Verfassungsurkunde für das Königreich Württemberg

vom  25. September 1819


  Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Württemberg, thun kund und zu wissen für Uns und Unsere Nachfolger in der Regierung:
  Unseres in Gott ruhenden Herrn Vaters Majestät und Gnaden haben schon im Jahre 1815 auf die Errichtung einer Staats-Grund-Verfassung für das gesamte Königreich Württemberg ernstlichen Bedacht genommen, und zu diesem Ende mit den zu einer Stände-Versammlung einberufenen Fürsten, Grafen, Edelleuten, Geistlichen beider Hauptkonfessionen und den von einigen Städten, auch sämtlichen Oberamtsbezirken gewählten Abgeordneten Unterhandlungen eröffnen lassen, welche unter Unserer Regierung bis in das Jahr 1817 fortgesetzt wurden.
  Wiewohl damals der gewünschte Zweck nicht zu erreichen gewesen, so haben Wir denselben dennoch unverrückt im Auge behalten, und um einestheils der Uns, als einem Gliede des deutschen Bundes, obliegenden Verbindlichkeit zu Erfüllung des XIII. Artikels der Bundesakte, anderntheils den Wünschen und Bitten Unserer getreuen Unterthanen um endliche Begründung des öffentlichen Rechtszustandes übereinstimmend mit Unserer eigenen Ueberzeugung, zu entsprechen, eine neue Stände-Versammlung auf den 13. Juli gegenwärtigen Jahres in Unsere Residenzstadt Ludwigsburg berufen.
  Nachdem nun über den Entwurf einer den früheren vertrags- und gesetzmäßigen Rechten und Freiheiten Unseres alten Stammlandes, so wie der damit vereinigten neuen Landestheile zugleich aber auch den gegenwärtigen Verhältnissen möglichst angemessenen Grundverfassung die von der Stände-Versammlung hiezu besonders gewählten Mitglieder sich mit den von Uns ernannten Commissarien vorläufig beredet haben, und die hierüber erstatteten Berichte einerseits von Uns in Unserem Geheimen Rathe, andererseits von der vollen Stände-Versammlung vollständig und sorgfältig geprüft und erwogen, sodann die gesamten Wünsche Unserer getreuen Stände Uns vorgelegt worden sind, so ist endlich durch höchste Entschließung und allerunterthänigste Gegenerklärung eine vollkommene beiderseitige Vereinigung über folgende Punkte zu Stande gekommen:


  § 1  Sämtliche Bestandtheile des Königreichs sind und bleiben zu einem unzertrennlichen Ganzen und zur Theilnahme an Einer und derselben Verfassung vereinigt.

  § 2  Würde in der Folgezeit das Königreich einen neuen Landeszuwachs durch Kauf, Tausch oder auf andere Weise erhalten, so wird derselbe in die Gemeinschaft der Verfassung des Staates aufgenommen.
  Als Landeszuwachs ist alles anzusehen, was der König nicht bloß für Seine Person, sondern durch Anwendung der Staatskräfte oder mit der ausdrücklichen Bestimmung, daß es einen Bestandtheil des Königreichs ausmachen soll, erwirbt.
  Sollte ein unabwendbarer Nothfall die Abtretung eines Landestheiles unvermeidlich machen, so ist wenigstens dafür zu sorgen, daß den Eingesessenen des getrennten Landestheiles eine hinlängliche Zeitfrist gestattet wird, um sich anderwärts im Königreiche mit ihrem Eigenthume niederlassen zu können, ohne in Veräußerung ihrer Liegenschaften übereilt oder durch eine auf das mitzunehmende Vermögen gelegte Abgabe oder sonst auf andere Weise belästigt zu werden.

  § 3  Das Königreich Württemberg ist ein Theil des deutschen Bundes; daher haben alle organischen Beschlüsse der Bundesversammlung, welche die verfassungsmäßigen Verhältnisse Deutschlands oder die allgemeinen Verhältnisse deutscher Staatsbürger betreffen, nachdem sie von dem Könige verkündet sind, auch für Württemberg verbindende Kraft. Jedoch tritt in Ansehung der Mittel zu Erfüllung der hiedurch begründeten Verbindlichkeiten die verfassungsmäßige Mitwirkung der Stände ein.

Kapitel II.
Von dem Könige, der Thronfolge und der Reichsverwesung

  § 4  Der König ist das Haupt des Staates, vereinigt in sich alle Rechte der Staatsgewalt und übt sie unter den durch die Verfassung festgesetzten Bestimmungen aus.
  Seine Person ist heilig und unverletzlich.

  § 5  Der König bekennt sich zu einer der christlichen Kirchen.

  § 6  Der Sitz der Regierung kann in keinem Falle außerhalb des Königreichs verlegt werden.

  § 7  Das Recht der Thronfolge gebührt dem Mannsstamme des Königlichen Hauses; die Ordnung derselben wird durch die Lineal-Erbfolge nach dem Erstgeburtsrecht bestimmt. Erlischt der Mannsstamm, so geht die Thronfolge auf die weibliche Linie, ohne Unterschied des Geschlechtes, über, und zwar so, daß die Nähe der Verwandtschaft mit dem zuletzt regierenden Könige, und bei gleichem Verwandtschaftsgrade das natürliche Alter den Vorzug gibt. Jedoch tritt bei der Descendenz des sodann regierenden Königlichen Hauses das Vorrecht des Mannstammes wieder ein.

  § 8  Die Fähigkeit zur Thronfolge setzt regelmäßige Geburt aus einer ebenbürtigen, mit Bewilligung des Königes geschlossenen Ehe voraus.

  § 9  Die Volljährigkeit des Königes tritt mit zurückgelegtem achtzehnten Jahre ein.

  § 10  Der Huldigungs-Eid wird dem Thronfolger erst dann abgelegt, wann Er in einer den Ständen des Königreichs auszustellenden feierlichen Urkunde die unverbrüchliche Festhaltung der Landes-Verfassung bei Seinem Königlichen Worte zugesichert hat.

  § 11  Ist der König minderjährig oder aus einer anderen Ursache an der eigenen Ausübung der Regierung verhindert, so tritt eine Reichs-Verwesung ein.

  § 12  In beiden Fällen wird die Reichs-Verwesung von dem der Erbfolge nach nächsten Agnaten geführt. Sollte kein dazu fähiger Agnat vorhanden seyn, so fällt die Regentschaft an die Mutter, und nach dieser an die Großmutter des Königes von väterlicher Seite.

  § 13  Sollte sich bei einem zunächst nach dem regierenden Könige zur Erbfolge bestimmten Familiengliede eine solche Geistes- oder körperliche Beschaffenheit zeigen, welche demselben die eigene Verwaltung des Reichs unmöglich machen würde, so ist noch unter der Regierung des Königes durch ein förmliches Staatsgesetz über den künftigen Eintritt der gesetzmäßigen Reichs-Verwesung zu entscheiden.
  Würde der König während seiner Regierung oder bei dem Anfall der Thronfolge durch ein solches Hinderniß von der eigenen Verwaltung des Reiches abgehalten seyn, ohne daß schon früher die oben bestimmte Vorsehung getroffen wäre, so soll längstens binnen Jahresfrist in einer von dem Geheimen Rathe zu veranlassenden Versammlung sämtlicher im Königreich anwesenden volljährigen, nicht mehr unter väterlicher Gewalt stehenden Prinzen des Königlichen Hauses, mit Ausschluß des zunächst zur Regentschaft berufenen Agnaten, auf vorgängiges Gutachten des Geheimen Rathes, durch einen nach absoluter Stimmenmehrheit zu fassenden Beschluß, mit Zustimmung der Stände über den Eintritt der gesetzmäßigen Regentschaft entschieden werden.

  § 14  Der Reichs-Verweser hat eben so, wie der König, den Ständen die Beobachtung der Landesverfassung feierlich zuzusichern.

  § 15  Der Reichs-Verweser übt die Staats-Gewalt in dem Umfange, wie sie dem Könige zusteht, im Namen des Königes verfassungsmäßig aus; daher steht auch der Geheime Rath zum Reichs-Verweser in demselben Verhältnisse, wie zu dem regierenden Könige.
  Es kann aber der Reichs-Verweser keine Standes-Erhöhungen vornehmen, keine neuen Ritter-Orden und Hof-Aemter errichten, und kein Mitglied des Geheimen Rathes anders, als in Folge eines gerichtlichen Erkenntnisses, entlassen. Jede während einer Reichs-Verwesung verabschiedete Abänderung eines Verfassungspunktes gilt nur auf die Dauer der Regentschaft: Auch können die dem Reiche heimgefallenen Lehen während der Regentschaft nicht wieder verliehen werden.

  § 16  In Ermangelung einer von dem Könige getroffenen und dem Geheimen Rathe bekannt gemachten Anordnung gebührt die Erziehung des minderjährigen Königes der Mutter, und, wenn diese nicht mehr lebt, der Großmutter von väterlicher Seite; jedoch kann die Ernennung der Erzieher und Lehrer und die Festsetzung des Erziehungs-Planes nur unter Rücksprache mit dem Vormundschaftsrathe gesehen, welcher sich aus den Mitgliedern des Geheimen Rathes unter dem Vorsitze des Reichs-Verwesers bildet, so, daß Letzterer bei den deshalb zu fassenden Beschlüssen eine mitzuzählende und im Falle einer Stimmen-Gleichheit eine entscheidende Stimme hat. Bei einer Verschiedenheit der Ansichten hat der Vormundschafts-Rath die Entscheidung; auch liegt diesem nach dem Ableben der Mutter und der Großmutter die Sorge für die Erziehung des minderjährigen Königes alleine ob.

  § 17  Die Reichs-Verwesung hört auf, sobald der König das Alter der Volljährigkeit erreicht hat, oder sonst das bisherige Hinderniß Seiner Selbst-Regierung gehoben ist.

  § 18  Die Verhältnisses der Mitglieder des Königlichen Hauses zum Könige als Oberhaupt der Familie, und unter sich, werden in einem eigenen Hausgesetze bestimmt.


Kapitel III.
Von den allgemeinen Rechts-Verhältnisses der Staats-Bürger

  § 19  Das Staatsbürgerrecht wird theils durch Geburt, wenn bei ehelich Geborenen der Vater, oder bei Unehelichen die Mutter das Staatsbürgerrecht hat, theils durch Aufnahme erworben. Letztere setzt voraus, daß der Aufzunehmende von einer bestimmten Gemeinde die vorläufige Zusicherung des Bürger- oder Beisitz-Rechtes erhalten habe. Außerdem erfolgt durch die Anstellung in dem Staats-Dienste die Aufnahme in das Staatsbürgerrecht, jedoch nur auf die Dauer der Dienstzeit.

  § 20  Der Huldigungseid ist von jedem geborenen Württemberger nach zurückgelegtem 16. Jahre, und von jedem neu Aufgenommenen bei der Aufnahme abzulegen.

  § 21  Alle Württemberger haben gleiche staatsbürgerliche Rechte, und eben so sind sie zu gleichen staatsbürgerlichen Pflichten und gleicher Theilnahme an den Staats-Lasten verbunden, so weit nicht die Verfassung eine ausdrückliche Ausnahme enthält; auch haben sie gleichen verfassungsmäßigen Gehorsam zu leisten.

  § 22  Kein Staatsbürger kann wegen seiner Geburt von irgend einem Staats-Amte ausgeschlossen werden.

  § 23  Die Verpflichtung zur Vertheidigung des Vaterlandes und die Verbindlichkeit zum Waffendienste ist allgemein; es finden in letzterer Hinsicht keine andere als die durch die Bundes-Akte und die bestehenden Gesetze begründeten Ausnahmen statt.
  Ueber das Recht, Waffen zu tragen, wird ein Gesetz die nähere Bestimmung geben.

  § 24  Der Staat sichert jedem Bürger Freiheit der Person, Gewissens- und Denkfreiheit, Freiheit des Eigenthums und Auswanderungs-Freiheit.

  § 25  Die Leibeigenschaft bleibt für immer aufgehoben.

  § 26  Niemand darf seinem ordentlichen Richter entzogen und anders als in den durch das Gesetz bestimmten Fällen und in den gesetzlichen Formen verhaftet und bestraft, noch länger als Einmal 24 Stunden über die Ursache seiner Verhaftung in Ungewißheit gelassen werden.

  § 27  Jeder, ohne Unterschied der Religion, genießt im Königreiche ungestörte Gewissensfreiheit.
  Den vollen Genuß der staatsbürgerlichen Rechte gewähren die drei christlichen Glaubens-Bekenntnisse. Andere christliche und nicht christliche Glaubens-Genossen können zur Theilnahme an den bürgerlichen Rechten nur in dem Verhältnisse zugelassen werden, als sie durch die Grundsätze ihrer Religion an der Erfüllung der bürgerlichen Pflichten nicht gehindert werden.

  § 28  Die Freiheit der Presse und des Buchhandels findet in ihrem vollen Umfange statt, jedoch unter Beobachtung der gegen den Mißbrauch bestehenden oder künftig zu erlassenden Gesetze.

  § 29  Jeder hat das Recht, seinen Stand und sein Gewerbe nach eigener Neigung zu wählen, und sich dazu im In- und Auslande auszubilden, mithin auch auswärtige Bildungs-Anstalten in Gemäßheit der gesetzlichen Vorschriften zu besuchen.

  § 30  Niemand kann gezwungen werden, sein Eigenthum und andere Rechte für allgemeine Staats- oder Corporationszwecke abzutreten, als nachdem der Geheime Rath über die Nothwendigkeit entschieden hat, und gegen vorgängige volle Entschädigung. Entsteht aber ein Streit über die Summe der Entschädigung, und der Eigenthümer will sich bei der Entscheidung der Verwaltungs-Behörde nicht beruhigen, so ist die Sache im ordentlichen Rechtswege zu erledigen, einstweilen aber die von jener Stelle festgesetzte Summe ohne Verzug auszubezahlen.

  § 31  Ausschließliche Handels- und Gewerbs-Privilegien können nur zu Folge eines Gesetzes oder mit besonderer für den einzelnen Fall gültigen Bestimmung der Stände ertheilt werden.
  Dem Ermessen der Regierung bleibt überlassen, nützliche Erfindungen durch Patente zu deren ausschließlichen Benützung bis auf die Dauer von zehn Jahren zu belohnen.

  § 32  Jedem Staatsbürger steht frei, aus dem Königreiche, ohne Bezahlung einer Nachsteuer, auszuwandern, sobald er dem ihm vorgesetzten Beamten von seinem Vorsatze die Anzeige gemacht, seine Schulden und andere Obliegenheiten berichtigt, und hinreichende Versicherung ausgestellt hat, daß er innerhalb Jahresfrist gegen König und Vaterland nicht dienen, und eben so lange in Hinsicht auf die vor seinem Wegzuge erwachsenen Ansprüche vor den Gerichten des Königreichs Recht geben wolle.

  § 33  Durch den Wegzug verliert der Auswandernde sein Staatsbürgerrecht für sich und seine mit ihm wegziehenden Kinder.
   Das Vermögen derjenigen Kinder, welche nicht mit den Eltern auswandern, wird im Lande zurückbehalten.

  § 34  Wer ohne einen ihm zugestandenen Vorbehalt des Staatsbürgerrechts in auswärtige Staatsdienste tritt, wird desselben verlustig.

  § 35  Wer in einem fremden Staate seine bleibende Wohnung nimmt, kann sein Württembergisches Staatsbürgerrecht nur mit Königlicher Bewilligung und unter der Bedingung beibehalten, daß er den ihm obliegenden staatsbürgerlichen Pflichten in jeder Hinsicht Genüge leiste.

  § 36  Jeder hat das Recht, über gesetz- und ordnungswidriges Verfahren einer Staatsbehörde oder Verzögerung der Entscheidung bei der unmittelbar vorgesetzten Stelle schriftliche Beschwerde zu erheben, und nöthigenfalls stufenweise bis zur höchsten Behörde zu verfolgen.

  § 37  Wird die angebrachte Beschwerde von der vorgesetzten Behörde ungegründet gefunden, so ist letztere verpflichtet, den Beschwerdeführer über die Gründe ihres Urtheils zu belehren.

  § 38  Glaubt der Beschwerdeführer sich auch bei der Entscheidung der obersten Staatsbehörde nicht beruhigen zu können, so darf er die Beschwerde den Ständen mit der schriftlichen Bitte um Verwendung vortragen. Haben sich diese überzeugt, daß jene Stufenfolge beobachtet worden und die Beschwerde eine Berücksichtigung verdiene, so ist ihnen auf ihr Verlangen von dem Königlichen (Geheimen Rathe) die nöthige Auskunft über den Gegenstand zu ertheilen.

  § 39  Der ritterschaftliche Adel des Königreichs bildet zum Behuf der Wahl seiner Abgeordneten in die Stände-Versammlung und der Erhaltung seiner Familien in jedem der vier Kreise eine Körperschaft.

  § 40  Die Aufnahme in eine dieser Körperschaften hängt von ihrer Zustimmung und der Genehmigung des Königes ab. In Beziehung auf die Aufnahme adelicher Besitzer immatriculirter Ritter-Güter soll jedoch durch die Statute dieser Körperschaften das Nähere festgesetzt werden.

  § 41  Gedachte Statute erhalten auf eben die Art wie andere Landesgesetze verbindliche Kraft.

  § 42  Den Mitgliedern der Ritterschaft stehen alle allgemeinen staatsbürgerlichen Rechte zu.
  Die näheren Bestimmungen über die Ausübung der im 14ten Artikel der Bundes-Akte der Ritterschaft zugesicherten Rechte werden den Ständen mitgetheilt.


Kapitel IV.
Von den Staats-Behörden


A. Allgemeine Bestimmungen

  § 43  Die Staatsdiener werden, soferne nicht Verfassung oder besondere Rechte eine Ausnahme begründen, durch den König ernannt, und zwar - die Collegial-Vorstände ausgenommen - auf die Vorschläge der vorgesetzten Collegien, wobei jedesmal alle Bewerber aufzuzählen sind.

  § 44  Niemand kann ein Staatsamt erhalten, ohne zuvor gesetzmäßig geprüft und für tüchtig erkannt zu seyn. Landes-Eingeborene sind bei gleicher Tüchtigkeit vorzugsweise vor Fremden zu berücksichtigen.

  § 45  In den Dienst-Eid, welchen sämtliche Staatsdiener dem Könige abzulegen haben, ist die Verpflichtung aufzunehmen, die Verfassung gewissenhaft zu wahren.

  § 46  Kein Staatsdiener, der ein Richteramt bekleidet, kann aus irgend einer Ursache ohne richterliches Erkenntniß seiner Stelle entsetzt, entlassen oder auf eine geringere versetzt werden.

  § 47  Ein Gleiches hat bei den übrigen Staatsdienern statt, wenn die Entfernung aus der bisherigen Stelle wegen Verbrechen oder gemeiner Vergehen geschehen soll. Es kann aber gegen dieselben wegen Unbrauchbarkeit und Dienst-Verfehlungen, auch auf Collegial-Anträge der ihnen vorgesetzten Behörden und des Geheimen Raths die Entlassung oder Versetzung auf ein geringeres Amt durch den König verfügt werden; jedoch hat in einem solchen Falle der Geheime Rath zuvor die oberste Justizstelle gutächtlich zu vernehmen, ob in rechtlicher Hinsicht bei dem Antrage der Collegialstelle nichts zu erinnern sey.
  Nach diesem Grundsatze sind auch die Vorsteher und übrigen Beamten der Gemeinden und anderer Körperschaften zu behandeln.

  § 48  Die nämlichen Bestimmungen, wie bei Entlassungen und Versetzungen auf eine geringere Stelle treten bei Suspensionen ein, welche mit Verlust des Amts-Gehaltes verbunden sind.

  § 49  Versetzungen der Staatsdiener ohne Verlust an Gehalt und Rang können nur aus erheblichen Gründen und nach vorgängigem Gutachten des Departements-Chefs verfügt werden.

  § 50  Für die Staatsdiener, welche durch Krankheit oder Alter zu Führung ihres Amtes unfähig geworden sind, so wie für die Hinterbliebenen der Staatsdiener ist durch ein Gesetz gesorgt.

  § 51  Alle von dem Könige ausgehenden Verfügungen, welche die Staats-Verwaltung betreffen, müssen von dem Departements-Minister oder Chef contrasignirt seyn, welcher dadurch für ihren Inhalt verantwortlich wird.

  § 52  Außerdem ist jeder Departements-Minister oder Chef für dasjenige verantwortlich, was er für sich verfügt, oder was ihm vermöge des ihm zugewiesenen Geschäftskreises zu thun oder zu verfügen obliegt.

  § 53  Auf gleiche Weise (§ 52) sind auch die übrigen Staatsdiener und Behörden in ihrem Geschäftskreise verantwortlich; sie haben bei eigener Verantwortlichkeit nur die ihnen von den geeigneten Stellen in der ordnungsgemäßen Form zukommenden Anweisungen zu beobachten.
  Sind sie im Zweifel, ob die Stelle, welche ihnen einen Auftrag ertheilte, dazu competent sey, so haben sie darüber bei ihrer vorgesetzten Behörde anzufragen, sowie ihnen auch obliegt, wenn sie bei dem Inhalt einer höhern Verfügung Anstände finden, solche auf geziemende Weise, und unter Vermeidung jeder nachtheiligen Verzögerung, der verfügenden Stelle vorzutragen, im Fall eines beharrenden Bescheides aber die Verfügung zu befolgen.

B. Von dem Geheimen Rath insbesondere

  § 54  Der Geheime Rath bildet die oberste, unmittelbar unter dem Könige stehende und seiner Hauptbestimmung nach bloß berathende Staatsbehörde.

  § 55  Mitglieder des Geheimen Raths sind die Minister oder die Chefs der verschiedenen Departements und diejenigen Räthe, welche der König dazu ernennen wird.

  § 56  Die Verwaltungs-Departements, an deren Spitze die verschiedenen Minister stehen, sind folgende:
    das Ministerium der Justiz;
    das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten;
    das Ministerium des Innern; das des Kirchen- und Schulwesens;
    das Ministerium des Kriegswesens, und
    das Ministerium der Finanzen.

  § 57  Der König ernennt und entläßt die Mitglieder des Geheimen Rathes nach eigener freier Entschließung.
  Wird ein Mitglied des Geheimen Rathes entlassen, ohne daß Dienst-Entfernung gegen dasselbe gerichtlich erkannt wäre, so behält ein Minister viertausend Gulden an Pension, und ein anderes Mitglied des Geheimen Rathes die Hälfte seiner Besoldung, so ferne dem einen oder dem andern nicht durch Vertrag eine andere Summe, welche jedoch zwei Drittel des Gehalts nicht übersteigen wird, zugesichert worden ist.

  § 58  Alle dem Könige vorzulegenden Vorschläge der Minister in wichtigen Angelegenheiten, namentlich in solchen, welche auf die Staats-Verfassung, die Organisation der Behörden und die Abänderung der Territorial-Eintheilung oder auf die Staats-Verwaltung im Allgemeinen und die Normen derselben sich beziehen, wie auch in Gegenständen der Gesetzgebung und allgemeiner Verordnungen, so weit es sich von deren Erlassung, Abänderung, Aufhebung oder authentischen Erklärung handelt, müssen, so ferne nicht bei Gegenständen des Departements der auswärtigen Angelegenheit oder des Kriegswesens die Natur der Sache eine Ausnahme begründet, in dem Geheimen Rathe zur Berathung vorgetragen, und mit dessen Gutachten begleitet an den König gebracht werden.

  § 59  Uebrigens gehören zu dem Geschäftskreise des Geheimen Rathes als berathender Behörde
    1. alle ständischen Angelegenheiten;
    2. Anträge auf Entlassung oder Zurücksetzung eines Staatsdieners nach § 47;
    3. Competenz-Streitigkeiten zwischen den Justiz- und Verwaltungs-Behörden;
    4. die Verhältnisse der Kirche zum Staate oder auch Streitigkeiten einzelner Kirchen unter einander, wenn die Central-Stellen dieser Kirchen sich nicht vereinigen können;
    5. alles, was dem Geheimen Rathe von dem Könige zur Berathung besonders aufgetragen wird.

  § 60  Als entscheidende und verfügende Behörde wirkt der Geheime Rath
    1. bei Recursen von Verfügungen der Departements-Minister, wobei jedesmal die Vorstände des Ober-Tribunals zuziehen sind;
    2. bei Recursen von Straferkenntnissen der Administrativ-Stellen, wobei sechs Rechtsgelehrte zugegen seyn müssen, deren Zahl erforderlichen Falls durch Mitglieder des Ober-Tribunals vom Präsidenten abwärts zu ergänzen ist;
    3. im Falle des § 30.

  § 61  Kein Mitglied des Geheimen Rathes kann außer dem Falle, wenn der Gegenstand dasselbe persönlich angeht, von der Theilnahme an den collegialischen Berathschlagungen ausgeschlossen werden.


Kapitel V.
Von den Gemeinden und Amts-Körperschaften

  § 62  Die Gemeinden sind die Grundlage des Staats-Vereins. Jeder Staatsbürger muß daher, soferne nicht gesetzlich eine Ausnahme besteht, einer Gemeinde als Bürger oder Beisitzer angehören.

  § 63  Die Aufnahme der Gemeindebürger und Beisitzer hängt von der Gemeinde ab, unter Vorbehalt der gesetzmäßigen Entscheidung der Staats-Behörden in streitigen Fällen. Indessen setzt die Ertheilung des Bürger- und Beisitzrechtes die vorgängige Erwerbung des Staatsbürgerrechtes voraus.

  § 64  Sämtliche zu einem Oberamte gehörige Gemeinden bilden die Amts-Körperschaft. Veränderung der Oberamts-Bezirke ist Gegenstand der Gesetzgebung.

  § 65  Die Rechte der Gemeinden werden durch die Gemeinde-Räthe unter gesetzmäßiger Mitwirkung der Bürger-Ausschüsse, die Rechte der Amtskörperschaften durch die Amtsversammlungen verwaltet, nach Vorschrift der Gesetze und unter Aufsicht der Staats-Behörden.

  § 66  Keine Staats-Behörde ist befugt, über das Eigenthum der Gemeinden und Amtskörperschaften mit Umgehung oder Hintansetzung der Vorsteher zu verfügen.

  § 67  Weder die Amtskörperschaften noch einzelne Gemeinden sollen mit Leistungen und Ausgaben beschwert werden, wozu sie nicht vermöge der allgemeinen Gesetze oder kraft der Lagerbücher oder anderer besondern Rechts-Titel verbunden sind.

  § 68  Was nicht auf örtliche Bedürfnisse der Gemeinden oder Amtskörperschaften, sondern zu Erfüllung allgemeiner Landes-Verbindlichkeiten zu verwenden ist, kann nur auf das gesamte Land vertheilt werden.

  § 69  Sämtliche Vorsteher der Gemeinden und Amts-Körperschaften sind eben so wie die Staatsdiener auf Festhaltung der Verfassung und insbesondere auch auf Wahrung der dadurch begründeten Rechte der Gemeinden und Körperschaften zu verpflichten.


Kapitel VI.
Von dem Verhältnisse der Kirchen zum Staate

  § 70  Jeder der drei im Königreiche bestehenden christlichen Confessionen wird freie öffentliche Religionsübung und der volle Genuß ihrer Kirchen-, Schul- und Armenfonds zugesichert.

  § 71  Die Anordnungen in Betreff der innern kirchlichen Angelegenheiten bleiben der verfassungsmäßigen Autonomie einer jeden Kirche überlassen.

  § 72  Dem Könige gebührt das obersthoheitliche Schutz- und Aufsichtsrecht über die Kirchen. Vermöge desselben können die Verordnungen der Kirchengewalt ohne vorgängige Einsicht und Genehmigung des Staats-Oberhauptes weder verkündet noch vollzogen werden.

  § 73  Die Kirchendiener sind in Ansehung ihrer bürgerlichen Handlungen und Verhältnisse der weltlichen Obrigkeit unterworfen.

  § 74  Kirchen- und Schul-Diener, welche durch Altersschwäche oder eine ohne Hoffnung der Wiedergenesung andauernde Kränklichkeit zu Versehung ihres Amtes unfähig werden, haben Anspruch auf einen angemessenen lebenslänglichen Ruhe-Gehalt.

  § 75  Das Kirchen-Regiment der evangelisch-lutherischen Kirche wird durch das Königliche Consistorium und den Synodus nach den bestehenden oder künftig zu erlassenden verfassungsmäßigen Gesetzen verwaltet.

  § 76  Sollte in künftigen Zeiten sich der Fall ereignen, daß der König einer andern, als der evangelischen Confession, zugethan wäre, so treten alsdann in Hinsicht auf dessen Episopal-Rechte die dahin gehörigen Bestimmungen der früheren Religions-Reversalien ein.

  § 77  Die abgesonderte Verwaltung des evangelischen Kirchenguts des vormaligen Herzogthums Württemberg wird wieder hergestellt. Zu dem Ende wird ungesäumt eine gemeinschaftliche Commission niedergesetzt, welche zuvörderst mit der Ausscheidung des Eigenthums dieser Kirche in dem alten Land und mit Bestimmung der Theilnahme der Kirche gleicher Confession in den neuen Landestheilen sich zu beschäftigen und sodann über die künftige Verwaltungsart desselben Vorschläge zu machen hat.

  § 78  Die Leitung der innern Angelegenheiten der katholischen Kirche steht dem Landes-Bischoffe nebst dem Domkapitel zu. Derselbe wird in dieser Hinsicht mit dem Kapitel alle diejenigen Rechte ausüben, welche nach dem Grundsätzen des katholischen Kirchenrechts mit jener Würde wesentlich verbunden sind.

  § 79  Die in der Staatsgewalt begriffenen Rechte über die katholische Kirche werden von dem Könige durch eine aus katholischen Mitgliedern bestehende Behörde ausgeübt, welche auch bei Besetzung geistlicher Aemter, die von dem Könige abhängen, jedesmal um ihre Vorschläge vernommen wird.

  § 80  Die katholischen Kirchendiener genießen eben dieselben persönlichen Vorrechte, welche den Dienern der protestantischen Kirchen eingeräumt sind.

  § 81  Auch wird darauf Rücksicht genommen werden, daß katholische Geistliche, welche sich durch irgend ein Vergehen die Entsetzung vom Amte zugezogen haben, ohne zugleich ihrer geistlichen Würde verlustig geworden zu seyn, ihren hinreichenden Unterhalt finden.

  § 82  Die katholische Kirche erhält zu Bestreitung derjenigen kirchlichen Bedürfnisse, wozu keine örtlichen Fonds vorhanden sind, oder die vorhandenen nicht zureichen, und besonders für die Kosten der höheren Lehranstalten, einen eigenen, diesen Zwecken ausschließlich gewidmeten Kirchenfond. Zum Behufe der Ausscheidung desselben vom Staatsgut, und der näheren Bestimmung der künftigen Verwaltungsweise, wird auf gleiche Art, wie oben (§ 77) bei dem altwürttembergischen Kirchengute festgesetzt ist, eine Commission niedergesetzt werden.

  § 83  Was die in dem Königreiche befindlichen reformirten Kirchen-Gemeinden betrifft, so wird sowohl auf Verbesserung ihrer kirchlichen Einrichtungen und besonders ihrer Unterrichts-Anstalten, als auch auf Ausmittlung hinreichender Einkünfte zum Unterhalt ihrer Kirchen- und Schul-Diener und zu Bestreitung der übrigen kirchlichen Bedürfnisse gesorgt werden.

  § 84  Für Erhaltung und Vervollkommnung der höheren und niederen Unterrichts-Anstalten jeder Art und namentlich der Landes-Universität wird auch künftig auf das zweckmäßigste gesorgt.


Kapitel VII.
Von Ausübung der Staatsgewalt

  § 85  Der König vertritt den Staat in allen seinen Verhältnissen gegen auswärtige Staaten. Es kann jedoch ohne Einwilligung der Stände durch Verträge mit Auswärtigen kein Theil des Staats-Gebietes und Staats-Eigenthums veräußert, keine neue Last auf das Königreich und dessen Angehörige übernommen, und kein Landesgesetz abgeändert oder aufgehoben, keine Verpflichtung, welche den Rechten der Staatsbürger Eintrag thun würde, eingegangen, namentlich auch kein Handels-Vertrag, welcher eine neue gesetzliche Einrichtung zur Folge hätte, und kein Subsidien-Vertrag zu Verwendung der Königlichen Truppem in einem Deutschland nicht betreffenden Kriege geschlossen werden.

 § 86  Der König wird von den Traktaten und Bündnissen, welche von ihm mit auswärtigen Mächten angeknüpft werden, die Stände in Kenntniß setzen, sobald es die Umstände erlauben.

  § 87  Alle Subsidien und Kriegs-Contributionen, so wie andere ähnliche Entschädigungsgelder und sonstige Erwerbungen, welche dem König zu Folge eines Staats-Vertrags, Bündnisses oder Krieges zu Theil werden, sind Staats-Eigenthum.

  § 88  Ohne Beistimmung der Stände kann kein Gesetz gegeben, aufgehoben, abgeändert oder authentisch erläutert werden.

  § 89  Der König hat aber das Recht, ohne die Mitwirkung der Stände die zu Vollstreckung und Handhabung der Gesetze erforderlichen Verordnungen und Anstalten zu treffen und in dringenden Fällen zur Sicherheit des Staates das Nöthige vorzukehren.

  § 90  Eben diese Bestimmungen (§§ 88, 89) finden auch bei den Gesetzen, Verordnungen und Anstalten im Landes-Polizeiwesen Statt.

 § 91  Alle Gesetze und Verordnungen, welche mit einer ausdrücklichen Bestimmung der gegenwärtigen Verfassungs-Urkunde im Widerspruche stehen, sind hierdurch aufgehoben. Die übrigen sind der verfassungsmäßigen Revision unterworfen.

  § 92  Die Gerichtsbarkeit wird im Namen des Königs und unter dessen Oberaufsicht durch collegialisch gebildete Gerichte in gesetzlicher Instanzen-Ordnung verwaltet.

  § 93  Die Gerichte, sowohl die bürgerlichen, als die peinlichen, sind innerhalb der Grenzen ihres Berufes unabhängig.

  § 94  Der Königliche Fiskus wird in allen Privatrechtsstreitigkeiten bei den ordentlichen Gerichten Recht geben und nehmen.

  § 95  Keinem Bürger, der sich durch einen Akt der Staatsgewalt in seinem auf einen besonderen Titel beruhenden Privatrechte verletzt glaubt, kann der Weg zum Richter verschlossen werden.

  § 96  Die Erkenntnisse der Criminalgerichte bedürfen, um in Rechtskraft überzugehen, keiner Bestätigung des Regenten.

  § 97  Dagegen steht dem Könige zu, Straf-Erkenntnisse vermöge des Begnadigungs-Rechtes auf erforderten und erstatteten Bericht des erkennenden Gerichts aufzuheben oder zu mildern. Es sind daher die Criminalgerichte nicht nur verbunden, in schweren Fällen die Akten samt ihrer Erkenntnisse vor der Eröffnung desselben durch das Königliche  Justiz-Ministerium dem Könige zum Behuf einer etwaigen Begnadigung vorzulegen; sondern es kann auch nach Eröffnung des Erkenntnisses der Verurtheilte sich an die Gnade des Königs wenden.
  Auf gleiche Weise kann auch, wenn nach dem Gutachten des Königlichen Justiz-Ministeriums hinlängliche Gründe dazu vorhanden sind, vermöge des dem Könige zustehenden Abolitions-Rechts, noch ehe das Verbrechen oder Vergehen untersucht, oder über die Bestrafung erkannt worden ist, alles Verfahren gegen den Beschuldigten eingestellt und niedergeschlagen werden.
  Der König wird jedoch bei Ausübung sowohl des einen als des andern Rechtes darauf Rücksicht nehmen, daß dem Ansehen und der Wirksamkeit der Straf-Gesetze dadurch nicht zu nahe getreten werde.

  § 98  Die Strafe der Vermögens-Confiscation ist allgemein aufgehoben.

  § 99  Was die Militär-Verfassung betrifft, so wird die Zahl der zu Ergänzung des Königlichen Militärs jährlich erforderlichen Mannschaft mit den Ständen verabschiedet.

  § 100  Die Auswahl-Ordnung, die nähere Bezeichnung der übrigen Landes-Vertheidigungs-Anstalten und der Verbindlichkeit der Staatsbürger, sich außerhalb des regulären Militärs zu dem Waffendienste tüchtig zu machen, die bürgerlichen Verhältnisse der unter dem Militär befindlichen Staats-Angehörigen, die militärischen Straf-Gesetze, wie auch die Bestimmung der Fälle, in welchen das Königliche Militär ausnahmsweise bei den Bürgern einquartirt werden kann, sind Gegenstände der Gesetzgebung und Gesetz-Revision.

  § 101  Für die Unterstützung der Militär-Personen, welche im Dienste des Vaterlandes ihre Kräfte aufgeopfert haben, so wie ihrer Hinterbliebenen, ist durch ein Gesetz gesorgt.


Kapitel VIII.
Von dem Finanzwesen

  § 102  Sämtliche zu dem vormaligen Herzoglich-Württembergischen Familien-Fidei-Commisse gehörigen, so wie die von dem Könige neu erworbenen Grundstücke, Gefälle und nutzbaren Rechte, bilden, mit Ausschluß des sogenannten Hof-Domainen-Kammer-Guts, das Königliche Kammer-Gut.

  § 103  Auf demselben haftet die Verbindlichkeit, neben den persönlichen Bedürfnissen des Königes als Staats-Oberhauptes und der Mitglieder des Königlichen Hauses, auch den mit der Staats-Verwaltung verbundenen Aufwand, so weit es möglich ist, zu bestreiten; es kommt ihm daher die Eigenschaft eines von dem Königreich unzertrennlichen Staats-Gutes zu.

  § 104  Für den Aufwand, welchen die Bedürfnisse des Königes und der Hofstaat erfordern, wird auf die Regierungs-Zeit eines jeden Königes eine theils in Geld, theils in Naturalien bestehende Civil-Liste verabschiedet, deren Betrag in bestimmten Raten an die von dem Könige zu benennende Verwaltungs-Stelle abgegeben wird.

  § 105  Die Appanagen, Wittume, Heirathgüter und andere dergleichen Leistungen, welche die Mitglieder des Königlichen Hauses in Anspruch zu nehmen haben, werden an diese von der Staatskasse unmittelbar entrichtet.

  § 106  Die Kosten der Hofhaltung des Reichs-Verwesers werden aus den Mitteln der Civil-Liste bestritten; die Appanage desselben wird bis zum Betrag der einem Kronprinzen gebührenden erhöht.

  § 107  Das Kammer-Gut ist in seinem wesentlichen Bestande zu erhalten, und kann daher ohne Einwilligung der Stände weder durch Veräußerung vermindert, noch mit Schulden oder sonst mit einer bleibenden Last beschwert werden.
  Als eine Verminderung des Kammerguts ist es jedoch nicht anzusehen, wenn zu einer entschieden vortheilhaften Erwerbung ein Geld-Anlehen aufgenommen oder zum Vortheil des Ganzen eine Veräußerung oder Austauschung einzelner minder bedeutender Bestandtheile desselben vorgenommen wird. Es muß aber den Ständen in jedem Jahre eine genaue Berechnung über den Erlös aus solchen Veräußerungen und über dessen Wieder-Verwendung zum Grundstocke vorgelegt werden.
  Auch ist unter Veräußerung der Fall nicht begriffen, wenn vom Könige ein heimfallendes Lehen zur Belohnung ausgezeichneter Verdienste um den Staat wieder verliehen wird.

  § 108  Das oben (§ 102) erwähnte Hof-Domänen-Kammergut ist ein Privat-Eigenthum der Königlichen Familie, dessen Verwaltung und Benutzung dem Könige zusteht; der Grundstock darf nicht vermindert werden; es gelten jedoch, was die Aufnahme von Geld-Anlehen zu einer vortheilhaften Erwerbung und die Veräußerung oder Austauschung einzelner minder bedeutenden Bestandtheile zum Vortheil des Ganzen betrifft, die in dem vorigen § bei dem Kammergut angegebenen Verwaltungs-Grundsätze. Zu den allgemeinen Landes-Lasten liefert das Hof-Domänen-Kammergut seinen Beitrag, und zwar, so weit es bisher steuerfrei war, gleich andern früher steuerfreien Gütern.

  § 109  Soweit der Ertrag des Kammerguts nicht zureicht, wird der Staatsbedarf durch Steuern bestritten. Ohne Verwilligung der Stände kann weder in Kriegs- noch in Friedenszeiten eine direkte oder indirekte Steuer ausgeschrieben und erhoben werden.

  § 110  Dem Ansinnen einer Steuer-Verwilligung muß jedesmal eine genaue Nachweisung über die Nothwendigkeit oder Nützlichkeit der zu machenden Ausgaben, über die Verwendung der früheren Staats-Einnahmen und über die Unzulänglichkeit der Kammer-Einkünfte vorangehen.

  § 111  Zu dem Ende hat der Finanzminister den Haupt-Etat den Ständen zur Prüfung vorzulegen. Die einzelnen Minister haben die Ausgaben für ihre Ministerien zu erläutern.

  § 112  Der von den Ständen anerkannte und angenommene Haupt-Etat ist in der Regel auf drei Jahre gültig.

  § 113  Die Verwilligung der Steuern darf nicht an Bedingungen geknüpft werden, welche die Verwendung dieser Steuern nicht unmittelbar betreffen.

  § 114  Die auf einen gewissen Zeitraum verwilligten Jahres-Steuern werden nach Ablauf dieses Zeitraumes, in gleichem Maße, auch im ersten Drittel des folgenden Jahres auf Rechnung der neuen Verwilligung eingezogen.

  § 115  Die verwilligten Steuern werden auf die Amts-Körperschaften ausgeschrieben und von diesen sowohl auf die einzelnen Gemeinden als auch auf die in keinem Gemeinde-Verbande stehenden Güterbesitzer vertheilt. Letztere liefern ihre Steuer-Antheile unmittelbar an die Amts-Pfleger.

  § 116  Von den Amts-Pflegern sowie von den Ober-Einbringern der indirekten Steuern werden die Steuer-Gelder theils an die Staats-Casse, theils an die Schulden-Zahlungs-Casse nach der deshalb bei der Verwilligung zu treffenden Verabschiedung eingeliefert. Die erwähnten Steuer-Einnehmer sind dafür verantwortlich, daß sie die eingehenden Steuer-Gelder unter keinem Vorwand an eine andere, als an die durch die Verabschiedung bestimmte Casse, oder auf eine von derselben im gesetzlichen Wege ausgestellten Anweisung verabfolgen.

  § 117  Die höhere Leitung des Einzugs der direkten und indirekten Steuern ist einer Central-Behörde übertragen. Diese hat die Akkorde über indirekte Steuern zu schließen, die Repartition der direkten zu unterwerfen, für deren Beitreibung zu sorgen, über Steuer-Nachlässe nach verabschiedeten Grundsätzen Anträge zu machen, und diese, so wie die Steuer-Repartition, dem Finanz-Ministerium vorzulegen.

  § 118  Das Finanz-Ministerium hat den Ständen die ihm vorgelegte Steuer-Repartition, sowie monatlich den Cassen-Bericht über die eingegangenen Steuern und etwaigen Ausstände mitzutheilen.

  § 119  Die Staats-Schuld, worunter auch diejenige begriffen ist, welche derzeit noch auf den neuen Landestheilen haftet, ist unter die Gewährleistung der Stände gestellt.

  § 120  Die Schulden-Zahlungs-Casse wird nach den Normen eines zu verabschiedenden Status von ständischen, durch die Regierung bestätigten Beamten, unter Leitung und Verantwortlichkeit der Stände, verwaltet.

  § 121  Es werden dem ständischen Ausschusse monatliche Cassenberichte gedoppelt ausgefertigt übergeben, und jener hat jedesmal ein Exemplar dem Finanz-Ministerium mitzutheilen.

  § 122  Der Regierung steht vermöge des Ober-Aufsichts-Rechtes frei, von dem Zustande dieser Casse zu jeder Zeit Einsicht nehmen zu lassen.

  § 123  Die Jahres-Rechnung über dieselbe wird von einer Königlichen und ständischen Commission abgehört, das Resultat aber öffentlich durch den Druck bekannt gemacht.


Kapitel IX.
Von den Landständen

  § 124  Die Stände sind berufen, die Rechte des Landes in dem durch die Verfassung bestimmten Verhältnisse zum Regenten geltend zu machen. Vermöge dieses Berufes haben sie bei Ausübung der Gesetzgebungs-Gewalt durch ihre Einwilligung mitzuwirken, in Beziehung auf Mängel oder Mißbräuche, die sich bei der Staats-Verwaltung ergeben, ihre Wünsche, Vorstellungen und Beschwerden dem Könige vorzutragen, auch wegen verfassungswidriger Handlungen Klage anzustellen, die nach gewissenhafter Prüfung für nothwendig erkannten Steuern zu verwilligen, und überhaupt das unzertrennliche Wohl des Königes und des Vaterlandes mit treuer Anhänglichkeit an die Grundsätze der Verfassung zu befördern.

  § 125  Angelegenheiten, welche der (§ 124) angegebenen Bestimmung zu Folge, vor die gesamten Stände gehören, werden in keinem Falle, weder von dem Könige und der Regierung, noch von den Land-Ständen und dem ständischen Ausschusse, an einzelne Stände gebracht, oder die Erklärung einzelner ständischer Mitglieder, Stände oder Oberamtsbezirke darüber eingefordert werden.

  § 126  Der (Geheime Rath) ist die Behörde, durch welche sowohl der König seine Eröffnungen an die Stände erlassen wird, als auch letztere ihre Erklärungen, Bitten und Wünsche an den König zu bringen haben.
  Der (Geheime Rath) hat dieselben jedesmal dem Könige vorzulegen, wenn er nicht Anstände dabei findet, welche ihn veranlassen, vor der Vorlegung an den König mit den Landständen Rücksprache zu nehmen.
  Die Anträge der Stände sind von ihm mit seinen auf die Verfassung gegründeten Berichten und Gutachten zu begleiten.

  § 127  Der König wird alle drei Jahre die Versammlung der Stände (Landtag) einberufen; und außerordentlicherweise, so oft es zur Erledigung wichtiger oder dringender Landes-Angelegenheiten erforderlich ist.
  Auch werden bei jeder Regierungs-Veränderung die Stände innerhalb der ersten vier Wochen versammelt werden.

  § 128  Die Stände theilen sich in zwei Kammern.

  § 129  Die ersten Kammer (Kammer der Standesherrn) besteht:
    1) aus den Prinzen des Königlichen Hauses;
    2) aus den Häuptern der fürstlichen und gräflichen Familien, und den Vertretern der standesherrlichen Gemeinschaften, auf deren Besitzungen vormals eine Reichs- oder Kreistags-Stimme geruht hat;
    3) aus den von dem Könige erblich oder auf Lebenszeit ernannten Mitgliedern.

  § 130  Zu erblichen Mitgliedern wird der König nur solche Gutsbesitzer aus dem standesherrlichen oder ritterschaftlichen Adel ernennen, welche von einem mit Fidei-Commiß belegten, nach dem Rechte der Erstgeburt sich vererbenden Grundvermögen im Königreiche, nach Abzug der Zinsen aus den darauf haftenden Schulden, eine jährliche Rente von sechstausend Gulden beziehen.

  § 131  Die lebenslänglichen Mitglieder werden vom Könige, ohne Rücksicht auf Geburt und Vermögen, aus den würdigsten Staatsbürgern ernannt.

  § 132  Die Zahl sämtlicher von dem Könige erblich oder auf lebenslang ernannten Mitgliedern kann den dritten Theil der übrigen Mitglieder der ersten Kammer nicht übersteigen.

  § 133  Die zweite Kammer (Kammer der Abgeordneten) ist zusammengesetzt:
    1) aus 13 Mitgliedern des ritterschaftlichen Adels, welche von diesem aus seiner Mitte gewählt werden;
    2) aus den sechs protestantischen General-Superintendenten;
    3) aus dem Landesbischoff, einem von dem Domkapitel aus dessen Mitte gewählten Mitgliede, und dem der Amtszeit nach ältesten Dekan katholischer Confession;
    4) aus dem Kanzler der Landes-Universität;
    5) aus einem gewählten Abgeordneten von jeder der Städte Stuttgart, Tübingen, Ludwigsburg, Ellwangen, Ulm, Heilbronn und Reuttlingen;
    6) aus einem gewählten Abgeordneten von jedem Oberamts-Bezirke.

  § 134  Der Eintritt in die erste Kammer geschieht bei den Prinzen des Königlichen Hauses und den übrigen erblichen Mitgliedern nach zurückgelegtem Alter der Minderjährigkeit, deren Dauer bei den ersteren von der hausgesetzlichen, bei den letzteren von der gemeinrechtlichen Bestimmung abhängt.
  In die zweite Kammer kann keiner gewählt werden, welcher noch nicht das dreißigste Lebensjahr zurückgelegt hat.

  § 135  Die allgemeinen Erfordernisse eines Mitglieds der Stände-Versammlung sind folgende:
    1) dasselbe muß (einem der drei christlichen Glaubens-Bekenntnisse angehören und) das württembergische Staatsbürgerrecht haben;
    2) dasselbe darf weder in eine Criminal-Untersuchung verflochten noch durch gerichtliches Erkenntniß zur Dienst-Entsetzung, zur Vestungs-Strafe mit Zwang zu öffentlichen Arbeiten oder angemessener Beschäftigung, oder zum Zuchthaus verurtheilt worden, oder wegen eines angeschuldigten Verbrechens blos von der Instanz entbunden seyn;
    3) es darf kein Concurs gegen dasselbe gerichtlich eröffnet seyn; und selbst nach geendigtem Concurs-Verfahren dauert seine Unfähigkeit fort, wenn es wegen Vermögens-Zerrüttung gestraft worden ist. Jedoch werden die erblichen Mitglieder der ersten Kammer durch die Erkennung einer Debit-Commission von der Stimmführung nicht ausgeschlossen, wenn ihnen eine Competenz von wenigstens Zweitausend Gulden ausgesetzt ist. Endlich
    4) darf ein Mitglied der Stände-Versammlung weder unter väterlicher Gewalt, noch unter Vormundschaft (noch unter Privat-Dienstherrschaft) stehen.

  § 136  Die dreizehn ritterschaftlichen Mitglieder der zweiten Kammer werden von den immatriculirten Besitzern oder Theilhabern der Rittergüter nach den vier Kreisen des Königreichs, in den Kreisstädten, unter der Leitung des betreffenden Regierungs-Präsidenten mit Zuziehung zweier Mitglieder der Ritterschaft, aus sämtlichen Mitgliedern ritterschaftlicher Familien gewählt.

  § 137 Die Abgeordneten von den Städten, die eigenes Landstandschaftsrecht haben, und von den Oberamts-Bezirken werden durch die besteuerten Bürger jeder einzelnen Gemeinde gewählt.

  § 138  Die Zahl der Wählenden verhält sich zur Zahl der sämtlichen Bürger einer Gemeinde wie eins zu sieben, sodaß z.B. auf 140 Bürger (ungefähr 700 Einwohner) zwanzig Wahlmänner kommen.

  § 139  Zwei Drittheile der Wahlmänner bestehen aus denjenigen Bürgern, welche im nächstvorhergegangenen Finanzjahre die höchste ordentliche directe Steuer, sey es aus eigenem oder aus nutznießlichem Vermögen, an den Staat zu entrichten hatten. Diese werden jedesmal vor Anstellung einer Wahl von dem Ortsvorsteher nebst dem Steuer-Einbringer, dem Obmann des Bürger-Ausschusses und dem Rathsschreiber, oder wenn dessen Amt mit der Stelle eines Ortsvorstehers vereinigt ist, dem ersten Gemeinde-Rath aus dem Steuer-Register als Wahlmänner ausgezeichnet.

 § 140  Das letzte Drittheil der Wahlmänner wird von den übrigen Steuer-Contribuenten, unter der Leitung des Ortsvorstehers mit Zuziehung der (§ 139) erwähnten Personen gewählt. Die Stimmen müssen einzeln im Durchgang abgegeben werden.

  § 141  Die Liste der Wahlmänner, sowohl derjenigen, welche wegen der Größe ihres Steuer-Antheiles von selbst zur Wahl berechtigt sind, als der gewählten, wird der Gemeinde bekannt gemacht.

  § 142  Zur Ausübung des Wahlrechts jeder Art werden eben die persönlichen Eigenschaften erfordert, welche nach § 135 der Abzuordnende selbst haben muß, nur mit der Ausnahme, daß das Alter der Volljährigkeit hineinreicht.

  § 143  Eine gültige Wahl kommt nur durch die Abstimmung von wenigstens zwei Drittheilen der Wahlberechtigten zu Stande.
  Die Ausübung des Wahlrechts kann nicht durch einen Bevollmächtigten geschehen, den Fall ausgenommen, wenn der Wahlberechtigte durch Dienstverhältnisse verhindert wird, sich am Wahlorte einzufinden.

  § 144  Die Wahlen geschehen nach relativer Stimmenmehrheit; jedoch darf diese niemals weniger als den dritten Theil der abgegebenen Stimmen betragen. Nur in dem Falle des § 140 findet die letztere Beschränkung nicht Statt.
  Im Falle der Stimmen-Gleichheit zwischen zwei Gewählten geht der Aeltere dem Jüngeren vor.
  Niemand kann sich selbst die Stimme geben.

  § 145  Wer in mehreren Kreisen als Rittergutbesitzer (oder in mehreren Orten als Gemeindebürger) besteuert wird, kann in mehren Kreisen (oder Gemeinden) das Wahlrecht ausüben.

  § 146  Wählbar ist jeder, welchem die (oben §§ 134 und 135) vorgeschriebenen Eigenschaften nicht fehlen. Jedoch können Staatsdiener nicht innerhalb des Bezirks ihrer Amts-Verwaltung, und Kirchendiener nicht innerhalb des Oberamts-Bezirkes, in welchem sie wohnen, gewählt werden und eine anderwärts auf sie gefallene Wahl nur mit Genehmigung der ihnen vorgesetzten höchsten Behörde annehmen.
  Auch können weder die Häupter der standesherrlichen Familien, noch die Rittergutsbesitzer (§ 136) gewählt werden.

  § 147  Die Wahlmänner eines Kreises, eines Oberamts oder einer Stadt sind in Ansehung der Person des Abgeordneten nicht auf ihren Wahlbezirk beschränkt; sie können auch einem anderswo im Königreiche wohnenden Staatsbürger ihre Stimme geben. Wer aber an mehreren Orten gewählt worden ist, kann nur Eine der auf ihn gefallenen Wahlen annehmen.

  § 148  Tritt der Fall ein, daß Vater und Sohn zugleich Mitglieder der Stände-Versammlung werden, so wird, wenn der Vater nicht aus eigener Entschließung zurücktritt, der Sohn durch denselben ausgeschlossen.

 § 149  Was das Wahlverfahren betrifft, so müssen von den Städten und Oberamts-Bezirken längstens binnen acht Tagen von der Zeit an, da das Einberufungs-Rescript zu ihrer amtlichen Kenntniß gekommen ist, die Listen sämtlicher Wahlmänner an das Oberamt geschickt werden; worauf sodann von letzterer Behörde längstens binnen zehn Tagen, von dem Empfange jenes Rescripts an gerechnet, ein Wahltermin zu bestimmen ist, dessen Bekanntmachung acht Tage vor dem Eintritt geschehen muß.

  § 150  Die Wahl geschieht in der Amtsstadt durch die persönlich anwesenden Wahlmänner vermittelst der Uebergabe eines von ihnen geschriebenen oder wenigstens unterschriebenen, oder wenn der Wahlmann nicht schreiben kann, mit dessen beglaubigtem Handzeichen, statt der Unterschrift versehenen Stimmzettels.

  § 151  Die Leitung der Wahl steht dem Oberamtmann zu, bei den zu eigener Landstandschaft berechtigten Städten unter Zuziehung eines aus wenigstens vier Personen bestehenden Ausschusses von dem Stadtrathe und dem Bürger-Ausschusse; bei den Oberamts-Bezirken besteht dieser Ausschuß aus vier Mitgliedern der Amtsversammlung, nebst einem Mitgliede des Bürger-Ausschusses von der Stadt und einem von dem Lande; das Protokoll hat der betreffende Aktuar zu führen.
  Die Mitglieder dieses Ausschusses sind nicht wählbar in ihrem Bezirke, und eben so wenig bei den Wahlen der Ritterschaft die zur Leitung der Wahlhandlung zuzuziehenden ritterschaftlichen Mitglieder (§ 136).

  § 152  Die Wahlhandlung darf nicht über drei Tage dauern, welche sich in ununterbrochener Reihe folgen müssen.

  § 153  Kann oder will der Gewählte die Wahl nicht annehmen, so kann der nächste in der Stimmenzahl für ihn eintreten, vorausgesetzt, daß dieser nicht weniger als den dritten Theil der abgelegten Stimmen erhalten hat; außerdem muß eine neue Wahl vorgenommen werden.
  Das Letzte muß auch dann geschehen, wenn nach bereits angenommener Wahl die Stelle des Abgeordneten wieder erledigt wird.

  § 154  Nach dem Schlusse der Wahlhandlung muß für den Gewählten zu dessen Legitimation eine Wahlurkunde mit der Unterschrift sämtlicher zur Leitung und Beurkundung der Wahl zugegen gewesenen Personen ausgefertigt werden.

  § 155  Der Gewählte ist als Abgeordneter, nicht des einzelnen Wahlbezirkes, sondern des ganzen Landes anzusehen.
  Es kann ihm daher auch keine Instruktion, an welche er bei seinen künftigen Abstimmungen in der Stände-Versammlung gebunden wäre, ertheilt werden.

  § 156  Die Mitglieder beider Kammern haben ihr Stimmrecht in Person auszuüben; nur den erblichen Mitgliedern der ersten Kammer ist gestattet, ihre Stimme einem andern in der Versammlung anwesenden Mitgliede dieser Kammer, oder einem Sohne, oder dem sonstigen präsumtiven Nachfolger in der Standesherrschaft zu übertragen.
  Dieses besondere Recht der Stimm-Uebertragung kann auf gleiche Weise auch für einen wegen Minderjährigkeit oder anderer persönlichen Unfähigkeit unter Vormundschaft stehenden Standesherren von dessen Vormund ausgeübt werden.
  In jedem Fall aber kann ein Mitglied der ersten Kammer oder ein Stellvertreter desselben niemals mehr als eine übertragene Stimme führen.

  § 157 Alle sechs Jahre muß eine neue Wahl der Abgeordneten, welche nicht Amtshalber Sitz und Stimme in der zweiten Kammer haben, vorgenommen werden; die bisherigen sind wieder wählbar.

  § 158  Während dieses sechsjährigen Zeitraumes erfolgt der Austritt eines Mitgliedes der Kammer, außer dem Falle des freiwilligen Entschlusses oder der gerichtlich erkannten Ausschließung (§ 199) nur dann, wenn
    1. ein Mitglied das Grundvermögen, den Stand oder das Amt, worauf dessen Befähigung beruht, zu besitzen aufhört;
    2. wenn das Mitglied in der Zwischenzeit eine der oben (§ 135) festgesetzten Eigenschaften verliert.
  In solchen Fällen wird, wenn das austretende Mitglied ein gewählter Abgeordneter war, eine neue Wahl von einem neuen Wahl-Collegium vorgenommen.

  § 159  Die Mitglieder beider Kammern haben sich vor Eröffnung des Landtages zu legitimiren, und zu dem Ende einige Tage vor dem in dem Einberufungs-Rescripte vorgeschriebenen Termin an dem bestimmten Orte der Versammlung sich einzufinden. Die Legitimation geschieht für den ersten künftigen Landtag auf die bisher übliche Weise, in der Folge aber bei dem ständischen Ausschusse (§ 187) durch Vorlegung des Einberufungsschreibens, welches in dem (§ 156) erwähnten Falle der Stimm-Uebertragung mit der hierauf gerichteten Vollmacht begleitet seyn muß, und vermittelst der Wahlurkunde.
  Die zur Versammlung aufs neue gewählten Mitglieder des Ausschusses selbst werden zur Prüfung ihrer eigenen Legitimation durch die zuerst legitimirten Abgeordneten ersetzt.
  Es hängt von dem Könige ab, zu dem Legitimations-Geschäfte Commissarien abzuordnen.

  § 160  Die erste Kammer wird durch die Anwesenheit der Hälfte, die zweite Kammer durch das Erscheinen von zwei Drittheilen ihrer Glieder als vollständig besetzt angesehen.
  Der ständische Ausschuß hat am Tage vor dem in dem Einberufungsschreiben bestimmten Termin dem Geheimen Rathe von dem Erfolge des Legitimations-Geschäfts Anzeige zu machen.
  Der König wird hierauf, wenn jene Zahl durch solche Abgeordnete erfüllt ist, bei deren Legitimation sich kein Anstand gefunden hat, den Landtag in den für diesen Fall vereinigten Kammern eröffnen, wobei der vom Könige ernannte Präsident der ersten Kammer, oder, wenn noch keiner ernannt, derjenige, welcher es bei der vorigen Versammlung war, die Stelle des Vorstandes vertritt.
  Die Legitimation der etwa später eintreffenden Mitglieder, so wie die Erledigung der noch übrigen Legitimations-Anstände, geschieht bei der betreffenden Kammer. Das Resultat muß dem Geheimen Rathe vorgelegt werden; auch ist der andern Kammer davon Nachricht zu ertheilen.

  § 161  Sollte bei Einberufung eines Landtages eine der beiden Kammern nicht in der nach § 160 erforderlichen Anzahl zusammen kommen, so wird sie als einwilligend in die Beschlüsse der andern angesehen. Jedoch steht es in diesem Falle den erschienenen Mitgliedern der unvollzähligen Kammer frei, den Sitzungen der andern mit Stimmrecht beizuwohnen.

  § 162  In der ersten Kammer nehmen die Prinzen des Königlichen Hauses den ersten Platz ein; auf sie folgen die Standesherren, beide unter sich nach ihrem sonst bestehenden Range; sodann die übrigen erblichen und die auf Lebenszeit vom König ernannten Mitglieder, nach der Zeit ihrer Ernennung.
  In der zweiten Kammer sitzen die verschiedenen Classen, woraus sie zusammengesetzt ist, in der § 187 angegebenen Ordnung; unter den Gliedern jeder einzelnen Classe entscheidet, je nach Beschaffenheit derselben, das Amts- oder das Lebens-Alter, und unter den Geistlichen katholischer Confession der Vorzug der Amtswürde.
  Die Abstimmungen geschehen nach der Sitz-Ordnung, jedoch so, daß in der zweiten Kammer bei dem Stimmen-Aufrufe immer zwischen den vier ersten und den zwei übrigen Classen gewechselt wird, bis jene erschöpft sind.

  § 163  Jedes Mitglied der ersten und der zweiten Kammer hat bei seinem erstmaligen Eintritte in dieselbe den Stände-Eid abzulegen. Dieser lautet so:
    "Ich schwöre, die Verfassung heilig zu halten, und in der Stände-Versammlung das unzertrennliche Wohl des Königs und des Vaterlandes, ohne alle Nebenrücksicht, nach meiner eigenen Ueberzeugung, treu und gewissenhaft zu berathen. So wahr mir Gott helfe!"
  Der Stände-Eid wird von einem bei Eröffnung eines Landtages neu eintretenden Mitglied in die Hände des Königs selbst oder des zur Eröffnung bevollmächtigten Ministers, außerdem in die Hände des Präsidenten einer jeden Kammer abgelegt.

  § 164  Der Vorstand der Stände-Versammlung besteht aus einem Präsidenten und einem Vice-Präsidenten in jeder der beiden Kammern. Das Amt desselben dauert bis zum Ablaufe des sechsjährigen Zeitraumes (§ 157).
  Den Präsidenten der ersten Kammer ernennt der König ohne Vorschlag; für die Stelle des Vice-Präsidenten werden von der ersten Kammer drei standesherrliche Mitglieder durch absolute Stimmen-Mehrheit gewählt, aus welchen der König eines ernennt.
  Ebenso wählt die zweite Kammer aus ihrer Mitte, ohne Unterschied der Classen, drei Mitglieder zur Stelle ihres Präsidenten, und wenn hierauf die Königliche Ernennung erfolgt ist, auf gleiche Art zu dem Amte des Vice-Präsidenten, welchen der König ebenfalls aus den hiezu vorgeschlagenen drei Mitgliedern ernennt.
  Kommt nach Ablauf des sechsjährigen Zeitraumes die zweite Kammer zum erstenmal zusammen, oder sollte sonst der Fall eintreten, daß bei derselben beide Präsidial-Stellen zugleich erledigt wären, so vertritt bis zur Ernennung des Präsidenten das älteste rechtsgelehrte Mitglied die Stelle des Vorstandes.
  Jede der Kammern wählt auf die Dauer eines Landtages einen oder mehrere Sekretäre aus ihrer Mitte.

  § 165  Der Präsident einer jeden Kammer sorgt für die Aufrechthaltung der Ordnung, bestimmt die Sitzungstage, eröffnet und schließt die Sitzungen, ordnet den Gang der Verhandlungen, und leitet die Berathungen und Abstimmungen.

  § 166  Die Mitglieder der Kammern sind verbunden, jeder Sitzung anzuwohnen; im Falle eines gegründeten Hindernisses haben sie solches dem Präsidenten anzuzeigen.
  Während der Dauer der Versammlung dürfen sie sich nicht ohne Erlaubniß des Präsidenten entfernen, und bei einer über acht Tage dauernden Abwesenheit nicht ohne Bewilligung der Kammer; jedoch kann der Präsident in besonders dringenden Fällen auch einen solchen längern Urlaub ertheilen, hat aber davon der Kammer in der folgenden Sitzung Kenntniß zu geben.

  § 167  Die Sitzungen der zweiten Kammer sind öffentlich; auch hat sie ihre Verhandlungen durch den Druck bekannt zu machen. Von der ersten Kammer muß wenigstens das letztere geschehen.
  Die Zuhörer, die ein Zeichen des Beifalls oder der Mißbilligung geben, werden unverzüglich entfernt.

  § 168  Die Sitzungen werden geheim, theils auf das Begehren der Minister und Königlichen Commissarien bei Vorträgen, die sie, ihrer Erklärung nach, im Namen des Königes zu machen haben, und welche nur im Fall einer solchen Erklärung für amtliche Aeußerungen zu halten sind, theils auf den Antrag von wenigstens drei Mitgliedern, wenn diesen, nach vorläufigem Abtritt der Zuhörer, die Mehrheit der Kammer beistimmt.

  § 169  Die Minister sind befugt, den Verhandlungen der beiden Kammern anzuwohnen und an den Berathungen Theil zu nehmen. Sie können sich auch von andern Staatsdienern begleiten lassen, welche etwa den vorliegenden Gegenstand besonders bearbeitet haben, oder sonst vorzügliche Kenntniß davon besitzen. An den Sitzungen der ständischen Commissionen steht ihnen im Fall einer ausdrücklichen Einladung gleichfalls Theilnahme zu.

  § 170  Deputationen kann die Ständeversammlung weder annehmen, noch ohne Erlaubniß des Königes abordnen.

  § 171  Nur den Ministern oder Königlichen Commissarien, den Berichterstattern der ständischen Commissionen und den Mitgliedern, welche einen Gegenstand zur Berathung in Antrag zu bringen (eine Motion zu machen) haben, steht die Befugniß zu, schriftliche Reden in der Versammlung abzulesen. Außerdem finden bloß mündliche Vorträge statt.

  § 172  Gesetzes-Entwürfe können nur von dem Könige an die Stände, nicht von den Ständen an den König gebracht werden. Den Ständen ist aber unbenommen, im Wege der Petition auf neue Gesetze sowohl, als auf Abänderung oder Aufhebung der bestehenden anzutragen.
  Der König allein sancitonirt und verkündet die Gesetze unter Anführung der Vernehmung des (Geheimen Raths) und der erfolgten Zustimmung der Stände.

  § 173  In der Regel soll kein Gegenstand der Berathung in derselben Sitzung, worin der Antrag dazu gemacht wird, zur Verhandlung und Abstimmung gebracht werden. Wenn jedoch drei Viertheile der Mitglieder einstimmen, kann ein Gegenstand für so dringend oder so unwichtig erklärt werden, daß von jener Regel abgegangen werden darf.
  Königliche Anträge sind, ehe sie zur Berathung in der Versammlung kommen können, an Commissionen zu verweisen, welche über deren Inhalt Vortrag zu halten haben.

  § 174  Bei der Abstimmung ist der Antrag, mit den während der Berathschlagung in Vorwurf gekommenen Modificationen, in einzelne, einfache Fragen so aufzulösen, daß jedes Mitglied durch bloße Bejahung oder Verneinung seine Stimme abgeben kann.

  § 175  Zu Fassung eines gültigen Beschlusses wird in jeder Kammer die zur vollständigen Besetzung derselben (§ 160) nothwendige Anzahl von Mitgliedern erfordert.

  § 176  Die Beschlüsse werden nach der Stimmenmehrheit, welche nach Beschaffenheit des Gegenstandes eine absolute oder relative seyn kann, abgefaßt, so daß im Falle der Stimmen-Gleichheit der Präsident den Ausschlag gibt. wenn jedoch von Abänderung irgend eines Punktes der Verfassung die Rede ist, so ist die Beistimmung von zwei Drittheilen der anwesenden Mitglieder in beiden Kammern nothwendig.

  § 177  Die zum Wirkungskreise der Stände gehörigen Angelegenheiten werden in jeder Kammer besonders verhandelt. Doch können, um eine Ausgleichung verschiedener Ansichten zu versuchen, beide Kammern sich miteinander zu vertraulichen Besprechungen, ohne Protokollführung und Beschlußnahme, vereinigen.

  § 178  Es hängt von dem Könige ab, die Gesetzes-Entwürfe oder andere Vorschläge an die erste oder an die zweite Kammer zu bringen, ausgenommen, wenn sie Verwilligung von Abgaben betreffen; in welchem Falle solche immer zuerst an die zweite Kammer gelangen.

  § 179  Die von der einen Kammer gefaßten Beschlüsse werden der andern zu gleichmäßiger Berathung mitgetheilt. Nur zu Ausübung des Rechts der Petitionen und Beschwerden, so wie zu einer Anklage wegen verletzter Verfassung (§ 199), ist jede Kammer auch einzeln berechtigt.

  § 180  Die Kammer, an welche die Mittheilung geschieht, kann den Antrag der mittheilenden verwerfen oder annehmen, und zwar entweder unbedingt, oder mit beigefügten Modicationen. Die Verwerfung muß aber jederzeit mit Anführung der Gründe geschehen.

  § 181  Von der vorstehenden Regel (§ 180) macht die Abgaben-Verwilligung eine Ausnahme in folgenden Punkten:
    1. Eine Abgaben-Verwilligung wird in der zweiten Kammer, nach der von ihr in Gemäßheit des § 110 vorgenommenen Untersuchung, in Berathung gezogen, und nach vorgängiger vertraulicher Besprechung mit der ersten Kammer (§ 177) Beschluß darüber in der zweiten gefaßt;
    2. dieser Beschluß wird sodann der ersten Kammer mitgetheilt, welche denselben nur im Ganzen, ohne Aenderung, annehmen oder verwerfen kann;
    3. erfolgt das Letztere, so werden die bejahenden und die verneinenden Stimmen beider Kammern zusammengezählt, und nach der Mehrheit sämtlicher Stimmen wird alsdann der Stände-Beschluß abgefaßt. Würde in diesem Falle Stimmen-Gleichheit eintreten, so hat der Präsident der zweiten Kammer die Entscheidung.

  § 182  In allen anderen Fällen gilt der Grundsatz, daß nur solche Beschlüsse, worüber beide Kammern, nach gegenseitiger Mittheilung, einverstanden sind, an den König gebracht und von dem Könige bestätigt werden können.

  § 183  Der von der einen Kammer verworfene Antrag der andern kann auf demselben Landtage nicht wiederholt werden. Wird aber ein solcher Antrag bei der nächsten Stände-Versammlung erneuert und abermals verworfen, so treten die zwei Kammern zu einer vertraulichen Besprechung über den Gegenstand zusammen. Sollte auch hierdurch die Verschiedenheit der Ansichten nicht ausgeglichen werden, so haben die Kammern, wenn die Frage einen ihnen von dem Könige zugekommenen Gegenstand betrifft, ihre Nicht-Uebereinstimmung dem Könige blos anzuzeigen, woferne sie nicht miteinander übereinkommen, die Entscheidung dem Könige zu überlassen.

  § 184  Kein Mitglied der beiden Kammern kann während der Dauer der Stände-Versammlung ohne Einwilligung der betreffenden Kammer zu Verhaft gebracht werden, den Fall der Ergreifung auf frischer That wegen eines Verbrechens ausgenommen. In letzterem Fall ist aber die Kammer von der geschehenen Verhaftung, mit Angabe des Grundes, unverzüglich in Kenntniß zu setzen.

  § 185  Niemand kann wegen seiner in der Stände-Versammlung gehaltenen Vorträge und gegebenen Abstimmungen zur Verantwortung gezogen werden. Jedoch sind Beleidigungen oder Verläumdungen der Regierung, der Stände-Versammlung oder einzelner Personen der Bestrafung nach den bestehenden Gesetzen in dem ordentlichen Wege des Rechts unterworfen.
  Verfehlungen gegen die Gesetze des Anstandes oder der innern Polizei, oder gegen die Geschäfts-Vorschriften, hat der Präsident zu bemerken, und, wenn sie bedeutend sind, solche zur Kenntniß der Kammer zu bringen, welche nach Beschaffenheit der Umstände ihre Mißbilligung ausdrücken, Verweis ertheilen, oder auch Widerruf verlangen kann.

  § 186  Der König eröffnet und entläßt die Stände-Versammlung entweder in eigener Person oder durch einen dazu bevollmächtigten Minister.
  Dem Könige steht auch das Recht zu, die Versammlung zu vertagen oder ganz aufzulösen.
  Im Falle der Auflösung wird spätestens binnen sechs Monaten eine neue Versammlung einberufen werden; es ist hiezu eine neue Wahl der Abgeordneten nöthig, bei welcher jedoch die vorigen Mitglieder wieder gewählt werden können.

  § 187  Solange die Stände nicht versammelt sind, besteht als Stellvertreter derselben, ein Ausschuß für diejenigen Geschäfte, deren Besorgung von einem Landtage zum andern zur ununterbrochenen Wirksamkeit der Repräsentation des Landes nothwendig ist.

  § 188  In dieser Hinsicht liegt dem Ausschuß ob, die ihm, nach der Verfassung, zur Erhaltung derselben zustehenden Mittel in Anwendung zu bringen, und hievon bei wichtigen Angelegenheiten, die in dem Königreich wohnenden Stände-Mitglieder in Kenntniß zu setzen, in den geeigneten Fällen bei der höchsten Staats-Behörde Vorstellungen, Verwahrungen und Beschwerden einzureichen, und nach Erforderniß der Umstände, besonders wenn es sich von der Anklage der Minister handelt, um Einberufung einer außerordentlichen Stände-Versammlung zu bitten, welche in letzterem Falle nie verweigert werden wird, wenn der Grund der Anklage und die Dringlichkeit derselben gehörig nachgewiesen ist.
  Außerdem hat der Ausschuß am Ende der in die Zwischenzeit fallenden Finanz-Jahre nach Maßgabe dessen, was § 110 festgesetzt ist, die richtige, der Verabschiedung angemessene Verwendung der verwilligten Steuern in dem verflossenen Jahre zu prüfen, und den Etat des künftigen Jahrs mit dem Finanz-Ministerium zu berathen. Auch steht dem Ausschusse die Aufsicht über die Verwaltung der Staats-Schulden-Zahlungs-Kasse zu.
  Insbesondere gehört es zu seinem Wirkungskreise, die für eine Stände-Versammlung sich eignenden Geschäfts-Gegenstände, namentlich die Erörterungen vorgelegter Gesetzes-Entwürfe, zur künftigen Berathung vorzubereiten, und für die Vollziehung der landständischen Beschlüsse Sorge zu tragen.

  § 189  Dagegen kann sich der Ausschuß auf solche Gegenstände, welche verfassungsmäßig eine Verabschiedung mit den Ständen erfordern, namentlich auf Gesetzgebungs-Anträge, Steuer-Verwilligungen, Schulden-Uebernahmen und Militär-Aushebungen, nicht anderst als auf eine vorbereitende Weise einlassen.

  § 190  Der ständische Ausschuß besteht aus zwölf Personen, nämlich den Präsidenten der beiden Kammern, zwei Mitgliedern aus der ersten und acht aus der zweiten Kammer. Die Wahl derselben geschieht von den zu diesem Zwecke vereinigten Kammern nach relativer Stimmenmehrheit auf die Zeit von einem ordentlichen Landtage zum andern (auf drei Jahre) und ist jedesmal dem Könige anzuzeigen.
  Ein in der Zwischenzeit abgehendes Ausschuß-Mitglied wird von der nächsten Versammlung der Stände wieder definitiv ersetzt; bis dahin rückt an dessen Stelle dasjenige Stände-Mitglied ein, welches bei der letzten Ausschußwahl die meisten Stimmen nach den Gewählten erhalten hatte.
  In Verhinderung der Präsidenten treten die Vice-Präsidenten für sie ein; sind letztere schon Mitglieder des Ausschusses, so werden deren Stellen auf die so eben festgesetzte Weise ersetzt.
  Sechs Mitglieder des Ausschusses, die Präsidenten der beiden Kammern mit eingeschlossen, müssen in Stuttgart anwesend seyn. Die übrigen sechs Mitglieder können außerhalb Stuttgart ihre Wohnungen haben und werden, so oft es die Umstände erfordern, von den Anwesenden einberufen.

  § 191  Bei jeder Stände-Versammlung hat der Ausschuß über dasjenige, was von ihm in der Zwischenzeit verhandelt worden ist, in einem Zusammentritte beider Kammern Rechenschaft abzulegen.

  § 192  Die Verrichtungen des Ausschusses hören mit der Eröffnung eines neuen Landtages auf und werden nach einer bloßen Vertagung desselben oder nach Beendigung einer außerordentlichen Stände-Versammlung wieder fortgesetzt.
  Bei der Auflösung eines jeden Landtages und bei der Entlassung eines ordentlichen muß ein neuer Ausschuß gewählt werden, wobei die vorigen Mitglieder wieder wählbar sind. Zu dieser Wahl wird den Ständen jedesmal, auch bei einer Auflösung der Versammlung, die erforderliche Sitzung noch gestattet.
  Sollten außerordentliche Umstände es ihnen unmöglich machen, diese Sitzung noch zu halten, so haben die bisherigen Mitglieder oder deren Stellvertreter (§ 90), so ferne sie zugleich Stände-Mitglieder sind, die Verrichtungen des Ausschuß-Collegiums wieder zu übernehmen.

  § 193  Das ständische Amts-Personal besteht, außer den Beamten der Schulden-Zahlungs-Kasse, für beide Kammern aus einem Archivar, für jede Kammer aus einem Registrator und den erforderlichen Canzellisten; die Registratoren haben zugleich bei dem Ausschuß das Secretariat zu versehen.
  Jede Kammer wählt ihren Registrator und Canzellisten; die Beamten der Schulden-Zahlungs-Kasse, so wie der Archivar, werden von den hiezu vereinigten Kammern gewählt.
  Dem König ist die Bestellung der Kassenbeamten, des Archivars und der Registratoren zur Bestätigung vorzulegen, und von der Wahl der Canzellisten Anzeige zu machen.
  Die Dienst-Entlassung dieser Beamten geschieht auf die gleiche Art, wie deren Anstellung, durch die einzelnen oder durch die vereinigten Kammern, und richtet sich im Uebrigen nach den deshalb bei den Königlichen Beamten geltenden Gesetzen.
  Die Annahme und Entlassung der ständischen Kanzlei-Diener hängt von dem Präsidenten ab.
  Das gesamte Amts- und Dienst-Personal steht bei nicht versammeltem Landtage unter der Aufsicht und den Befehlen des Ausschusses, welcher auch in der Zwischenzeit die erforderlichen Amtsverweser zu bestellen und ungetreue oder sonst sich vergehende Diener in den gesetzlichen Fällen den Gerichten zu übergeben hat.

  § 194  Eine eigene ständische Kasse, welche die für sie jedesmal zugleich mit dem Finanz-Etat zu verabschiedende Summe aus der Staats-Kasse in bestimmten Raten erhält, bestreitet den ständischen Aufwand.
  Hieher gehören die Taggelder und Reisekosten der Mitglieder der Stände-Versammlung, die Besoldungen der ständischen Ausschuß-Mitglieder, Beamten und Diener, die Belohnungen derjenigen, welche durch besondere Aufträge der Stände oder des ständischen Ausschusses bemüht gewesen sind, die Unterhaltung einer angemessenen Büchersammlung, die Canzlei-Kosten überhaupt, und andere mit der Geschäftsführung verbundene Ausgaben.
  Die jährliche Kassenrechnung, welche mit Angabe aller einzelnen Einnahmen und Ausgaben zu führen ist, wird von einer besondern ständischen Commission probirt, in der Stände-Versammlung zum Vortrag gebracht, und von dieser justificirt. Jedes Mitglied der Versammlung kann die eigene Einsicht dieser Rechnung verlangen.
  Die Besoldungen der Mitglieder und der Beamten des Ausschusses, so wie die Taggelder und Reisekosten der Stände-Mitglieder, werden durch Verabschiedung bestimmt werden.
  Die nicht in Stuttgart anwesenden Mitglieder des Ausschusses erhalten, wenn sie einberufen werden, gleiche Diäten und Reisegelder, wie die Stände-Mitglieder, und beziehen solche aus der ständischen Casse.


Kapitel X.
Von dem Staats-Gerichtshofe

  § 195  Zum gerichtlichen Schutze der Verfassung wird ein Staats-Gerichtshof errichtet. Diese Behörde erkennt über Unternehmungen, welche auf den Umsturz der Verfassung gerichtet sind, und über Verletzung einzelner Punkte der Verfassung.

  § 196  Der Staats-Gerichtshof besteht aus einem Präsidenten, welcher von dem Könige aus den ersten Vorständen der höheren Gerichte ernannt wird, und aus zwölf Richtern, wovon der König die Hälfte aus den Mitgliedern jener Gerichte ernennt, die Stände-Versammlung aber die andere Hälfte nebst drei Stellvertretern im Zusammentritte beider Kammern außerhalb ihrer Mitte wählt.
  Unter den ständischen Mitgliedern müssen wenigstens zwei Rechts-Gelehrte seyn, welche auch, mit Vorbehalt der Einwilligung des Königes, aus Königlichen Staatsdienern gewählt werden können. Außerdem müssen die Mitglieder alle zur Stelle eines Stände-Mitglieds erforderlichen Eigenschaften haben.
  Das Canzlei-Personal wird aus dem Ober-Tribunale genommen.

  § 197  Sämtliche Richter werden für diesen ihren Beruf besonders verpflichtet und können gleich den übrigen Justiz-Beamten nur durch Urtheilsspruch ihrer Stelle als Mitglieder dieses Gerichtshofes entsetzt werden. Nimmt jedoch ein ständischer Richter ein Staatsamt an, so hört er dadurch auf, Mitglied dieser Stelle zu seyn, kann aber von der Stände-Versammlung wieder gewählt werden. Ebenso tritt ein vom Könige ernanntes Mitglied aus dem Gerichte, wenn es aufhört, sein richterliches Hauptamt zu bekleiden.

  § 198  Das Gericht versammelt sich auf Einberufung durch den Präsidenten, welche von diesem sogleich geschehen muß, wenn er dazu einen von dem Justiz-Minister contrasignirten Befehl des Königs oder eine Aufforderung mit Angabe des Gegenstandes von einer der beiden Kammern durch deren Präsidenten erhält.
  Das Gericht löst sich auf, wenn der Proceß geendigt ist. Der Präsident hat für die Vollziehung der Beschlüsse zu sorgen, und in Anstands-Fällen das Gericht wieder zu versammeln.

  § 199  Eine Anklage vor dem Staats-Gerichtshofe, wegen der oben (§ 195) erwähnten Handlung, kann geschehen von der Regierung gegen einzelne Mitglieder der Stände und des Ausschusses, und von den Ständen sowohl gegen Minister und Departements-Chefs als gegen einzelne Mitglieder und höhere Beamten der Stände-Versammlung. Andere Staatsdiener, als Minister und Departements-Chefs können vor diesem Gerichte nicht angeklagt werden, außer wegen Uebertretung der § 53 enthaltenen Vorschrift.
  Anklage und Vertheidigung geschieht öffentlich. Die Protocolle werden mit den Abstimmungen und Beschlüssen durch den Druck bekannt gemacht.

  § 200  Wenn es erforderlich ist, Inquirenten zu bestellen, so wählt der Gerichtshof dieselben aus den Räthen der Criminal-Gerichte. Der Untersuchung hat jedesmal ein Königliches und ein ständisches Mitglied des Gerichtshofs anzuwohnen.

  § 201  Es werden jedesmal zwei Referenten bestellt. Ist der erste Referent ein Königlicher Richter, so muß der Correferent ein ständischer seyn, und umgekehrt.

  § 202  Bei jedem Beschlusse muß eine gleiche Anzahl von Königlichen und ständischen Richtern anwesend seyn. Sollte durch Zufall eine Ungleichheit der Zahl eintreten, welche nicht sogleich durch anderweitige Ernennung oder Eintritt eines Stellvertreters gehoben werden könnte, so tritt der Jüngste im Dienste von der überzählenden Seite aus; doch darf die Zahl der Richter nie unter zehn seyn.
  Im Verhinderungsfalle vertritt die Stelle des Präsidenten der erste Königliche Richter.
  Dem Präsidenten steht keine Stimme zu; im Falle der Stimmengleichheit entscheidet die für den Angeklagten günstigere Meinung.

  § 203  Die Strafbefugniß des Gerichtshofes erstreckt sich nur auf Verweise und Geldstrafen, auf Suspension und Entfernung vom Amte, auf zeitliche oder immerwährende Ausschließung von der Landstandschaft.
  Wenn dieses Gericht die höchste in seiner Competenz liegende Strafe erkannt hat, ohne eine weitere ausdrücklich auszuschließen, so bleibt den ordentlichen Gerichten vorbehalten, gegen den Verurtheilten ein weiteres Verfahren von Amtswegen eintreten zu lassen.

  § 204  Gegen den Ausspruch des Staats-Gerichtshofes findet keine Appellation statt, sondern nur das Rechtsmittel der Revision und der Wieder-Einsetzung in den vorigen Stand.

  § 205  Der König wird nicht nur die Untersuchung niemals hemmen, sondern auch das ihm zustehende Begnadigungsrecht nie dahin ausdehnen, daß ein von diesem Gerichte in die Entfernung vom Amte verurtheilter Staatsdiener in seiner bisherigen Stelle gelassen, oder daß derselbe in einem anderen Justiz- oder Staats-Verwaltungs-Amte angestellt würde, es wäre denn, daß in Rücksicht auf Wieder-Anstellung das gerichtliche Erkenntniß einen ausdrücklichen Vorbehalt zu Gunsten des Verurtheilten enthielte.


Wie nun die vorstehenden Bestimmungen von nun an die Staats-Grund-Verfassung Unseres Königreichs enthalten; so geloben Wir hiermit bei Unserer Königlichen Würde, für Uns und Unsere Nachfolger in der Regierung, den gegenwärtigen Vertrag fest und unverbrüchlich nicht nur für Uns Selbst zu halten und zu erfüllen, sondern auch gegen alle Eingriffe und Verletzungen zu schützen und bei Kräften zu erhalten.


So geschehen in Unserer Haupt- und Residenz-Stadt Stuttgart,
am 25. September 1819.

Wilhelm

 

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Quelle: Staats- und Regierungs-Blatt 1819, S. 634.


Empfohlene Zitierweise des Dokumentes:
Verfassungsurkunde für das Königreich Württemberg (25.09.1819), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/nzjh/verfwberg.html, Stand: aktuelles Datum.


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Letzte Änderung: 03.01.2004
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