Gesetz, betreffend die Verpflichtung zum Kriegsdienste.
Vom 9. November 1867.
Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen etc.
verordnen im Namen des Norddeutschen Bundes, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrathes
und des Reichstages, was folgt:
§. 1.
[1] Jeder Norddeutsche ist
wehrpflichtig und kann sich in Ausübung dieser Pflicht nicht vertreten lassen.
Ausgenommen von der Wehrpflicht sind nur: |
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a) die Mitglieder regierender Häuser;
b) die Mitglieder der mediatisirten, vormals reichsständischen und derjenigen Häuser,
welche die Befreiung von der Wehrpflicht durch Verträge zu gesichert ist, oder auf Grund
besonderer Rechtstitel zusteht. |
[2] Diejenigen Wehrpflichtigen,
welche zwar nicht zum Waffendienst, jedoch zu sonstigen militairischen Dienstleistungen,
welche ihrem bürgerlichen Berufe entsprechen, fähig sind, können zu solchen
herangezogen werden. |
§. 2.
Die bewaffnete Macht besteht aus dem Heere, der Marine und dem Landsturme.
§. 3.
[1] Das Heer wird eingetheilt in: |
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1) das stehende Heer,
2) die Landwehr, |
[2] die Marine in: |
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1) die Flotte,
2) die Seewehr. |
[2] Der Landsturm besteht aus allen
Wehrpflichtigen vom vollendeten 17ten bis zum vollendeten 42sten Lebensjahre, welche weder
dem Heere, noch der Marine angehören. |
§. 4.
Das stehende Heer und die Flotte sind beständig zum
Kriegsdienste bereit. Beide sind die Bildungsschulen der ganzen Nation für den Krieg.
§. 5.
[1] Die Landwehr und die Seewehr sind zur
Unterstützung des stehenden Heeres und der Flotte bestimmt.
[2] Die Landwehr-Infanterie wird in besonders formirten Landwehr-Truppenkörpern
zur Vertheidigung des Vaterlandes als Reserve für das stehende Heer verwandt.
[3] Die Mannschaften des jüngsten Jahrganges der Landwehr-Infanterie können
jedoch erforderlichen Falles bei Mobilmachungen auch in Einsatz-Truppentheile eingestellt
werden.
[4] Die Mannschaften der Landwehr-Kavallerie werden im Kriegsfalle nach Maaßgabe
des Bedarfs in besondere Truppenkörper fomirt.
[5] Die Landwehrmannschaften der übrigen Waffen werden bei eintretender
Kriegsgefahr nach Maaßgabe des Bedarfs zu den Fahnen des stehenden Heeres, die
Seewehrmannschaften zur Flotte einberufen.
§. 6.
[1] Die Verpflichtung zum Dienste im stehenden Heere,
beziehungsweise in der Flotte, beginnt mit dem 1. Januar und zwar in der Regel desjenigen
Kalenderjahres, in welchem der Wehrpflichtige das 20ste Lebensjahr vollendet, und dauert
sieben Jahre.
[2] Während dieser sieben Jahre sind die Mannschaften die ersten drei Jahre zum
ununterbrochenen aktiven Dienst verpflichtet.
Die aktive Dienstzeit wird nach dem wirklich erfolgten Dienstantritt mit der
Maaßgabe berechnet, daß diejenigen Mannschaften, welche in der Zeit vom 2. Oktober bis
31. März eingestellt worden, als am vorhergehenden 1. Oktober eingestellt gelten.
[3] Die Entlassung eingeschiffter Mannschaften der Marine kann jedoch, wenn den
Umständen nach eine frühere Entlassung nicht ausführbar ist, bis zur Rückkehr in
Häfen des Bundes verschoben werden.
[4] Während des Restes der siebenjährigen Dienstzeit sind die Mannschaften
zur Reserve beurlaubt, insoweit nicht die jährlichen Uebungen, nothwendige Verstärkungen
oder Mobilmachungen des Heeres, beziehungsweise Ausrüstungen der Flotte, die Einberufung
zum Dienst erfordern.
[5] Jeder Reservist ist währen der Dauer des Reserveverhältnisses zur Theilnahme
an zwei Uebungen verpflichtet. Diese Uebungen sollen die Dauer von je acht Wochen nicht
überschreiten.
[6] Jede Einberufung zum Dienst im Heere, beziehungsweise zur Ausrüstung der
Flotte, zählt für eine Uebung.
§. 7.
[1] Die Verpflichtung zum Dienst in der Landwehr und in der
Seewehr ist von fünfjähriger Dauer.
[2] Der Eintritt in die Land- und Seewehr erfolgt nach abgeleisteter Dienstpflicht
im stehenden Heer, beziehungsweise in der Flotte.
[3] Die Mannschaften der Landwehr und der Seewehr sind, sofern sie nicht zum Dienst
einberufen werden, beurlaubt.
[4] Die Mannschaften der Landwehr-Infanterie können während der Dienstzeit in der
Landwehr zweimal auf 8 und 14 Tage zu Uebungen in besonderen Kompagnien oder Bataillonen
einberufen werden.
[5] Die Landwehrmannschaften der Jäger und Schützen, der Artillerie, der Pioniere
und des Trains üben zwar in demselben Umfange, wie die der Infanterie, jedoch im
Anschlusse an die betreffenden Linientruppentheile. Die Landwehr-Kavallerie wird im
Frieden zu Uebungen nicht einberufen.
§. 8.
[1] Die Einberufung der Reserve,
Landwehr und Seewehr zu den Fahnen, beziehungsweise zur Flotte, erfolgt auf Befehl des
Bundesfeldherrn.
[2] Durch die kommandirenden Generale erfolgt die Einberufung nur |
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a) zu den jährlichen Uebungen,
b) wenn Theile des Bundesgebietes in Kriegszustand erklärt werden. |
§. 9.
[1] Der Bundesfeldherr bestimmt für jedes Jahr nach Maaßgabe des
Gesetzes die Zahl der in das stehende Heer und in die Marine einzustellenden Rekruten. Der
Gesammtbedarf an Rekruten wird demnächst durch den Bundesausschuß für das Landheer und
die Festungen, beziehungsweise unter Mitwirkung des Bundesausschusses für das Seewesen,
auf die einzelnen Bundesstaaten nach dem Verhältniß der Bevölkerung vertheilt.
[2] Bei Feststellung der Bevölkerung der einzelnen Bundesstaaten kommen nur die in
deren Gebiete sich aufhaltenden Ausländer, nicht aber auch die Angehörigen anderer
Bundesstaaten in Abrechnung.
§. 10.
Um im Allgemeinen wissenschaftliche und gewerbliche Ausbildung so
wenig wie möglich durch die allgemeine Wehrpflicht zu stören, ist es jedem jungen Mann
überlassen, schon nach vollendetem 17ten Lebensjahre, wenn er die nöthige moralische und
körperliche Qualifikation hat, freiwillig in den Militairdienst einzutreten.
§. 11.
Junge Leute von Bildung, welche sich während ihrer Dienstzeit
selbst bekleiden, ausrüsten und verpflegen, und welche die gewonnenen Kenntnisse in dem
vorschriftsmäßigen Umfange dargelegt haben, werden schon nach einer einjährigen
Dienstzeit im stehender Heere vom tage des Diensteintrittes an gerechnet zur
Reserve beurlaubt. Sie können nach Maaßgabe ihrer Fähigkeiten und Leistungen zu
Offizierstellen der Reserve und Landwehr vorgeschlagen werden.
§. 12.
Die Offiziere der Reserve können währen der Dauer des
Reserveverhältnisses dreimal zu vier- bis achtwöchigen Uebungen herangezogen werden. Die
Offiziere der Landwehr sind zu Uebungen bei Linientruppentheilen allein Behufs Darlegung
ihrer Qualifikation zur Weiterbeförderung, im Uebrigen aber nur zu den gewöhnlichen
Uebungen der Landwehr hernazuziehen. Im Kriege können auch die Offiziere der
Landwehr erforderlichen Falls bei Truppen des stehenden Heeres verwandt werden.
§. 13.
Für die Marine gelten die nachfolgenden besonderen
Bestimmungen: |
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1) Zur Kriegsflotte, welche gleich dem stehenden Heere
beständig bereits ist, gehören: |
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a) die aktive Marine, d. h. die im aktiven Dienste befindlichen Seeleute,
Maschinisten und Heizer, sowie die Schiffshandwerker und Seesoldaten;
b) die von der aktiven Marine beurlaubte Seeleute, Maschinisten, Heizer, Schiffshandwerker
und Seesoldaten bis zum vollendeten siebenten Dienstjahre. |
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2) Die aktive Marine wird zusammengesetzt aus: |
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a) Seeleuten von Beruf, d. h. aus solchen Freiwilligen oder Ausgehobenen,
welche bei ihrem Eintritt in das dienstpflichtige Alter mindestens Ein Jahr auf
Norddeutschen Handelsschiffen gedient, oder die Seefischerei eben so lange gewerbsmäßig
betreiben haben;
b) aus freiwillig eingetretenem oder ausgehobenem Maschinen- und
Schiffshandwerks-Personal;
c) aus Freiwilligen oder Ausgehobenen für die Marinetruppen (Seebataillon und
Seeartillerie). |
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3) Die Dienstzeit in der aktiven Marine kann für Seeleute von
Berufs und für das Maschinenpersonal in Berücksichtigung ihrer technischen Vorbildung
und nach Maaßgabe ihrer Ausbildung für den Dienst auf der Kriegsflotte bis auf eine
einjährige aktive Dienstzeit verkürzt werden.
4) Junge Seeleute von Beruf und Maschinisten, welche beim Eintritt in das dienstpflichtige
Alter die Qualifikation zum einjährigen Freiwilligen erlangt, oder welche das
Steuermanns-Examen abgelegt haben, genügen ihrer Verpflichtung für die aktive Marine
durch einjährigen freiwilligen Dienst, ohne zur Selbstbekleidung und Selbstverpflegung
verpflichtet zu sein. Nach Maaßgabe ihrer Qualifikation sollen dieselben zu
Unteroffizieren, Deckoffizieren oder Offizieren der Reserve resp. der Seewehr
vorgeschlagen, beziehungsweise ernannt werden.
Die Seeoffiziere der Reserve und Seewehr können nach Maaßgabe des Bedürfnisses
dreimal zu den Uebungen der aktiven Marine herangezogen werden.
5) Seeleute, welche auf einem Norddeutschen Handelsschiffe nach vorschriftsmäßiger
Anmusterung thatsächlich in Dienst getreten sind, sollen in Friedenszeiten für die Dauer
der bei der Anmusterung eingegangenen Verpflichtung von allen Militairdienstpflichten
befreit werden, haben jedoch eintretenden Falls die letzteren nach ihrer Entlassung von
dem Handelsschiffe, bevor sie sich aufs Neue anmustern lassen, nachträglich zu erfüllen.
Ebenso sollen Seeleute währen der Zeit des Besuches einer Norddeutschen Navigationsschule
oder Schiffsbauschule im Frieden zum Dienst in der Flotte nicht herangezogen werden.
6) Bei ausbrechendem Kriege ist, außer den dienstpflichtigen Ersatzmannschaften, den
Beurlaubten und Reserven der Flotte, nöthigenfalls auch die Seewehr zum Dienst
einzuberufen.
7) Die Seewehr besteht: |
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a) aus den von der Marinereserve zur Seewehr entlassenen Mannschaften;
b) aus den sonstigen Marinedienstpflichtigen, welche der Flotte nicht gedient, und zwar
bis zum vollendeten einunddreißigsten Lebensjahre. |
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8) Für die vorstehend unter 7. b.
bezeichneten Dienstpflichtigen finden zeitweise kürzere Uebungen an Bord, namentlich
Behufs Ausbildung in der Schiffsartillerie, statt, und wird jeder dieser Verpflichteten in
der Regel zweimal zu diesen Uebungen herangezogen. |
§. 14.
Die in diesem Gesetz erlassenen Bestimmungen über die Dauer der
Dienstverpflichtung für das stehende Heer, resp. die Flotte und für die Land- resp.
Seewehr, gelten nur für den Frieden. Im Kriege entscheidet darüber allein das
Bedürfniß, und werden alsdann alle Abtheilungen des Heeres und der Marine, soweit sie
einberufen sind, von den Herangewachsenen und Zurückgebliebenen nach Maaßgabe des
Abganges ergänzt.
§. 15.
[1] Die beurlaubten Mannschaften des Heeres und der Marine
(Reserve, Landwehr, Seewehr) sind während der Beurlaubung den zur Ausübung der
militairischen Kontrole erforderlichen Anordnungen unterworfen.
[2] Im Uebrigen gelten für dieselben die allgemeinen Landesgesetze; auch sollen
dieselben in der Wahl ihres Aufenthaltsortes im In- und Auslande, in der Ausübung ihres
Gewerbes, rücksichtlich ihrer Verheirathung und ihrer sonstigen bürgerlichen
Verhältnisse Beschränkungen nicht unterworfen sein.
[3] Reserve-, land- und seewehrpflichtigen Mannschaften darf in der Zeit, in
welcher sie nicht zum aktiven Dienst einberufen sind, die Erlaubniß zur Auswanderung
nicht verweigert werden.
§. 16.
Der Landsturm tritt nur auf Befehl des Bundesfeldherrn zusammen,
wenn ein feindlicher Einfall Theile des Bundesgebietes bedroht oder überzieht.
§. 17.
[1] Jeder Norddeutsche wird in demjenigen Bundesstaate zur
Erfüllung seiner Militairpflicht herangezogen, in welchem er zur Zeit des Eintritts in
das militairpflichtige Alter seinen Wohnsitz hat, oder in welchem er vor erfolgter
endgültiger Entscheidung über seine aktive Dienstpflicht verzieht.
[2] Den Freiwilligen (§§. 10. und 11.) steht
die Wahl des Truppentheiles, bei welchem sie ihrer aktiven Dienstpflicht genügen wollen, innerhalb des Bundes frei.
[3] Reserve- und Landwehrmannschaften treten beim Verziehen von einem Staate in den
anderen zur Reserve, beziehungsweise Landwehr des letzteren über.
§. 18.
Die Bestimmungen über die allmälige Herabsetzung der
Dienstverpflichtung in denjenigen Bundesstaaten, in denen bisher eine längere als die in
diesem Gesetze vorgeschriebene Gesammtdienstzeit im Heere und in der Landwehr gesetzlich
war, werden durch den Bundesfeldherrn erlassen.
§. 19.
Die zur Ausführung dieses Gesetzes erforderlichen Bestimmungen
werden durch besondere Verordnungen erlassen.
Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem
Bundes-Insiegel.
Gegeben Berlin, den 9. November 1867.
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(L. S.) Wilhelm.
Gr. v. Bismarck-Schönhausen.
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