Rede der stellvertretenden Vorsitzenden der PDS-Fraktion Petra Pau zu Gesetzentwürfen zur Bekämpfung des Terrorismus und Erhöhung der inneren Sicherheit

Vom 11. Oktober 2001


Petra Pau (PDS):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit den Terroranschlägen vom 11. September haben wir eine neue Lage. Eine neue Lage erfordert neues Nachdenken, auch über die öffentliche Sicherheit. Unsere Fraktion beschäftigt sich mit diesem Thema sehr intensiv. Wir kennen die Sorgen, die Ängste und ebenfalls die Verunsicherungen, die es in der Bevölkerung gibt. Wir teilen sie im Wortsinne; denn auch wir haben Ängste und Sorgen.

Unser Nachdenken und unser Prüfen geschieht nicht ideologisch, sondern sehr pragmatisch. Wir stellen uns bei jedem neuen Vorschlag drei Fragen: Bringt dieser Vorschlag mehr Sicherheit oder gibt er dies nur vor? Stärkt er den Rechtsstaat oder unterläuft er seine Regeln? Was überwiegt, der Heilstoff oder die Nebenwirkungen?

Ich möchte Ihnen das gerne an einem Beispiel illustrieren: In allen Bundesländern ist inzwischen eine Rasterfahndung angelaufen, also ein umfangreicher Abgleich persönlicher Daten. Das sei unumgänglich, drängen CDU und CSU.

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Wir sind genau der Meinung!)

Das sei eine normale Ermittlungsmethode, beschwichtigt mein Berliner SPD-Innenminister. Das sei gerade noch hinnehmbar, knurren Bündnis 90/Die Grünen.

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: "Knurren", das ist richtig! Mehr können die Grünen auch nicht!)

Ganz anders der Präsident des Landeskriminalamtes Sachsen, also offenbar ein Mann vom Fach. Er sagte dieser Tage: Die Rasterfahndung ist untauglich. Auf die Nachfrage, warum sie denn trotzdem durchgeführt werde, meinte er: Nun, wir haben kein besseres Mittel.

Das heißt, obwohl das Ganze untauglich ist, wird der Datenschutz ausgehöhlt und werden viele Bürgerinnen und Bürger ob ihrer Herkunft unter Generalverdacht gestellt. Das ist ein klassischer Fall, in dem die Nebenwirkungen die positiven Effekte eher erdrücken.

Das selbe wird eintreten, wenn Sie den Fingerabdruck von ausländischen Mitbürgern in den Pass prägen lassen und sie damit diskriminieren. Nun habe ich heute Morgen mit großer Sorge vernommen, dass der Herr Bundeskanzler noch weitere erkennungsdienstliche Daten in Pässe prägen lassen will. Ich sage für die PDS: Wir lehnen beides ab.

(Beifall bei der PDS)

Diese Vorschläge bringen nämlich nicht mehr Sicherheit, sondern unterlaufen nur rechtsstaatliche Ansprüche. Jene, die das trotzdem tun wollen, sollten doch dann wenigstens den Mut aufbringen, dies ehrlich zu sagen, anstatt, wie heute Morgen Frau Merkel, zu behaupten, dass das alles alternativlos und ungefährlich sei.

Nun zu unserer Positivliste. Es steht ja außer Frage, dass es Handlungsbedarf, und sogar sehr dringenden, gibt. Wir brauchen erstens eine Polizeireform. Wir brauchen zweitens einen effektiven Katastrophenschutz. Wir brauchen drittens eine bessere internationale Kooperation. Viertens brauchen wir mehr Prävention, übrigens weltweit. Fünftens schließlich brauchen wir mehr öffentliche Sicherheit in der offenen Gesellschaft.

Mehr öffentliche Sicherheit in einer offenen Gesellschaft verträgt allerdings dreierlei nicht: erstens die Kappung von Bürgerrechten, zweitens das Unterlaufen von Rechtsstaatsprinzipien und drittens die Privatisierung öffentlicher Sicherheit. Damit zu den konkreten und aktuellen Vorschlägen, die auf dem Tisch dieses Hauses liegen.

Stichwort Flugsicherheit: Es liegt nahe und ist richtig, die Flugsicherheit zu erhöhen. Dazu sollten natürlich verbesserte Gepäck- und Personenkontrollen und auch die Sicherung des Cockpitbereichs gehören. Sofern es sich um ausgebildete Polizeibeamte handelt, spricht meines Erachtens auch nichts gegen so genannte Skymarshals, also Flugbegleiter mit Sicherheitskompetenzen. Gerade am Beispiel Flugwesen zeigt sich dann aber auch: Der Teufel steckt im Detail. Immer mehr Leistungen werden in diesem hochsensiblen Bereich in zwischen von Beschäftigten in prekären Arbeitsverhältnissen erbracht, wenn sie nicht sogar auf Billigjobbasis arbeiten. Das ist nicht nur ein sozialer Skandal, sondern auch ein Sicherheitsproblem.

(Beifall bei der PDS)

Das gilt übrigens nicht nur für das Flugwesen. Ich denke da nur an U- und S-Bahnhöfe, auf denen inzwischen kein Personal mehr eingesetzt wird. Hier ist Umdenken gefragt. Das ist nicht nur eine Frage der Innenpolitik, sondern wir müssen in allen Ressorts prüfen, wo wir mehr öffentliche Sicherheit herstellen können.

(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Das wäre wirklich mal notwendig!)

Die FDP ist nicht nur deshalb ein Sicherheitsrisiko, weil sie ihre Abteilung Bürgerrechte derzeit in den Koalitionsverhandlungen mit dem Herrn Schill entsorgt,

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Widerspruch bei der FDP)

sondern auch deshalb, weil ihr hemmungsloser Privatisierungskurs in der Wirtschaftspolitik soziale und öffentliche Sicherheit beseitigt.

Stichwort Kronzeugenregelung: Wer Straftaten begeht und danach sagen kann, er wisse noch etwas, wird mit Straferlass belohnt.

(Dr. Max Stadler [FDP]: Das steht jetzt schon im StGB!)

Das ist und bleibt mittelalterlicher Ablasshandel.

(Dr. Max Stadler [FDP]: Das steht in § 46!)

Kollege Stadler, auch deshalb und weil sie nichts erbracht hat, wurde die Kronzeugenregelung 1999 zu Recht ad acta gelegt. Nun soll sie neu aufgelegt und - so sagen es die Grünen - in Strafzumessungsregelung umbenannt werden.

Liebe Kerstin Müller, ich verrate Ihnen, was eine Kollegin aus Ihrer Regierungskoalition, die sich noch SPD-links fühlt, dieser Tage zu solchen Vorschlägen und Verrenkungen zu mir sagte. Sie meinte: Wir können gar nicht so schnell aufstehen, wie die Grünen umfallen.

(Beifall bei der PDS - Rainer Brüderle [FDP]: Ja, das ist wahr!)

Mit Rechtsstaatlichkeit, Bürgerrechten und Terrorbekämpfung hat das gar nichts zu tun - ganz im Gegenteil.

Dasselbe trifft auf § 129 b des Strafgesetzbuches zu. Trotzdem - wider besseres Wissen - wollen Sie ihn. Sie wissen hoffentlich wenigstens, warum und zu welchem Preis Sie ihn einführen wollen.

Damit komme ich zum dritten Stichwort, nämlich der Bundeswehr im Innern. Zu Beginn des Jahres habe ich aus SPD-berufenem Mund, von einer Staatssekretärin, gehört: Wer sich künftig bei der Bundeswehr bewirbt, muss wissen, dass sein Arbeitsplatz im Ausland ist. Nun höre ich dazu keinen Wider ruf, wohl aber eine neue Drohung aus den Reihen der CDU/CSU: Die Bundeswehr solle nicht nur weltweit, sondern auch zu Hause eingreifen, vor allem dort, wo sie besser gerüstet sei als die Polizei.

Kritische Stimmen haben es derzeit schwer. Selbst vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen wird nur noch eingeladen, wer Kaiser Wilhelm II. folgt oder - wie die FDP - verkündet, dass man keine Parteien mehr kenne. Dieser Tage fand ich in der "Basler Zeitung" doch noch eine kritische und obendrein liberale - nämlich von der FDP - Stimme, und zwar die von Burkhard Hirsch. Er warnte - meines Erachtens zu Recht - dringend davor, die Bundeswehr über das ohnehin mögliche Maß hinaus im Innern einzusetzen.

(Dr. Max Stadler [FDP]: Das steht auch in unserem Fraktionspapier!)

Dies sei in der Sache falsch und obendrein ein Einfallstor für nicht absehbaren Missbrauch. Sie wollen es trotzdem. Wir werden es ablehnen.

(Beifall bei der PDS)

Ich nenne ein letztes Stichwort, nämlich das Bankgeheimnis. Jeder weiß, dass der internationale Terrorismus viel mit Geld zu tun hat. Dies gilt übrigens nicht nur, um ihn auszuüben, sondern auch, um mit Terror Kasse zu machen. Es liegt doch nahe, Geldströme zu kontrollieren. Wir - aber nicht nur die PDS - fordern das seit langem. Ich lese und höre heute, dass die FDP dagegen sei, weil damit die Privatsphäre unbescholtener Bürger betroffen werde. Ich frage die Herren Westerwelle und Rexrodt, ob sie vergessen haben, dass das so genannte Bankgeheimnis für Millionen Betroffene hierzulande längst nicht mehr gilt, nämlich für die Sozialhilfeempfänger und all diejenigen, die mit ihnen verwandt sind. Wollen Sie denen durch die innenpolitische Brille etwa sagen, sie seien bescholtene Bürger, nur weil sie arm sind?

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das ist aber eine Argumentation!)

Ich komme zu meinem Schlussgedanken. Ich kann uns alle nur warnen und zugleich werben: Auch im Parlament der USA wird über Maßnahmen gegen den Terrorismus gestritten und werden Wege für mehr öffentliche Sicherheit gesucht. Auch dort werden Antiterrorpakete geschnürt und geprüft. Das muss auch sein. Aber selbst in den USA haben jene, die sich als Liberale engagieren, in dieser Woche ein klares Stoppzeichen gesetzt. Sie haben sortiert, was der Sicherheit dient und was mit Sicherheit falsch läuft. Sie wollen alles, was ihnen im Wortsinne fragwürdig erscheint, zumindest unter einen Prüfvorbehalt stellen und zugleich all diese Maßnahmen zeitlich begrenzen. Ich finde, zur kritischen Solidarität gehört es, nicht schlechter, sondern möglichst besser sein zu wollen als die liberalen Innenpolitiker in den USA. Die PDS, die Opposition zur Linken, ist dazu bereit.

(Beifall bei der PDS)

 

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Quelle: Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, 192. Sitzung vom 11. Oktober 2001, Stenographischer Bericht (Plenarprotokoll 14/192).


Empfohlene Zitierweise des Dokumentes:
Rede der stellvertretenden Vorsitzenden der PDS-Fraktion Petra Pau zu Gesetzentwürfen zur Bekämpfung des Terrorismus und Erhöhung der inneren Sicherheit (11.10.2001), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/brd/2001/rede_pau_1011.html, Stand: aktuelles Datum.


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