Rede des Vorsitzenden der PDS-Fraktion Roland Claus zur Aktuelle Lage nach Beginn der Operation gegen den internationalen Terrorismus in Afghanistan

Vom 11. Oktober 2001


Roland Claus (PDS):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was erwarten die Menschen in diesen Tagen von der Politik, also von ihrem Parlament und ihrer Regierung? Ich denke, sie erwarten, dass sie vor terroristischer Bedrohung geschützt, somit auch die Täter vom 11. September bestraft und die von den terroristischen Strukturen ausgehenden Gefahren andauernd und wirksam überwunden werden.

(Beifall bei der PDS)

Sie erwarten, dass ihr Leben nicht durch Terror und Angst entwürdigt wird. Das Bekennervideo von Bin Laden ist nichts anderes als der Versuch, die Würde der Welt, die Würde aller Kulturen und Religionen mit Mitteln jenseits jeder Achtung vor dem Leben anzugreifen. Regierung und Opposition müssen sich diesen Erwartungen gemeinsam stellen, sie müssen dabei aber nicht zwangsläufig die gleichen Antworten geben.

(Beifall bei der PDS)

So hat sich, finde ich, die ja nicht nur die von der PDS immer wieder vorgetragene Mahnung zur Besonnenheit im Handeln der Regierenden durchaus widergespiegelt. Ich sage aber auch in aller Deutlichkeit und ausdrücklich: Die am Sonntag begonnenen militärischen Aktionen halten wir für den falsch Weg.

(Beifall bei der PDS)

Der Kampf gegen den Terrorismus, auch ein langwieriger Kampf, ist gewinnbar, ein Krieg nicht. Auch lange Wege beginnen mit dem ersten Schritt. Entschieden wichtig ist darum, in welche Richtung dieser erste Schritt gegangen wird. Bomben auf Afghanistan, die bekanntlich nicht nur terroristische Strukturen getroffen haben, sind falsche erste Schritte in die falsche Richtung.

(Beifall bei der PDS)

Diese Kritik an den Militäreinsätzen in Afghanistan bedeutet für die PDS nicht das Ende der kritischen Solidarität mit Amerika, obwohl uns das häufig unterstellt wird. Günter Grass sagte vorgestern, dass ein wirklicher Freund auch die Kraft aufbringen müsse, einem Freund in den Arm zu fallen, wenn er der Überzeugung ist, dass dieser falsch handelt.

Nach den nun begonnenen Militäreinsätzen haben wir nicht kurzschlüssig oder antiamerikanisch reagiert, sondern wir haben gefragt: Sind diese Mittel geeignet, den Terror zu bekämpfen? Führen sie zu mehr Sicherheit in Amerika oder Deutschland? Besteht nicht eher die Gefahr, dass in der Logik des Wahnsinns Gegenschläge infolge des 11. September einkalkuliert sind? Werden die Terroristen die Bomben auf Afghanistan nicht dazu benutzen, neuen Fanatismus anzuheizen? Natürlich ist eine kritische Minderheit hier im Parlament in schwieriger Lage, weil ihr unterstellt wird, sie wolle nichts tun, während die hinter der Regierung Stehenden für sich öffentlich durchaus in Anspruch nehmen: Wir tun wenigstens etwas! Nur, meine Damen und Herren, wird ihr Tun dem angestrebten Ziel gerecht? Das glaube ich nicht.

(Beifall bei der PDS)

Diese Bomben schaffen weder mehr Sicherheit in den USA und in Europa noch wird damit das internationale Netzwerk des Terrorismus erreicht. Aber ich glaube, dass es noch nicht zu spät ist, einen anderen Weg einzuschlagen. Ein von der UNO legitimierter internationaler Polizeieinsatz gegen die Strukturen des Terrors wäre geeigneter. Ein souveränes Agieren der Vereinten Nationen anstelle der nachträglichen Befassung steht noch aus. Den Flüchtlingen, die aus Afghanistan kommen, könnte mit geöffneten Grenzen und einem kombinierten Handeln von Polizeikräften und Hilfsorganisationen wirksamer geholfen werden. Das hätten die Flüchtlinge auch bitter nötig. Denn Hilfsorganisationen kritisieren, dass die Hilfe mit Nahrungsmitteln nach den Angriffen nicht vermehrt, sondern verringert wurde. Deutschland sollte seine Versprechen bei der Flüchtlingshilfe und nicht bei Militäroperationen einlösen.

(Beifall bei der PDS)

Afghanistan braucht nach 23 Jahren Krieg die Hoffnung auf ein vertrauensbildendes Aufbauprogramm. Die Nordallianz birgt diese Hoffnung nicht. Schließlich muss die Weltöffentlichkeit über das militärische Vorgehen tatsächlich informiert werden. Denn Solidarität kann nur als informierte Solidarität, nicht aber als blindes Vertrauen gedeihen.

(Beifall bei der PDS)

Auch wir, meine Damen und Herren, wollen die offene Gesellschaft sicherer gestalten. Sie sollten der PDS nicht unterstellen, sie sei zum radikalen Pazifismus übergegangen. Sie wissen wie wir, dass das nicht stimmt. Die PDS ist keine pazifistische Partei, gleichwohl Pazifistinnen und Pazifisten und deren grundsätzlicher Widerstand gegen Waffengewalt in den Reihen der PDS geachtet sind.

(Beifall bei der PDS)

Es sind eben mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, also auch in der Politik, als purer Pazifismus einerseits und uneingeschränkter Bündnisfall andererseits.

(Beifall bei der PDS)

Politik hat die Aufgabe, aufzuklären und nicht in der Gesellschaft zu polarisieren. Wenn die Bundesregierung den SPD-Generalsekretär in dieser Situation erklären lässt, dass eine kritische Minderheit im Parlament weniger als andere informiert wird, sagt das nichts anderes, als dass sie eine andere Meinung nicht ertragen kann.

(Beifall bei der PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren, die Hoffnungen der Menschen auf ein Leben ohne Terror und Angst wollen wir alle nicht enttäuschen. Es ist noch nicht zu spät, andere als kriegerische Wege zu gehen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)

 

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Quelle: Quelle: Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, 192. Sitzung vom 11. Oktober 2001, Stenographischer Bericht (Plenarprotokoll 14/192).


Empfohlene Zitierweise des Dokumentes:
Rede des Vorsitzenden der PDS-Fraktion Roland Claus zur Aktuelle Lage nach Beginn der Operation gegen den internationalen Terrorismus in Afghanistan (11.10.2001), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/brd/2001/rede_claus_1011.html, Stand: aktuelles Datum.


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