Verordnung der Reichsregierung über die Bildung von
Sondergerichten.
Vom 21. März 1933.
Auf Grund von Kapitel II
des Sechsten
Teils der Dritten
Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zur
Bekämpfung politischer Ausschreitungen vom 6. Oktober 1931 (Reichsgesetzbl. I S. 537,
565) wird folgendes verordnet:
§ 1
(1) Für den Bezirk jedes Oberlandesgerichts wird ein Sondergericht
gebildet.
(2) Die Sondergerichte sind Gerichte des Landes.
(3) Die Landesjustizverwaltung bestimmt den Sitz der Sondergerichte.
§ 2
Die Sondergerichte sind zuständig für die in der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom
28. Februar 1933 (Reichsgesetzbl. I S. 83) und der Verordnung
zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung vom
21. März 1933 (Reichsgesetzbl. I S. 135) bezeichneten Verbrechen und Vergehen,
soweit nicht die Zuständigkeit des Reichsgerichts oder der Oberlandesgerichte begründet
ist.
§ 3
(1) Die Sondergerichte sind auch dann zuständig, wenn ein zu
ihrer Zuständigkeit gehörendes Verbrechen oder Vergehen zugleich den Tatbestand einer
anderen strafbaren Handlung erfüllt.
(2) Steht mit einem Verbrechen oder Vergehen, das zur Zuständigkeit der
Sondergerichte gehört, eine andere strafbare Handlung in tatsächlichem Zusammenhang, so
kann das Verfahren wegen der anderen strafbaren Handlung gegen Täter und Teilnehmer im
Wege der Verbindung bei dem Sondergericht anhängig gemacht werden.
(3) Die Erstreckung der Zuständigkeit nach Abs. 1, 2 gilt nicht für
Handlungen, die zur Zuständigkeit des Reichsgerichts oder der Oberlandesgerichte gehört.
§ 4
(1) Die Sondergerichte entscheiden in der Besetzung mit
einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern. Für jedes Mitglied ist für den Fall seiner
Behinderung ein Vertreter zu bestellen.
(2) Die Mitglieder und ihre Vertreter müssen ständig angestellte Richter des
Bezirks sein, für den das Sondergericht berufen ist.
(3) Die Berufung der Mitglieder und die Geschäftsverteilung erfolgt durch das
Präsidium des Landgerichts, in dessen Bezirk das Sondergericht seinen Sitz hat.
§ 5
Die Vertreter der Anklagebehörde werden von der
Landesjustizverwaltung aus der Zahl der zum Richteramt befähigten Beamten der
Staatsanwaltschaft berufen.
§ 6
Auf das Verfahren finden, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist, die Vorschriften der Strafprozeßordnung und des
Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechende Anwendung.
§ 7
Ein Gerichtsstand ist auch bei dem Sondergericht begründet, in
dessen Bezirk der Beschuldigte ergriffen wird oder sich in Haft befindet. Die einmal
begründete Zuständigkeit wird durch die Freilassung des Beschuldigten nicht berührt.
§ 8
Über die Ablehnung eines Richters entscheidet das Sondergericht,
dem der Abgelehnte angehört; für die Entscheidung tritt an die Stelle des abgelehnten
Richters sein Vertreter. Eine Ablehnung des Vertreters ist unzulässig.
§ 9
(1) Eine mündliche Verhandlung über den Haftbefehl findet nicht
statt.
(2) Die auf die Untersuchungshaft bezüglichen Entscheidungen werden von dem
Vorsitzenden des Sondergerichts erlassen. Für die nach §§ 125, 128 der
Strafprozeßordnung dem Amtsrichter zustehenden Entscheidungen ist unbeschadet der
Zuständigkeit des Amtsrichters auch der Vorsitzende des Sondergerichts zuständig.
Über Beschwerden gegen die Entscheidungen des Vorsitzenden und des Amtsrichters
entscheidet das Sondergericht.
(3) Der Vorsitzende des Sondergerichts kann mit seiner Vertretung bei der
Vernehmung des Beschuldigten und bei der Entscheidung über den Erlaß des
Haftbefehls einen Beisitzer beauftragen. Das gleiche gilt für die nach §§ 16, 148 der
Strafprozeßordnung zu treffenden Entscheidungen.
§ 10
Dem Angeschuldigten, der noch keinen Verteidiger gewählt hat, ist
ein Verteidiger von Amts wegen bei der Anordnung der Hauptverhandlung zu bestellen.
§ 11
Eine gerichtliche Voruntersuchung findet nicht statt. Ist eine
Voruntersuchung beim Inkrafttreten dieser Verordnung anhängig, so sind die Akten alsbald
der Anklagebehörde bei dem Sondergericht zuzuleiten.
§ 12
(1) In die Anklageschrift sind die wesentlichen Ergebnisse der
stattgehabten Ermittelungen aufzunehmen.
(2) Eines Beschlusses über die Eröffnung des Hauptverfahrens bedarf es
nicht. An die Stelle des Antrags der Staatsanwaltschaft auf Eröffnung des Hauptverfahrens
tritt der Antrag der Anklagebehörde auf Anordnung der Hauptverhandlung. Nach Eingang der
Anklageschrift ordnet der Vorsitzende, wenn er die gesetzlichen Voraussetzungen für
gegeben erachtet, die Hauptverhandlung an. Andernfalls führt er einen gerichtlichen
Beschluß herbei. Der Vorsitzende beschließt bei der Anordnung der Hauptverhandlung
zugleich über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft.
(3) Die Landesjustizverwaltung kann anordnen, daß die zur
Hauptverhandlung erforderlichen Ladungen und die Herbeischaffung der als Beweismittel
dienenden Gegenstände (§ 214 Abs. 1 der Strafprozeßordnung) durch die
Geschäftsstelle des Sondergerichts bewirkt werden. Die Landesjustizverwaltung kann diese
Befugnis weiter übertragen.
(4) Die Ladungsfrist (§ 217 der Strafprozeßordnung) beträgt drei Tage. Sie kann
auf 24 Stunden herabgesetzt werden.
(5) Die in der Strafprozeßordnung an die Eröffnung des Hauptverfahrens
geknüpften Wirkungen treten mit der Einreichung der Anklageschrift ein. Die
Wirkungen, die nach der Strafprozeßordnung an die Verlesung des Eröffnungsbeschlusses
geknüpft sind, treten mit dem Beginn der Vernehmung des Angeklagten zur Sache ein.
§ 13
Das Sondergericht kann eine Beweiserhebung ablehnen, wenn es die
Überzeugung gewonnen hat, daß die Beweiserhebung für die Aufklärung der Sache
nicht erforderlich ist.
§ 14
Das Sondergericht hat in der Sache auch dann zu erkennen, wenn
sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat als
eine solche darstellt, für die seine Zuständigkeit nicht begründet ist. Dies gilt
nicht, wenn sich die Tat als ein Verbrechen oder Vergehen darstellt, das zur
Zuständigkeit des Reichsgerichts oder der Oberlandesgerichte gehört; das Sondergericht
hat in diesem Falle nach § 270 Abs. 1, 2 der Strafprozeßordnung zu verfahren.
§ 15
Die Ergebnisse der Vernehmung (§ 273 Abs. 2 der
Strafprozeßordnung) brauchen in das Protokoll über die Hauptverhandlung nicht
aufgenommen zu werden.
§ 16
(1) Gegen Entscheidungen der Sondergerichte ist kein Rechtsmittel
zulässig.
(2) Über Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens entscheidet die Strafkammer.
Die Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten findet auch dann statt, wenn Umstände
vorliegen, die es notwendig erscheinen lassen, die Sache im ordentlichen Verfahren
nachzuprüfen. Die Vorschrift des § 363 der Strafprozeßordnung bleibt unberührt. Ist
der Antrag auf Wiederaufnahme begründet, so ist die Hauptverhandlung vor dem
zuständigen ordentlichen Gericht anzuordnen.
§ 17
Verfahren, die beim Inkrafttreten dieser Verordnung wegen einer
strafbaren Handlung anhängig sind, die zur Zuständigkeit der Sondergerichte gehört,
werden, wenn die Hauptverhandlung bereits begonnen hat, nach den allgemeinen Vorschriften
weitergeführt. Andernfalls gehen sie in das in der Verordnung geregelte Verfahren über.
§ 18
(1) Endet die Tätigkeit des Sondergerichts, so gehen die bei ihm
anhängigen Sachen in das ordentliche Verfahren über; die nach den Vorschriften der
Verordnung eingereichte Anklageschrift verliert ihre Wirkung.
(2) Eine bereits begonnene Hauptverhandlung ist vor dem Sondergericht nach den
Vorschriften der Verordnung weiterzuführen.
(3) Die Strafvollstreckung geht auf die Strafvollstreckungsbehörde über, in deren
Bezirk das Sondergericht seinen Sitz gehabt hat; die bei der Strafvollstreckung notwendig
werdenden gerichtlichen Entscheidungen werden von der Strafkammer des Landgerichtes ohne
mündliche Verhandlung erlassen.
§ 19
Die Verordnung tritt mit dem zweiten tage nach der Verkündung in Kraft.[1]
Berlin, den 21. März 1933.
Der Reichskanzler
Adolf Hitler |
Für den Reichsminister der Justiz
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Der Stellvertreter des Reichskanzlers
von Papen
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