Interview mit dem Bundesgeschäftsführer der PDS Dietmar Bartsch
über den Kampf gegen den Terrorismus
"Bei uns stehen Besonnenheit und Frieden ganz oben"
Vom 28. September 2001
Dietmar Bartsch (43) gehört seit 1991 zur PDS-Spitze. Zunächst jahrelang
Bundesschatzmeister, wurde er 1997 zum Bundesgeschäftsführer der Partei gewählt. Seit
1998 vertritt der promovierte Wirtschaftswissenschaftler die PDS auch im
Bundestag.
In welcher Situation haben Sie von den Anschlägen am 11. September erfahren?
Ich war im Karl-Liebknecht-Haus, als ich einen Anruf erhielt. Wir haben den Fernseher
eingeschaltet und fassungslos diese Bilder gesehen.
Haben Sie in dem Moment überlegt, wie Sie als Politiker reagieren?
Nein, ich habe vor allem an Leute gedacht, die ich kenne, die dort im World Trade Center
gearbeitet haben. Und an Freunde meiner Kinder, die zu dem Zeitpunkt in New York waren.
Wie beeinflusst solche persönliche Betroffenheit die Sicht eines Politikers?
Das hat natürlich Einfluss. Außerdem war ich in diesem Jahr in den USA. Dabei habe ich
in dem Maße, in dem ich dort Menschen kennen lernte, mein Bild von diesem Land etwas
korrigiert, das ich bisher hatte. Trotzdem müssen Politiker versuchen, Emotionen
zurückzustellen, auch wenn das ziemlich brutal sein kann.
Spielen solche persönlichen Eindrücke eine Rolle, wenn Sie einige Meinungen aus der
PDS zu den Anschlägen als zynisch bezeichnen?
Ich glaube, so direkt wirkt das nicht. Für mich ist es allerdings letztlich
menschenverachtend, wenn jemand praktisch noch im Moment der Katastrophe alles genau
weiß, einschließlich der Ursachen und der Folgen. Inzwischen sind mehr als 14 Tage
vergangen; die befürchteten Racheaktionen der USA hat es trotz inakzeptabler Reden bisher
nicht gegeben. Auch wir können wieder anders über unsere Differenzen zu anderen Parteien
diskutieren und Antworten suchen. Bei uns stehen Besonnenheit und Frieden ganz oben.
Bis wohin reicht nach Ihrer Meinung legitime Kritik an der US-Politik, wo beginnt
Antiamerikanismus?
Für eine sozialistische Partei wäre es absurd, die Politik der USA, auch ihr Agieren in
der Vergangenheit nicht zu kritisieren. Aber ich möchte das klar trennen von den
Anschlägen, die durch nichts zu rechtfertigen sind. Da hat nicht einmal ein Hauch von
Aufrechnung und Relativierung etwas zu suchen. Man kann die Toten von New York nicht
aufrechnen gegen die Kriegsopfer in Vietnam.
Die Meinung Gregor Gysis, zur Ergreifung der Schuldigen seien begrenzte
Militäraktionen denkbar, hat für einige Aufregung gesorgt. Muss die PDS über den
Begriff Friedenspartei neu nachdenken?
Es wäre verheerend, wenn wir nicht neu nachdenken würden. Derzeit steht die
Zivilisiertheit der Welt vor einer Bewährungsprobe. Nur im Frieden können wir den
existenziellen Problemen der Menschheit begegnen. In den grundlegenden Fragen hat die PDS
gemeinsame klare Friedenspositionen. Parteivorstand und Bundestagsfraktion haben deutlich
gesagt, dass die Täter bestraft werden müssen und dass dabei ein bestimmtes Maß an
Repression notwendig sein wird. In einer Frage beim Maß der Repression gibt
es eine Diskussion. Die will ich aber nicht voranstellen, sondern die gemeinsamen
Positionen.
Ist es für Sie ein Problem, dass die PDS zumindest in Ansätzen von
Friedensinitiativen und forschern kritisiert wird?
Ich finde, dass wir und zwar als Gesamtpartei vernünftig reagiert haben.
Dazu gibt es weit über die PDS hinaus Zustimmung. Wir haben die große Chance und die
Aufgabe, unsere Position in der Gesellschaft zu verbreitern. Aber das kann nicht der
einzige Aspekt sein. Es geht darum, Kurzschlussreaktionen der USA, des Westens überhaupt
zu verhindern. Und da wäre es absurd, SPD und Grünen von vornherein Kriegstreiberei zu
unterstellen. Ich halte ihre Zustimmung zum NATO-Bündnisfall für falsch, aber ich
unterstelle ihnen nicht, dass sie am liebsten Krieg führen wollen. Man muss aufpassen,
dass aus Friedensbewusstsein keine Arroganz wird.
Ist das der Punkt, an dem Sie davor warnen, dass die PDS sich in der Gesellschaft
isolieren könnte?
Wir müssen darum kämpfen, dass Friedenspositionen unterschiedlicher Couleur in der
Gesellschaft mehrheitsfähig werden. Hier muss sich zeigen, wie zivilisiert die
zivilisierte Welt ist. Wir müssen die Fragen von Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit auf
einer neuen Ebene thematisieren. Abrüstung ist da ein wichtiger Weg. Die Bekämpfung von
Terrorismus kann nicht über Militärstrukturen laufen. Frieden ist ein Menschenrecht
danach müssen wir unsere Politik ausrichten.
Für die Innenpolitik ergeben sich gravierende Folgen. Sind die jetzt diskutierten
Verschärfungen bei der Inneren Sicherheit Vorboten eines Rechtsrucks?
Es gibt ja durchaus Vernünftiges. Wenn die Flugsicherheit verbessert werden soll, findet
das unsere Unterstützung. Auch die Abschaffung des Religionsprivilegs sollte geprüft
werden. Insgesamt sehe ich aber das, was Bundesinnenminister Schily vorgeschlagen hat,
höchst problematisch. Es kann jetzt nicht darum gehen, die Situation auszunutzen und
innenpolitische Ladenhüter herauszuholen, individuelle Freiheiten einzuschränken, das
Recht auf Zuwanderung zu begrenzen, den Datenschutz zu reduzieren. Frieden ist immer
freiheitlich.
Gleichwohl muss sich die PDS stärker mit Innerer Sicherheit in einem breiten Sinne
befassen. Das bewegt die Menschen. Die Schill-Partei wurde in Hamburg keineswegs nur von
Rechtsradikalen gewählt. Diese Debatte über Innere Sicherheit hat sehr viel mit der
Programmdiskussion bei der PDS zu tun. Wir wurden durch die Terroranschläge noch einmal
darauf gestoßen, über den Zusammenhang von Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit
nachzudenken.
Haben sich angesichts der SPD-Position zu Militäreinsätzen nicht alle Gedanken an ein
PDS-Mitregieren erledigt?
Wir sind Opposition im Bundestag, das ist gerade jetzt deutlich sichtbar. Wir wollen eine
andere Politik als den neoliberalen Kurs von Rot-Grün, wir wollen die Achse der Politik
nach links verschieben. Welche Konstellationen daraus entstehen können, ist jetzt nicht
diskussionswürdig.
Interview: Wolfgang Hübner
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