Gesetz
über die Gewährung von Straffreiheit.

Vom 11. November 1949


  Aus Anlaß der Errichtung der Deutschen Demokratischen Republik hat die Provisorische Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik folgendes Gesetz beschlossen:

§ 1

  (1) Freiheitsstrafen von nicht mehr als sechs Monaten und Geldstrafen von nicht mehr als 5000 DM, auf die vor dem 7. Oktober 1949 erkannt worden ist und die noch nicht vollstreckt worden sind, werden erlassen.
  (2) Ist auf Freiheitsstrafe und auf Geldstrafe nebeneinander erkannt, so wird ein Straferlaß nur gewährt, wenn die Freiheitsstrafe und die ausgeworfene Ersatzfreiheitsstrafe zusammen die Grenze von sechs Monaten nicht übersteigen.
  (3) Ist wegen mehrerer selbständiger Handlungen auf eine Gesamtstrafe erkannt worden, so wird die Strafe nur erlassen, wenn die Gesamtstrafe die in Abs. 1 und 2 bezeichneten Grenzen nicht übersteigt. Dasselbe gilt, wenn aus mehreren vor dem 7. Oktober 1949 rechtskräftig erkannten Freiheitsstrafen eine Gesamtstrafe zu bilden ist.

§ 2

(1) Der Straferlaß erstreckt sich auf
  1. Nebenstrafen, soweit sie noch nicht vollstreckt sind;
  2. gesetzliche Nebenfolgen;
  3. rückständige Bußen, soweit sie nicht an den Verletzten zu zahlen sind;
  4. rückständige Kosten, auch wenn die Strafe bereits verbüßt oder erlassen war.
(2) Der Straferlaß erstreckt sich nicht auf Maßregeln der Sicherung und Besserung sowie auf Einziehung, Verfallerklärung und Unbrauchbarmachung.

§ 3

  (1) Anhängige Verfahren werden eingestellt, wenn die Tat vor dem 7. Oktober 1949 begangen worden ist und keine höhere Strafe oder Gesamtstrafe als Gefängnis bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu 5000 DM zu erwarten ist. § 1 Abs. 2 gilt entsprechend.
  (2) Neue Verfahren werden in den Fällen des Abs. 1 nicht eingeleitet.
  (3) Durch die Niederschlagung eines Verfahrens nach Abs. 1 wird die Durchführung einer Einziehung oder Unbrauchbarmachung nicht gehindert.

§ 4

  (1) Ausgeschlossen von den Vergünstigungen dieses Gesetzes sind Personen, die nach Abschnitt II Artikel III A III der Direktive Nr. 38 des Kontrollrates oder wegen einer nach dem 8. Mai 1945 begangenen verbrecherischen Handlung im Sinne des Artikel 6 Abs. 2 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik bestraft worden sind oder zu bestrafen sind.
  (2) Das gilt auch bei einer Gesamtstrafe, die am 7. Oktober 1949 noch nicht vollstreckt war und eine Einzelstrafe wegen einer der im Abs. 1 bezeichneten Taten enthält.

§ 5

  (1) Die durch dieses Gesetz gewährten Vergünstigungen erstrecken sich auch auf Entscheidungen, die von Dienststellen der Verwaltung erlassen worden sind, und auf Verfahren, die bei Dienststellen der Verwaltung schweben oder einzuleiten sind.
  (2) Entscheidungen und Verfahren in Steuerstrafsachen fallen nicht unter die Vergünstigungen des Gesetzes.

§ 6

  (1) Über die Einstellung anhängiger Verfahren entscheidet
  1. bis zum Beginn der Hauptverhandlung erster Instanz eine Kommission, die aus einem Vertreter der Staatsanwaltschaft, einem Richter und einem Vertreter der Kriminalpolizei besteht;
  2. nach diesem Zeitpunkt das zuständige Gericht.
  (2) Bei Urteilen, die rechtskräftig, aber noch nicht vollstreckt worden sind, entscheidet über das Vorliegen der Voraussetzungen des Straferlasses die Vollstreckungsbehörde.
  (3) Über die Einstellung von Verfahren, die bei Dienststellen der Verwaltung anhängig sind, und über den Erlaß der von den Dienststellen der Verwaltung ausgesprochenen Strafen entscheidet eine Kommission, die aus je einem Vertreter der Staatsanwaltschaft, der Dienststelle der Verwaltung und der Kriminalpolizei besteht.

§ 7

  (1) Gegen einen Beschluß, durch den die Einstellung eines Verfahrens nach § 6 abgelehnt wird, ist kein Rechtsmittel gegeben.
  (2) Wird das Verfahren nach § 6 durch Beschluß eingestellt, so steht der Staatsanwaltschaft das Recht zu, innerhalb einer Woche seit Bekanntgabe der Entscheidung die Fortsetzung des Verfahrens zu beantragen. Dem Antrage ist stattzugeben.

§ 8

  Die zur Ausführung dieses Gesetzes erforderlichen Vorschriften erläßt das Ministerium der Justiz im Einvernehmen mit dem Ministerium des Innern.

§ 9

  Das Gesetz tritt mit seiner Verkündung in Kraft.


  Berlin, den 11. November 1949


  Das vorstehende, vom Präsidenten der Provisorischen Volkskammer unter dem 11. November 1949 ausgefertigte Gesetz wird hiermit verkündet.


  Berlin, den 17. November 1949

Der Präsident
der Deutschen Demokratischen Republik

W. Pieck

 

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Quelle: Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik 1949, S. 60-61.


Empfohlene Zitierweise des Dokumentes:
Gesetz über die Gewährung von Straffreiheit (11.11.1949), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/ddr/1949/straffreiheit1949_ges.html, Stand: aktuelles Datum.


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Letzte Änderung: 03.03.2004
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