Rede des Vorsitzenden des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union des Deutschen Bundestages Matthias Wissmann (CDU) zur deutschen
Außenpolitik und zum Irak-Krieg im Rahmen der Haushaltsdebatte des Deutschen Bundestages
vom 20. März 2003
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Matthias Wissmann.
Matthias Wissmann (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! An einem Tag wie dem heutigen, an dem ein Krieg
begonnen hat, gibt es Punkte, über die wir streiten, aber sicherlich auch Punkte, in
Bezug auf die wir übereinstimmend fühlen und denken. Wir fühlen mit Menschen, die Sorge
um ihr Leben haben, wir fühlen mit Soldaten, die ihren Kopf hinhalten, wir fühlen mit
Menschen in den Nachbarländern des Irak, die unter den wirtschaftlichen Folgen eines
Krieges leiden.
An einem Punkt müssen wir auch gemeinsam handeln; ich greife einen vom Kollegen Erler angesprochenen Aspekt ausdrücklich auf. Ich
freue mich, Herr Kollege Erler, dass Sie die
Initiative zur Stärkung des Budgets für humanitäre Hilfe aufnehmen wollen, die Kollegen
unserer Fraktion bereits im Auswärtigen Ausschuss eingebracht haben. Ich bin sicher, dass
wir Sie dabei unterstützen werden, da wir viel humanitäre Hilfe für die Region - nicht
nur für den Irak, sondern auch für die Nachbarländer - brauchen werden. Hier müssen
wir bei allem, was uns trennt, gemeinsam handeln.
(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, klar ist auch - dies ist heute von mehreren Rednern zum Ausdruck
gebracht worden -, dass der Beginn eines Krieges ein Versagen der Politik offenbart: ein
Versagen von internationaler Politik und internationalen Institutionen, von europäischer
Politik, aber auch von deutscher Politik, auch von deutscher Außenpolitik. Eine Zeitung,
die nicht im Verdacht steht, der Außenpolitik der Regierung besonders kritisch
gegenüberzustehen, der "Tagesspiegel" in Berlin, schrieb gestern:
Die selbst ernannte Achse des Guten, die deutsch-französische Achse, hat aber keinen
ernsthaften Versuch unternommen, eine für die USA einigungsfähige Position zu benennen,
also sich zum Beispiel auf ein realistisches Ultimatum festzulegen, bis zu dem der Irak
abzurüsten hätte.
Diese eine Stimme zeigt wie viele andere Stimmen, dass wir uns die Frage stellen müssen,
ob der deutsche Bundeskanzler und der deutsche Außenminister wirklich alle Kraft
eingesetzt haben, um Europa zu einigen und mit dem gemeinsamen Gewicht Europas einen
gemeinsamen Weg auch mit den Amerikanern zu finden.
(Dr. Elke Leonhard [SPD]: Das ist doch ein Prozess!)
In den vergangenen Jahrzehnten war es für jeden deutschen Bundeskanzler, für
sozialdemokratische wie für christlich-demokratische, und für jeden Außenminister
selbstverständlich, immer wieder die Mitte zwischen der großen
Amerikaskepsis, die häufig in Frankreich zu beobachten war, und der manchmal
überbetonten Amerikanähe mancher britischer Premierminister zu finden.
Weil wir die Mitte zwischen europäischer Einigung und transatlantischer
Partnerschaft gefunden haben, haben sozialdemokratische und christlich-demokratische
Kanzler Europa dazu gebracht, sich auf eine Position zu verständigen, um dann eine
gemeinsame Position auch mit den Amerikanern zu finden.
Dies geschah diesmal nicht. Das Wort vom deutschen Sonderweg stand am Anfang. Es stammt
nicht von Ihnen, Herr Fischer; Sie haben selbst
darunter gelitten, wie Sie es im "Guardian" zum Ausdruck gebracht haben. Aber es
ist leider zu einem Signum dieser Bundesregierung geworden. Dies ist keine gute
Perspektive.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Jetzt stehen wir vor einem Scherbenhaufen der europäischen Außen- und
Sicherheitspolitik.
(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Vor einem Scherbenhaufen der amerikanischen
Außenpolitik!)
Ich will fair sein und sage daher, dass dies keineswegs nur dieser deutschen
Bundesregierung anzulasten ist. Kein europäischer Regierungschef oder Außenminister hat
sich Lorbeeren verdient, als es um eine gemeinsame europäische Position zum Irak ging.
Die Außenpolitik der Europäischen Union befindet sich in einer tiefen Krise. Jetzt kommt
es darauf an, dass alle politischen Kräfte in Deutschland und Europa diese tiefe Krise
als Chance nutzen. Wir stehen mitten im Prozess der Erweiterung und der Vertiefung der
Europäischen Union. Mir gefällt es zum Beispiel gar nicht, dass gegenwärtig schon
wieder über die Frage diskutiert wird, ob der Konvent verschoben werden solle. Wenn
Europa jemals dringend eine Verfassung brauchte, die zu einer gemeinsamen Institution für
Außenpolitik führt, dann gerade jetzt. Wir sollten die Vertiefung der Europäischen
Union nicht verschieben, sondern sie voranbringen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Mehrheitsentscheidungen im europäischen Ministerrat, einen europäischen Außenminister
und einen vom Parlament gewählten Kommissionspräsidenten - wann, wenn nicht heute,
brauchen wir eine Vertiefung der Europäischen Union?
Meine Damen und Herren, in Bezug auf die Vertiefung der Europäischen Union in einem
Moment, in dem die Erweiterung um zehn Mitgliedstaaten im Gange ist, hat Kollege Schäuble vorhin zu Recht darauf hingewiesen,
dass wir dieses größere Europa der 25 Staaten nur zusammenhalten werden, wenn wir
gleichzeitig alles für die transatlantische Partnerschaft tun und verstehen, dass
Litauen, Estland, Lettland, Polen, Ungarn, die Slowakei und viele andere von denen, die zu
uns kommen, die Sicherheitskomponente als ein wesentliches Motiv für ihre Hinwendung zum
Westen betrachten und sich nie auf eine Politik einlassen werden, die europäische
Einigung und transatlantische Partnerschaft gegeneinander ausspielt.
(Zuruf von der SPD: Das will auch keiner!)
Deswegen haben uns die Worte des französischen Präsidenten an die Beitrittsstaaten nach
dem Brief der Acht nicht gefallen und deswegen empfinde ich es als vollkommen
unverständlich, dass gestern der Sprecher der Sozialdemokraten im Auswärtigen Ausschuss
des Europäischen Parlaments den Beitritt Polens zur Europäischen Union mit der
Begründung ablehnte, vonseiten Polens sei der Brief der Acht unterzeichnet worden. Es
kann keine Europäische Union, keine Union von 25 Staaten nach dem Motto geben, dass die
einen am Katzentisch sitzen und die anderen die Herren im Hause sind.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)
Wenn wir die kleinen Länder nicht respektieren, dann schaffen wir die Einigung Europas
nicht; dann bringen wir den Prozess der Vertiefung nicht an ein gutes Ziel.
Gestern hat der Direktor der Vereinigung zu Förderung und Studium der Internationalen
Sicherheit, Curt Gasteyger, in einem Beitrag für die "Frankfurter Allgemeine
Zeitung" gefordert, die Zusammensetzung des UN-Sicherheitsrates neu zu ordnen, da
auch die Ordnung der Welt heute eine andere sei als zur Zeit der Gründung der UNO im
Jahre 1945. Ich weiß, dass man in einer solchen Krise lange brauchen wird, bis man
das Ziel eines europäischen Sitzes im Sicherheitsrat oder zumindest eines
weiteren Sitzes im Sicherheitsrat mit Vetorecht für Europa erreicht. Aber ich
glaube, dass wir uns in der gegenwärtigen tiefen Krise jener Institutionen, auf
die unsere Sicherheit aufbaut, Gedanken machen müssen, wie die Strukturen von morgen
aussehen sollen.
Wenn die letzten Monate eines erwiesen haben, dann dies, dass die Zersplitterung Europas
keinen Sinn macht, dass wir eine kraftvolle europäische Außenpolitik brauchen, dass wir
einen Sitz im Sicherheitsrat für Europa, nicht aber für einzelne weitere Länder,
anstreben sollten und dass wir aus den Fehlern lernen müssen,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
die diese Regierung gemacht hat - das gebe ich gerne zu -, aber die auch Sie gemacht
haben. Herr Fischer, Sie haben das
professioneller und mit moderateren Tönen als andere gemacht,
(Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Stimmt!)
aber Sie sind leider diesen sehr einseitigen Weg mitgegangen. Ich hoffe, auch Sie lernen
aus Ihren Fehlern.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
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