Manifest des Königs von Preußen Friedrich Wilhelm III. zur Begründung der Kriegserklärung an Frankreich.

Vom 9. Oktober 1806.


  Indem Se. Maj. der König von Preußen die Waffen zur Vertheidigung Ihres Volkes ergreifen, halten Sie es für nöthig, wie dem gesammelten Europa, die Thatsachen vorzulegen, welche Sr. Maj. einen solchen Schritt zur Pflicht gemacht haben.

  Die französische Politik war seit fünfzehn Jahren die Geißel der Menschheit. Daß die schwankenden Machthaber, die seit 1792 im schnellen Wechsel an der Seite von Frankreich standen, die Werkzeuge ihrer Herrschaft nur im Kriege, die Bürgschaft ihrer Existenz nur im Elende der Nationen suchten, konnte man ohne große Verwunderung ansehen. Aber das Aufkommen einer festen Regierung, bei der man nicht dasselbe Bedürfniß voraussetzen konnte, belebte von Neuem die Hoffnungen der Freunde des Friedens. Napoleon, mit der höchsten Gewalt bekleidet, siegreich, umringt von schwachen Staaten oder freundschaftlich gesinnten Regenten, den überwundenen und ermüdeten Nebenbuhlern, hatte es in seiner Macht, eine bessere Rolle zu wählen. Für die Größe der Franzosen blieb Ihm nichts mehr zu thun; für ihr Glück vermochte Er Alles. Es ist schmerzhaft, es sagen zu müssen: die französische Politik blieb nichts destoweniger dieselbe. Eine unersättliche Ehrsucht war fortwährend ihr herrschender Charakter. Die Waffen und die Verträge mußten ihr auf gleiche Weise dienen.

  Der Friede von Amiens war kaum geschlossen, als schon das Signal zu den ersten Gewaltthaten erfolgte. Zwei unabhängige Staaten, Holland und die Schweiz, wurden gezwungen, eine Verfassung anzunehmen, die sie in französische Provinzen verwandelte. Die Erneuerung des Kriegs war die Folge davon. Unterdessen dauerte auf dem festen Lande der Friede noch fort. Das deutsche Reich hatte ihn durch unermeßliche Opfer erkauft.

  Im Schooße des Friedens geschah es, daß die französischen Truppen in das Churfürstenthum Hannover einfielen, ein Land, welches der Krieg zwischen Frankreich und England nichts anging, daß sie der britischen Flagge die Häfen Deutschlands verschlossen, daß sie sich, und dieß auszuführen, Cuxhavens bemächtigten, und das Gebiet einer freien Stadt, der dieser Krieg noch fremder als selbst dem Hannöverschen war, in Besitz nahmen. – Im Schooße des Friedens geschah es, daß eben diese Truppen, wenige Monate nachher, das deutsche Reich auf eine Weise verletzten, welche die Ehre der Nation noch tiefer verwundete. Die Deutschen haben den Tod des Herzogs von Enghien nicht gerächt; aber das Gedächtniß dieser Begebenheit wird nie bei ihnen erlöschen.

  Der Tractat von Lüneville verbürgte die Unabhängigkeit der italienischen Republiken. Den bestimmtesten Verheißungen zum Trotz, setze Napoleon die eiserne Krone auf sein Haupt. Genua wurde Frankreich einverleibt; Lucca hatte ungefähr das gleiche Schicksal. Nur wenige Monate zuvor hatte der Kaiser bei einer feierlichen Veranlassung, bei einer Veranlassung, die ihm große Pflichten auferlegte, vor seinem Volke und vor Europa ausdrücklich erklärt, daß er die Gränzen seines Reiches nie weiter ausdehnen wolle. Ein Tractat mit Rußland verpflichtete Frankreich überdieß, dem König von Sardinien in Italien Schadloshaltungen anzuweisen. Anstatt diese Verbindlichkeit zu erfüllen, bemächtigte man sich aller der Gegenstände, die zu jenen Schadloshaltungen dienlich seyn konnten.

  Portugal wollte seine Neutralität behaupten. Man zwang es, mit Gold in der Hand einige Augenblicke trüglicher Sicherheit zu erkaufen. – So blieb, ohne Ausnahme der Pforte, die sich noch des Einfalls in Egypten und Syrien erinnert, keine Macht in Europa übrig, die nicht der Gegenstand irgend eines willkührlichen Angriffs gewesen wäre. – Zu diesen factischen Gewaltthaten gesellte sich nun noch ein System von Beleidigungen und Schmähungen. Ein Journal, welches sich als die Stimme der Regierung ankündigte, wurde zum Archive unversiegbarer Ausfälle gegen alle gekrönten Häupter gewählt.

  Nicht eine dieser allgemeinen Bedrückungen konnte Preußen fremd seyn. Verschiedene darunter hingen genau mit seinem wesentlichen Interesse zusammen; und überdieß war die Weisheit des Systems, welches die sämmtlichen Staaten von Europa als Glieder einer und derselben Familie betrachtet, sie Alle zur Vertheidigung eines Jeden aufruft, und in der unmäßigen Vergrößerung des Einen die Gefahr für alle Uebrigen ahnet, durch die Erfahrung hinlänglich bestätigt worden. Doch es ist vor Allem nothwendig, darzustellen, wie das Verfahren Frankreichs in seinem unmittelbaren Verhältnisse gegen Preußen beschaffen war.

  Es wäre überflüssig, Alles aufzuzählen, was Napoleon Preußen verdankt. Preußen war die erste Macht, die ihn anerkannte. Keine Versprechungen, keine Drohungen hatten seine Neutralität erschüttern können. Was nur irgend die Pflicht eines guten Nachbars vorschreiben konnte, war sechs Jahre lang geleistet worden. Preußen schätzte eine tapfere Nation, die von ihrer Seite auch Preußen in Krieg und Frieden schätzen gelernt hatte. Es ließ dem Genie ihres Oberhauptes Gerechtigkeit widerfahren. Es hing an jenen natürlichen Verbindungen, die beiden Reichen mehr als ein gemeinschaftliches Interesse verliehen. – Das Andenken an diese Zeiten existiert für Napoleon nicht mehr.

  Preußen hatte den Einfall in das Kurfürstenthum Hannover geduldet. Hierin hatte es Unrecht gethan. Auch war seine erste Absicht, sich ihm zu widersetzten. Es erbot sich dazu gegen England, unter Bedingungen, die dieses ablehnte. Man mußte nun wenigstens darauf bedacht seyn, diese Unternehmung unschädlicher zu machen, indem man Frankreich eine Gränze bezeichnete, die es nicht überschreiten sollte. Napoleon verstand sich feierlichst dazu, die Neutralität der nördlichen Staaten nicht zu beeinträchtigen, und Keinen unter ihnen Gewalt anzuthun, besonders aber zu keiner Vermehrung der im Kurfürstenthum befindlichen Truppen zu schreiten. Kaum hatte Er diese Verpflichtungen übernommen, als Er sie brach. – Jedermann weiß, wie Sir Fr. Rumboldt gewaltsam aufgehoben wurde. Jedermann weiß, wie die Hansestädte zu Contributionen unter dem Namen von Anleihen gezwungen wurden, nicht etwa für ihr eigenes Interesse, sondern ganz so, als wäre Frankreich mit ihnen im Kriege gewesen. Für die erste dieser Beleidigungen begnügte sich der König mit einer unvollständigen Genugthuung. Von der zweiten nahm er keine Kunde, weil die Furcht der Seestädte verhinderte, Klage darüber zu führen. Der König verbargt sich keineswegs, welche unerhörte Opfer er dem Frieden brachte; aber immer noch war die Erhaltung dieses Friedens der theuerste Wunsch seines Herzens. Die Langmuth der übrigen Höfe war eher erschöpft, als die Seinige.

  Der Krieg brach auf dem festen Lande aus. Die Lage des Königs wurde, in Rücksicht auf seine Pflicht, schwieriger als jemals. Um Frankreich von der Vermehrung der Truppen, die es in Hannover unterhielt, abzuhalten, hatte Er versprochen, keinen Angriff gegen diese zuzulassen. Die Russen und die Schweden bereiteten sich zu einem solchen Angriffe. Von nun an fiel die ganze Last des Verhältnisses zwischen Preußen und Frankreich auf jenes, ohne daß es den geringsten Vortheil davon genoß; und durch eine seltene Verkettung von Umständen schien Preußen, welches nur unpartheyisch und neutral hatte bleiben wollen, dieß, zum Schaden der verbündeten Mächte, nicht mehr seyn. Aller Gewinn, der aus dieser Stellung Preußens hervorging, war für Frankreich; und der König wurde täglich von Collisionen bedroht, die eben so schreckend für Ihn, als entscheidend für den Erfolg der Pläne Napoleons waren.

  Wer hätte glauben sollen, daß gerade der Augenblick, in welchem der König der französischen Regierung die stärksten Beweise Seiner Festigkeit und ein seltenes Beispiel von treuer Erfüllung einer einmal übernommenen Verbindlichkeit gab, von Napoleon gewählt werden würde, um Preußen die empflindlichste Beleidigung zuzufügen! Wer erinnert sich nicht der Verletzung des ansbachischen Gebiets, die am 3. October des vergangenen Jahres, ungeachtet des feierlichen Einspruchs der Landesregierung und der königlichen Minister, vor sich ging! So hatte mehrere Jahre lang der merkwürdige Wettstreit zwischen der Mäßigung, die Alles verzieh, und der Redlichkeit, die dem gegebenen Worte bis an’s Ende getreu blieb, von einer Seite, dem Mißbrauche der Gewalt, dem Trotz auf verführerisches Glück, und der Gewohnheit nur mit diesem zu rechnen, von der andern Seite fortdauert.

  Der König erklärte der französischen Regierung, daß Er alle seine Verbindungen mit ihr als aufgelöst betrachte. Er setzte Seine Armee in eine den Umständen angemessene Verfassung. Er war nun vollständig überzeugt, daß es für die Nachbarn Frankreichs nur ein einziges Unterpfand der Sicherheit gab, einen auf feste Grundlagen gestützten und von allen Mächten gemeinschaftlich garantirten Frieden. – Se. Majestät erboten Sich gegen die Verbündeten, der Wortführer bei den Unterhandlungen über einen solchen Frieden zu seyn und diese mit Ihren gesammten Kräften zu unterstützen. Es ist hinreichend, die damals verabredeten Bedingungen zu kennen, um die Mäßigung, welche zu alten Zeiten die Politik Sr. Majestät leitete, in ihrem ganzen Umfange zu beurtheilen. Preußen gab in diesem Augenblicke keiner muthwilligen Rachsucht Gehör. Es ließ sich nicht auf die Begebenheiten der letzten Kriege, wie verderblich sie auch gewesen seyn mochten, ein; bestehende Tractate hatten sie einmal sanctionirt. Es verlangte nichts, als gerade die Vollziehung dieser Tractate; aber diese verlangte es uneingeschränkt.

  Der Graf Haugwitz begab sich nach Wien, wo damals der französisches Kaiser seinen Aufenthalt hatte. Kaum war dieser Minister einige Tage dort gewesen, als die ganze Gestalt der Dinge sich änderte. Die erlittenen Unglücksfälle hatten dem Wiener Hof einen Waffenstillstand abgenöthigt, dem der Friede unmittelbar folgen sollte. Se. Maj. der Kaiser von Rußland hatte Ihre großmüthigen Absichten dem Wunsche Ihres Alliirten zum Opfer dargebracht, und Ihre Truppen kehrten in die Heimath zurück. – Preußen stand nun allein auf dem Kampfplatze. Es mußte seine Politik auf die Gränzen seiner Kräfte beschränken, und anstatt, wie es sein Wille war, das Interesse von ganz Europa zu umfassen, seine eigne Sicherheit und die seiner Nachbarn zu seiner ersten Richtschnur zu machen.

  Der französische Kaiser schlug dem Grafen Haugwitz einen Tractat vor, in welchem auf der einen Seite die wechselseitige Garantie der Besitzungen, die der Unverletzlichkeit des türkischen Gebietes, die der Resultate des Preßburger Friedens, – auf der andern die Besitznahme von Hannover für Preußen, gegen Abtretung dreier Provinzen desselben, stipulirt werden sollte. – Der erste Theil dieses Tractats verhieß wenigstens für die Zukunft eine anerkannte, verbürgte und, wenn Napoleon es gewollte hätte, feste politische Verfassung. Die Resultate des Preßburger Friedens waren ein allgemeines Unglück für Europa; aber Preußen opferte sich allein auf, wenn es sie angriff; und den unaufhörlichen Ursurpationen Frankreichs nur ein für allemal irgend eine Gränze zu bestimmen, schien immer noch ein Vortheil in der Voraussetzung, daß Tractate in den Augen des Hofes von St. Cloud etwas mehr als Worte seyn würden. Der König ratificirte diese Artikel unbedenklich. – Die zweite Hälfte des Tractats von Wien betraf einen Gegenstand, dessen Wichtigkeit eine schreckliche Erfahrung dargethan hatte. Preußen durfte auf keinen Augenblick von Sicherheit rechnen, so lange Hannover in einem Krieg verwickelt blieb, der dieses Land nichts anging. Um welchen Preis es auch durchgesetzt werden mochte, Preußen war entschlossen, nicht zuzugeben, daß die Franzosen dahin zurückkehrten. Es hatte nunmehr die Wahl, diesen Zweck entweder durch einen Tractat oder durch einen Krieg zu erreichen. Das Hingehen dreier Provinzen, gleich treu und glücklich eine lange Reihe von Jahren hindurch, war ein Opfer, das gegen keinen Plan eines eitlen Ehrgeizes je in die Wagschale gelegt werden konnte; aber diese Provinzen wären selbst die ersten Leidenden beim Ausbruch eines Krieges gewesen; alle Plagen dieses Krieges hätten sich auf die Monarchie gewälzt, und die Erwerbung von Hannover mußte Preußen, wen sie unter weniger traurigen Conjuncturen geschehen konnte, die ersprießlichsten Vortheile verschaffen.

  Der König glaubte also seine Wünsche mit seinen Grundsätzen zu vereinigen, indem er den vorgeschlagenen Tausch nur unter der ausdrücklichen Bedingung annahm, daß die Vollziehung desselben bis zum allgemeinen Frieden verschoben, und die Zustimmung Sr. Maj. des Königs von Großbritannien abgewartet werden sollte. – Aller Vortheil bei dem Tractate war für Frankreich. Von einer Seite erhielt es Garantien, die seine Eroberungen besiegelten. Von der anderen Seite gab es, was es nicht besaß, was es durch einen ungewissen Krieg hätte wieder erobern müssen, und in den preußischen Abtretungen fand es die Mittel, seine Bundesgenossen zu bereichern. Aber zwischen einer Politik, die Alles will was sie kann, und einer Redlichkeit, die noch an Pflichten und besonders an Verheißungen glaubt, ist der Kampf allemal ungleich. Der König näherte sich dem Augenblick, wo er dieß durch Erfahrungen inne werden sollte. Dieser Augenblick war der schmerzhafteste Seiner Regierung.

  Es war Frankreichs Sache, die Modificationen, unter welchen der König den Tractat bestätigt hatte, wenn sie ihm nicht gefielen, zu verwerfen. Es hütete sich wohl, dieses zu thun; denn die ganze preußische Armee war noch unter Waffen. Es fuhr fort, mit Freundschafts-Versicherungen freigiebig zu seyn; es machten den Tractat allenthalben geltend, wo es seinem Interesse gemäß war, daß man daran glaubte; als endlich aber Se. Majestät, gedrängt von dem Wunsche, die einzige Frucht der letzten Verhandlungen, die Ihrem Herzen willkommen war, zu genießen, und das von den Armeen ausgesogene Deutschland zu erleichtern, die Ihrigen zurückgezogen hatte, da änderte sich plötzlich die Sprache. Nun verwarf man zu Paris die dem Tractate von Wien beigefügten Modificationen. Nun versuchte man, von Preußen die verderblichsten Maaßregeln zu erzwingen, – und als Graf Haugwitz, der sich in Paris befand, sich dagegen auflehnte, bestand man mit Hochmuth auf unbedingte Vollziehung des Tractats, auf unverzügliche Abtretung der drei Provinzen, auf Zurücknahme des Patents, wodurch die preußische Besitzergreifung von Hannover für provisorisch erklärt worden war. Man stritt Preußen eine Theil der stipulirten Vortheile ab, und verlangte die Schließung der Häfen gegen die brittische Flagge in eben der Art, wie sie stattgefunden haben würde, wenn die Franzosen in das Kurfürstenthum zurückgekehrt wären.

  Der König hatte endlich die wahre Beschaffenheit der Freundschaft des französischen Kaisers vollständig erkannt. Er verbarg sich nicht länger, daß die Früchte eines solchen Verhältnisses allemal dieselben seyn müssten; ein einschläfernder Trank für die Macht, die noch ihre Kräfte fühlte; ein Werkzeug der Herabwürdigung und endlicher Unterjochung für eine Macht, die keine mehr besaß. Unterdessen hatte Napoleon alle Vortheile in seinen Händen. Die preußische Armee war zurückgekehrt; die seinigen hatten sich, nach einigen unwesentlichen Bewegungen, worüber das betrogene Deutschland zu früh gefrohlockt hatte, unter nichtsbedeutenden Vorwänden diesseits des Rheins festgesetzt. Das erste Zusammentreffen konnte Unglücksfälle herbeiführen. Der Krieg, der nicht unter allen Umständen das größte Übel ist, konnte es unter den damaligen werden. Der König wollte noch eine Zeit lang bei seiner bisherigen Rolle stehen bleiben. Er wollte für den Augenblick, der sich damals schon berechnen ließ, seinen Kräfte, deren Europa mehr als jemals nöthig hatte, aufbewahren, und um wenigstens die Ruhe des Nordens zu sichern, bestätigte Er den neuen Tractat. Das Vertrauen war indessen ohne Rettung dahin. – Preußen war nunmehr überzeugt, daß es einen Grad des Ehrgeizes gibt, den nichts zu sättigen vermag, der von Anmaaßung zu Anmaaßung, zuweilen ohne Plan, aber immer mit dem Bedürfnisse Alles zu verzehren, ohne Unterlaß fortschreitet, über die Wahl der Mittel unbesorgt, die Waffen und die Feder, die Gewaltthaten und die Eidschwüre, mit gleicher Entschlossenheit benutzend. Aber selbst mit dieser Ueberzeugung – so groß ist dennoch die unglückliche Ueberlegenheit einer solchen Politik über die, die bloß gerecht seyn will – erfüllte den König alle Bedingungen des Tractats mit aller Sorgfalt eines gewissenhaften Alliirten.

  Es ist bekannt, was die Folgen davon in Ansehung der Verhältnisse Sr. Majestät mit England waren. Frankreich gewann nichts hierbei; aber es triumphierte insgeheim über den Gedanken, zwei Höfe veruneinigt zu haben, die vereinigt ihm gefährlich werden konnten; und was in Frankreichs Augen seiner Allianz mit dem Könige ihren eigentlichen Werth gab, war gerade, daß diese Allianz Se. Majestät isolirte, indem sie die Meinung erregte, daß Preußen die Mitschuldigen an so vielem Unglück sey. – Doch mit diesem Unglück begnügte man sich noch nicht. Wir werden bald sehen, wie die französische Politik, versichert, daß sie nun keinen Feind mehr zu fürchten hätte, darauf rechnend, Oesterreich vernichtet zu haben, in ihrem Urtheil über Rußland von eben so viel Unwissenheit als Vermessenheit geleitet, und geblendet durch Preußens anscheinende Ruhe, die Larve endlich von sich wirft, und mit Verachtung aller der Formen, die sonst noch zuweilen geschont worden waren, alle Tractate und alle Rechte ganz öffentlich mit Füßen tritt. Drei Monate nach der Unterzeichnung seines Tractats mit Preußen waren schon die sämmtlichen Artikel desselben verletzt. Der Tractat hatte zur Basis den Status quo des Augenblicks, in welchem er geschlossen wurde, vor allen Dingen also die Garantie des Deutschen Reichs und seiner Stände, in der Verfassung, in welcher sie sich damals befanden. Diese Wahrheit schließt nicht bloß aus der Natur der Sache; der Tractat hatte auch den beiden Mächten ihre Pflichten ausdrücklich vorgeschrieben.

  Man hatte Se. Maj. dem Kaiser von Oesterreich die Verhältnisse, in welchen der Preßburger Frieden diesen Monarchen gelassen hatte, mithin auch die deutsche Kaiserkrone und die damit verbundenen Rechte garantirt. Man hatte die Existenz von Baiern, und folglich auch alle die Verhältnisse, die es seit so vielen Jahrhunderten an das Reich knüpften, und dieselbe gemeinschaftliche Garantie bestätigt. Drei Monate nachher wirft der Rheinbund die deutsche Reichsverfassung über den Haufen, raubt demselben den alten Schmuck seines Hauses, und setzt Baiern und dreißig andere Fürsten mit ihm unter die Vormundschaft Frankreichs.[1 Vgl. dazu ...] Doch, darf man wohl, um diese merkwürdigen Begebenheiten zu beurtheilen, seine Zuflucht zu Tractaten nehmen? – Von allen Tractaten haben die Nationen ihre Rechte; und, wenn Frankreich auch nicht mit der Heiligkeit der Eide hier Spott getrieben hätte, diese That eines unerhörten Despotismus hätte dennoch aller Gemüther empört:

  Fürsten, die Frankreich nie beleidigt hatten, ihrer Souverainetät zu berauben, sie in Vasallen einiger Auserwählten zu verwandeln, die selbst wieder Vasallen der französischen Regierung werden sollten; eine Constitution von tausendjähriger Dauer, die eine lange Gewohnheit, das Gedächtniß ruhmvoller Zeiten und vielfältige wechselseitige Verhältnisse so vielen Fürsten theuer gemacht hatten, die von allen europäischen Mächten, und unter ihnen auch von Frankreich, so oft garantirt worden war, mit einem Federstrich zu vertilgen; sie zu vertilgen im Angesichte der Verzweiflung der Mitschuldigen wie der Schlachtopfer, indeß man mit seinen Armeen die Stände, welche man zu bereichern vorgibt, zu Grunde richtet, den Städten mitten im tiefsten Frieden Contributionen auferlegt, den neuen Besitzern selbst nichts als ein ausgesogenes Gerippe übrig lässt; diese Constitution zu vertilgen, ohne das man den Kaiser von Deutschland, dem man die Krone entreißt, ohne daß man den Kaiser von Rußland, noch ganz neuerlich Gewährleister des deutschen Bundes, ohne daß man Preußen, noch wesentlicher in diesem Bunde, der solchergestalt aufgelöst werden sollte, interessirt, nur darüber befragt hätte! – Nein, man hatte die Kriege und anhaltenden Siege zuweilen große und denkwürdige Katastrophen herbeiführen sehen; aber ein solches Schauspiel im Frieden ist der Welt noch nie dargeboten worden.

  Der König hat die unglücklichen Fürsten, die bei diesen Unternehmungen gelitten haben, bedauert; aber Er bedauert Die nicht weniger, die sich durch die traurige Beute reizen ließen, und Er würde sich vorwerfen, ihr Unglück vermehrt zu haben, wenn Er sie mit zu großer Strenge beurtheilen wollte. Zum Lohne ihrer Hingebung getäuscht, vielleicht gezwungen, Befehlen zu gehorchen, die keinen Widerstand duldeten, oder, wenn selbst ihr Wille berückt wurde, genugsam gestraft durch ihre Erwerbungen, und durch einen Vasallenstaat, der eben so hart ist, als ihre vorigen Verhältnisse ehrenvoll waren, verdienen sie zuletzt wohl nicht, daß Deutschland den Stab über sie breche. Vielleicht, wenn die edelmüthige Nation, der sie ehemals angehörten, sich von allen Seiten erhebt, um ihre Unabhängigkeit zu verfechten, vielleicht wird alsdann der Ruf der Dankbarkeit, und der Ehre auch bis zu ihnen ertönen, und die Ketten werden ihnen dann wenigstens zum Abscheu werden, wenn es darauf ankommt, sie mit dem Blut ihrer Brüder zu färben.

  Es war noch nicht genug, daß diese despotische That Preußen schlechthin beleidigte. Dem Kaiser von Frankreich war daran gelegen, daß sie auch in jedem ihrer Nebenumstände der Person des Königs empfindlich wurde. Die Existenz des Prinzen von Oranien befand sich unter der gemeinschaftlichen Garantie der beiden Mächte; denn der König hatte die politischen Veränderungen in Holland nur unter dieser Bedingung anerkannt. Seit Jahren erwartete dieser Prinz, daß seinen durch die wechselseitigen Stipulationen Preußens und Frankreichs gesicherten Geldforderungen Genüge geleistet werden solle. Die batavische Republik hatte den Willen gehabt, sich mit ihm auseinander zu setzen. Der Kaiser Napoleon hatte es ihr verboten. Weder die Erinnerung an diesen Umstand, noch Rücksicht auf die Bande des Blutes, die den Prinzen an Se. Maj. knüpften, noch die zwanzigmal wiederholte Erklärung, daß der König die Gerechtsame seines Schwagers nicht im Stich lassen könne, waren im Stande, zu bewirken, daß man ihn nicht mit unter den Haufen der Schlachtopfer zog. Er war der erste, dem man das Eigentum seiner Väter raubte. Acht Tage zuvor hatte er vom Kaiser einen Brief empfangen, worin ihm, in den gewöhnlichen Formen, Theilnahme über den Tod des Fürsten, seines Vaters, geäußert und zu der friedlichen Besitznahme der Staaten seines Hauses Glück gewünscht wurde. Keiner dieser Nebenumstände ist unwichtig, jeder wirft einen Lichtstrahl auf das Ganze.

  Cleve war dem Prinzen Mürat zugefallen. Kaum Souverain geworden, wollte er auch schon Eroberer werden. Seine Truppen besetzten die Abteyen Essen, Werden und Elten unter dem Vorwande, daß sie zum Herzogthum Cleve gehörten, ob sie gleich ganz neu erworbene Gebiete waren und zwischen ihnen und der abgetretenen Provinz auch nicht der Schatten einer Verbindung obwaltete. Man quälte sich vergebens, um diesen Frevel nur irgend einen Anstrich zu verleihen. – Wesel sollte dem neuen Herzoge, nicht dem Kaiser Napoleon gehören. Nie hätte sich der Koenig dazu entschlossen, die letzte Festung am Rheine in Frankreichs Hände zu liefern. Ohne sich mit einem Worte darüber zu erklären, wurde Wesel zu einem französischen Departement geschlagen.

  Man hatte sich wechselseitig den Besitzstand der österreichischen Monarchie und der Pforte garantirt. Der Kaiser Napoleon wollte zwar, daß Preußen durch diese Garantien gebunden sey; denn sie waren in seinen Händen ein Werkzeug, dessen er sich bedienen konnte, je nachdem seine Politik es verlangte; ein Vorwand, um irgend einem Streite, den seine Ehrsucht herbeigeführt hätte, Opfer zu begehren. Er selbst aber hielt sich nur so lange daran, als sein Interesse ihm nicht einen andern Gang vorschrieb. Ragusa, obgleich unter dem Schutz der Pforte, wurde von seinen Truppen in Besitz genommen. Gradiska und Aquileja wurden Oesterreich entrissen, ungefähr unter eben dem Vorwande, welcher die Franzosen in die drei Abteyen geführt hatte.

  Man war bei allen politischen Berechnungen von der Idee ausgegangen, daß die von Frankreich geschaffenen neuen Staaten im eigentlichen Sinne Staaten, und nicht französische Provinzen, seyn würden. Es kostete dem Cabinet in St. Cloud nur Ein Wort, um ihnen ihre Unabhängigkeit zu rauben. Man erfand die Benennung: das große Reich, und war sofort von nichts als Vasallen umringt. – Von dem Tractate war also keine Spur mehr vorhanden. Und Preußen fuhr fort, seine Häfen gegen England zu verschließen!! Und Preußen glaubte noch immer, Verpflichtungen auf sich zu haben.

  Der Kaiser benachrichtigte endlich Se. Majestät, daß es Ihm gefallen habe, das deutsche Reich aufzulösen und einen rheinischen Bunde zu stiften, und forderte den König auf, einen ähnlichen Bund im nördlichen Deutschland zu Stande zu bringen. Das war die gewöhnliche und lange mit Erfolgt gekrönte Tactik, im Augenblick der Geburt eines neuen Projectes den Höfen, die diesem Project Schwierigkeiten in den Weg legen konnten, irgend eine Lockspeise darzubieten. – Der König ergriff die Idee eines solchen Bundes, nicht etwa, als wenn jene nun längst schon gewürdigten Rathschläge den geringsten Eindruck auf ihn gemacht hätten, wohl aber, weil in der That die Umstände Ihn dazu verpflichteten und weil nach dem Abfall der zum Rheinbund übergetretenen Fürsten eine enge Verbindung zwischen den nördlichen mehr als je die Bedingung ihrer Sicherheit war. Der König beschäftigte sich damit; aber glücklicherweise nach andern Grundsätzen als denen seines Musters. Er setzte Seinen Stolz darein, die letzten Deutschen unter Seine Fahne zu versammeln; aber die Rechte eines Jeden sollten unverletzt bleiben und die Ehre allein die Verbündeten an einander knüpfen.

  Aber Frankreich sollte den König zu einer Maßregel aufgefordert haben, die nützlich für Preußen gewesen wäre! Wir werden bald sehen, was es heißt, wenn Frankreich mit Gunstbezeugungen auftritt. Zuvörderst hatte man Sorge getragen, in das Grundstatut des Rheinbundes einen Artikel einzufügen, welcher den Keim zu allen künftigen Umgriffen enthielt. Man erbot sich, noch andere Fürsten in diesen Bund aufzunehmen, wenn sie Verlangen dazu beweisen sollten. Auf diese Art ließ man abermals alle Verhältnisse in Deutschland unentschieden, und indem man sich die Mittel vorbehielt, die schwächeren Staaten durch Versprechungen oder Drohungen hinzureißen, sah man dem Zeitpunct entgegen, wo man jenen Bund bis in’s Herz der preußischen Monarchie verpflanzt hätte. Und damit dieß Niemanden zweifelhaft bleiben möchte, wurde auf der Stelle der erste Versuch unternommen. Zum Glück traf er einen Fürsten, der die Furcht nicht kennt und der die Unabhängigkeit als den höchsten Gegenstand seines Ehrgeizes betrachtet:

  Der französische Minister zu Cassel lud den Kurfürsten [von Hessen] ein, sich seinem Herrn in die Arme zu werfen; Preußen thäte nichts für seine Alliirte! (Es ist wahr, daß Napoleon die seinigen besser zu behandeln weiß, und Jedermann sieht, daß Spanien und Holland, und die Könige von Baiern und Würtemberg, der Allianz mit ihm Frieden, Unabhängigkeit und Ruhm verdanken!) Preußen thäte nichts für seine Alliirte! Napoleon hingegen würde den Beitritt des Kurfürsten durch eine Vergrößerung seines Gebiets vergelten. – Und diese Treulosigkeit wurde gegen einen Alliirten verübt! In eben dem Augenblick, wo man den König aufforderte, eine Verbindung zu stiften, von welcher Hessen die erste Vormauer abgeben sollte, suchte man einen Fürsten von ihm abzuwenden, den Familienverträge, zahlreiche Bündnisse und Verhältnisse jeder Art auf’s engste an Sr. Maj. Person gebunden hatten. – Aber selbst diese feindseligen Schritte waren noch zu leicht. Wünscht man zu wissen, was die Lockspeise war, wodurch man den Kurfürsten von Hessen gewinnen wollte, und mit welcher Vergrößerung man Ihm schmeichelte? Es war der Prinz von Oranien, der Schwager des Königs, dieser zweimal schamlos hintergangene Prinz, der jetzt zum drittenmal beraubt werden sollte. Er besaß noch das Land Fulda. Man versprach es dem Kurfürsten. Man hätte es gegeben, wenn der Kurfürst es gewollt, und Preußen nicht zu den Waffen gegriffen hätte.

  Se. Majestät sahen das System der Usurpationen jeden Tag einen Schritt vorwärts thun, Sie sahen, wie man einen immer engern Kreis im Sie herzog, und selbst das Recht, Sich in diesem zu bewegen, Ihnen streitig zu machen anfing. Denn ein ausschweifender Beschluß verbot schon allen fremden Truppen, bewaffnet oder nicht, den Durchgang zwischen den Staaten der Conföderation. Dieß hieß, allem Völkerrecht zuwider die Verbindung zwischen den einzelnen hessischen Provinzen aufheben. Dieß hieß, Vorwände zu Händeln bereiten. Dieß war die erste Strafe, die man über einen edelmüthigen Fürsten verhängte, der einen Vertheidiger einem Herrscher vorgezogen hatte.

  Der Kaiser Napoleon sorgte dafür, auch diese letzten Zweifel bald zu zerstreuen. Zwei Friedensunterhandlungen wurden damals in Paris geführt, die eine mit einem russischen, die andre mit den englischen Ministern. In jeder von beiden Unterhandlungen enthüllten sich die Gesinnungen gegen Preußen. Und auch dann noch – Se. Maj. könne nicht ohne Verwunderung daran zurückdenken – auch nach diesem allen berechnete der König noch, ob es nicht eine Combination geben sollte, die diese Lage der Dinge mit der Erhaltung des Friedens vereinbar gemacht hätte.

  Durch den Tractat, welchem der Kaiser Alexander die Bestätigung versagte, erbot sich Frankreich, in Gemeinschaft mit Rußland zu verhindern, daß Preußen dem Könige von Schweden seine deutschen Staaten entrisse. Aber seit mehreren Monaten hatte das Cabinet von St. Cloud den König bestürmt, zur Besitznahme dieser Staaten zu schreiten, in der dreifachen Absicht, sich an dem Könige von Schweden zu rächen, Preußen mit allen andern Höfen zu entzweien, und das Stillschweigen Preußens zu der Umkehrung des mittäglichen Deutschlands zu erkaufen. Aber seit eben so langer Zeit hatte der König diese Absichten durchschaut, wie peinlich Ihm auch Sein unglücklicher Zwist mit Schweden seyn mochte. Er hatte dafür gesorgt, jeden Verdacht eines eigennützigen Plans aus dem Wege zu räumen, und der Kaiser war der Despositär Seiner Versprechungen gewesen. Nun änderte sich die Scene auf einmal, und Napoleon, lange genug der Feind des Königs von Schweden, hatte sich in den Beschützer desselben verwandelt. Es ist nicht überflüssig, hier zu bemerken, daß in eben diesem berüchtigten Tractate der französische Kaiser, um den edlen Interesse, welches der Petersburger Hof fortdauernd an der Erhaltung des Napolitanischen nimmt, Genüge zu leisten, dem letztern eine Schadloshaltung versprach, indem er den König von Spanien bestimmen wollte, ihm die balearischen Inseln abzutreten. So verhält es sich mit den Vergrößerungen, auf welche seine Alliirten Anspruch zu machen haben.

  Dieß alles waren Vorspiele zu den Schritten gegen Preußen. Wir nähern uns dem Augenblicke, der Se. Majestät entschied. Preußen hatte von seinen Tractaten mit Frankreich noch nichts als Demüthigungen und Verluste geärndtet. Ein einziger Vortheil war Preußen geblieben. Das Schicksal Hannovers lag in seinen Händen, und es mußte in seinen Händen bleiben, wenn das letzte Unterpfand der Sicherheit des Nordens nicht vernichtet werden sollte. Napoleon hatte diese Lage der Dinge freilich garantirt. Er unterhandelte mit England auf die Basis der Zurückgabe des Kurfürstenthums. Der König ist Besitz der Beweise.

  Der Krieg war nun durch die That erklärt. Jede Maaßregel Frankreich verkündete ihn. Von Monat zu Monat versprach irgend eine neue Bekanntmachung den Rückmarsch seiner Armeen. Ein eitler Vorwand über den andern hielt sie in Deutschland fest. Und zu welchen Operationen? Großer Gott! Um die Souverainetät der Deutschen bis auf die letzte Spur zu vertilgen, um die Könige wie Präfecten zu behandeln, um die Länder auszuzehren, um Bürger, die nur ihren eigenen Regenten verantwortlich waren, vor militärische Tribunale zu schleppen, um Andere, die friedlich in fremden Staaten unter fremden Souverains, sogar in der Hauptstadt eines Deutschen Kaisers lebten, für vogelfrei zu erklären, weil sie Schriften publicirt hatten, wo die französische Regierung, oder wenigstens ihr Despotismus, angegriffen war, und das in einem Zeitpuncte, wo eben diese Regierung zuließ, daß besoldete Libellenschreiber unter ihrem Schutze die Ehre der Kronen und die heiligsten Gefühle der Völker angriffen. – Jene Armeen vermehrten sich allmählich immer mehr, rückten den Gränzen Preußens oder seiner Alliirten immer näher, setzten sich in eine Verfassung, die nur Preußen bedrohen konnte, und vermehrten sich selbst in Westphalen, von wo aus ihr Weg wohl nicht nach den Mündung des Cattaro ging. Es war nicht mehr zweifelhaft, daß Napoleon Preußen mit Krieg überziehen, oder es auf immer zum Krieg unfähig machen wollte, indem er es von Demüthigung zu Demüthigung, bis zu einem Zustande politischer Herabwürdigung und Ohnmacht geführt hätte, in welchem ihm, nach Verlust aller seiner Vormauern, keine anderer Wille als der seines fürchterlichen Nachbarn geblieben seyn würde.

  Der König stand nicht länger an. Seine Armeen zogen sich zusammen. Der General Knobelsdorf wurde nach Paris gesendet, um die letzten Erläuterungen Sr. Maj. zu überbringen. Es gab nur eine Maaßregel noch, die dem König einige Sicherheit gewähren konnte; dieß war die Rückkehr der französischen Truppen über den Rhein. Die Zeit der Reden war vorüber, obgleich das Cabinet von St. Cloud sich immer noch freigebig darin bewies. Der General Knobelsdorf hatte den Befehl, auf jener Maaßregel zu bestehen. Sie erschöpfte noch nicht die gerechten Forderungen des Königs; sie sollte nur den übrigen vorangehen, sie war die Bedingung seiner künftigen Existenz; zugestanden oder nicht zugestanden, mußte sie endlich ein Licht über die eigentlichen Gesinnungen des französischen Kaisers verbreiten. – Eitle Demonstrationen, durch eine lange Erfahrung auf ihren wahren Werth zurückgeführte Argumente, waren die einzige Antwort, welche der König erhielt. Weit entfernt, an Zurückberufung der französischen Truppen zu denken, kündigte man an, daß sie verstärkt werden sollten; aber mit einem Hohn, der noch merkwürdiger war, als diese Weigerung, erbot man sich, die Truppen, die in Westphalen vorgerückt waren, heimkehren zu lassen, wenn Preußen seine Rüstungen einstellen wollte.

  Dieß war noch nicht Alles. Man erkühnte sich, den Ministern des Königs zu erklären, daß es den Städten Hamburg, Bremen und Lübeck nicht erlaubt seyn sollte, der nordischen Conföderation beizutreten, sondern Frankreich sich vielmehr vorbehielte, sie in seinen Schutz zu nehmen; gleich als wenn zu eben der Zeit, wo Frankreich in dem Bezirke des andern Bundes Städte verschenkte und Gesetze promulgirte, ohne irgend einer Macht den geringsten Einspruch zu gestatten, man dem Könige hätte zumuthen dürfen, ein fremdes Interesse im Herzen seiner Monarchie zu dulden. – Ein anderer Contrast erbitterte den König auf’s Höchste. Er empfing vom Kaiser einen Brief voll jener Versicherungen der Achtung, die freilich, wenn die Thatsachen nicht damit übereinstimmten, als Nichts zu betrachten sind, die aber die Würde der Souverains ihnen, selbst an der Schwelle des Krieges noch, zur Pflicht macht. Und wenige Tage nachher, in einem Augenblicke, wo das Schwert noch nicht gezogen war, wo die Minister des Kaisers denen des Königs noch Betheurungen von seinen friedlichen Absichten vorspiegelten, erschien der Publiciste vom 16. September mit einer Diatribe gegen den König und den preußischen Staat, von Seiten ihrer Schreibart der schmutzigsten Perioden der Revolution würdig, ehrenrührig für die Nation, in andern Zeiten als die unsrigen der feierlichen Kriegserklärung gleich geltend. Der König kann allerdings Verläumdungen, die nichts als Widerwillen erregen, verachten; wenn diese Verläumdungen aber dazu beitragen, Ihm über die wirkliche Lage der Dinge Aufschluß zu geben, so wäre es unklug, sie bloß mit Verachtung zu behandeln. – Uebrigens war nun auch der letzte Zweifel verschwunden. Aus dem Innern Frankreichs marschirten Truppen gegen den Rhein. Der Vorsatz, Preußen anzugreifen, war klar und zuverlässig. Eine kostbare Zeit ging verloren. –

  Der König ließ durch den General Knobelsdorf eine Note überreichen, welche die Bedingungen enthielt, unter denen Er noch bereit war, Sich zu vergleichen. Diese Bedingungen waren: 1) daß die französischen Truppen ungesäumt Deutschland räumten; 2) daß Frankreich der Bildung des nördlichen Bundes kein Hinderniß entgegensetze, und daß dieser Bund alle großen und kleinen deutschen Staaten, die in den Fundamental-Acten des Rheinbundes nicht als Mitglied dieses letzteren genannt sind, umfassen könne; 3) daß unverzüglich eine Unterhandlung zum Behuf der näheren Bestimmung aller noch streitigen Gegenstände eröffnet würde, wo für Preußen die Zurückgabe der drei Abteyen und die Trennung der Stadt Wesel von dem französischen Reiche die Präliminar-Artikel seyn müßten. – Diese Bedingungen sprechen für sich selbst. Sie beweisen, wie sehr noch in diesem Augenblicke der König seine Forderungen mäßigte, und wie sehr die Erhaltung des Friedens, wenn Frankreich ihn gewollt, von Frankreich abgehangen hätte.

  Der vom König bestimmte peremtorische Termin zur Entscheidung über Frieden oder Krieg ist verstrichen. Se. Majestät haben die Antwort des Cabinets von St. Cloud nicht erhalten, oder vielmehr die Zurüstungen, die um Sie her geschehen, geben Ihnen die Antwort täglich. Der König kann die Ehre und Sicherheit Seiner Krone forthin nur den Waffen anvertrauen. Er ergreift sie mit Schmerz, weil ein durch die Thränen Seiner Völker erkaufter Ruhm nie Sein Wunsch gewesen war, aber auch mit Ruhe, weil Seine Sache gerecht ist. Der König hat die Nachgiebigkeit bis an die letzte Gränze getrieben, bis dahin, wo die Ehre nicht gestattet hätte, weiter zu gehen. Der König hat Alles, was Ihn bloß persönlich kränken konnte, geschehen lassen. Er hat sich über die Urtheile der Unwissenheit und über die Verläumdungen weggesetzt, stets hoffend, daß es Ihm gelingen würde, Sein Volk ohne Erschütterung bis an den früher oder später unausbleiblichen Zeitpunct zu führen, wo ungerechter Größe ihr Ziel gesteckt wird und der Ehrgeiz, wenn er hartnäckig alle Gränzen verkennt, zuletzt sich selbst überspringt. Se. Majestät ergreifen die Waffen, weder um einer lange genährten Erbitterung Luft zu machen, noch um Ihre Macht zu vermehren, noch um eine Nation, die Sie zu schätzen wissen, in ihren natürlichen und billigen Gränzen zu beunruhigen, sondern um Ihre Monarchie vor dem Schicksale , welches man ihr zubereitete, zu bewahren, um dem Volke Friedrichs seine Unabhängigkeit und seinen Ruhm zu erhalten, um das unglückliche Deutschland von dem Joche, worunter es erliegt, zu befreien, und um zu einem ehrenvollen und sichern Frieden zu gelangen. Der Tag, wo Er diesen erreicht, wird des Königs schönster Triumph seyn.

  Die Begebenheit des Krieges, der sich eröffnet, sind in der Hand der allerhöchsten Weisheit. Der König überläßt Andern vorzeitige Prahlereyen, wie Er ihnen so lange den traurigen Genuß muthwilliger Beleidigungen und unverantwortlicher Lästerungen überließ. Aber Er führt zum ehrenvollsten Kampfe eine Armee, die ihres Ruhmes würdig ist. Aber Er beherrscht eine Nation, auf die Er stolz seyn kann; und, wenn Er bereit ist, Sein Blut für sie zu vergießen, so weiß Er auch, was Er von ihrer Energie und von ihrer Liebe zu erwarten hat. Aber Fürsten, die Zierde des deutschen Namens, Seiner Dankbarkeit, Seiner Rechtlichkeit gewiß, und die wenigstens an Seiner Seite den Sieg nicht fürchten dürfen, haben ihre Fahnen mit den Seinigen vereint. Aber ein Souverain, der einen der ersten Throne der Welt durch Seine Tugenden ehrt, ist von der Gerechtigkeit Seiner Sache durchdrungen. Aber die Stimme der Völker ruft und segnet allenthalben Seine Waffen; und selbst da, wo das Schrecken sie verstummen heißt, meldet sie sich nur um so dringender an. Mit so vielen Beweggründen zum Bewußtseyn seiner Kraft und zur Ruhe, ist es Preußen wohl erlaubt, fortdauernd an seine hohe Bestimmung zu glauben. –

 

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Quelle: Corpus Juris Confoederationis Germanicae oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bunds, hrsg. v. Philipp Anton Guido Meyer, Teil 1. Staatsverträge, 3. Aufl., Frankfurt am Main 1858, S. 150-162.


Empfohlene Zitierweise des Dokumentes:
Manifest des Königs von Preußen Friedrich Wilhelm III. zur Begründung der Kriegserklärung an Frankreich (09.10.1806), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/nzjh/preussen/1806/preussisches-manifest-gegen-frankreich.html, Stand: aktuelles Datum.


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Letzte Änderung: 03.01.2004
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