Rede des Abgeordneten Dietmar Nietan (SPD) zur deutschen
Außenpolitik und zum Irak-Krieg im Rahmen der Haushaltsdebatte des Deutschen Bundestages
vom 20. März 2003
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:
Das Wort hat der Abgeordnete Dietmar Nietan.
Dietmar Nietan (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben heute den Beginn eines
Krieges, den nicht nur die Mehrheit der Staaten im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
ablehnt. Wir erleben einen Krieg - das sollten auch die Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU-Fraktion zur Kenntnis nehmen -, den die überwiegende Mehrheit der Menschen in
unserem Land und in allen anderen Ländern in Europa ablehnt.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Natürlich wünschen wir uns ein möglichst schnelles Ende dieses Krieges. Natürlich ist
es richtig, dass es fatal wäre, sich in die Ecke zu stellen und zu sagen: Nun sollen
diejenigen, die diesen Krieg begonnen haben, die Suppe auslöffeln. Wir alle
werden uns der Verantwortung stellen müssen; denn das Weltgeschehen geht weiter. Es
wäre nicht richtig, mit verschränkten Armen auf diejenigen zu schauen, die den Krieg
begonnen haben.
Wenn wir aber den transatlantischen Dialog verstärken wollen und mehr voneinander lernen
wollen - so wie es Kollege Schäuble
angesprochen hat - dann kann das nur funktionieren, wenn sich Europäer und Amerikaner auf
gleicher Augenhöhe treffen und nicht der Satz gilt: Wer nicht für uns ist, ist gegen
uns. Ich glaube, da ist etwas aus der Balance geraten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir brauchen ein starkes und einiges Europa. Herr Kollege Schäuble, es ist für mich sehr interessant, zu
sehen, dass Sie - aber nicht nur Sie - zu denen gehört haben, die immer wieder darauf
hingewiesen haben - Sie haben das quasi vor sich hergetragen -, wie schlecht der
deutsch-französische Motor laufe, und festgestellt haben, dass der Gipfel in Nizza kein
Erfolg gewesen sei, weil Deutschland und Frankreich nicht zusammengekommen seien,
(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Sie haben von dem, was Schäuble gesagt hat, nichts
verstanden!)
und nun auf einmal der Meinung sind, dass das Funktionieren des deutsch-französischen
Motors andere bevormunde - so hat man hören müssen - und die Balance auseinander bringe.
Sie haben davon gesprochen - das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen -, dass die
deutsch-französische Zusammenarbeit dem europäischen Interesse dienen muss. Ich
schließe daraus, dass Sie davon ausgehen, dass das im Moment nicht der Fall ist. Das ist
starker Tobak; das muss ich Ihnen ehrlich sagen. Wie Sie mit dem deutsch-französischen
Verhältnis umgehen, stellt eine Beliebigkeit dar, die diesem Verhältnis nicht gerecht
wird und ihm eher schadet.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich weiß nicht, ob Sie das gesagt haben, um verblümt Kritik an Ihrem konservativen
Kollegen Chirac zu üben. Dass die Art und Weise, wie er die Beitrittskandidaten behandelt
hat, nicht die richtige ist, dürfen Sie gerne sagen.
Ich weiß auch nicht, ob diese Äußerung dazu dient, das zu erreichen, was wir wirklich
brauchen: eine Verstärkung des transatlantischen Dialogs auf gleicher Augenhöhe. Ich
glaube, dass dieser Dialog sehr wichtig ist. Denn wir Europäerinnen und Europäer haben
etwas anzubieten: das europäische Modell, das der Logik des Krieges entgegensteht.
Die Erfolgsstory der Europäischen Union beruht nicht auf Drohung und Aggression. Sie
beruht auf Integration, darauf, andere Staaten in die Europäische Union einzuladen,
was wir in einem großen, beispiellosen Akt erleben werden, wenn wir am 1. Mai des
nächsten Jahres zehn weitere Mitgliedsländer in die Europäische Union aufnehmen.
Für uns alle als Demokraten ist es faszinierend, festzustellen, dass ein Konvent
eingerichtet wurde, in dem Parlamentarierinnen und Parlamentarier der nationalen
Parlamente und Regierungsvertreter konstruktiv an einer gemeinsamen
europäischen Verfassung arbeiten. Das ist ein Modell, das wir als Europäer
stärker als bisher in die Welt tragen sollten. Das ist eine
Alternative zur Kriegslogik. Wenn wir das wollen, dann sollten wir als
gleichberechtigte Partner agieren. Ihre Äußerungen, Herr Schäuble, waren in diesem Zusammenhang nicht
hilfreich.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir sollten als Lehre aus dem, was passiert ist, mitnehmen, dass wir alle dafür kämpfen
müssen, Europa zu stärken - dies nicht im Gegensatz zu den USA; das möchte
ich ausdrücklich betonen -, um Europa in die Lage zu versetzen, die
amerikanischen Freundinnen und Freunde von unseren Ideen zu überzeugen und mit ihnen
dafür zu kämpfen, dass wir eine friedliche, multipolare Welt, eine Welt
der Kooperation und der Zusammenarbeit hinbekommen. In diesem Sinne sollten wir keine
Legenden bilden, sondern das, was jetzt zu tun ist, gemeinsam und in Geschlossenheit
angehen. Dazu fordere ich Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, auf.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
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