Rede des Vorsitzenden der SPD-Fraktion Franz Müntefering zur
Regierungserklärung des Bundeskanzlers "Mut zum Frieden und zur Veränderung"
vom 14. März 2003
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:
Das Wort hat jetzt der Fraktionsvorsitzende der SPD, Franz Müntefering.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Franz Müntefering (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das hätte nun die Antwort der
Opposition auf die Regierungserklärung des Kanzlers sein sollen - war es aber nicht.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Man hat schon gemerkt, wie Frau Merkel immer
vorsichtig nach links hinten geguckt hat, um zu sehen, ob ihr da nicht jemand im Nacken
sitzt, der anschließend die eigentliche Rede des Tages hält.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Deshalb hat sie 20 Minuten gebraucht, um zum ersten Konkreten zu kommen. Das erste ganz
Konkrete nach all den Dingen, die sie zunächst angesprochen hat, war die
Schornsteinfegerbereichsverordnung.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das ist ein bisschen weniger als das, was man von der Opposition erwarten darf.
Das Zweite war ihre Feststellung, dass die kommunalen Finanzen so tief in den Keller
gegangen sind. Das ist nicht neu. Interessant wird es, wenn man sich einmal die Statistik
anguckt - wie es manchmal so ist, hat man sie in der Tasche -: 1992 33,14 Milliarden, 1998
24,4 Milliarden. Gucken Sie sich einmal dieses Diagramm an: So war das. Das war in
der Zeit, als Sie regiert haben. In der Zeit ist die Investitionsfähigkeit der
Kommunen so zurückgegangen, wie es auf diesem Diagramm zu sehen ist. Nachlesbar ist
das im DIW-Wochenbericht 31/02.
Als Allererstes aber hat Frau Merkel gesagt, ohne
sich nach links hinten umzugucken - darauf muss man noch einmal zurückkommen -,
eigentlich gehörten die Ministerpräsidenten heute Morgen in den Bundesrat. Sie hat Herrn
Stoiber zur unerwünschten Person erklärt.
Inzwischen ist er wohl auch gegangen.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)
Ich weiß nicht, ob ihm das so richtig bewusst gewesen ist.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie waren auch schon besser!)
Eine Opposition, die in dieser Situation nicht weiß, wer bei ihr die erste Geige spielt,
ist eine schwache Opposition. Sie sind eine schwache Opposition. Sie wissen nicht, wer bei
Ihnen das Sagen hat.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Das gilt für die Innenpolitik und das gilt für die Außenpolitik. Frau Merkel, dazu muss doch noch ein Wort gesagt werden. Die
ungewöhnlich gebückte Haltung, in der Sie über den Teich geflogen sind, und die
Klassenstrebermentalität, in der Sie sich in den USA erklärt haben, waren peinlich für
die Führerin der Opposition in Deutschland.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Da nutzt kein Schönreden und da nutzt es auch nichts, sich die Weltpolitik nachher
sozusagen aus dem Stabilbaukasten noch einmal selbst zu erklären.
Die schlichte Wahrheit ist heute: Wenn Sie auf der Regierungsbank hier säßen, wäre das
Bemühen Deutschlands um eine friedliche Lösung des Irakkonflikts nicht so erfolgreich
und wäre die Welt nicht so weit gekommen. Wir sind stolz auf das, was Gerd Schröder und Joschka Fischer hier geleistet
haben und auch in Zukunft leisten werden.
(Lebhafter Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das war mutig und vorausschauend, als viele, auch bei uns im Land, noch gezweifelt haben.
Es erweist sich nun als richtig.
Mutig und vorausschauend war auch das, was der Bundeskanzler heute dem Deutschen Bundestag
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nicht gesagt hat!)
für die Politik im Inneren des Landes verdeutlicht hat. Herr Bundeskanzler, Sie haben die
volle Unterstützung der SPD-Bundestagsfraktion für diese Politik.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Volker Kauder
[CDU/CSU]: Donnerwetter, Müntefering! )
Deutschland hat Struktur- und Konjunkturprobleme - andere Länder übrigens auch; aber das
ist kein Trost. Anstrengung ist gefordert. Wohlstand ist in Deutschland aufbauend auf den
Trümmern von 1945 gewachsen. Wir haben uns in Deutschland an Wohlstand gewöhnt, daran,
dass er wächst, und haben nicht immer realisiert, dass er nicht selbstverständlich ist,
dass er stets immer wieder neu und unter anderen Bedingungen gesichert und
weiterentwickelt werden muss, dass Wohlstand Voraussetzungen hat. Wenn wir uns in
Deutschland anstrengen, dann brauchen wir keine Angst zu haben. Wenn sich jeder und jede
anstrengen, brauchen wir keine Sorgen zu haben, was die Zukunft angeht. Das Potenzial für
eine gute Zukunft in Deutschland, dafür, in Wohlstand und sozialer Sicherheit zu leben,
ist gegeben.
(Beifall bei der SPD)
Richtig, die Regierung muss sich anstrengen. Aber auch die Parteien, der Bundestag, der
Bundesrat und viele andere im Land müssen sich anstrengen. Wir sind dazu bereit. Auch die
Opposition muss sich im Übrigen anstrengen. Ein bisschen weniger Besserwisserei, Herr
Merz, und ein bisschen weniger Selbstgerechtigkeit, Frau Merkel,
was die Opposition angeht, wären schon gut.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Volker Kauder
[CDU/CSU]: Oberlehrer!)
Blockieren allein, Herr Wulff und Herr Stoiber,
reicht nicht.
In Deutschland sitzen zu viele auf der Tribüne - die Opposition gehört dazu; ich meine
nicht Sie hier oben auf der Tribüne, sondern die politische Landschaft, die Gesellschaft
-, die zuschauen und sagen, was alles nicht geht und wie schlimm alles in diesem Land ist.
Es sind zu wenige, die bereit sind, die Ärmel hochzukrempeln und die Dinge
voranzubringen. Lassen Sie uns das miteinander machen!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir sind selbstkritisch genug, um zuzugestehen: Jawohl, wir machen Fehler. Aber ich sage
Ihnen ebenfalls: Wer sich, auch wenn er Fehler macht, anstrengt, ist tausendmal besser als
diejenigen, die nur herumsitzen und sich das Maul zerreißen über das, was nicht geht.
Wir brauchen Leute, die bereit sind, die Ärmel hochzukrempeln, anzupacken und das Land
nach vorne zu bringen. Darum geht es.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Da sind auch Sie von der Opposition gefragt. Das geht nicht ohne Sie. Wir brauchen Sie
dabei - nicht unsretwegen, sondern für das Land. Es wird eine große Herausforderung an
die gesamte Opposition sein, wie sie sich dieser Aufgabe stellt. Die Opposition gehört
zur Demokratie. Sie muss ihren Teil dazu beitragen, dass die Dinge gelingen können.
Die Strukturprobleme und Fragen - vielleicht auch die Strukturkrise -, die wir haben, sind
übrigens nicht neu. Die Folgen der Globalisierung, der Europäisierung und der
demographischen Entwicklung waren schon in den 90er-Jahren erkennbar. Wir haben in
Deutschland in den 90er-Jahren - ich meine das nicht nur parteipolitisch - die Zeit
verschlafen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Wir haben nicht hinreichend begriffen, dass außenpolitisch und innenpolitisch viel zu tun
gewesen wäre. Wir haben uns in Deutschland mit Helmut Kohl an der Spitze darauf
verlassen, dass der liebe Gott sozusagen von allein die Landschaften
blühen lässt. Es ist nicht so. Wir müssen unseren Teil dazu beitragen. Da ist
innenpolitisch und außenpolitisch einiges nachzuholen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist
ja Unsinn! Wir haben Europa vorangebracht! Der Euro ist nicht von allein gekommen!)
- Herr Kauder, es ist schlimmer: Sie haben nicht nur die Dinge, die hätten getan werden
müssen, verschlafen, sondern haben die deutsche Einheit im Wesentlichen auf der Grundlage
unserer sozialen Sicherungssysteme finanziert.
(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Unter großer Zustimmung der SPD!)
Jetzt schimpfen Sie, dass diese Sicherungssysteme nicht funktionieren. Sie waren
hauptschuldig daran, dass dieser Bereich explodiert ist.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Wolfgang
Gerhardt [FDP]: Ihre Ministerpräsidenten haben doch zugestimmt!)
Der Kanzler hat Ihnen die Zahlen genannt: Anstieg der Lohnnebenkosten von 32 auf 43
Prozent. Es waren doch Sie, die das zugelassen und dafür gesorgt haben, dass Kosten
hineingerechnet worden sind, die eigentlich nicht hineingehört hätten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich wundere mich im Übrigen immer, mit welcher Toleranz Sie zugestehen, dass der gesamte
Bereich der illegalen Beschäftigung zunehmend alle sozialen Sicherungssysteme belastet.
Unternehmen, die in den großen Unternehmensverbänden von Herrn Rogowski und Herrn Hundt
vertreten sind, sorgen mit Schwarzarbeit, illegaler Beschäftigung und Subsubunternehmen,
also an den großen Unternehmen vorbei, dafür, dass der ehrliche Unternehmer und der
ehrliche Arbeitnehmer - das ist in Deutschland leider wahr - die Dummen sind und die
anderen sich ins Fäustchen lachen. Das darf so in Deutschland nicht bleiben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben zwischen 1998 und 2002 vieles in Deutschland in Bewegung gebracht.
(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das kann man sagen!)
Wir haben uns außenpolitisch neu justiert. Diese Neujustierung - gerade kam der Zuruf
"Das kann man sagen" - ist uns zwar nicht leicht gefallen, aber wir alle sind
stolz, dass wir während unserer Regierungszeit - und nicht Sie - diese Neujustierung
vorgenommen haben. Die Bereitschaft, dass Deutschland als souveränes Land in Europa
Rechte und Pflichten mit allen Konsequenzen übernimmt, wie zum Beispiel auf dem Balkan,
in Afghanistan oder in anderen Teilen der Welt, geht auf die Erfolgspolitik von Schröder und Fischer zurück und nicht auf Ihre
Politik.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
In den vier Jahren von 1998 bis 2002 haben wir die galoppierende Neuverschuldung gebremst.
1998 musste der Bundesfinanzminister von jeder Mark aus den Steuereinnahmen des Bundes 22
Pfennig an Zinsen zahlen. Heute sind es nur noch 19 Pfennig. Wir sind stolz auf das, was
wir in diesen vier Jahren erreicht haben. Diesen Weg, die Höhe der Nettokreditaufnahme zu
senken, werden wir weitergehen und wir werden dieses Ziel weiterhin im Auge behalten, weil
unsere Kinder und Kindeskinder von uns etwas anderes erben sollen als nur Schuldscheine
und Hypotheken.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben in den letzten vier Jahren im Kern auch die zusätzliche Alterssicherung
beschlossen. Sie ist nun auszugestalten.
Wir stehen nun vor der schweren Aufgabe - das ist die Hauptaufgabe in dieser
Legislaturperiode; ihre Erledigung wird allerdings länger als vier Jahre dauern -, den
Wohlstand dauerhaft zu sichern und den Sozialstaat in seiner Substanz zu garantieren. So
sagt es auch der Koalitionsvertrag mit den Worten Erneuerung, Gerechtigkeit und
Nachhaltigkeit. Im Regierungsprogramm der Sozialdemokraten stehen dafür die Worte
Erneuerung und Zusammenhalt.
Wir wollen Wohlstand sichern und die Substanz des Sozialstaates garantieren. Wenn man
beide Aufgaben ernst nimmt, erkennt man, dass man zuerst den Wohlstand sichern muss. Wir
alle, die wir über soziale Gerechtigkeit sprechen und sie erhalten wollen, müssen immer
bedenken, dass es soziale Gerechtigkeit auf hohem wie auch auf niedrigem
Niveau gibt. Wir alle gehen automatisch davon aus, dass das Niveau der sozialen
Gerechtigkeit in Deutschland hoch ist und dass der Wohlstand, der über 50 Jahre gewachsen
ist, mindestens so bleibt wie heute. Das wollen wir auch erhalten. Aber
selbstverständlich ist das nicht. Deshalb ist es die vorrangige Aufgabe unserer Politik,
dafür zu sorgen, dass wir dieses hohe Niveau der sozialen Gerechtigkeit erhalten,
um darauf aufbauend den Sozialstaat in seiner Substanz so zu organisieren, wie diese
Koalition das will.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Zur Sicherung des Wohlstands tragen auch Investitionen in Bildung und Forschung bei. Ich
kann nur bestätigen, was manche Redner angesprochen haben und was der Bundeskanzler zum
Schluss seiner Regierungserklärung verdeutlicht hat. Auch in der Rede von Frau Merkel kam dieses Thema vor, allerdings hat sie es
falsch interpretiert. Frau Merkel, was Innovationen
und was Forschung und Technologie angeht, können wir uns mit dem, was wir in den letzten
vier Jahren erreicht haben, sehr gut sehen lassen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Der Etat des Ministeriums für Bildung und Forschung ist seit 1998 um 25 Prozent
gestiegen. Deshalb war es möglich, auch in diesem Jahr die Mittel für die Deutsche
Forschungsgemeinschaft um 2,5 Prozent zu erhöhen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deshalb liegen wir im internationalen Vergleich, was die Ausgaben bei Forschung und
Entwicklung angeht, im oberen Mittelfeld. Bei den kleinen Biotechnologieunternehmen sind
wir Spitze. Die Quote der Studienanfänger ist von 1999, als sie bei 28,5 Prozent lag, auf
jetzt 35,6 Prozent gestiegen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
In den letzten Jahren haben wir 40 Lehrstühle für Existenzgründer geschaffen.
Trotz der guten Zahlen aus den letzten Jahren ist die Aufgabe aber noch nicht erfüllt.
Wenn man die Alterssicherung und die Sicherung des Sozialstaates gewährleisten will, sind
Innovationen und das Investieren in die Köpfe und in die Herzen der Jungen, in die
Forschung, in die Entwicklung, in die Technologie und in die Existenzgründungen der
entscheidende Punkt. Wichtiger als alles andere ist, in die Köpfe und die Herzen der
jungen Menschen zu investieren. Das ist die Zukunft des Landes. Dort muss der Schwerpunkt
unserer Politik in Zukunft liegen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Zur Wohlstandssicherung gehört, dass Jugendliche eine Chance haben. Ich unterstütze
ausdrücklich, was Sie, Herr Bundeskanzler, zur Erwartung an die Unternehmen gesagt haben.
Darüber hinaus müssen auch die Schulen, die Eltern und die jungen Menschen ihren Teil
dazu beitragen. Das Ziel, das sich die Koalition auf die Fahnen geschrieben hat, ist, dass
kein junger Mensch von der Schulbank in die Arbeitslosigkeit rutscht. Das ist eine der
wichtigsten Forderungen, die wir stellen und an der wir festhalten müssen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das Schlimmste, was wir jungen Menschen zumuten können, ist, dass sie lernen, dass sie
pauken - wir sagen ihnen immer, wie wichtig das ist -, und wenn sie die Schule beendet
haben, müssen wir ihnen sagen, dass es leider keine Stelle für sie gibt: Setze dich in
die Ecke, du bekommst Stütze, halte den Mund und störe uns nicht! Das ist das
Schlimmste, was jungen Menschen passieren kann. Das verstößt gegen die Würde des
Menschen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Deshalb brauchen wir das, was die Unternehmer und die Politik leisten können, um an
dieser Stelle zu stoppen und die jungen Menschen zu fördern und zu fordern. Ich
unterstütze Wolfgang Clement ausdrücklich dabei,
alles dafür zu tun, dass wir an dieser Stelle anfangen. In Deutschland gibt es 580
000 arbeitslose junge Menschen unter 25 Jahre. Zwei Drittel davon haben keine Ausbildung.
Der Sockel der nicht ausgebildeten jungen Menschen steigt immer weiter. Das kann so nicht
weitergehen; denn das ist der Sockel, der in dieser Wirtschaft später nicht mehr
erwerbsfähig ist.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Zur Wohlstandssicherung gehört auch der Bereich der Investitionen; der Kanzler hat es
angesprochen und deutlich gemacht. Ich hoffe, dass Herr Stoiber
inzwischen im Bundesrat ist und dort dafür sorgt, dass das
Steuervergünstigungsabbaugesetz doch beschlossen wird;
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
denn davon hängt es ab, ob die Gemeinden bis zum Jahre 2006 etwa 7 Milliarden Euro
zusätzlich zur Verfügung haben. Man muss sich das noch einmal auf der Zunge zergehen
lassen: 7 Milliarden Euro erhalten die Kommunen durch das Steuervergünstigungsabbaugesetz
zusätzlich.
Frau Merkel, es war Heuchelei und nicht ehrlich, dass
Sie uns hier mit Kulleraugen erzählt haben, man müsse den Gemeinden helfen, damit sie
ihren Aufgaben gerecht werden können; denn Sie veranlassen gleichzeitig, dass Ihre
Ministerpräsidenten im Bundesrat dafür sorgen, dass gegen das Gesetz gestimmt wird.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Die Opposition muss dafür sorgen, dass die Kommunen handlungsfähig sind.
Die CDU- und CSU-Oberbürgermeister und -Bürgermeister haben die Folgen des
Steuervergünstigungsabbaugesetzes schon längst in ihren Haushalten der nächsten Jahre
berücksichtigt. Es ist so absurd: Sie kämpfen hier und im Bundesrat dagegen und die CDU-
und CSU-Oberbürgermeister und -Bürgermeister rechnen dringend mit dem Geld, das wir
ihnen geben wollen. Sie wollen es ihnen aber verweigern.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Wohlstandssicherung gehört auch das schwierige
Kapitel, das ich mit folgender Leitlinie überschreiben will: Alle Arbeit, die es in
Deutschland gibt, muss von denen getan werden, die legalerweise in Deutschland sind. An
dieser Stelle kneifen wir oft. Es gibt nicht nur die Arbeitslosigkeit, sondern es gibt
auch die Erwartung, dass eine bestimmte Arbeit mit einem bestimmten Status und einem
bestimmten Stundenlohn an einer bestimmten Stelle anfällt. Das geht nicht zusammen. Ich
bitte dringend, dass wir intensiv darüber diskutieren, was man hier machen kann und muss.
Es kann nicht sein, dass wir in Deutschland eine hohe Arbeitslosenzahl haben und es Arbeit
gibt, die nicht getan wird, sodass Menschen aus dem Ausland geholt werden müssen, die sie
leisten. Es kann nicht sein, dass Arbeitslose bestimmte Arbeiten wegen des Status nicht
erledigen.
Die Lösung dieses Problems ist nicht leicht. Durch die Umsetzung des Hartz-Konzeptes
haben wir damit begonnen. Mit den Projekten, über die wir jetzt reden, gehen wir die
nächsten Schritte. Hierin stecken Fördern und Fordern. Die, die wir dabei angucken,
müssen wissen, dass wir es ehrlich meinen. Wir wollen das nicht auf Kosten der unteren
Schicht und derer, die arbeitslos sind, austragen. Wir müssen dafür sorgen, dass sie im
Kleinen und im Großen die Chance haben, in den Arbeitsmarkt hineinzuwachsen. Das ist
unsere Aufgabe, an ihr haben wir zu arbeiten. Ich bestehe aber darauf: Wir müssen alles
dafür tun, dass die Arbeit, die es in Deutschland gibt, von denen getan wird, die in
legaler Weise in diesem Land sind.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Dabei bleibt die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit die Aufgabe aller. Hier hat Hartz Recht
gehabt - das ist in den Debatten der vergangenen Monate ein wenig untergegangen -: Er hat
immer gesagt, dass die Politik das nicht alleine kann und dass alle in der Gesellschaft an
der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu beteiligen sind. Deshalb appelliere
auch ich noch einmal an die Gemeinden, die Landkreise und die Länder: Steigen Sie
nicht aus der Finanzierung von Beschäftigungsinitiativen und
Qualifizierungsgesellschaften vor Ort aus, damit die Menschen eine Anlaufstelle haben und
unterkommen können. Wir brauchen sie auch in Zukunft.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Der Kanzler hat deutlich gemacht - der Wirtschafts- und Arbeitsminister tut das auch -,
dass wir die Brücke von der jetzigen Situation, die unbefriedigend ist, zu dem, was Hartz
bedeutet, bauen wollen. Das gilt auch für das, was im nächsten Jahr, wenn die
Arbeitslosen- und die Sozialhilfe zusammenwachsen, Schritt für Schritt zu leisten ist.
Zur Wohlstandssicherung gehört ein ehrliches Wort über die Länge unserer
Lebensarbeitszeit. Das waren früher 50 Jahre. Mit 13 oder 14 Jahren begann man einen
Beruf, mit 64 oder 65 Jahren stieg man aus dem Erwerbsleben aus. Heute liegt das
Durchschnittsalter beim Arbeitsbeginn bei 21 Jahren, weil viele studieren. Übrigens sind
das nicht zu viele, sondern eher noch zu wenig; manche finden auch keinen Job. Das
Durchschnittsalter beim Ausstieg aus dem Erwerbsleben liegt bei 59 Jahren. Die
Lebenserwartung liegt heute höher als 1950, nämlich um sieben Jahre. Aber die
Lebensarbeitszeit wird kürzer. Die ganze Last konzentriert sich auf die 38 Arbeitsjahre
zwischen 21 und 59 Jahren. Das kann so nicht weitergehen.
Deshalb müssen wir klar sagen: Es ist nötig, dass sich das faktische
Renteneintrittsalter von 59 Jahren auf 65 Jahre verschiebt. Das müssen wir erreichen. Wir
müssen uns von der Vorstellung trennen, es sei schick und sozialpolitisch vernünftig,
einen Menschen mit 50, 52 oder 55 Jahren in Rente zu schicken. Nein, ein Mensch kann und
muss auch noch mit 55, 60 oder 65 Jahren die Chance bekommen zu arbeiten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Dabei wird deutlich, dass ein vernünftiger Umgang mit der Dauer des Arbeitslosengeldes an
dieser Stelle Sinn macht. Der frühe Ausstieg aus dem Erwerbsleben ist kein biblisches
Gesetz. Das ist vor zehn Jahren gemacht worden - viele haben damals Blüm Beifall
geklatscht -, als es darum ging, den großen Unternehmen die Möglichkeit zu geben,
Sozialpläne zu finanzieren. Bei diesem Punkt geht es um Ehrlichkeit bzw. Unehrlichkeit. -
Herr Gerhardt, Sie nicken; Frau Merkel kennt diese Praxis noch nicht so genau. - Damals
sind die Arbeitslosenversicherungsbeiträge kräftig angehoben worden, damit große
Unternehmen Menschen mit 55 oder 57 Jahren entlassen konnten, die ein hohes
Arbeitslosengeld bekamen, um danach in Rente zu gehen. Das ist die Wahrheit.
Wenn wir deutlich machen, dass wir es uns nicht leisten können, dass Menschen mit 55 oder
57 Jahren in Rente gehen, dann müssen wir auch sagen, wie wir dies anders regeln. Dies
wird keine Strafaktion. Da gibt es einen Vertrauensschutz. Aber wir müssen eine sinnvolle
Regelung finden, um die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt an dieser Stelle zu reformieren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Zum Wohlstand gehört, dass wir ein anderes großes Arbeitspotenzial, das wir haben,
besser als bisher nutzen. Ich spreche von der Arbeitskraft der Frauen, von der Generation
der jüngeren Frauen in diesem Land.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Erwerbstätigkeit der Frauen liegt im Westen bei 60 Prozent, im Osten bei 73 Prozent.
Das kann so nicht bleiben. Wir brauchen das Wissen, das Können und die Kreativität von
Frauen. Wir müssen ihnen auch Lebenschancen bieten. Das verbindet sich mit dem, was zwar
heute nicht Hauptthema ist, aber was ebenfalls auf unserer Agenda steht: Hilfe zur
Ganztagsbetreuung, damit die Frauen die Chance bekommen, Familie und Beruf zu vereinbaren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir wollen in diesem Jahrzehnt endlich erreichen, dass auf Parteitagen nicht nur über
Quoten gesprochen wird, sondern dass die Generation unserer Töchter und
Enkeltöchter die reale Chance hat, Familie und Beruf vernünftig miteinander zu
verbinden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wohlstand und soziale Gerechtigkeit: Soziale Gerechtigkeit ist nicht dasselbe wie
Gleichheit. Gerechtigkeit beinhaltet immer auch die Frage von Leistungsfähigkeit und
Leistungswilligkeit des Einzelnen. Soziale Gerechtigkeit ist aber nur möglich, wenn der
Zusammenhalt in der Gesellschaft organisiert ist.
Der Begriff der Eigenverantwortung, Frau Merkel,
schreckt uns nicht. Sie wissen: Die sozialdemokratische Überzeugung orientiert sich immer
am Einzelnen. Eigenverantwortung wird bei uns groß geschrieben. Aber Eigenverantwortung
ist nur glaubhaft, wenn bei aller Verantwortung, die Eltern für ihre Kinder haben, der
Staat, die Gemeinschaft aller - der Staat ist keine Krake, die die Menschen ausbeuten
will, sondern die berechtigte und vereinbarte Organisation der Gesellschaft -,
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
in der Lage ist, die Rahmenbedingungen für Kindergärten, Schulen und Hochschulen so zu
gestalten, dass auch Kinder aus Arbeiterfamilien diese Schulen besuchen können.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Sie können so viel reden, wie Sie wollen: Wir laufen vor dem Staat nicht weg. Wir wissen,
dass der Staat allen Grund hat, sparsam zu sein und schlank zu werden. Jeder Euro, den er
ausgibt, ist das hart verdiente Geld seiner Bürger. Aber ohne den Staat geht es nicht.
Auch für die Zukunft muss gelten: Eigenverantwortung und Zusammenhalt, Wohlstand und
soziale Gerechtigkeit haben damit zu tun, dass alle Menschen in der Gesellschaft
handlungsfähig bleiben und die Chance zur Selbstverwirklichung und Eigenverantwortung
erhalten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir sprechen viel über Generationengerechtigkeit. Bei all dem, was wir zu den
Sozialversicherungssystemen zu sagen haben, wird uns das noch beschäftigen. Dafür bleibt
heute nicht viel Zeit. Ich will aber deutlich machen, dass wir nicht dem manchmal
geäußerten Irrglauben anhängen, dass die totale Privatisierung aller Lebensrisiken das
Beste wäre. Ich sage Ihnen: Es gibt in einer Gesellschaft nichts Besseres, als dass
Menschen für Menschen da sind
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
und man sich bei existenziellen Lebensproblemen auf Menschen verlassen kann. Diese
sozialen Sicherungssysteme, die wir finanzieren, sind sicherer als alle
Lebensversicherungen und Aktien. Wir wollen, dass Generationen auch in Zukunft im
vernünftigen Gleichschritt - nach dem Motto: Jeder trägt seine Last - füreinander
sorgen. Das ist besser als alles andere.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Das gilt im Übrigen auch - ich bin sehr dankbar dafür, dass es in diesem Zusammenhang
klare Worte gab - für die gesetzliche Krankenversicherung. Manche sagen: Ich weiß nicht,
ob ich das wieder herausbekomme, was ich eingezahlt habe. Das ist in der Tat so. Das ist
aber auch nicht der Sinn. Eine Krankenversicherung ist kein Sparklub. Die
Krankenversicherung funktioniert nur, wenn viele wissen, dass sie mehr einzahlen, als sie
herausbekommen, damit einige, die darauf angewiesen sind, mehr herausbekommen, als sie
einzahlen. So funktioniert das ganze System.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Jeder kann der Betroffene sein, jeder kann - auch in jungen Jahren - verunglücken oder
behindert sein und viele Jahre lang darauf angewiesen sein, dass sich die
Gesellschaft für ihn engagiert. Insofern steht dieses Prinzip nicht zur Disposition.
Zur sozialen Gerechtigkeit gehört, dass alle Gruppen - der Kanzler hat das deutlich
gemacht -, auch der öffentliche Bereich, ihren Teil leisten. Ohne jemandem vorzugreifen,
sage ich deshalb: Die Koalitionsfraktionen haben gestern vereinbart, dem Deutschen
Bundestag vorzuschlagen, zum 1. Januar 2004 die Diäten nicht zu erhöhen und das übliche
Sterbegeld für Abgeordnete abzuschaffen. Mit diesem Vorschlag leisten wir einen Teil
unseres Beitrages.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wenn wir in Deutschland die Dinge in den Griff bekommen wollen, brauchen wir das
Miteinander. Das wissen wir. Ein Großteil dessen, was der Kanzler vorgeschlagen hat,
können wir nicht allein mit der Mehrheit des Bundestages erreichen. Dafür brauchen wir
die Zusammenarbeit und die Zustimmung des Bundesrats. Bei allem Streit muss es im
Interesse des Landes möglich sein - darauf setzen wir -, dass das gelingt.
Die Koalition und diejenigen aus der CDU/CSU, die mit sozialer Marktwirtschaft noch etwas
anfangen können, können zusammenarbeiten und gemeinsam vernünftige Gesetze machen. Herr
Schäuble, von Ihnen - Frau Merkel sehe ich im
Augenblick nicht - erwarte ich, dass Sie diejenigen stoppen, die mit großer Lust und
Arroganz dabei sind, grundlegende Gemeinsamkeiten zu zerstören. Ich spreche Herrn Merz,
Herrn Westerwelle und auch Herrn Rogowski an:
Das, was in den letzten Tagen und Wochen gelaufen ist, muss aufhören. Herr Merz sprach in
Bezug auf die Gewerkschaften vom "Sumpf austrocknen". Betriebsräte sollte es im
Osten nur noch in Betrieben mit über 80 Beschäftigten und im Westen in Betrieben mit
über 20 Beschäftigten geben. Das Wahlrecht sollte so geändert werden, dass nicht so
viele Abgeordnete im Deutschen Bundestag Mitglied in einer Gewerkschaft sein könnten.
(Zuruf von SPD: Unverschämtheit!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das rührt an die Grundwerte unserer Demokratie. Das ist
kein Spaß mehr, sondern das demaskiert Sie.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Leute, die so reden, sind formal Demokraten, sie haben aber nicht verstanden, dass
Wirtschaft und Demokratie etwas miteinander zu tun haben. Die Wirtschaft ist für die
Menschen da und nicht umgekehrt. Die Demokratie gehört zur Wirtschaft.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Wenn ich Herrn Westwelle höre, dann sehe ich Frau Thatcher schon ihr Handtäschchen
schwingen.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ihre Vorschläge gehen in die Richtung, die man von Großbritannien kennt. Darauf lassen
wir uns aber nicht ein.
Der Deutsche Bundestag wird bei dem, was jetzt zu tun ist, eine wichtige Rolle spielen.
(Abg. Dr. Guido Westerwelle [FDP] hält eine Damenhandtasche hoch - Heiterkeit im ganzen
Hause)
- Herr Westerwelle, das habe ich doch vermutet.
(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Nein! Das haben Sie gewusst, mein Lieber!)
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:
Eventkultur im Deutschen Bundestag.
Franz Müntefering (SPD):
Bis zum Sommer werden wir drei große Komplexe in Gesetzesform zusammenbinden: das
Gesundheitswesen, die Gemeindefinanzreform einschließlich Arbeitshilfe und Sozialhilfe
und den großen Komplex Mittelstand, Wachstum, Handwerksordnung, Arbeitsmarkt,
Arbeitsrecht. Wenn die Koalition die Eckpunkte hierfür fertig hat, werden wir die
Opposition einladen, gemeinsam mit uns im Deutschen Bundestag diese Gesetze zu beraten und
zu verabschieden.
Es wäre nicht schlecht für die politische und demokratische Kultur in unserem Land, wenn
wir uns nicht auf die scheinbare Selbstverständlichkeit einließen, dass sich in der
ersten Lesung die Koalition und die Opposition gegenüberstehen und dass das Vorhaben
dann in den Bundesrat kommt, wo es sozusagen im Rat der Weisen beraten und letztlich
im Vermittlungsausschuss entschieden wird. Es wäre weiß Gott nicht schlecht für
dieses Parlament, wenn wir nach der ersten Lesung, in der sich unsere Meinung und die
der Opposition gegenüberstehen, den Mut und die Entschlossenheit aufbringen würden,
in den Sitzungen der Ausschüsse und auch in Gesprächen dafür zu sorgen, dass wir
in der zweiten und dritten Lesung zu gemeinsamen Entscheidungen kommen können. -
Herr Seehofer nickt. Lassen Sie uns das also einmal versuchen!
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Ich will Ihnen auch noch einen Tipp geben, Frau Merkel.
Ich kann Frau Merkel gerade nicht entdecken.
(Abg. Dr. Angela Merkel [CDU/CSU] meldet sich)
- Entschuldigung. - Alle Gesetze, die wir im Bundestag gemeinsam zustande bringen,
bedeuten: Vorteil Merkel.
(Heiterkeit bei der SPD)
Alles, was wir im Bundesrat bzw. im Vermittlungsausschuss erreichen,
bedeutet: Vorteil Stoiber. Das ist doch auch ein
schönes Argument. Denken Sie deshalb einmal darüber nach, wie Sie damit umgehen wollen!
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, Frau Merkel hat es bereits
angesprochen: Die deutsche Sozialdemokratie wird in wenigen Wochen, am 23. Mai, 140 Jahre
alt. Was die Frage der Werte angeht, brauchen wir keine Ratschläge.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Als die Sozialdemokraten seinerzeit zusammentraten, hat der spätere Präsident des
Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, Lassalle, ein Schreiben an die Konferenz gerichtet,
die nach seinen Beweggründen gefragt hatte. Damals gab es in Deutschland nur die
Arbeiterbildungsvereine. - Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, gab es noch gar
nicht. -
(Heiterkeit bei der SPD)
Daraufhin hat Lassalle gewissermaßen das erste Programm meiner Partei verfasst. Damals
waren die Programme noch kürzer. Ich habe sie immer gerne gelesen.
(Heiterkeit bei der SPD)
Er hat zwei Grundwerte formuliert: Wenn du willst, dass es besser wird, dann mach dich auf
den Weg und warte nicht ab, dass irgendjemand kommt, der das für dich tut.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Der zweite lautet: Wenn du willst, dass es besser wird, dann musst du wissen: Allein
schaffst du das nicht. Du brauchst Leute, mit denen zusammen du das tust.
(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Für diese Erkenntnis habt ihr vier Jahre
gebraucht!)
Er hat damals gesagt: Geh in einen Verein! Wir würden heute sagen: Mach in einer der
demokratischen Parteien mit! Am besten in unserer; das ist klar.
Das sind die Grundwerte, an denen wir uns orientieren, Frau Merkel. Es geht darum, sich nicht mit den Gegebenheiten
abzufinden. Es geht nicht darum, zu glauben, dass das Paradies auf Erden oder die
Schaffung eines neuen Menschen möglich sind. Es waren immer linke oder rechte
Fundamentalisten, die das geglaubt haben. Die Sozialdemokraten waren
dagegen immer Reformer, die gewusst haben: Wenn wir zwei Schritte nach vorn gehen,
gehen wir einen oder manchmal sogar zwei Schritte zurück. Aber wir lassen uns dabei nicht
in die Knie zwingen.
(Beifall bei der SPD)
Ich versichere Ihnen: Wir werden auch das schaffen. Wir werden Deutschland und der
internationalen Gesellschaft zeigen, dass wir auf internationaler Ebene wie auch in
Deutschland diejenigen sind, die besser als alle anderen politischen Gruppen in diesem
Land in dieser Koalition mit den Grünen garantieren können, dass in Deutschland
Wohlstand und soziale Gerechtigkeit dauerhaft gewährleistet bleiben.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Langanhaltender Beifall bei der SPD - Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -
Bundeskanzler Gerhard Schröder überreicht dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Franz
Müntefering einen Blumenstrauß - Bundesminister Otto Schily gratuliert dem
Fraktionsvorsitzenden)
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