Gesetz
über den Erlaß von Sühnemaßnahmen und die Gewährung staatsbürgerlicher Rechte für ehemalige Mitglieder und Anhänger der Nazipartei und Offiziere der faschistischen Wehrmacht.

Vom 11. November 1949


  Die Festigung der demokratischen Ordnung und ihre sichtbaren Erfolge rechtfertigen es, solchen Personen, die wegen ihre Betätigung im Sinne des Nationalsozialismus und Militarismus bisher Beschränkungen in ihrem gesellschaftlichen und beruflichen Leben unterlagen, die staatsbürgerlichen Rechte zu gewähren.
  Die Provisorische Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik hat deshalb folgendes Gesetz beschlossen:

§ 1

  Personen, denen wegen ihre Betätigung im Sinne des Nationalsozialismus oder Militarismus durch Urteil eines Gerichts oder durch Beschluß einer Entnazifizierungskommission das Wahlrecht entzogen worden ist, erhalten mit Inkrafttreten dieses Gesetzes das aktive und passive Wahlrecht.

§ 2

  (1) Personen, die der ehemaligen NSDAP oder deren Gliederungen oder als Offiziere der faschistischen Wehrmacht angehörten, können entsprechend ihrer fachlichen Eignung im öffentlichen Dienst, in allen Betrieben, in Handwerk, Handel und Gewerbe, in den freien Berufen sowie in den demokratischen Organisationen tätig sein. Ausgenommen hiervon ist die Betätigung in der inneren Verwaltung und ihren Organen, soweit nicht durch Ausführungsbestimmungen Ausnahmen zugelassen werden. Dasselbe gilt auf dem Gebiete der Justiz.
  (2) Bei der Einstellung in den öffentlichen Dienst gelten die allgemeinen Einstellungsbedingungen, für die Zulassung zu Handwerk, Gewerbe und freien Berufen sind die geltenden Bestimmungen maßgebend.

§ 3

  (1) Ein Anspruch auf Wiedereinräumung der früheren gesellschaftlichen, insbesondere beruflichen oder wirtschaftlichen Stellung wird nicht begründet. Aberkannte Approbationen, Konzessionen oder andere Berechtigungen leben nicht wieder auf.
  (2) Soweit Vermögenseinziehungen erfolgt sind, bewendet es dabei.

§ 4

  (1) Die §§ 1 und 2 dieses Gesetzes finden keine Anwendung auf Naziaktivisten und Kriegsverbrecher, die sich durch falsche Angaben über ihre Person, durch Flucht oder andere Mittel bisher der Strafvollstreckung entzogen haben.
  (2) Die §§ 1 und 2 finden ferner keine Anwendung auf Personen, die durch deutsche Gerichte wegen Kriegsverbrechen oder anderen faschistischen Taten zu Freiheitsstrafen von mehr als einem Jahr verurteilt worden sind. Personen, die am 8. Mai 1945 das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet hatten, erhalten das aktive und passive Wahlrecht ohne Rücksicht auf die Höhe der verhängten Freiheitsstrafe zurück.
  (3) Die §§ 1 und 2 finden ebenfalls keine Anwendung auf Personen, die nach Abschnitt II Artikel III A III der Direktive Nr. 38 des Kontrollrates oder wegen einer nach dem 8. Mai 1949 begangenen verbrecherischen Handlung im Sinne des Artikel 6 Abs. 2 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik verurteilt worden sind.

§ 5

  Die Ausführungsbestimmungen zu diesem Gesetz werden von dem Ministerium des Innern im Einvernehmen mit dem Ministerium der Justiz erlassen.

§ 6

  Das Gesetz tritt mit seiner Verkündung in Kraft.


  Das vorstehende, vom Präsidenten der Provisorischen Volkskammer unter dem 11. November 1949 ausgefertigte Gesetz wird hiermit verkündet.


  Berlin, den 17. November 1949

Der Präsident
der Deutschen Demokratischen Republik

W. Pieck

 

Dieses Dokument ist Bestandteil von
Zur documentArchiv.de-Hauptseite

Weitere Dokumente finden Sie in den Rubriken


19. Jahrhundert

Deutsches Kaiserreich

Weimarer Republik

Nationalsozialismus

Bundesrepublik Deutschland

Deutsche Demokratische Republik

International

 

Quelle: Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik 1949, S. 59-60.


Empfohlene Zitierweise des Dokumentes:
Gesetz über den Erlaß von Sühnemaßnahmen und die Gewährung staatsbürgerlicher Rechte für ehemalige Mitglieder und Anhänger der Nazipartei und Offiziere der faschistischen Wehrmacht (11.11.1949), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/ddr/1949/rechte_ex-nsdap_ges.html, Stand: aktuelles Datum.


Diese Dokumente könnten Sie auch interessieren:
Gesetz über die Konstituierung der Provisorischen Volkskammer der DDR (07.10.1949)
Gesetz über die Provisorische Regierung der Deutschen Demokratischen Republik (07.10.1949)
Gesetz über die Bildung einer Provisorischen Länderkammer der DDR (07.10.1949)
Gesetz über die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik (07.10.1949)
Die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik (07.10.1949)
Gesetz zur Überleitung der Verwaltung (12.10.1949)
Gesetz über die Gewährung von Straffreiheit (11.11.1949)
Gesetz über die Änderung der Bezeichnung des Ministeriums für Außenhandel und Materialversorgung (11.11.1949)
Erste Verordnung zur Ausführung des Gesetzes über die Gewährung von Straffreiheit (23.11.1949)
Gesetz über die Errichtung des Obersten Gerichtshofes und der Obersten Staatsanwaltschaft der Deutschen Demokratischen Republik (08.12.1949)


Dieses Dokument drucken!
Dieses Dokument weiterempfehlen!
Zur Übersicht »Deutsche Demokratische Republik (DDR)« zurück!
Die Navigationsleiste von documentArchiv.de laden!


Letzte Änderung: 03.03.2004
Copyright © 2002-2004 documentArchiv.de