Rede des Bundesvorsitzenden der FDP Dr. Guido Westerwelle zur
Regierungserklärung des Bundeskanzlers "Mut zum Frieden und zur Veränderung"
vom 14. März 2003
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:
Für die FDP erhält jetzt der Abgeordnete Guido Westerwelle das Wort.
(Beifall bei der FDP)
Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Kollege Müntefering, ich möchte
mich jetzt nicht über die bei Ihnen und bei mir neu entdeckte Leidenschaft für
Handtaschen unterhalten. Aber das, was gerade stattgefunden hat, nämlich dass der
Bundeskanzler Ihnen, Herr Kollege Müntefering,
hier einen Blumenstrauß überreicht hat, ist bemerkenswert.
(Franz Müntefering [SPD]: Da ist leider ein bisschen viel Gelb darin, Herr Westerwelle!)
- Um das klar zu sagen: Blumen können gar nicht genug Gelb haben. - Das ist, in allem
Ernst, deshalb besonders bemerkenswert, Herr Kollege Müntefering, weil Sie während und besonders am
Schluss Ihrer Rede genau das zum Ausdruck gebracht haben, was wir als Opposition an Ihnen
kritisieren. Für Sie ist zum Beispiel soziale Gerechtigkeit ausschließlich eine
Kategorie des Staates. Wir setzen dagegen auf die Bürgergesellschaft. Das ist der große
Unterschied.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Es ist auch bemerkenswert, wie Sie am Schluss Ihrer Rede die große Tradition der
Sozialdemokraten - niemand würde ihnen diese absprechen - beschworen haben. Sie haben im
Grunde genommen darauf verwiesen, was vor 140 Jahren wie besprochen wurde. Vor dem
Hintergrund dieses Weltbilds des 19. Jahrhunderts denken und handeln Sie heute noch immer.
Das ist das Problem der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Sie haben vor etwa drei Monaten gegenüber dem "Tagesspiegel" wörtlich gesagt -
das ist, auf drei Sätze gebracht, die Geisteshaltung der Sozialdemokraten in diesem Haus
-:
Dennoch, was wir machen, ist richtig. Weniger für den privaten Konsum und dem Staat Geld
geben, damit Bund, Länder und Gemeinden ihre Aufgaben erfüllen können. Dazu muss man
sich auch bekennen.
Herr Bundeskanzler, genau dazu - mehr für den Staat, weniger für die Bürger - haben Sie
sich mit Ihrem Konjunkturprogramm bekannt. Wir sind der Meinung, dass es umgekehrt besser
ist, und sagen deshalb: Gebt den Bürgern mehr Freiheit, mehr Mittel und mehr
Möglichkeiten, dann geht es auch dem Staat besser! Das ist der fundamentale Unterschied
zwischen Regierung und Opposition.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Die heutige Regierungserklärung des Bundeskanzlers, vor allem die Schlusspointe, hat
durchaus einen bemerkenswerten Sinn für Humor offenbart. Am Schluss seiner Rede hat der
Bundeskanzler wörtlich gesagt:
Aber ich bin entschlossen, nicht mehr zuzulassen, dass Probleme auf die lange Bank
geschoben werden.
Das fällt einem Bundeskanzler ein, der am heutigen Tag 1 600 Tage im Amt ist! Genau das
ist das Problem: Die Reden des Bundeskanzlers bewirken nichts. Sie müssen handeln und
endlich Ihren Worten Taten folgen lassen. In der heutigen Regierungserklärung
war keine Linie. Sie war eine einzige Liste, nicht mehr!
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Die heutige Regierungserklärung sollte eigentlich - tatsächlich ist nur ein bisschen
Vibration übrig geblieben - eine "Ruck-Rede" werden. Sie ist vom Kanzleramt
inszeniert worden. Sie haben vorab entsprechende Erklärungen an die Öffentlichkeit geben
lassen. Allein das Vorspiel zu dieser Rede - es wurde zum Beispiel die Frage erörtert,
welche Erwartungen man haben darf - war bemerkenswert. Als ich dann aber die
Regierungserklärung, die mir gestern Nacht nach Hause gefaxt wurde, gelesen habe, habe
ich mich gefragt: Wo ist der Ruck? Es war lediglich ein bisschen Gezitter, Gebibber und
Rhetorik. Diese Rede bestand in weiten Teilen aus Lyrik. Sie haben vor allen Dingen dann
geklatscht, wenn es darum ging, die Interessen der Gewerkschaftsfunktionäre zu
verteidigen, aber nicht, wenn es darum ging, das Land zu modernisieren.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Übrigens, Herr Kollege Müntefering, man kann
sich im Deutschen Bundestag sicherlich eine Menge vorwerfen. Aber es ist, glaube ich,
nicht angemessen, dass Sie Oppositionspolitikern dieses Hauses vorwerfen, sie seien nur
Formaldemokraten. Darüber sollten Sie noch einmal nachdenken.
Während Herr Kollege Müntefering hier
erklärt hat, wie wichtig die Politik der Gewerkschaftsfunktionäre sei, ist über die
Agenturen die Nachricht über die erste Reaktion Ihres grünen Parteifreundes Bsirske, des
Verdi-Chefs, verbreitet worden. Er sagte zur Regierungserklärung von Gerhard Schröder wörtlich:
Nach 16 Jahren Umverteilung von unten nach oben wird uns jetzt gesagt: Es war noch nicht
genug Umverteilung.
Ich sage Ihnen dazu: Wir brauchen in Deutschland starke Gewerkschaften, auch starke
Tarifparteien. Aber wenn Gewerkschaftsfunktionäre nicht mehr die Interessen ihrer
Mitglieder, der Arbeitslosen oder der Arbeitnehmer vertreten, dann gehören sie mit ihrem
funktionärischen Denken entmachtet und das werden wir in Angriff nehmen, wobei wir auch
einen Konflikt nicht scheuen.
(Beifall bei der FDP)
Genau das ist es doch, was in Wahrheit von Ihnen hätte kommen müssen. Deswegen ist es in
der Regierungserklärung auch nicht gebracht worden. Wo Sie konkret hätten werden
müssen, haben Sie, Herr Bundeskanzler, Ausflüchte gemacht. Beispiel: Was ist denn in
Wahrheit das große Problem im Tarifvertragsrecht? Niemand sagt doch: Das
Tarifvertragsrecht soll abgeschafft oder aufgehoben werden. Was wir sagen, ist, dass das
Flächentarifvertragsrecht so nicht mehr in eine moderne Dienstleistungsgesellschaft
passt. Das hat einen ganz einfachen Grund. Wir erfahren immer wieder bei Gesprächen und
Verhandlungen auch in der Politik, dass eine Unternehmerschaft und die Belegschaft eines
Unternehmens sich auf etwas verständigt haben oder verständigen wollen und anschließend
Gewerkschaftsfunktionäre kommen und im wahrsten Sinne des Wortes einen roten Strich durch
das machen, was souverän in den Betrieben vereinbart wurde. Das hätte die Antwort des
Bundeskanzlers werden müssen, was die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes betrifft. Wenn
sich 75 Prozent einer Belegschaft mit der Betriebsführung auf etwas verständigen, dann
soll das auch gelten dürfen, ohne dass ein Gewerkschaftsfunktionär auf seinem
Ledersessel das verhindern kann.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Dasselbe Problem zeigt sich bei dem, was hier zum Kündigungsschutz gesagt worden ist. Ich
freue mich, dass der Bundeswirtschaftsminister noch da ist. Es ist ohnehin eine Frage
des Stils, was wir heute Vormittag erlebt haben. Vielen Dank an diejenigen von der
Regierung, die noch hier sind.
(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Der Bundeskanzler kommt gleich wieder!)
- Dass jemand einmal kurz weg ist, ist kein Problem. Ich will Ihnen trotzdem eines dazu
sagen, bei allem Respekt. Ich habe das Verhalten der Regierung während der Rede von Frau
Kollegin Merkel verfolgt. Man kann zu jeder Rede in
diesem Hause eine bestimmte Meinung haben, aber wie sich diese Regierung auf der
Regierungsbank mit Faxen und zum Teil Klamauk verhält, wenn Leute von der Opposition
reden,
(Zuruf von der SPD: Klamauk machen Sie doch!)
wirft die Frage nach dem Stil auf. Dieser Stil tut meiner Einschätzung nach der
Demokratie nicht gut.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Der eine telefoniert mit dem Handy, der Außenminister wandert durch die Gänge und macht
irgendwelche Faxen. Sie benehmen sich auf der Regierungsbank zum Teil wie pubertierende
Schüler im Aufklärungsunterricht. Das ist mittlerweile unerträglich geworden.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN)
Ich bitte das Präsidium des Bundestages, sich dieser Frage einmal anzunehmen und vor
allen Dingen der Regierung mitzuteilen, dass hier das Verfassungsorgan Deutscher Bundestag
tagt und die Regierung gefälligst mit Respekt gegenüber den Parlamentariern aufzutreten
hat. Das muss an dieser Stelle endlich einmal gesagt werden.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN)
Aber es ist ja bemerkenswert, Herr Bundeskanzler, um zur Sache zu kommen, zu dem zweiten
konkreten Punkt - -
(Beifall bei der SPD - Zuruf von der SPD: Na endlich!)
- Das zeigt es wieder einmal. In Ihrem Alter sollte man aus der Pubertät wirklich langsam
heraus sein. Wirklich, das ist notwendig. Furchtbar: mit 60 wie ein 14-Jähriger!
(Franz Müntefering [SPD]: Da muss er ja selbst lachen!)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte jetzt noch auf etwas in der
Regierungserklärung antworten, auf etwas, was der Bundeskanzler zu einem entscheidenden
Thema gesagt hat. Das war in dem Konzept, das Sie uns zur Verfügung gestellt haben, noch
weit konkreter. Da war man ja überrascht. In dem Konzept hieß es zum Tarifvertragsrecht,
Sie seien der Überzeugung, es müsse mehr betriebliche Vereinbarungen geben, aber das
letzte Wort sollten dann die Tarifvertragsparteien haben. Denn alles, was innerbetrieblich
vereinbart werden solle, müsse sowieso von den Tarifvertragsparteien sanktioniert werden.
Das ist doch das, was wir haben, und deshalb funktioniert es nicht.
Was Sie gesagt haben, Herr Bundeskanzler, war reine Lyrik und reine Rhetorik. Sie sagen:
Der Bundeswirtschaftsminister hat die volle Unterstützung, wenn er über den
Kündigungsschutz redet. Aber dazu haben Sie nichts gesagt. Sie sagen, dass
der Bundeswirtschaftsminister die Unterstützung habe, Sie würden es so machen, wie er es
angekündigt habe, aber anschließend tragen Sie uns zwei Gedankenmodelle vor, wie
man es machen könnte. So oder so, das ist Ihre Rede.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das ist für eine Regierungserklärung zu wenig.
Ich habe mit Interesse verfolgt, was der Bundeswirtschaftsminister - ich möchte ihm aus
Sicht der Freien Demokraten an dieser Stelle ausdrücklich Recht geben - gestern in
München gesagt hat. Herr Clement, Ihre Äußerungen
werden folgendermaßen wiedergegeben - ich zitiere -:
Unterdessen schlug der Bundesminister Wolfgang Clement
in der Debatte um eine Lockerung des Kündigungsschutzes vor, Kleinstbetrieben mit bis zu
fünf Mitarbeitern künftig eine unbegrenzte Zahl befristeter Neueinstellungen zu
erlauben.
Das ist der entscheidende Punkt. Lassen Sie uns das doch machen! Herr Bundeskanzler,
bekennen Sie sich dazu, ob Sie es machen oder ob Sie es nicht machen!
(Gerhard Schröder, Bundeskanzler: Haben Sie das nicht verstanden? Ich habe es doch
vorgetragen!)
- Nein, Sie haben Wolken vor sich hergeschoben. Vorgetragen haben Sie eben nicht das, was
man konkret erwartet hat.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Herr Bundeskanzler, genau das ist das Problem: Sie meinen, eine medial geschickte Floskel
sei schon ein Ersatz für Regierungspolitik. Das funktioniert nun einmal nicht und das
merkt man an dieser Stelle ganz genau. Sie müssen endlich Butter bei die Fische tun. Ein
Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland darf sich nicht daran messen lassen wollen,
ob er seine Ziele im Jahr 2010 erreicht hat. Er muss erklären, welche Ergebnisse seine
Politik bis zum Ende der Legislaturperiode erzielt haben soll und zu welchen Zeitpunkten
er welche konkreten Maßnahmen ergreift.
(Hubertus Heil [SPD]: Das hat er gerade getan! - Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN]: Sie haben nicht zugehört! So schwach waren Sie noch nie, Herr
Westerwelle!)
In Wahrheit tun Sie nichts. Sie bleiben unverbindlich, wo Sie konkret werden müssten.
Konkret wurden Sie nur da, wo Sie gesagt haben, was Sie nicht machen wollen. Das ist weiß
Gott zu wenig.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir haben gestern schon einmal erlebt, dass Sie sich davon verabschiedet haben, das zu
tun, was wirklich notwendig wäre. Die Debatte über die Neufassung des
Ladenschlussgesetzes hat Bände gesprochen.
Das, was für einen Neuanfang in diesem Land notwendig wäre, lässt sich mit der
Überschrift "Marktwirtschaftliche Erneuerung" zusammenfassen. Es geht um eine
Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft, zu der Sie sich hätten bekennen müssen. Das
heißt aber, dass man sich den Problemen stellt. Sie müssten Steuersenkungen und
Steuervereinfachungen vornehmen. Hier kündigen Sie das Gegenteil an, nämlich die
faktische Ausweitung der Gewerbesteuer. Damit verabschieden Sie sich vom Ziel der
Einkommensteuerreform im Sinne von mehr Steuergerechtigkeit.
(Beifall bei der FDP)
Das passt einfach nicht zusammen.
Sie hätten sagen müssen, wie Sie das Tarifrecht konkret ändern wollen. Im Hinblick auf
das Kündigungsschutzgesetz hätten Sie sagen müssen: Das ist es, was wir machen wollen.
Besser wäre es, denjenigen Arbeitgebern, die bisher nur fünf Beschäftigte haben,
die Chance zu geben, bei einer guten Auftragslage einen sechsten Arbeitnehmer zu
beschäftigen, ohne dass das für sie bedeutet - das wäre das Ergebnis eines
erweiterten, nicht rücknehmbaren Kündigungsschutzes -, in schlechten Zeiten die
gesamte Belegschaft entlassen und Konkurs anmelden zu müssen. Die Situation in
Deutschland wäre besser, wenn es mehr Arbeitsplätze mit etwas weniger
Kündigungsschutz als eine Massenarbeitslosigkeit mit vollem Kündigungsschutz gäbe.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Zu alldem kommt von Ihnen nichts Konkretes.
Sie behaupten, Ihr Vorhaben sei ein Investitionsprogramm und in Wahrheit gar kein
Konjunkturprogramm. Genauso hat man sich auch in den 70er-Jahren immer ausgedrückt. In
den 70er-Jahren hat es exakt vier Programme wie das gegeben, das Sie heute vorgestellt
haben: Im Jahre 1974 gab es zwei solcher Programme und in den Jahren 1975 und 1977 je
eins. Das Ergebnis waren - das laste ich gar nicht einer Partei allein an; in dieser
Hinsicht haben wir genauso unser Lehrgeld gezahlt - zunächst eine halbe Million
Arbeitslose; später hat sich die Arbeitslosenzahl mehr als verdoppelt.
Auch die Finanzierung Ihres Programms durch Mittel der Kreditanstalt für Wiederaufbau
bedeutet in Wahrheit nichts anderes als eine Erhöhung der staatlichen Ausgaben. Sie
setzen eben doch auf mehr Schulden. Ihre Regierungserklärung enthielt bereits
Begründungen für das Scheitern Ihrer Politik. Ende des Jahres wird von zwei Ursachen die
Rede sein.
Erstens: die Weltlage. Sie werden sagen: Der instabile Frieden und ein möglicher Krieg
haben uns daran gehindert, unsere Ziele zu erreichen. Ich wiederhole: Sie legen schon
jetzt Begründungen für das Scheitern Ihrer Politik vor.
Zweitens - sehr bemerkenswert! -: Ihre Äußerungen zum Stabilitätspakt.
(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ist das eine langweilige Rede!
Sagen Sie doch einmal, was Sie wollen!)
- Ich gehe genau auf die Regierungserklärung ein. Ich glaube, dass der Bundeskanzler nach
dieser langen Regierungserklärung - die Regierungserklärungen werden ja immer länger,
auch wenn immer weniger drinsteht - das Recht auf konkrete Antworten hat.
Sie sprechen von dem, was Sie vorbereiten. Sie sagen zum Stabilitätspakt:
Dieser Pakt darf eben nicht statisch interpretiert werden. Er lässt Raum ... für
Reaktionen auf unvorhergesehene Ereignisse.
Damit sagen Sie in Wahrheit schon jetzt: Sie glauben gar nicht mehr daran, dass Sie eine
stabile Finanzpolitik durchhalten können. Sie haben die Katze aus dem Sack gelassen. Das
ist erstens schlecht für die Menschen, die es betrifft; denn nichts ist so unsozial wie
eine Weichwährung. Zweitens ist es eine Katastrophe für Europa. Wenn Deutschland diesen
Weg der Instabilität geht, werden die anderen Europäer ebenfalls ihren Reformdruck
sausen lassen. Dann ist der Euro irgendwann eine Weichwährung. Das wollen wir
Freidemokraten verhindern.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Sie wollen ein Konjunkturprogramm wie in den 70er-Jahren auflegen; aber wenn es konkret
werden soll, sind Sie nicht konkret geworden. Auf der Bundesratsbank saß eben, wie ich
finde, eine berechtigterweise große Zahl von Ministerpräsidenten. Sie hätten sich bei
Ihren eigenen Ministerpräsidenten einmal erkundigen können, was sie zum Teil in ihren
Ländern machen. Wenn Gutes umgesetzt wird, sollte das auch erwähnt
werden. Das ist doch kein Problem. Man freut sich schließlich darüber, wenn das in die
Debatte eingebracht werden kann. Es geht dabei doch nicht um einen Streit über
Urheberrechte. Aber wenn in einer Regierungserklärung zum Thema Zukunft der Wirtschaft
und Zukunft des Landes kein einziges Wort zum Krebsübel des Mittelstandes und unserer
wirtschaftlichen Entwicklung gesagt wird,
(Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr!)
dazu, wie man das bürokratische Monstrum Staat etwas zurückschneiden kann, zeigt das,
dass Sie mit der Realität in Wahrheit nichts mehr zu tun haben.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Eine Regierungserklärung, die Deutschland eine neue Perspektive geben soll, sich aber
nicht an das Thema Staatsausgaben - sprich: Subventionsabbau, Privatisierungspolitik -
herantraut, die sich vor der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes ins Unverbindliche
flüchtet, die auch noch das ganze Thema Bürokratieabbau ausspart, eine solche
Regierungserklärung ist nicht geeignet, dieses Land voranzubringen.
So wird das nichts.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das ist bedauerlich für die Menschen. Ich glaube, meine sehr geehrten Damen und Herren,
dass wir an dieser Stelle als Opposition die große Aufgabe haben, mit unserer gemeinsamen
Mehrheit im Bundesrat richtig zu handeln. Frau Kollegin Merkel
hat Recht, wenn sie darauf hinweist, dass Sie zu derselben Stunde, in der wir im Deutschen
Bundestag beraten, im Bundesrat Steuererhöhungen zur Abstimmung stellen. Sagen Sie nicht,
wir seien, weil wir diese Steuererhöhungen im Bundesrat blockieren, die Übeltäter der
Republik.
(Zuruf von der SPD: Doch, das seid ihr!)
Nein, wir werden auch künftig das unterstützen, was in die richtige Richtung geht.
Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft ja, aber mehr bürokratische Staatswirtschaft
nein.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)
Wenn Sie die Steuern erhöhen wollen, bekommen Sie das bei den neuen
Mehrheitsverhältnissen im Bundesrat nicht durch. Dafür werden die Oppositionsparteien in
diesem Hause und im Bundesrat sorgen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Es ist sehr bedauerlich, dass Sie Ihre Chance nicht genutzt haben. Sie haben im Vorfeld
eine große Erwartungshaltung geschaffen. Diese Erwartungshaltung hat dazu geführt, dass
sehr viele Menschen heute Vormittag Ihre Rede gehört haben, weil sie gedacht haben,
wunders was da kommt.
(Peter Dreßen [SPD]: Bei jeder Rede hätten Sie das gesagt!)
Sie dachten, jetzt käme eine Ruckrede wie damals von Herzog. Das war es aber nicht.
(Franz Müntefering [SPD]: Ihre 18 Minuten sind um!)
Meine Damen und Herren, es wäre sehr schön gewesen, wenn es an dieser Stelle heute mehr
Bewegung gegeben hätte. Wir hätten Ihnen gerne Beifall gespendet.
(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Krista Sager [BÜNDNIS 90/ DIE
GRÜNEN]: Ein bisschen mehr Ehrlichkeit würde Ihnen gut stehen, Herr Westerwelle!)
Aber dieser Politik können wir keine Zustimmung geben, weil sie das Land eher
zurückführt, als es nach vorne zu bringen. Sie sind auf dem alten Weg. Sie haben sich
nicht an das erinnert, was Sie 1999 gemeinsam mit Tony Blair aufgeschrieben haben.
Das hätten Sie hier sagen sollen. Sie hätten Ihr altes Papier vorlegen sollen. Darauf
hätten wir vielleicht gesagt: Das kommt zwar ein paar Jahre zu spät,
aber wenigstens gehen Sie jetzt in die richtige Richtung.
Sie sind mit dieser Regierung gescheitert und so kommen Sie nicht mehr auf die Beine. So
bekommen Sie ein paar Blumen von den Sozen, aber nicht die Zustimmung des Volkes, meine
sehr geehrten Damen und Herren.
(Anhaltender Beifall bei der FDP - Beifall bei der CDU/CSU)
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