Rede des Bundesvorsitzenden der FDP Dr. Guido Westerwelle zur Regierungserklärung des Bundeskanzlers "Mut zum Frieden und zur Veränderung"

vom 14. März 2003


Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:
Für die FDP erhält jetzt der Abgeordnete Guido Westerwelle das Wort.

(Beifall bei der FDP)


Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Müntefering, ich möchte mich jetzt nicht über die bei Ihnen und bei mir neu entdeckte Leidenschaft für Handtaschen unterhalten. Aber das, was gerade stattgefunden hat, nämlich dass der Bundeskanzler Ihnen, Herr Kollege Müntefering, hier einen Blumenstrauß überreicht hat, ist bemerkenswert.

(Franz Müntefering [SPD]: Da ist leider ein bisschen viel Gelb darin, Herr Westerwelle!)

- Um das klar zu sagen: Blumen können gar nicht genug Gelb haben. - Das ist, in allem Ernst, deshalb besonders bemerkenswert, Herr Kollege Müntefering, weil Sie während und besonders am Schluss Ihrer Rede genau das zum Ausdruck gebracht haben, was wir als Opposition an Ihnen kritisieren. Für Sie ist zum Beispiel soziale Gerechtigkeit ausschließlich eine Kategorie des Staates. Wir setzen dagegen auf die Bürgergesellschaft. Das ist der große Unterschied.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es ist auch bemerkenswert, wie Sie am Schluss Ihrer Rede die große Tradition der Sozialdemokraten - niemand würde ihnen diese absprechen - beschworen haben. Sie haben im Grunde genommen darauf verwiesen, was vor 140 Jahren wie besprochen wurde. Vor dem Hintergrund dieses Weltbilds des 19. Jahrhunderts denken und handeln Sie heute noch immer. Das ist das Problem der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie haben vor etwa drei Monaten gegenüber dem "Tagesspiegel" wörtlich gesagt - das ist, auf drei Sätze gebracht, die Geisteshaltung der Sozialdemokraten in diesem Haus -:

Dennoch, was wir machen, ist richtig. Weniger für den privaten Konsum und dem Staat Geld geben, damit Bund, Länder und Gemeinden ihre Aufgaben erfüllen können. Dazu muss man sich auch bekennen.

Herr Bundeskanzler, genau dazu - mehr für den Staat, weniger für die Bürger - haben Sie sich mit Ihrem Konjunkturprogramm bekannt. Wir sind der Meinung, dass es umgekehrt besser ist, und sagen deshalb: Gebt den Bürgern mehr Freiheit, mehr Mittel und mehr Möglichkeiten, dann geht es auch dem Staat besser! Das ist der fundamentale Unterschied zwischen Regierung und Opposition.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die heutige Regierungserklärung des Bundeskanzlers, vor allem die Schlusspointe, hat durchaus einen bemerkenswerten Sinn für Humor offenbart. Am Schluss seiner Rede hat der Bundeskanzler wörtlich gesagt:

Aber ich bin entschlossen, nicht mehr zuzulassen, dass Probleme auf die lange Bank geschoben werden.

Das fällt einem Bundeskanzler ein, der am heutigen Tag 1 600 Tage im Amt ist! Genau das ist das Problem: Die Reden des Bundeskanzlers bewirken nichts. Sie müssen handeln und endlich Ihren Worten Taten folgen lassen. In der heutigen Regierungserklärung war keine Linie. Sie war eine einzige Liste, nicht mehr!

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die heutige Regierungserklärung sollte eigentlich - tatsächlich ist nur ein bisschen Vibration übrig geblieben - eine "Ruck-Rede" werden. Sie ist vom Kanzleramt inszeniert worden. Sie haben vorab entsprechende Erklärungen an die Öffentlichkeit geben lassen. Allein das Vorspiel zu dieser Rede - es wurde zum Beispiel die Frage erörtert, welche Erwartungen man haben darf - war bemerkenswert. Als ich dann aber die Regierungserklärung, die mir gestern Nacht nach Hause gefaxt wurde, gelesen habe, habe ich mich gefragt: Wo ist der Ruck? Es war lediglich ein bisschen Gezitter, Gebibber und Rhetorik. Diese Rede bestand in weiten Teilen aus Lyrik. Sie haben vor allen Dingen dann geklatscht, wenn es darum ging, die Interessen der Gewerkschaftsfunktionäre zu verteidigen, aber nicht, wenn es darum ging, das Land zu modernisieren.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Übrigens, Herr Kollege Müntefering, man kann sich im Deutschen Bundestag sicherlich eine Menge vorwerfen. Aber es ist, glaube ich, nicht angemessen, dass Sie Oppositionspolitikern dieses Hauses vorwerfen, sie seien nur Formaldemokraten. Darüber sollten Sie noch einmal nachdenken.

Während Herr Kollege Müntefering hier erklärt hat, wie wichtig die Politik der Gewerkschaftsfunktionäre sei, ist über die Agenturen die Nachricht über die erste Reaktion Ihres grünen Parteifreundes Bsirske, des Verdi-Chefs, verbreitet worden. Er sagte zur Regierungserklärung von Gerhard Schröder wörtlich:

Nach 16 Jahren Umverteilung von unten nach oben wird uns jetzt gesagt: Es war noch nicht genug Umverteilung.

Ich sage Ihnen dazu: Wir brauchen in Deutschland starke Gewerkschaften, auch starke Tarifparteien. Aber wenn Gewerkschaftsfunktionäre nicht mehr die Interessen ihrer Mitglieder, der Arbeitslosen oder der Arbeitnehmer vertreten, dann gehören sie mit ihrem funktionärischen Denken entmachtet und das werden wir in Angriff nehmen, wobei wir auch einen Konflikt nicht scheuen.

(Beifall bei der FDP)

Genau das ist es doch, was in Wahrheit von Ihnen hätte kommen müssen. Deswegen ist es in der Regierungserklärung auch nicht gebracht worden. Wo Sie konkret hätten werden müssen, haben Sie, Herr Bundeskanzler, Ausflüchte gemacht. Beispiel: Was ist denn in Wahrheit das große Problem im Tarifvertragsrecht? Niemand sagt doch: Das Tarifvertragsrecht soll abgeschafft oder aufgehoben werden. Was wir sagen, ist, dass das Flächentarifvertragsrecht so nicht mehr in eine moderne Dienstleistungsgesellschaft passt. Das hat einen ganz einfachen Grund. Wir erfahren immer wieder bei Gesprächen und Verhandlungen auch in der Politik, dass eine Unternehmerschaft und die Belegschaft eines Unternehmens sich auf etwas verständigt haben oder verständigen wollen und anschließend Gewerkschaftsfunktionäre kommen und im wahrsten Sinne des Wortes einen roten Strich durch das machen, was souverän in den Betrieben vereinbart wurde. Das hätte die Antwort des Bundeskanzlers werden müssen, was die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes betrifft. Wenn sich 75 Prozent einer Belegschaft mit der Betriebsführung auf etwas verständigen, dann soll das auch gelten dürfen, ohne dass ein Gewerkschaftsfunktionär auf seinem Ledersessel das verhindern kann.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Dasselbe Problem zeigt sich bei dem, was hier zum Kündigungsschutz gesagt worden ist. Ich freue mich, dass der Bundeswirtschaftsminister noch da ist. Es ist ohnehin eine Frage des Stils, was wir heute Vormittag erlebt haben. Vielen Dank an diejenigen von der Regierung, die noch hier sind.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Der Bundeskanzler kommt gleich wieder!)

- Dass jemand einmal kurz weg ist, ist kein Problem. Ich will Ihnen trotzdem eines dazu sagen, bei allem Respekt. Ich habe das Verhalten der Regierung während der Rede von Frau Kollegin Merkel verfolgt. Man kann zu jeder Rede in diesem Hause eine bestimmte Meinung haben, aber wie sich diese Regierung auf der Regierungsbank mit Faxen und zum Teil Klamauk verhält, wenn Leute von der Opposition reden,

(Zuruf von der SPD: Klamauk machen Sie doch!)

wirft die Frage nach dem Stil auf. Dieser Stil tut meiner Einschätzung nach der Demokratie nicht gut.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Der eine telefoniert mit dem Handy, der Außenminister wandert durch die Gänge und macht irgendwelche Faxen. Sie benehmen sich auf der Regierungsbank zum Teil wie pubertierende Schüler im Aufklärungsunterricht. Das ist mittlerweile unerträglich geworden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bitte das Präsidium des Bundestages, sich dieser Frage einmal anzunehmen und vor allen Dingen der Regierung mitzuteilen, dass hier das Verfassungsorgan Deutscher Bundestag tagt und die Regierung gefälligst mit Respekt gegenüber den Parlamentariern aufzutreten hat. Das muss an dieser Stelle endlich einmal gesagt werden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber es ist ja bemerkenswert, Herr Bundeskanzler, um zur Sache zu kommen, zu dem zweiten konkreten Punkt - -

(Beifall bei der SPD - Zuruf von der SPD: Na endlich!)

- Das zeigt es wieder einmal. In Ihrem Alter sollte man aus der Pubertät wirklich langsam heraus sein. Wirklich, das ist notwendig. Furchtbar: mit 60 wie ein 14-Jähriger!

(Franz Müntefering [SPD]: Da muss er ja selbst lachen!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte jetzt noch auf etwas in der Regierungserklärung antworten, auf etwas, was der Bundeskanzler zu einem entscheidenden Thema gesagt hat. Das war in dem Konzept, das Sie uns zur Verfügung gestellt haben, noch weit konkreter. Da war man ja überrascht. In dem Konzept hieß es zum Tarifvertragsrecht, Sie seien der Überzeugung, es müsse mehr betriebliche Vereinbarungen geben, aber das letzte Wort sollten dann die Tarifvertragsparteien haben. Denn alles, was innerbetrieblich vereinbart werden solle, müsse sowieso von den Tarifvertragsparteien sanktioniert werden. Das ist doch das, was wir haben, und deshalb funktioniert es nicht.

Was Sie gesagt haben, Herr Bundeskanzler, war reine Lyrik und reine Rhetorik. Sie sagen: Der Bundeswirtschaftsminister hat die volle Unterstützung, wenn er über den Kündigungsschutz redet. Aber dazu haben Sie nichts gesagt. Sie sagen, dass der Bundeswirtschaftsminister die Unterstützung habe, Sie würden es so machen, wie er es angekündigt habe, aber anschließend tragen Sie uns zwei Gedankenmodelle vor, wie man es machen könnte. So oder so, das ist Ihre Rede.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Das ist für eine Regierungserklärung zu wenig.

Ich habe mit Interesse verfolgt, was der Bundeswirtschaftsminister - ich möchte ihm aus Sicht der Freien Demokraten an dieser Stelle ausdrücklich Recht geben - gestern in München gesagt hat. Herr Clement, Ihre Äußerungen werden folgendermaßen wiedergegeben - ich zitiere -:

Unterdessen schlug der Bundesminister Wolfgang Clement in der Debatte um eine Lockerung des Kündigungsschutzes vor, Kleinstbetrieben mit bis zu fünf Mitarbeitern künftig eine unbegrenzte Zahl befristeter Neueinstellungen zu erlauben.

Das ist der entscheidende Punkt. Lassen Sie uns das doch machen! Herr Bundeskanzler, bekennen Sie sich dazu, ob Sie es machen oder ob Sie es nicht machen!

(Gerhard Schröder, Bundeskanzler: Haben Sie das nicht verstanden? Ich habe es doch vorgetragen!)

- Nein, Sie haben Wolken vor sich hergeschoben. Vorgetragen haben Sie eben nicht das, was man konkret erwartet hat.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Herr Bundeskanzler, genau das ist das Problem: Sie meinen, eine medial geschickte Floskel sei schon ein Ersatz für Regierungspolitik. Das funktioniert nun einmal nicht und das merkt man an dieser Stelle ganz genau. Sie müssen endlich Butter bei die Fische tun. Ein Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland darf sich nicht daran messen lassen wollen, ob er seine Ziele im Jahr 2010 erreicht hat. Er muss erklären, welche Ergebnisse seine Politik bis zum Ende der Legislaturperiode erzielt haben soll und zu welchen Zeitpunkten er welche konkreten Maßnahmen ergreift.

(Hubertus Heil [SPD]: Das hat er gerade getan! - Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben nicht zugehört! So schwach waren Sie noch nie, Herr Westerwelle!)

In Wahrheit tun Sie nichts. Sie bleiben unverbindlich, wo Sie konkret werden müssten. Konkret wurden Sie nur da, wo Sie gesagt haben, was Sie nicht machen wollen. Das ist weiß Gott zu wenig.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir haben gestern schon einmal erlebt, dass Sie sich davon verabschiedet haben, das zu tun, was wirklich notwendig wäre. Die Debatte über die Neufassung des Ladenschlussgesetzes hat Bände gesprochen.

Das, was für einen Neuanfang in diesem Land notwendig wäre, lässt sich mit der Überschrift "Marktwirtschaftliche Erneuerung" zusammenfassen. Es geht um eine Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft, zu der Sie sich hätten bekennen müssen. Das heißt aber, dass man sich den Problemen stellt. Sie müssten Steuersenkungen und Steuervereinfachungen vornehmen. Hier kündigen Sie das Gegenteil an, nämlich die faktische Ausweitung der Gewerbesteuer. Damit verabschieden Sie sich vom Ziel der Einkommensteuerreform im Sinne von mehr Steuergerechtigkeit.

(Beifall bei der FDP)

Das passt einfach nicht zusammen.

Sie hätten sagen müssen, wie Sie das Tarifrecht konkret ändern wollen. Im Hinblick auf das Kündigungsschutzgesetz hätten Sie sagen müssen: Das ist es, was wir machen wollen. Besser wäre es, denjenigen Arbeitgebern, die bisher nur fünf Beschäftigte haben, die Chance zu geben, bei einer guten Auftragslage einen sechsten Arbeitnehmer zu beschäftigen, ohne dass das für sie bedeutet - das wäre das Ergebnis eines erweiterten, nicht rücknehmbaren Kündigungsschutzes -, in schlechten Zeiten die gesamte Belegschaft entlassen und Konkurs anmelden zu müssen. Die Situation in Deutschland wäre besser, wenn es mehr Arbeitsplätze mit etwas weniger Kündigungsschutz als eine Massenarbeitslosigkeit mit vollem Kündigungsschutz gäbe.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zu alldem kommt von Ihnen nichts Konkretes.

Sie behaupten, Ihr Vorhaben sei ein Investitionsprogramm und in Wahrheit gar kein Konjunkturprogramm. Genauso hat man sich auch in den 70er-Jahren immer ausgedrückt. In den 70er-Jahren hat es exakt vier Programme wie das gegeben, das Sie heute vorgestellt haben: Im Jahre 1974 gab es zwei solcher Programme und in den Jahren 1975 und 1977 je eins. Das Ergebnis waren - das laste ich gar nicht einer Partei allein an; in dieser Hinsicht haben wir genauso unser Lehrgeld gezahlt - zunächst eine halbe Million Arbeitslose; später hat sich die Arbeitslosenzahl mehr als verdoppelt.

Auch die Finanzierung Ihres Programms durch Mittel der Kreditanstalt für Wiederaufbau bedeutet in Wahrheit nichts anderes als eine Erhöhung der staatlichen Ausgaben. Sie setzen eben doch auf mehr Schulden. Ihre Regierungserklärung enthielt bereits Begründungen für das Scheitern Ihrer Politik. Ende des Jahres wird von zwei Ursachen die Rede sein.

Erstens: die Weltlage. Sie werden sagen: Der instabile Frieden und ein möglicher Krieg haben uns daran gehindert, unsere Ziele zu erreichen. Ich wiederhole: Sie legen schon jetzt Begründungen für das Scheitern Ihrer Politik vor.

Zweitens - sehr bemerkenswert! -: Ihre Äußerungen zum Stabilitätspakt.

(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ist das eine langweilige Rede! Sagen Sie doch einmal, was Sie wollen!)

- Ich gehe genau auf die Regierungserklärung ein. Ich glaube, dass der Bundeskanzler nach dieser langen Regierungserklärung - die Regierungserklärungen werden ja immer länger, auch wenn immer weniger drinsteht - das Recht auf konkrete Antworten hat.

Sie sprechen von dem, was Sie vorbereiten. Sie sagen zum Stabilitätspakt:

Dieser Pakt darf eben nicht statisch interpretiert werden. Er lässt Raum ... für Reaktionen auf unvorhergesehene Ereignisse.

Damit sagen Sie in Wahrheit schon jetzt: Sie glauben gar nicht mehr daran, dass Sie eine stabile Finanzpolitik durchhalten können. Sie haben die Katze aus dem Sack gelassen. Das ist erstens schlecht für die Menschen, die es betrifft; denn nichts ist so unsozial wie eine Weichwährung. Zweitens ist es eine Katastrophe für Europa. Wenn Deutschland diesen Weg der Instabilität geht, werden die anderen Europäer ebenfalls ihren Reformdruck sausen lassen. Dann ist der Euro irgendwann eine Weichwährung. Das wollen wir Freidemokraten verhindern.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie wollen ein Konjunkturprogramm wie in den 70er-Jahren auflegen; aber wenn es konkret werden soll, sind Sie nicht konkret geworden. Auf der Bundesratsbank saß eben, wie ich finde, eine berechtigterweise große Zahl von Ministerpräsidenten. Sie hätten sich bei Ihren eigenen Ministerpräsidenten einmal erkundigen können, was sie zum Teil in ihren Ländern machen. Wenn Gutes umgesetzt wird, sollte das auch erwähnt werden. Das ist doch kein Problem. Man freut sich schließlich darüber, wenn das in die Debatte eingebracht werden kann. Es geht dabei doch nicht um einen Streit über Urheberrechte. Aber wenn in einer Regierungserklärung zum Thema Zukunft der Wirtschaft und Zukunft des Landes kein einziges Wort zum Krebsübel des Mittelstandes und unserer wirtschaftlichen Entwicklung gesagt wird,

(Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

dazu, wie man das bürokratische Monstrum Staat etwas zurückschneiden kann, zeigt das, dass Sie mit der Realität in Wahrheit nichts mehr zu tun haben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Eine Regierungserklärung, die Deutschland eine neue Perspektive geben soll, sich aber nicht an das Thema Staatsausgaben - sprich: Subventionsabbau, Privatisierungspolitik - herantraut, die sich vor der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes ins Unverbindliche flüchtet, die auch noch das ganze Thema Bürokratieabbau ausspart, eine solche Regierungserklärung ist nicht geeignet, dieses Land voranzubringen. So wird das nichts.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das ist bedauerlich für die Menschen. Ich glaube, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass wir an dieser Stelle als Opposition die große Aufgabe haben, mit unserer gemeinsamen Mehrheit im Bundesrat richtig zu handeln. Frau Kollegin Merkel hat Recht, wenn sie darauf hinweist, dass Sie zu derselben Stunde, in der wir im Deutschen Bundestag beraten, im Bundesrat Steuererhöhungen zur Abstimmung stellen. Sagen Sie nicht, wir seien, weil wir diese Steuererhöhungen im Bundesrat blockieren, die Übeltäter der Republik.

(Zuruf von der SPD: Doch, das seid ihr!)

Nein, wir werden auch künftig das unterstützen, was in die richtige Richtung geht. Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft ja, aber mehr bürokratische Staatswirtschaft nein.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

Wenn Sie die Steuern erhöhen wollen, bekommen Sie das bei den neuen Mehrheitsverhältnissen im Bundesrat nicht durch. Dafür werden die Oppositionsparteien in diesem Hause und im Bundesrat sorgen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es ist sehr bedauerlich, dass Sie Ihre Chance nicht genutzt haben. Sie haben im Vorfeld eine große Erwartungshaltung geschaffen. Diese Erwartungshaltung hat dazu geführt, dass sehr viele Menschen heute Vormittag Ihre Rede gehört haben, weil sie gedacht haben, wunders was da kommt.

(Peter Dreßen [SPD]: Bei jeder Rede hätten Sie das gesagt!)

Sie dachten, jetzt käme eine Ruckrede wie damals von Herzog. Das war es aber nicht.

(Franz Müntefering [SPD]: Ihre 18 Minuten sind um!)

Meine Damen und Herren, es wäre sehr schön gewesen, wenn es an dieser Stelle heute mehr Bewegung gegeben hätte. Wir hätten Ihnen gerne Beifall gespendet.

(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Krista Sager [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ein bisschen mehr Ehrlichkeit würde Ihnen gut stehen, Herr Westerwelle!)

Aber dieser Politik können wir keine Zustimmung geben, weil sie das Land eher zurückführt, als es nach vorne zu bringen. Sie sind auf dem alten Weg. Sie haben sich nicht an das erinnert, was Sie 1999 gemeinsam mit Tony Blair aufgeschrieben haben. Das hätten Sie hier sagen sollen. Sie hätten Ihr altes Papier vorlegen sollen. Darauf hätten wir vielleicht gesagt: Das kommt zwar ein paar Jahre zu spät, aber wenigstens gehen Sie jetzt in die richtige Richtung.

Sie sind mit dieser Regierung gescheitert und so kommen Sie nicht mehr auf die Beine. So bekommen Sie ein paar Blumen von den Sozen, aber nicht die Zustimmung des Volkes, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Anhaltender Beifall bei der FDP - Beifall bei der CDU/CSU)

 

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Quelle: Deutscher Bundestag, 15. Wahlperiode, Stenographischer Bericht der 32. Sitzung vom 14.03.2003.


Empfohlene Zitierweise des Dokumentes:
Rede des Bundesvorsitzenden der FDP Dr. Guido Westerwelle zur Regierungserklärung des Bundeskanzlers "Mut zum Frieden und zur Veränderung" (14.03.2003), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/brd/2003/rede_westerwelle_03-14.html, Stand: aktuelles Datum.


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- Dr. Angela Merkel, Bundesvorsitzende der CDU und Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion
- Franz Müntefering, Vorsitzender der SPD-Fraktion
- Katrin Dagmar Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen
- Dr. Edmund Stoiber (CSU), Ministerpräsident des Freistaats Bayern
- Wolfgang Clement (SPD), Bundeswirtschafts- und Arbeitminister
- Dr. Wolfgang Gerhardt, Vorsitzender der FDP-Fraktion
- Dr. Thea Dückert, stellvertretende Vorsitzende und arbeitsmarktpolitischen Sprecherin von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
- Dr. Gesine Lötzsch (PDS), fraktionslos


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Letzte Änderung: 03.03.2004
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