Rede des stellvertretenden Vorsitzenden der FDP-Fraktion und Vorsitzenden des AK I Außen-, Sicherheits-, Europa- und Entwicklungspolitik der FDP-Fraktion Dr. Werner Hoyer (FDP) zur deutschen Außenpolitik und zum Irak-Krieg im Rahmen der Haushaltsdebatte des Deutschen Bundestages

vom 20. März 2003


Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Werner Hoyer.


Dr. Werner Hoyer (FDP):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Heute ist weiß Gott ein trauriger Tag. Es ist Krieg. Eines Tages werden die Historiker die Geschichte dieses Irakkrieges aufzuarbeiten versuchen, werden versuchen, herauszufinden, was Ursachen und was Konsequenzen waren. Sie werden sich verwundert die Augen reiben, weil kaum nachzuvollziehen sein wird, warum dieser Krieg tatsächlich oder vermeintlich unausweichlich geworden war, warum so viele Menschenleben aufs Spiel gesetzt und geopfert worden sind, warum der Fortschritt von Jahrzehnten in den internationalen Beziehungen - insbesondere was die Systeme kooperativer Sicherheit, mit den Vereinten Nationen an der Spitze, angeht - zurückgeworfen worden ist, warum sich die Völkergemeinschaft - insbesondere die Vereinten Nationen, Abteilung Weltsicherheitsrat und dort vor allem die ständigen fünf Mitglieder - so hat auseinander dividieren lassen, warum das Gleiche leider auch für NATO und Europäische Union gilt und warum wir auch so unehrlich miteinander umgehen.

Ich bin davon überzeugt, dass die Möglichkeiten der nicht militärischen Konfliktlösungen noch nicht voll ausgeschöpft waren. Umgekehrt sage ich: Wir müssen doch zugestehen, dass die Fortschritte, die durch die Inspekteure erzielt worden sind, nie möglich gewesen wären ohne die militärische Drohkulisse, die aufgebaut worden ist. Diese beiden Dinge gehören doch zusammen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, es liegt ein Hauch von 1914 in der Luft. Nachträglich wird jeder sagen: Das hat ja keiner so gewollt, das waren einfach die Umstände. Ich denke aber, so einfach können wir es uns nicht machen. Ich höre nie auf, daran zu glauben, dass Fehler doch noch vermieden werden können. Ich fürchte aber, jetzt müssen wir uns darauf konzentrieren, das Schlimmste zu verhüten und Schadensbegrenzung zu betreiben; denn die Schäden werden beträchtlich sein. Man kann nur hoffen, dass sich die Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung wie unter den Soldaten in Grenzen hält. Es wird aber auch Schäden weit darüber hinaus geben.

Bereits gestern ist klargestellt worden, dass wir Freien Demokraten diesen amerikanischen Alleingang ohne neues Mandat nicht billigen können. Aber jetzt läuft der Krieg. Daher ist es wünschenswert und in unserem Interesse, dass das Ziel, diesen widerwärtigen Verbrecher Saddam Hussein zu entwaffnen, schnell und unter Inkaufnahme nicht zu vieler Opfer erreicht werden kann.

Ich fürchte, unsere amerikanischen Freunde haben einen Fehler gemacht. Sie sind und sie bleiben aber unsere Freunde.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Zustimmung des Abgeordneten Johannes Pflug [SPD])

Freunde, bei denen man das Gefühl hat, sie haben vielleicht einen Fehler gemacht, bedürfen der freundschaftlichen Zuwendung ganz besonders. Deswegen ist es wichtig, dass wir schon jetzt damit beginnen, das, was im transatlantischen Verhältnis kaputt gegangen ist, schnellstens und so gut es geht zu reparieren.

Drei Verlierer - neben den Toten und Verwundeten - stehen schon fest: UNO, NATO und EU. Die Kollateralschäden, wie man sie so schön nennt, sind schon jetzt sichtbar. Deutschlands Außenpolitik hat sich in den letzten Jahrzehnten ausgerechnet auf diese drei Institutionen gestützt. Wir sind in der Vergangenheit sehr gut damit gefahren. Eben deshalb sollte uns klar sein, dass Schäden an UNO, NATO und EU Schäden an deutschen Interessen sind.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Historiker werden sich auch wundern, wie diese Kommunikationsunfähigkeit zustande kommen konnte. Sie liegt nicht nur daran, dass es offensichtlich manchem in der amerikanischen Administration schwer fällt, zuzuhören und gerade auf ein kritisches Argument von Freunden und Partnern zu reagieren, sich damit auseinander zu setzen. Es wird für die Menschen eines Tages auch völlig unbegreiflich sein, wie es in Zeiten modernster Kommunikationstechnologien, ständiger Reisediplomatie und ständiger persönlicher Begegnungen möglich ist, dass die Führer der wichtigsten Nationen dieser Welt - Amerika und Deutschland zählen dazu - in kritischster Situation nicht in direktem Kontakt miteinander stehen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sicherlich sind auf beiden Seiten Fehler gemacht worden. Man kann sich über die amerikanische Seite auch kräftig beschweren. Aber was erwarten wir denn von einem amerikanischen Präsidenten, der gewissermaßen schon präventiv zu einem verantwortungslosen Abenteurer abgestempelt wird und dessen Methoden von der deutschen Justizministerin mit den Methoden Hitlers verglichen werden? Ich denke, auf beiden Seiten des Atlantiks, insbesondere auch bei uns, ist einiges an Aufräumarbeit zu leisten.

Meine Damen und Herren, ich habe das Gefühl, die deutsche Außenpolitik ist an drei Stellen dejustiert. Einige Punkte dazu hat Herr Schäuble schon aufgegriffen - da kann ich es kurz machen.

Ich möchte folgenden Punkt voranstellen. Ich glaube, dass es in den letzten Jahren ein gewisses Faszinosum war, zu glauben, klassische Machtpolitik spielen zu können. Man hat geradezu das Leuchten in den Augen einiger Beteiligter gesehen, als es darum ging, die Zehn im Weltsicherheitsrat aufzumischen

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch Unsinn, Herr Hoyer! Quatsch!)

und Koalitionen gegen denjenigen zu bilden, der offenbar zum Krieg entschlossen ist.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ein Blödsinn! - Weiterer Zuruf von der SPD: Unfug!)

Man hat es sogar geschafft und fand es wahrscheinlich auch noch toll, ausgerechnet Colin Powell vor den Kameras der Weltöffentlichkeit geradezu vorzuführen,

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Er hat sich doch selber vorgeführt! Was soll denn der Unsinn? Noch eine Legende!)

also ausgerechnet denjenigen, der noch am ehesten ein offenes Ohr für die Europäer und für die Deutschen gehabt hat und der ein guter Freund Deutschlands ist.

Ich halte die Rückkehr zum integrativen Kurs der deutschen Außenpolitik für unverzichtbar. Das gilt mit Blick auf alle drei Organe: EU, NATO und UNO.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Alles andere ist Selbstüberschätzung.

(Dr. Elke Leonhard [SPD]: Ihre Rede auch!)

Ich glaube, diese Überheblichkeit werden wir noch teuer bezahlen müssen.

Die zweite fundamentale Fehleinschätzung besteht darin - Herr Schäuble hat ausführlich darauf hingewiesen -, dass man geglaubt hat, man könne die Entscheidung zwischen transatlantischer Einbindung und europäischer Integration, also zwischen Washington und Paris, auf den Punkt bringen. Dabei war es gerade der Imperativ deutscher Außenpolitik, sich nie in eine Situation zu manövrieren, in der man diese Wahlentscheidung treffen musste.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sehr richtig!)

Nachdem diese alte Regel über Bord geworfen ist, sind wir in der Situation, dass der Bundeskanzler mit seiner gesamten Außenpolitik auf eine Karte gesetzt hat, nämlich auf den französischen Staatspräsidenten.

(Gernot Erler [SPD]: Mehrheit der Welt!)

Frankreich hat aber eine ganz andere Agenda. Es hat sich als führende Kontinentalmacht in Europa zurückgemeldet. Frankreich wird diese Position zu wahren wissen, wenn sich die Dinge verändert haben. Nicht überraschend hat UN-Botschafter Lévitte gestern schon einmal Rückfallpositionen aufgebaut: Wenn Saddam Hussein im Krieg auf Massenvernichtungswaffen gegen die Amerikaner zurückgreifen sollte, würde Frankreich seine Position überdenken und möglicherweise die USA in diesem Krieg sogar doch noch militärisch unterstützen. Machen wir das in diesem Fall eigentlich auch?

Drittens begeht die Bundesregierung einen Fehler, wenn sie meint, mit der weiß Gott überfälligen Annäherung Berlins an Paris käme automatisch wieder Schwung in die Europapolitik. Um es in die Sprache der Mathematik zu übersetzen: Der französisch-deutsche Akkord ist in der Europapolitik notwendige Bedingung für jeden Fortschritt, aber keine hinreichende Bedingung.

(Beifall bei der FDP)

Zur hinreichenden Bedingung gehört immer der Dialog mit den anderen, insbesondere auch der Dialog mit den kleineren Ländern. Die Tatsache, dass der Brief der acht europäischen Länder geschrieben worden ist - und nicht sein Inhalt, den ich unterschreiben kann - ist eine Katastrophe. Dass es so weit gekommen ist, ist auch eine Reaktion auf das, was Deutschland und Frankreich gemeinsam angezettelt haben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich muss mich aufgrund meiner zu Ende gehenden Redezeit auf den letzten Punkt beschränken. Die FDP-Bundestagsfraktion wird in Sachen AWACS einen Entschließungsantrag einbringen. 1994 hat das Bundesverfassungsgericht unmissverständlich festgelegt, dass selbst ein Einsatz deutscher Streitkräfte im Bündnisfall der vorhergehenden konstitutiven Zustimmung des Parlaments zu dem konkreten Einsatz bedarf.

Die Bundesregierung verstößt nach Auffassung der FDP-Fraktion im Falle der Beteiligung an dem NATO-AWACS-Einsatz mit Bundeswehrsoldaten hiergegen. In diesem Zusammenhang ist noch darauf hinzuweisen, dass die Türkei bei der NATO am 10. Februar gemäß Art. 4 des NATO-Vertrages um Unterstützung nachgesucht hat, unter anderem auch durch den Einsatz von AWACS-Flugzeugen über türkischem Hoheitsgebiet. Die NATO hat dieser Forderung am 19. Februar Folge geleistet. Die Besatzungen der vier eingesetzten AWACS-Flugzeuge bestehen zu etwa einem Drittel aus Bundeswehrsoldaten. Nach Auffassung der FDP-Fraktion kann es sich bei einem Antrag gemäß Art. 4 des NATO-Vertrages niemals um einen Routinevorgang handeln.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Darüber hinaus ist festzustellen, dass sich gerade AWACS-Soldaten nicht künstlich blind machen können. Wenn sie über türkischem Hoheitsgebiet fliegen, entdecken sie notgedrungen einfliegende oder sich nähernde Luftfahrzeuge. Deswegen fordern wir die Bundesregierung auf, ihrer Verpflichtung durch das Grundgesetz nachzukommen und die Zustimmung des Deutschen Bundestages für die Beteiligung deutscher Soldaten bei dem Einsatz über der Türkei unverzüglich zu beantragen.

Ich sage ausdrücklich dazu: Wir stellen diese Forderung nicht, um die Soldaten aus diesen Flugzeugen herauszuholen, sondern um sie in diesen Flugzeugen mit der notwendigen Rechtssicherheit auszustatten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

 

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Quelle: Deutscher Bundestag, 15. Wahlperiode, Stenographischer Bericht der 35. Sitzung vom 20.03.2003.


Empfohlene Zitierweise des Dokumentes:
Rede des stellvertretenden Vorsitzenden der FDP-Fraktion und Vorsitzenden des AK I Außen-, Sicherheits-, Europa- und Entwicklungspolitik der FDP-Fraktion Dr. Werner Hoyer (FDP) zur deutschen Außenpolitik und zum Irak-Krieg im Rahmen der Haushaltsdebatte des Deutschen Bundestages (20.03.2003), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/brd/2003/rede_hoyer_irakkrieg.html, Stand: aktuelles Datum.


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Letzte Änderung: 03.06.2003
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