Gesetz über die vorläufige Reichsgewalt.
Vom 10. Februar 1919.
Die verfassunggebende deutsche Nationalversammlung hat folgendes Gesetz
beschlossen:
§ 1
Die verfassunggebende deutsche Nationalversammlung hat die
Aufgabe, die künftige Reichsverfassung sowie auch sonstige dringende Reichsgesetze zu
beschließen.
§ 2
[1] Die Einbringung von Vorlagen der Reichsregierung an die
Nationalversammlung bedarf unbeschadet des Abs. 4 der Zustimmung eines Staatenausschusses.
Der Staatenausschuß wird gebildet von Vertretern derjenigen deutschen Freistaaten, deren
Regierungen auf dem Vertrauen einer aus allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten
Wahlen hervorgegangenen Volksvertretung beruhen. Bis zum 31. März 1919 können mit
Zustimmung der Reichsregierung auch andere deutsche Freistaaten Vertreter entsenden.
[2] In dem Staatenausschusse hat jeder Freistaat mindestens eine Stimme. Bei den
größeren Freistaaten entfällt grundsätzlich auf eine Million Landeseinwohner eine
Stimme, wobei ein Überschuß, der mindestens der Einwohnerzahl des kleinsten Freistaats
gleichkommt, einer vollen Million gleichgerechnet wird. Kein Freistaat
darf durch mehr als ein Drittel aller Stimmen vertreten sein. Den Vorsitz im
Staatenausschusse führt ein Mitglied der Reichsregierung.
[3] Wenn Deutsch-Österreich sich dem Deutschen Reiche anschließt, erhält es das
Recht der Teilnahme am Staatenausschusse mit einer dem Abs. 2 entsprechenden Stimmenzahl.
Bis dahin nimmt es mit beratender Stimme teil.
[4] Kommt eine Übereinstimmung zwischen der Reichsregierung und dem
Staatenausschusse nicht zustande, so darf jeder Teil seinen Entwurf der
Nationalversammlung zur Beschlußfassung vorlegen.
§ 3
Die Mitglieder der Reichsregierung und des Staatenausschusses
haben das Recht, an den Verhandlungen der Nationalversammlung teilzunehmen und dort
jederzeit das Wort zu ergreifen, damit sie die Ansichten ihrer Regierung vertreten.
§ 4
[1] Die künftige Reichsverfassung wird von der
Nationalversammlung verabschiedet. Es kann jedoch der Gebietsbestand der Freistaaten nur
mit ihrer Zustimmung geändert werden.
[2] Im übrigen kommen Reichsgesetze durch Übereinstimmung zwischen der
Nationalversammlung und dem Staatenausschusse zustande. Ist eine solche Übereinstimmung
nicht zu erzielen, so kann der Reichspräsident die Entscheidung durch eine
Volksabstimmung herbeiführen.
§ 5
Auf die Nationalversammlung finden die Artikel 21 bis 23, 26 und 32 der
bisherigen Reichsverfassung entsprechende Anwendung mit
der Maßgabe, daß Artikel 21 auch auf Soldaten
Anwendung findet.
§ 6
[1] Die Geschäfte des Reichs werden von einem Reichspräsidenten
geführt. Der Reichspräsident hat das Reich völkerrechtlich zu vertreten, im Namen des
Reichs Verträge mit auswärtigen Mächten einzugehen sowie Gesandte zu beglaubigen und zu
empfangen.
[2] Kriegserklärung und Friedensschluß erfolgen durch Reichsgesetz.
[3] Verträge mit fremden Staaten, die sich auf Gegenstände der Reichsgesetzgebung
beziehen, bedürfen der Zustimmung der Nationalversammlung und des Staatenausschusses.
[4] Sobald das Deutsche Reich einem Völkerbunde mit dem Ziele des Ausschlusses
aller Geheimverträge beigetreten sein wird, bedürfen alle Verträge mit den im
Völkerbunde vereinigten Staaten der Zustimmung der Nationalversammlung und des
Staatenausschusses.
[5] Der Reichspräsident ist verpflichtet, die gemäß §§ 1 bis 4 und 6 beschlossenen Reichsgesetze und Verträge im
Reichs-Gesetzblatt zu verkünden.
§ 7
Der Reichspräsident wird von der Nationalversammlung mit
absoluter Stimmenmehrheit gewählt. Sein Amt dauert bis zum Amtsantritte des neuen
Reichspräsidenten, der auf Grund der künftigen Reichsverfassung gewählt wird.
§ 8
[1] Der Reichspräsident beruft für die Führung der
Reichsregierung ein Reichsministerium, dem sämtliche Reichsbehörden und die Oberste
Heeresleitung unterstellt sind.
[2] Die Reichsminister bedürfen zu ihrer Amtsführung des Vertrauens der
Nationalversammlung.
§ 9
[1] Alle zivilen und militärischen Anordnungen und Verfügungen
des Reichspräsidenten bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung durch einen
Reichsminister.
[2] Die Reichsminister sind für die Führung ihrer Geschäfte der
Nationalversammlung verantwortlich.
§ 10
Dieses Gesetz tritt mit seiner Annahme durch die Nationalversammlung in Kraft.[1] Von diesem Zeitpunkt an kommen Gesetze sowie Verordnungen,
die nach dem bisherigen Reichsrecht der Mitwirkung des Reichstags bedurften, nur gemäß
§ 4 dieses Gesetzes zustande.
Weimar, den 10. Februar 1919.
Der Präsident der verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung
David
|