[Deutsch-russischer Vertrag von Rapallo.
("Rapallo-Vertrag")
Vom 16. April 1922.]
Die deutsche Regierung, vertreten durch
Reichsminister Dr. Walther Rathenau,
und
die Regierung der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik, vertreten
durch
Volkskommissar Tschitscherin,
sind über nachstehende Bestimmungen übereingekommen:
A r t i k e l 1
Die beiden Regierungen sind darüber einig, daß die
Auseinandersetzungen zwischen dem Deutschen Reiche und der Russischen Sozialistischen
Föderativen Sowjetrepublik über die Fragen aus der Zeit des Kriegszustandes zwischen
Deutschland und Rußland auf folgender Grundlage geregelt wird:
a) Das Deutsche Reich und die Russische Sozialistische Föderative
Sowjetrepublik verzichten gegenseitig auf den Ersatz ihrer Kriegskosten sowie auf den
Ersatz der Kriegsschäden, d. h. derjenigen Schäden, die ihnen und ihren Angehörigen in
den Kriegsgebieten durch militärische Maßnahmen einschließlich
aller in Feindesland vorgenommenen Requisitionen entstanden sind. Desgleichen verzichten
beide Teile auf den Ersatz der Zivilschäden, die den Angehörigen des einen Teiles durch
die sogenannten Kriegsausnahmegesetze oder durch Gewaltmaßnahmen staatlicher Organe des
anderen Teiles verursacht worden sind.
b) Die durch den Kriegszustand betroffenen öffentlichen und privaten
Rechtsbeziehungen, einschließlich der Frage der Behandlung der in die Gewalt des
anderen Teiles geratenen Handelsschiffe, werden nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit
geregelt werden.
c) Deutschland und Rußland verzichten gegenseitig auf die Erstattung der
beiderseitigen Aufwendungen für Kriegsgefangene. Ebenfalls verzichtet die Deutsche
Regierung auf Erstattung der von ihr für die in Deutschland internierten Angehörigen der
Roten Armee gemachten Aufwendungen. Die Russische Regierung verzichtet ihrerseits auf
Erstattung des Erlöses aus von Deutschland vorgenommenen Verkäufen des von diesen
Internierten nach Deutschland gebrachten Heeresgutes.
A r t i k e l 2
Deutschland verzichtet auf die Ansprüche, die sich aus der
bisherigen Anwendung der Gesetze und Maßnahmen der Russischen Sozialistischen
Föderativen Sowjetrepublik auf deutsche Reichsangehörige oder ihre Privatrechte
sowie auf die Rechte des Deutschen Reichs und der Länder gegen Rußland
sowie aus den von der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik
oder ihren Organen sonst gegen Reichsangehörige oder ihre Privatrechte getroffenen
Maßnahmen ergeben, vorausgesetzt, daß die Regierung der Russischen Sozialistischen
Föderativen Sowjetrepublik auch ähnliche Ansprüche dritter Staaten nicht befriedigt.
A r t i k e l 3
Die diplomatischen und konsularischen Beziehungen zwischen dem
Deutschen Reiche und der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik
werden sogleich wieder aufgenommen. Die Zulassung der beiderseitigen Konsuln wird durch
ein besonderes Abkommen geregelt werden.
A r t i k e l 4
Die beiden Regierungen sind sich ferner auch darüber einig,
daß für die allgemeine Rechtsstellung der Angehörigen des einen Teiles im Gebiete des
anderen Teiles und für die allgemeine Regelung der beiderseitigen Handels- und
Wirtschaftsbeziehungen der Grundsatz der Meistbegünstigung gelten soll. Der
Grundsatz der Meistbegünstigung erstreckt sich nicht auf die Vorrechte und
Erleichterungen, die die Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik einer
Sowjetrepublik oder einem solchen Staate gewährt, der früher Bestandteil des
ehemaligen Russischen Reichs war.
A r t i k e l 5
Die beiden Regierungen werden den wirtschaftlichen Bedürfnissen
der beiden Länder in wohlwollendem Geiste wechselseitig entgegenkommen. Bei einer
grundsätzlichen Regelung dieser Frage auf internationaler Basis werden sie in
vorherigen Gedankenaustausch eintreten. Die Deutsche Regierung erklärt sich bereit, die
ihr neuerdings mitgeteilten, von Privatfirmen beabsichtigten Vereinbarungen nach
Möglichkeit zu unterstützen und ihre Durchführung zu erleichtern.
A r t i k e l 6
Die Artikel 1 b und 4 dieses Vertrages treten
mit der Ratifikation, die übrigen Bestimmungen dieses Vertrags treten sofort in Kraft.
Ausgefertigt in doppelter Urschrift in Rapallo am 16. April 1922.
gez. Rathenau
|
gez. Tschitscherin
|
|