtlingskonvention. Flüchtlingspolitik
heißt für uns zum einen, Fluchtursachen zu beseitigen, und zum anderen, Menschen auf der
Flucht bei uns menschenrechtlich und rechtsstaatlich gesicherten Schutz zu gewähren.
Faire, effektive und zügige Asylverfahren sind im Interesse der Asylsuchenden wie der
Behörden. Deshalb wollen wir die Asylanerkennungsverfahren weiter verbessern. Vor der
Asylantragstellung müssen umfassende und unabhängige Beratungsmöglichkeiten
eingerichtet werden. Die Abschiebehaft und das Flughafenverfahren wollen wir künftig
vermeiden. Illegalisierten Menschen dürfen elementare Rechte wie z. B. die medizinische
Versorgung nicht länger vorenthalten bleiben. Das Auseinanderklaffen von Sozialhilfe und
Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz wollen wir durch eine soziale
Grundsicherung überwinden. Um die Schutzlükke für minderjährige, unbegleitete
Flüchtlinge zu schließen wollen wir, dass die Vorbehalte gegen die Kinderkonvention der
Vereinten Nationen zurückgenommen werden.
Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus werden wir konsequent bekämpfen und
verfolgen. Dies gilt auch für rechtsextreme Organisationen und Parteien. Auch dabei
setzen wir auf den Dreiklang von Prävention, Intervention und Repression. Wir wollen ein
gesellschaftliches Klima schaffen, das dem Rechtsextremismus den Boden entzieht und
Rassismus und Antisemitismus ächtet. Opferberatungsstellen, das Bündnis für Demokratie
und Toleranz und den Aufbau und die Vernetzung von Vereinen für das
zivilgesellschaftliche Engagement gegen Fremdenfeindlichkeit wollen wir auch finanziell
fördern.
Bürgerrechte ausbauen
Eine moderne, aktive Bürgergesellschaft muss die Bürgerinnen und Bürger überall in
politische Entscheidungen einbeziehen. Durch die Einführung von Volksinitiativen,
Volksbegehren und Volksentscheide bauen wir die direkte Beteiligung aus. Grundrechte und
Minderheitenschutz müssen durch die Abstimmungsverfahren ausdrücklich gewährleistet
sein.
Wir wollen die Direktwahl der Bundespräsidentin bzw. des Bundespräsidenten. Im
Petitionsrecht wollen wir die Rechte der Bürgerinnen und Bürger stärken. Bei Wahlen,
Abstimmungen und Petitionen wollen wir Formen der elektronischen Demokratie verstärkt
nutzen. Dem Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) und dem Freiwilligen Ökologischem Jahr
(FÖJ) haben wir einen rechtlichen Rahmen gegeben. Wir werden das bürgerschaftliche
Engagement weiter fördern und wollen ein "Freiwilligen-Gesetz" verwirklichen,
das freiwillige Tätigkeit von der Erwerbsarbeit abgrenzt und ihr die erforderliche
Anerkennung sichert. Wir wollen die kulturellen Angebote für junge Frauen und Männer
stärken und ausbauen, die politische Bildung verbessern und die offene Jugendarbeit, die
Jugendsozialarbeit sowie die Kinder- und Jugendverbandsarbeit fördern. Wir wollen
selbstbestimmte Strukturen in der Gesellschaft, die auch bei Kommunikation, Kunst,
Wissenschaft und Jugendkultur nicht aufhören. Wir wollen transparente und kooperierende
staatliche Strukturen und die Verwaltung weiter modernisieren.
Bürgerrechte sind das Fundament der Demokratie. Die Rechte der Einzelnen als Person oder
als Teil einer gesellschaftlichen Minderheit müssen gegen unverhältnismäßige Eingriffe
staatlicher und privater Stellen verteidigt wer den. Wir wollen die Bürgerinnen- und
Bürgerrechte auch in Europa stärken. Wir setzen uns dafür ein, dass die
Grundrechtecharta endlich rechtsverbindlich und Teil einer europäischen Verfassung wird.
Die wachsenden Zuständigkeiten der EU im Bereich der Justiz- und Innenpolitik dürfen
nicht dazu führen, dass demokratische und bürgerrechtliche Standards darunter leiden.
Dies heißt für uns, dass wir einerseits auch in diesem Bereich für eine umfassende
Demokratisierung und insbesondere die Mitentscheidung des europäischen Parlaments
eintreten. Andererseits wollen wir mehr parlamentarische und justizielle Kontrolle für
die europäische Polizeibehörde Europol.
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist ein elementares Grundrecht, das mit der
rasanten Entwicklung in der Informationsgesellschaft Schritt halten muss. Durch ein
Auskunfts- und Widerrufsrecht bei der Erhebung von Daten wollen wir mehr Transparenz
schaffen und den Schutz im Internet - etwa bei der Erhebung von Kundendaten - verstärken.
Die Bürgerinnen und Bürger müssen ein Recht haben zu erfahren, an wen und für welchen
Zweck ihre Daten weitergegeben werden. Für die zunehmende Überwachung in der
Arbeitswelt, aber auch im öffentlichen Raum bedarf es einer klaren gesetzlichen Regelung.
Wir haben den großen Lauschangriff immer abgelehnt. Deswegen wollen wir die tatsächliche
Anwendung zurückdrängen und die Berichtspflichten der Länderbehörden erheblich
ausweiten. In Deutschland werden weltweit am meisten Telefone abgehört. Die
Telefonüberwachung muss an höhere gesetzliche Hürden gebunden werden. Mit einem
Informationsfreiheitsgesetz muss allen Bürgerinnen und Bürger der umfassende Zugang zu
amtlichen Akten und Datenträgern ermöglicht werden. Wir stehen für eine demokratische
Fortentwicklung des Cyberspace. Demokratie und Bürgerrechte dürfen vor dem Cyberspace
nicht Halt machen. Mögliche Bedrohung ziviler Datennetze durch Hackerangriffe und die
Gefahren virtueller Kriegsführung nehmen wir ernst. Wir setzen uns ein für die Vielfalt
von Betriebssystemen und Software und wollen durch die Förderung von open-source monopolistische
Tendenzen durchbrechen und die Teilhabe aller am Nutzen der neuen Technologien
ermöglichen.
Wir wollen weiter den Weg in eine neue Drogenpolitik gehen. Die bisherige Drogenpolitik
der generellen Strafverfolgung von Konsumenten ist gescheitert und muss beendet werden.
Ein unkontrollierbarer Schwarzmarkt verschlimmert die Probleme nur. Wer Probleme mit
Drogenkonsum hat, braucht Hilfe statt Strafe. Viele andere, meist Cannabiskonsumenten,
werden durch Verbote nur schikaniert und kriminalisiert. Es muss auch Schluss damit sein,
dass bereits der bloße Besitz von Cannabis den Führerschein kosten kann. Deshalb setzen
wir auf ein gutes Hilfesystem, das sich an den Bedürfnissen der Betroffenen orientiert
und Selbsthilfestrukturen unterstützt. Risikominimierung und bewusster Umgang mit allen
Drogen - also auch Alkohol und Tabak - sind dabei maßgebend. Wir setzen uns für eine
Legalisierung von weichen Drogen wie Haschisch und Marihuana ein.
Diskriminierung beseitigen
Niemand darf wegen des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, der Religion, einer
Behinderung, des Alters, der Hautfarbe oder der sexuellen Identität diskriminiert werden.
Deswegen wollen wir ein umfassendes Antidiskriminierungsgesetz.
Wir wollen die rechtliche Stellung nichtehelicher Lebensgemeinschaften verbessern. Rechte
und Pflichten sollen in ein faires Verhältnis kommen.
Wir treiben die Gleichstellung von Schwulen und Lesben voran und sind Garant dafür, dass
das Erreichte nicht nur verteidigt, sondern ausgebaut wird. In einer zweiten Runde wollen
wir die Eingetragene Lebenspartnerschaft durch das Ergänzungsgesetz weiter anreichern, z.
B. bei der Hinterbliebenenversorgung und im Steuerrecht.
Schon im Interesse des Kindeswohles ist es geboten, die rechtliche und finanzielle
Diskriminierung von gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften mit Kindern zu beenden.
Dazu gehört es auch, das Adoptionsrecht für eingetragene Partnerschaften zu öffnen.
Wir setzen uns ein für die historische Aufarbeitung der Homosexuellen-Verfolgung und für
ein würdiges Gedenken an die Opfer.
Nach der erfolgreichen Durchsetzung des Gleichstellungsgesetzes von Menschen mit
Behinderung wollen wir das Prinzip der Barrierefreiheit weiter im Alltag verankern. Das
Sexualstrafrecht muss Behinderte wirkungsvoll vor sexuellen Übergriffen schützen.
Freiheit und Sicherheit
Die Gewährleistung öffentlicher Sicherheit, besonders der Schutz vor Gewalt, gehört zu
den wichtigsten Aufgaben des Rechtsstaats. Lebensqualität ist nicht vorstellbar ohne das
Gefühl von Sicherheit. Unsere Kriminalpolitik setzt auf Prävention, rasche Aufklärung,
angemessene Strafverfolgung, Opferschutz, Resozialisierung und die Gewährleistung eines
rechtsstaatlichen Verfahrens. Prävention bedeutet bessere Schulen, bessere Bildung und
mehr soziale Sicherheit. Der Kampf gegen die Unwirtlichkeit unserer Städte und eine
integrative Kommunalpolitik ist ein wichtiger Beitrag zur Vorbeugung von
Alltagskriminalität.
Im Jugendstrafrecht verteidigen wir den Erziehungsgedanken und die Strafmündigkeitsgrenze
von 14 Jahren. Wir wollen den Schutz und die Rechte der Opfer im Strafprozess deutlich
stärken - minderjährigen Opfern muss anwaltlicher Beistand garantiert sein.
Der Kauf und das Tragen von Waffen müssen unter wirksamere Kontrollen gestellt werden.
Die Bekämpfung von wirtschaftlicher und politischer Korruption ist für die Stabilität
der Demokratie entscheidend. Wir haben mit dem neuen Parteiengesetz eine gute Grundlage
gelegt, dass bestechliche Politiker zur Rechenschaft gezogen werden. Aber nicht nur gegen
die Bestochenen muss hart vorgegangen werden - auch gegen die, die mit Millionen
bestechen. Wir wollen ein Korruptionsregister beim Bundeskriminalamt. Es muss
sichergestellt werden, die in Korruption verstrickten Unternehmen keine Aufträge von
Bund, Ländern und Kommunen mehr erhalten. Vergabeverfahren müssen transparent und für
alle nachvollziehbar ausgestaltet werden.
Gegen die Geldwäsche und illegale Finanzmachenschaften setzen wir auf die Lockerung des
Bankgeheimnisses und auf ein europäisches Vorgehen, um der grenzüberschreitenden
organisierten Kriminalität wirkungsvoll entgegentreten zu können.
Der Internationale Terrorismus stellt den Rechtsstaat und die Sicherheit seiner
Bürgerinnen und Bürger vor neue Herausforderungen. Freiheitsrechte und der Anspruch auf
Sicherheit dürfen aber nicht in Gegensatz zueinander gebracht werden. Wir werden die
Gesetze, die im Rahmen der Sicherheitspakete gegen den Terrorismus verabschiedet wurden,
immer wieder daraufhin bewerten, ob sie wirksam sind, verhältnismäßig und die Balance
von Sicherheit und Freiheit wahren. Dem Prinzip der Befristung und rechtsstaatlichen
Qualitätskontrolle, das wir in den Sicherheitspaketen durchgesetzt haben, wollen wir auch
künftig Geltung verschaffen.
Aufgaben, Befugnisse und Struktur der Geheimdienste müssen durch eine unabhängige
Geheimdienststrukturkommission umfassend neu bestimmt und klar begrenzt werden. Wir wollen
die demokratische Kontrolle garantieren, beispielsweise durch die Stärkung der Befugnisse
des Parlamentarische Kontrollgremium und einen Geheimdienstbeauftragten.
3.2. Die Hälfte der Macht den Frauen
Frauen beanspruchen heute ganz selbstverständlich Führungspositionen von Politik und
Wirtschaft. Hieran hat unsere Frauenpolitik einen wichtigen Anteil. Aber immer noch ist
unsere Gesellschaft weit davon entfernt, Frauen die Hälfte der Macht zuzugestehen. Die
Hälfte der Macht für die Frauen, das bedeutet aber auch: die Hälfte der Verantwortung
für die Männer. Aber selbst Männer, die dieser Verantwortung gerecht werden wollen,
stoßen noch immer auf zahlreiche Hindernisse. Unserem Ziel sind wir in unserer Partei
durch die Frauenquote sehr nahe gekommen und nehmen eine Vorreiterrolle für die
Gesellschaft ein.
Die Gerechtigkeitslücke zwischen Frauen und Männern wollen wir schließen. Dies betrifft
zum Beispiel die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit für Frauen und Männer
und insbesondere die Teilhabe an Entscheidungs- und Machtpositionen. Um die notwendige
demokratische Modernisierung unserer Gesellschaft voranzutreiben, setzen wir auf einen
offensiven Paradigmenwechsel von einer reinen Frauenpolitik hin zu einer
geschlechtergerechten Politik, die auch Männer in den Blick und in die Verantwortung
nimmt. Mit dem Gewaltschutzgesetz haben wir ein deutliches Zeichen gesetzt: Häusliche
Gewalt wird nicht weiterhin als Privatangelegenheit betrachtet und es garantiert, dass
nicht mehr die Opfer, sondern die Täter die gemeinsame Wohnung verlassen müssen. Wir
haben das Aufenthaltsrecht für ausländische Ehefrauen verbessert, und durch das
Prostitutionsgesetz die Stellung der Prostituieren gegenüber den Freiern verbessert und
die Doppelmoral zulasten der Frauen beendet. Das neue Bundeserziehungsgeldgesetz bringt
Männern und Frauen Vorteile bei der Organisation des Familienalltags.
Wir stehen für eine Gesellschaftspolitik, die Frauen und Männer ermutigt und ihnen die
Chance eröffnet, ihre eigenen Lebensentwürfe zu verwirklichen.
Chancengleichheit und Karriere
Frauen haben nach wie vor schlechtere Berufs- und Karrierechancen als Männer, auch wenn
sie vielfach besser qualifiziert sind. Meist sind es die Frauen, die einen Karriereknick
im Anschluss an Kindererziehungszeiten zu bewältigen haben. Aber auch patriarchale
Strukturen und gesellschaftliche Vorurteile behindern Frauen in ihrem beruflichen
Werdegang. Um diese zu überwinden brauchen wir auch frauenfreundliche Strukturen in den
Betrieben, die die spezifischen Qualifikationen und Ansprüche von Frauen anerkennen und
in die Personalplanungen einbeziehen. Aber auch Männer brauchen eine Veränderung der
Arbeitsstrukturen, wenn sie Verantwortung für Kinder oder pflegebedürftige Menschen
übernehmen.
Durch das Gleichstellungsgesetz für den öffentlichen Dienst wurden den Frauen neue Ein-
und Aufstiegschancen eröffnet. Wir werden uns weiterhin mit Nachdruck für ein
Gleichstellungsgesetz in der Privatwirtschaft einsetzen, in dem verbindliche Vorgaben für
die Einstellung und Beförderung von Frauen festgelegt werden. Wir treten dafür ein, bei
Stellenbesetzungen klare Qualifikationsanforderungen festzulegen, die Frauen nicht
diskriminieren.
Die Koppelung der Vergabe öffentlicher Aufträge an die tatsächliche Frauenförderung
eines Betriebes schafft zusätzliche Anreize, den innerbetrieblichen Prozess der
beruflichen Gleichstellung zu beschleunigen. Junge Frauen wollen wir ermutigen, in
tradierte Männerberufe einzudringen und in zukunftsfähige Branchen einzusteigen.
Auch in Wissenschaft und Forschung ist der Anteil der Frauen nicht nur in
Führungspositionen viel zu gering. Hier muss staatliche Förderung ansetzen und auf die
besonderen Lebenslagen junger Wissenschaftlerinnen eingehen. Auf dieses Potenzial gut
ausgebildeter Frauen wollen wir nicht verzichten.
Frauen und Gesundheit
Frauendiskriminierung macht vor dem Gesundheitswesen nicht halt. Es fehlt eine
kontinuierliche Berichterstattung über die gesundheitliche Situation von Mädchen und
Frauen. Diese unzureichende Datenlage führt zu fehlender oder falscher Medikamentierung
und Behandlungsmethoden. Geschlechtsspezifische Aspekte müssen auch in der Aus- und
Weiterbildung bei Gesundheitsberufen berücksichtigt werden. Wir brauchen mehr Geld in der
Frauengesundheitsforschung.
Um das Brustkrebsrisiko zu verringern setzen wir uns für hohe Qualitätsstandards bei
Mammographien und die Möglichkeit zu alternativen Vorsorgeuntersuchungen ein. Eine hohe
Qualifikation und Spezialisierung des medizinischen Personals, regelmäßige Kontrollen
der Geräte sowie die doppelte Auswertung der Ergebnisse müssen selbstverständlich sein.
Außerdem fordern wir ein flächendeckendes Krebsregister, um eine optimale Behandlung zu
gewährleisten.
Schwangerschaftsabbruch - Frauen in Zwangslagen
Wir treten ein für das Selbstbestimmungsrecht der Frauen. Deshalb werden wir uns weiter
dafür einsetzen, dass das Recht der Frauen, sich selbstbestimmt und ohne äußeren Druck
für oder gegen eine Schwangerschaft zu entscheiden, gewahrt bleibt. Ein wichtiger Schritt
dazu ist, die Rahmenbedingungen für ein Leben mit Kindern zu verbessern. Auch eine
strafrechtliche Verfolgung von Schwangerschaftsabbrüchen ist kein geeigneter Weg,
Entscheidungen für das Leben mit Kindern zu fördern. Keine Frau entscheidet über eine
Abtreibung ohne große Konflikte.
Eine Hilfe für Frauen in Zwangslagen könnte dagegen zukünftig die anonyme Geburt sein:
Frauen sollen künftig die Möglichkeit bekommen, ihr Kind in einer Klinik zur Welt zu
bringen, ohne ihre Personalien angeben zu müssen.
Wir treten dafür ein, dass qualifizierte, persönliche Beratungs- und Hilfsangebote auf
freiwilliger Basis gewährleistet bleiben.
Fortpflanzungsmedizin
Wir treten dafür ein, dass Präimplantationsdiagnostik in Deutschland verboten bleibt.
Bei allen Methoden der Pränataldiagnostik steht für uns das Selbstbestimmungsrecht der
Frau im Vordergrund. Das Recht des Schwangerschaftsabbruchs im Rahmen der heutigen
Regelung darf sich, auch bei differenzierten Möglichkeiten der vorgeburtlichen
Diagnostik, nicht zu einer Pflicht zu einem Kind ohne Behinderung ausweiten. Die Würde
des Menschen ist unantastbar. Wir treten auch in diesem Bereich dafür ein, dass für alle
Betroffenen eine qualifizierte ergebnisoffene Beratungsmöglichkeit besteht.
Geschlechtergerechtigkeit als Querschnittsaufgabe
Frauenpolitik ist Querschnittspolitik. Als Ergänzung zu den gezielten
Frauenfördermaßnahmen treten wir dafür ein, die Frage der Gleichberechtigung der
Geschlechter in allen Entscheidungsprozessen zu etablieren. Diesen Prozess des so
genannten Gender Mainstreaming wollen wir beschleunigen und verstärken. Die
Bundesregierung soll über getroffene Maßnahmen regelmäßig berichten.
Auch wenn öffentliche Gelder ausgegeben werden, muss das Geschlechterverhältnis in
Rechnung gestellt werden. Dazu muss bekannt sein, ob und wie sich Investitionen oder
Kürzungen in bestimmten Bereichen auf Männer und Frauen auswirken. Nur so können
gezielte Maßnahmen zur Förderung von Frauen ergriffen werden. Wir treten dafür ein,
dass die Haushalts- und Finanzpolitik dem Ziel der Geschlechtergerechtigkeit verpflichtet
sind.
Fortbildungen und Trainingsmaßnahmen bleiben dabei besonders in Verwaltung und
Ministerien unerlässlich.
Frauenrechte sind Menschenrechte.
Wir setzen uns dafür ein, den Frauenrechten weltweit Geltung zu verschaffen. Der Frauen-
und Mädchenhandel ist international zu einem blühenden Geschäft geworden. Auch in der
Bundesrepublik werden durch diese neue Form der Sklaverei große Gewinne erzielt.
Zeuginnen, die den Mut aufbringen gegen die Täter auszusagen, brauchen ein sicheres
Aufenthaltsrecht in Deutschland. Um Frauen und Mädchen auch bei uns wirksam zu schützen,
müssen Zwangsheirat und Zwangsarbeit wie der Menschenhandel verboten werden.
Wir setzen uns für die ausdrückliche weltweite Ächtung der genitalen Verstümmelung von
Mädchen und Frauen ein. Das gesamte Instrumentarium der Außen- und Außenhandelspolitik
wollen wir darauf ausrichten, Menschenrechtsverletzungen an Frauen zu unterbinden. Auch in
der Entwicklungszusammenarbeit müssen frauenspezifische Belange neben ökologischen und
sozialen Standards im Mittelpunkt stehen.
Auch und gerade im Zusammenhang mit Globalisierung ist es notwendig, Haushalts- und
Ausgabenpolitik von Staaten und internationalen Institutionen auf die Auswirkungen für
Frauen und Männer zu prüfen. Nur so können geschlechtergerechte und nachhaltige
Strategien für die Entwicklung eines Landes entwickelt werden. In die Reform des
Internationalen Währungsfonds muss das Instrument des Gender budgeting einfließen,
damit sich dessen Politik nicht allein an Zahlungsbilanzen, Zinsraten und
Geldwertstabilität orientiert.
4. Gerechte Globalisierung und Europäische Demokratie
BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sind die Partei der ökologischen, sozialen und demokratischen
Weltinnenpolitik. Der Globalisierung eine gerechte Gestalt zu geben, eine Kultur der
Prävention aufzubauen, die Vereinten Nationen zu stärken, die Europäische Union zu
demokratisieren und die transatlantische Beziehung im Sinne kritischer Solidarität zu
gestalten - das sind unsere Ziele, denen wir bereits ein gutes Stück näher gekommen
sind.
Mit der Entschuldungsinitiative für die ärmsten Länder haben wir zahlreichen Ländern
wieder Luft verschafft. Das Abkommen zum Klimaschutz und zum weltweiten Verbot der zwölf
giftigsten Stoffe waren ein Schritt zu mehr globaler Gerechtigkeit. Wir haben die Debatte
um eine europäische Verfassung angestoßen. Mit der Grundrechtecharta und dem
Verfassungskonvent ist die Basis für ein bürgerrechtliches und demokratisches Fundament
für die Europäische Union gelegt. In Mazedonien ist es durch rechtzeitigen politischen
Druck auf die Konfliktparteien und militärische Garantien zum Schutz der Bevölkerung
gelungen, einen Bürgerkrieg zu verhindern. Zur Stärkung der Politik der Prävention
haben wir ein eigenes Ausbildungsprogramm für ziviles Personal geschaffen. Südosteuropa
wurde durch den Stabilitätspakt erstmals eine wirklich friedliche Perspektive eröffnet
und ein Weg in Richtung Europäischer Union gewiesen. Die internationalen Anstrengungen
zum demokratischen Wiederaufbau Afghanistans haben wir voran gebracht. Die für
Asylverfahren entscheidenden Lageberichte wurden neu gefasst und restriktive
Rüstungsexportrichtlinien beschlossen.
Die Globalisierung stellt unsere Gesellschaft und die internationale Politik vor völlig
neue Herausforderungen. Die Europäische Union ist ein wichtiger Schlüssel zur Lösung
dieser Aufgaben. Die europäische Integration hat Westeuropa eine lange Friedensperiode
beschert. Nachdem die Teilung des Kontinents überwunden ist, eröffnet sie die
Möglichkeit eines dauerhaften friedlichen Zusammenlebens in ganz Europa. Schon jetzt sind
die Staaten Ost- und Mitteleuropas auf ihrem Weg zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und
sozialer Marktwirtschaft ein gutes Stück vorangekommen.
Aber immer noch sind wir von einer stabilen Friedensordnung weit entfernt. Hatte die
Außen- und Sicherheitspolitik in Zeiten der Blockkonfrontation ihre stabilen Leitplanken,
so muss sie heute einen neuen Ordnungsrahmen erst schaffen und festigen. Regionale und
innerstaatliche Konflikte sowie die mit dem 11. September 2001 offenkundig gewordene
Bedrohung durch den internationaler Terrorismus prägen unsere Zeit. Wir haben Einsätzen
der Bundeswehr zugestimmt, ohne uns vom Ziel der Gewaltfreiheit zu verabschieden. Unsere
Priorität ist eindeutig: Wir wollen die internationalen Beziehungen zivilisieren und
setzen vorrangig auf den Ausbau der Krisenprävention und die Stärkung und
Demokratisierung der Vereinten Nationen.
Ökologie, Selbstbestimmung, Demokratie und Gerechtigkeit gelten für uns auch
international. Menschenrechte und Gewaltfreiheit folgen aus unseren Grundwerten. Deshalb
lassen wir uns von den Grundprinzipien der Zivilisierung und Entmilitarisierung der
internationalen Politik und dem Ziel einer ökologisch-solidarischen
Weltwirtschaftsordnung leiten.
Es gibt viel zu tun. In den nächsten Jahren stehen weit reichende Entscheidungen für die
europäische und internationale Politik an. Wir wollen die zügige Erweiterung der EU. Wir
wollen ein demokratisiertes Europa und eine starke europäische Union. Deswegen brauchen
wir die europäische Verfassung. Wir wollen die internationalen Institutionen so ausbauen,
dass sie zu Trägern und Motoren einer gerechten und ökologischen Entwicklung werden.
Am 22. September 2002 entscheiden Sie: Wir wollen eine Politik der globalen Gerechtigkeit,
der Universalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte und des dauerhaften Friedens.
Diese setzen wir den Vorstellungen der anderen Parteien von Renationalisierung oder von
ungehemmter Globalisierung entgegen.
4.1. Gerechte Globalisierung
Die globale Verflechtung von Märkten hat nicht zur Überbrückung der Kluft zwischen Arm
und Reich geführt - im Gegenteil. Nur 20 Prozent der Menschheit profitieren bisher von
der Globalisierung. Neue Technologien wie Internet lassen die Welt dichter
zusammenrücken, Entwicklungen wie die Gentechnik stellen hohe Ansprüche an unsere
Fähigkeit global zu denken und zu handeln. Internationale Politik ist heute zunehmend
Weltinnenpolitik. Sie muss sich am Leitbild der Gerechtigkeit orientieren und auf eine
Politik der Verantwortungsethik zielen. Nur eine gerechte Globalisierung reduziert Armut,
sichert die ökologischen Ressourcen und schafft mehr Sicherheit. Mit den
Terroranschlägen des 11. September 2001 hat die Bekämpfung des internationalen
Terrorismus neues Gewicht erhalten. Wir brauchen ein erweitertes Verständnis von
Sicherheit. Wer den internationalen Terrorismus dauerhaft besiegen will, muss die
Lebensgrundlagen der Menschen verbessern, den "Dialog der Kulturen" ernsthaft
führen und eine gerechte Weltwirtschaftsordnung errichten. Uns geht es um die Verankerung
sozialer, ökologischer und menschenrechtlicher Kriterien auch in der Weltwirtschaft. Wir
machen eine Politik der Solidarität der Einen Welt und kämpfen gegen eine
Globalisierung, die eine Spaltung der Welt in Arm und Reich verfolgt. Dem Primat der
Ökonomie setzen wir das Primat der Politik entgegen, um die Chancen der Globalisierung zu
nutzen. Die Rolle der Frauen im Globalisierungsprozess bedarf hierbei der besonderen
Beachtung.
Ökologische Modernisierung und weltweite Agrarwende
Im internationalen Rahmen muss sich Umweltpolitik zunehmend mit den Folgen der
Globalisierung auseinandersetzen. Wir wollen die internationale Umweltagentur UNEP zum
globalen Anwalt ökologischer Belange ausbauen und damit ein Gegengewicht zur
Welthandelsorganisation bilden.
Der internationale Klimaschutz hört nicht mit dem Kyoto-Protokoll auf. Für die Zeit nach
2012 sind weitere deutliche Minderungen der klimaschädlichen Emissionen nötig. Wir
werden uns dafür einsetzen, dass gerade die Industriestaaten, aber auch die
Schwellenländer ihren Beitrag dazu leisten.
Wir kämpfen für eine Marktöffnung für Entwicklungsländer, für den Abbau ökologisch
und sozial schädlicher Subventionen und einen weltweit verbesserten Zugang zu
lebensnotwendigen Medikamenten. Exportsubventionen wollen wir abschaffen und insbesondere
die Abschottung Europas für landwirtschaftliche Produkte aus so genannten
Entwicklungsländern systematisch abbauen. Dabei müssen Umweltkriterien, Kriterien des
Verbraucherschutzes und der Entwicklung der ländlichen Räume Regeln des internationalen
Handels werden, sonst gewinnen die internationalen Konzerne und Eliten, nicht aber die
Menschen. Von den mehr als 800 Millionen hungernden Menschen leben 70 Prozent in
ländlichen Räumen. Wir wollen gerade in diesen Ländern die bäuerliche Landwirtschaft
stärken und der Ernährungssicherung ihrer eigenen Bevölkerung höchste Priorität
einräumen.
Mehr Geld aus dem Norden - mehr politische Beteiligung für den Süden
Wir sind den Entwicklungszielen der Vereinten Nationen verpflichtet, vor allem dem Ziel,
die extreme Armut und den Hunger in der Welt bis zum Jahr 2015 zu halbieren. Neben
Reformanstrengungen in den Entwicklungsländern braucht es hierzu zusätzliche Mittel aus
den öffentlichen Haushalten der Industrieländer. Deshalb wollen wir, dass die
Bundesrepublik im Rahmen konkreter Zeitpläne so schnell wie möglich die Mittel für die
Entwicklungszusammenarbeit auf 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts erhöht. Wir wollen
weitere innovative Finanzierungsquellen für Umwelt und Entwicklung erschließen, wie z.
B. ein Nutzungsentgelt für den Verbrauch öffentlicher Güter. Wir wollen, dass
Deutschland innerhalb Europas eine Initiative zur Einführung der Tobin-Steuer und anderer
geeigneter Instrumente ergreift, um die internationalen Finanzmärkte zu regulieren und
die Devisenspekulationen einzuschränken. Die Erlöse der Tobin-Steuer sollen Maßnahmen
zur Bekämpfung der Armut und zur Erhaltung der Umwelt zugute kommen. Steueroasen wollen
wir austrocknen.
Wir brauchen internationale Institutionen, in denen sich Industrieländer und
Entwicklungsländer gleichermaßen repräsentiert sehen. Deshalb treten wir ein für eine
Reform der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation.
Der Internationale Währungsfonds muss die Krisenprävention ausbauen und seine Programme
auf ihre sozialen und ökologischen Folgen überprüfen. Die Welthandelsorganisation muss
die Teilhabe aller Staaten verbessern und sich für zivilgesellschaftliche Akteure
öffnen. Wir wollen, dass in der nächsten Runde der Welthandelsorganisation die Anliegen
der Entwicklungsländer angemessen berücksichtigt werden.
Aber auch Entwicklungsländer müssen eigene Anstrengungen unternehmen. Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte sowie eine funktionierende Wirtschaftsordnung sind
wichtige Grundlagen für eine selbsttragende Entwicklung.
Entwicklung braucht Entschuldung
Die Entschuldung der armen Länder bleibt weiterhin ein vorrangiges Ziel grüner
Außenpolitik. Die armen Länder brauchen Geld für die Ausbildung von Kindern und
Jugendlichen und nicht für Waffen. Sie brauchen Geld für die Versorgung der Kranken und
Bedürftigen. Deshalb wollen sich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - auch als Reaktion auf die
neuerlichen Rüstungsprogramme der USA - darüber hinaus für eine G8-Initiative
einsetzen, die die dringend notwendigen Gelder einfordert für die Bewältigung der
globalen Herausforderungen: für die Überwindung von Krankheit, Armut und Unwissenheit
und zum Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Zusätzlich fordern wir ein
transparentes und faires Verfahren zur Haushaltssanierung von überschuldeten Staaten. Wir
wollen ein internationales partnerschaftliches Insolvenzrecht einführen und
rechtsstaatliche Verfahren auf internationaler Ebene verankern, die Lasten zwischen
Schuldnern und Gläubigern angemessen verteilen und den Ländern eine Möglichkeit des
wirtschaftlichen Neuanfangs geben. Bei der Bewältigung von Verschuldungskrisen muss auch
der Privatsektor und müssen besonders die Banken einbezogen werden. Die Früherkennung
von Wirtschafts- und Finanzkrisen muss verbessert werden.
Fairer Handel - Entwicklungszusammenarbeit stärken
Die Entwicklungszusammenarbeit leistet wichtige Beiträge beim Einsatz für die Rechte der
Frauen, gegen Kinderarbeit und für die Rechte ethnischer oder religiöser Minderheiten.
Damit dieses so bleibt, werden wir die begonnenen Strukturreformen in der technischen und
finanziellen Zusammenarbeit vorantreiben. Dieses gilt für deutsche
Entwicklungszusammenarbeit genauso wie für die von Europäischer Union und Vereinten
Nationen.
Kampagnen für "Fairen Handel" für "Saubere Kleidung" und gegen
Kinderarbeit wollen wir durch gezielte Programme unterstützen. Wir wollen die
Nichtregierungsorganisationen als Anwälte einer gerechten Globalisierung stärken und den
Zugang zu öffentlichen Mitteln entbürokratisieren.
4.2. Europäische Demokratie
Deutschland darf seine europäische Politik nicht auf nationale Interessen reduzieren. Wir
wollen eine Politik der klugen Einbindung und der Selbstbeschränkung. Das Europa, das wir
anstreben, ist das Europa der Demokratie und der Solidarität, das eine sozial gerechte
und ökologische Politik nach innen und nach außen vertritt, eine Europäische Union, die
den Menschen innerhalb und außerhalb ihrer Grenzen nützt. Sie spielt eine aktive Rolle
bei der sozialen und ökologischen Gestaltung der Globalisierung. Sie setzt Maßstäbe
für andere. Bei den Verhandlungen für den Erhalt des Klimaschutzes hat sie dieses
bereits getan. Die Europäische Union ist der bisher am weitesten reichende Ansatz für
eine gemeinsame Verantwortung von Staaten, die dafür Teile der eigenen Souveränität
abgeben, um neue, europäische Handlungsspielräume zu bekommen. Akzeptabel ist dies nur,
wenn das Übertragen der Souveränität nicht zu einem Verlust an demokratischer
Mitsprache und Kontrolle führt.
Die europäische Integration vertiefen
Die europäische Integration ist für uns der Rahmen, in dem die Bundesrepublik
Deutschland zusammen mit ihren europäischen Nachbarn am wirkungsvollsten zur Gestaltung
einer europäischen und internationalen Friedensordnung beitragen kann. Unser Kernanliegen
ist die Demokratisierung der EU. Gesicherte Bürgerrechte, mehr Transparenz und die
Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger sind dafür notwendige Voraussetzungen. Deshalb
wollen wir, dass die zur Zeit vom Konvent zu erarbeitende Verfassung auch durch ein
europaweites Referendum legitimiert wird.
Erweiterung vorantreiben
Europa wird ohne die Überwindung seiner Teilung nicht dauerhaft stabil werden. Ein
geeintes Europa sichert aber nicht nur den Frieden in Europa, sondern bietet
wirtschaftliche und kulturelle Perspektiven für die Beitrittsländer und die Länder der
Union. Wir setzen uns für den sorgfältigen aber zügigen Abschluss der
Erweiterungsverhandlungen und für eine schnelle Ratifizierung der Beitrittsverträge ein.
Dabei wollen wir erreichen, dass die ersten neuen Mitgliedstaaten an den Wahlen zum
Europaparlament im Sommer 2004 teilnehmen können.
Wir halten an der Integrationsperspektive für die Türkei fest. Sobald sie die
wirtschaftlichen, sozialen und menschenrechtlichen Kriterien erfüllt hat, die die
Europäische Union voraussetzt, sollten die Beitrittsverhandlungen beginnen.
Parallel zur Erweiterung bleibt die Ausgestaltung und die Vertiefung der engen
Nachbarschaft zu Russland, der Ukraine und anderer Staaten eine wichtige Aufgabe der
Europäischen Union und auch der Bundesrepublik Deutschland.
Europäische Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik festigen
Der Ausbau der europäischen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist notwendig,
um die Rolle der Europäischen Union in der Welt zu stärken. Wir setzen auf eine
Priorität ziviler Konfliktbearbeitungsinstrumente. Im Sinne der Demokratisierung der
Europäischen Union ist eine stärkere Beteiligung des Europäischen Parlaments in allen
Bereichen der Außen- und Sicherheitspolitik erforderlich.
Südosteuropa stabilisieren
Südosteuropa ist seit dem Umbruch von 1989 die Krisenregion Europas. In keiner anderen
Region der Welt ist Deutschland auf mittlere Sicht in vergleichbarer Weise in
Konfliktprävention und Krisenbewältigung engagiert. Die Perspektive der europäischen
Integration ist mehr und mehr zum Ordnungsfaktor in Südosteuropa geworden. Die
Fortführung des Stabilitätspaktes für Südosteuropa ist ein wichtiges Element, um die
grenzüberschreitende Kooperation in der Region zur Grundlage ihrer politischen und
wirtschaftlichen Verflechtung zu machen.
4.3. Dauerhafter Frieden
Den Frieden zu sichern ist und bleibt Kern unserer Politik. Deshalb wollen wir, dass
Prävention Vorrang hat. Wir machen uns stark für die von Kofi Annan geforderte
"Kultur der Prävention" und den "Dialog der Kulturen". Dazu zählt
für uns die Förderung und der Ausbau der zivilen Konfliktbearbeitung im Rahmen einer
aktiven europäischen Außenpolitik ebenso wie das Bemühen zur Entspannung regionaler
Konflikte, z. B. im Nahen und Mittleren Osten, beizutragen.
Die Vereinten Nationen stärken
Aus unserer Sicht bilden die Vereinten Nationen den Hauptrahmen für eine weltweite
Ordnungspolitik, bei der die Menschenrechte im Zentrum stehen. Deshalb wollen wir die UN
als wichtigste internationale Institution zur Lösung globaler Probleme und Konflikte
stärken. Wir wollen das Völkerrecht im Rahmen der Charta der Vereinten Nationen
weiterentwickeln. Der Sicherheitsrat muss reformiert werden. Die angemessene Repräsentanz
der Staaten muss auch im Sicherheitsrat gewährleistet sein. Die Vereinten Nationen und
ihre Einzelorganisationen müssen auch regional wirksam gefördert werden. Angesichts der
Zunahme von Konflikten sind die Anforderungen an die UN dabei wesentlich komplexer
geworden. Wir werden uns deshalb nachdrücklich für den Ausbau von Ansätzen regionaler
Sicherheitskooperation in der OSZE und in außereuropäischen Regionen einsetzen, um die
Fähigkeiten und Instrumente zur Konfliktprävention in den Krisenregionen selbst zu
stärken.
Bundeswehr verändern - die Wehrpflicht beenden
Die wichtigste Aufgabe der Bundeswehr ist die internationale Friedenssicherung. Die
Bundeswehr muss mit begrenzten, aber qualitativ hochwertigen Beiträgen zur Stärkung der
Zielsetzung und Fähigkeiten der Vereinten Nationen beitragen können. Dieses erfordert,
gerade auch unter dem Eindruck der Anschläge vom 11. September 2001, eine
Weiterentwicklung der bisherigen Reform der Bundeswehr. Wir wollen die Bundeswehr, wie von
der Weizsäkker-Kommission zur Reform der Bundeswehr vorgeschlagen, deutlich verkleinern
und die Wehrpflicht abschaffen. Die Bundeswehr muss ihre demokratische Struktur durch mehr
Transparenz auf allen Ebenen fördern. Wir wollen, dass die Bundesrepublik Deutschland
sich für den Aufbau eines nationalen und internationalen Netzwerks von Institutionen und
Verfahren einsetzt, das effektiv zur Gewaltvorbeugung und zum Aufbau von
Friedensstrukturen beitragen kann.
Die Bundesrepublik muss sich vom Zivildienst, nicht aber von sozialen Dienstleistungen
verabschieden. Wir wollen die Abhängigkeit vom Zivildienst abbauen und feste Jobs im
Bereich der sozialen Dienstleistungen schaffen. Die jetzt für den Zivildienst
aufgewendeten Finanzmittel wollen wir erhalten, um Schritt für Schritt diese Stellen in
reguläre Arbeitsplätze umzuwandeln und das freiwillige Engagement von Jugendlichen
fördern.
Abrüstung nutzen
Wir wollen eine aktive Abrüstungspolitik, die auf den bereits erreichten und vertraglich
fixierten Erfolgen aufbaut und Antworten auf neue bzw. neu erkannte Bedrohungen
formuliert. Diese reichen von der Kontrolle und Vernichtung konventioneller Kleinwaffen
und Landminen bis hin zur Zerstörung von Massenvernichtungswaffen und der drastischen
Reduzierung der Nuklearpotentiale. Die Verträge zur Nicht-Weiterverbreitung von
Massenvernichtungswaffen, das Chemiewaffenübereinkommen, das B-Waffen-Übereinkommen und
das Regime der Nichtverbreitung von Trägerwaffentechnologie wollen wir wirkungsvoller
gestalten und stärken. Wir wollen Rüstungsexporte weiter begrenzen und
Entscheidungsverfahren transparent gestalten. Wir setzen uns für einen regelmäßigen
Bericht zur Rüstungsfolgenabschätzung ein.
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