Verfassung des Deutschen Reiches.
["Frankfurter Reichsverfassung" bzw. "Paulskirchen-Verfassung"]
[vom 28. März 1849]
Die deutsche verfassunggebende Nationalversammlung hat
beschlossen, und verkündigt als Reichsverfassung:
Verfassung des deutschen Reiches.
Abschnitt I. Das Reich.
Artikel I.
§. 1.
[1] Das deutsche Reich besteht aus dem Gebiete des bisherigen deutschen Bundes.
[2] Die Festsetzung der Verhältnisse des Herzogthums Schleswig bleibt vorbehalten.
§. 2.
[1] Hat ein deutsches Land mit einem nichtdeutschen Lande dasselbe
Staatsoberhaupt, so soll das deutsche Land eine von dem nichtdeutschen Lande getrennte
eigene Verfassung, Regierung und Verwaltung haben. In die Regierung und Verwaltung des
deutschen Landes dürfen nur deutsche Staatsbürger berufen werden.
[2] Die Reichsverfassung und die Reichsgesetzgebung hat in einem solchen deutschen
Lande dieselbe verbindliche Kraft, wie in den übrigen deutschen Ländern.
§. 3.
Hat ein deutsches Land mit einem nichtdeutschen Lande dasselbe
Staatsoberhaupt, so muß dieses entweder in seinem deutschen Lande residiren, oder es muß
auf verfassungsmäßigem Wege in demselben eine Regentschaft niedergesetzt werden, zu
welcher nur Deutsche berufen werden dürfen.
§. 4.
Abgesehen von den bereits bestehenden Verbindungen deutscher und
nichtdeutscher Länder soll kein Staatsoberhaupt eines nichtdeutschen Landes zugleich zur
Regierung eines deutschen Landes gelangen, noch darf ein in Deutschland regierender
Fürst, ohne seine deutsche Regierung abzutreten, eine fremde Krone annehmen.
§. 5.
Die einzelnen deutschen Staaten behalten ihre Selbstständigkeit,
soweit dieselbe nicht durch die Reichsverfassung beschränkt ist; sie haben alle
staatlichen Hoheiten und Rechte, soweit diese nicht der Reichsgewalt ausdrücklich
übertragen sind.
Abschnitt II. Die Reichsgewalt.
Artikel I.
§. 6.
[1] Die Reichsgewalt ausschließlich übt dem Auslande gegenüber
die völkerrechtliche Vertretung Deutschlands und der einzelnen deutschen Staaten aus.
[2] Die Reichsgewalt stellt die Reichsgesandten und die Consuln an. Sie führt den
diplomatischen Verkehr, schließt die Bündnisse und Verträge mit dem Auslande,
namentlich auch die Handels- und Schifffahrtsverträge, sowie die Auslieferungsverträge
ab. Sie ordnet alle völkerrechtlichen Maaßregeln an.
§. 7.
[1] Die einzelnen deutschen Regierungen haben nicht das Recht,
ständige Gesandte zu empfangen oder solche zu halten.
[2] Auch dürfen dieselben keine besonderen Consuln halten. Die Consuln fremder
Staaten erhalten ihr Exequatur von der Reichsgewalt.
[3] Die Absendung von Bevollmächtigten an das Reichsoberhaupt ist den einzelnen
Regierungen unbenommen.
§. 8.
[1] Die einzelnen deutschen Regierungen sind befugt, Verträge mit
anderen deutschen Regierungen abzuschließen.
[2] Ihre Befugniß zu Verträgen mit nichtdeutschen Regierungen beschränkt sich
auf Gegenstände des Privatrechts, des nachbarlichen Verkehrs und der Polizei.
§. 9.
Alle Verträge nicht rein privatrechtlichen Inhalts, welche eine
deutsche Regierung mit einer anderen deutschen oder nichtdeutschen abschließt, sind der
Reichsgewalt zur Kenntnißnahme und, insofern das Reichsinteresse dabei betheiligt ist,
zur Bestätigung vorzulegen.
Artikel II.
§. 10.
Der Reichsgewalt ausschließlich steht das Recht des Krieges und Friedens zu.
Artikel III.
§. 11.
Der Reichsgewalt steht die gesammte bewaffnete Macht Deutschlands zur
Verfügung.
§. 12.
[1] Das Reichsheer besteht aus der gesammten, zum Zwecke des
Krieges bestimmten Landmacht der einzelnen deutschen Staaten. Die Stärke und
Beschaffenheit des Reichsheeres wird durch das Gesetz über die Wehrverfassung bestimmt.
[2] Diejenigen Staaten, welche weniger als 500,000 Einwohner haben, sind durch die
Reichsgewalt zu größeren militärischen Ganzen, welche dann unter der unmittelbaren
Leitung der Reichsgewalt stehen, zu vereinigen, oder einem angrenzenden größeren Staate
anzuschließen.
[3] Die näheren Bedingungen einer solchen Vereinigung sind in beiden Fällen durch
Vereinbarung der betheiligten Staaten unter Vermittlung und Genehmigung der Reichsgewalt
festzustellen.
§. 13.
[1] Die Reichsgewalt ausschließlich hat in Betreff des Heerwesens
die Gesetzgebung und die Organisation; sie überwacht deren Durchführung in den einzelnen
Staaten durch fortdauernde Controle.
[2] Den einzelnen Staaten steht die Ausbildung ihres Kriegswesens auf Grund der
Reichsgesetze und der Anordnungen der Reichsgewalt und beziehungsweise in den Grenzen der
nach §. 12 getroffenen Vereinbarungen zu. Sie haben die Verfügung
über ihre bewaffnete Macht, soweit dieselbe nicht für den Dienst des Reiches in Anspruch
genommen wird.
§. 14.
In den Fahneneid ist die Verpflichtung zur Treue gegen das
Reichsoberhaupt und die Reichsverfassung an erster Stelle aufzunehmen.
§. 15.
Alle durch Verwendung von Truppen zu Reichszwecken entstehenden
Kosten, welche den durch das Reich festgesetzten Friedensstand übersteigen, fallen dem
Reiche zur Last.
§. 16.
Ueber eine allgemeine für ganz Deutschland gleiche Wehrverfassung ergeht ein
besonderes Reichsgesetz.
§. 17.
[1] Den Regierungen der einzelnen Staaten bleibt die Ernennung der
Befehlshaber und Offiziere ihrer Truppen, soweit deren Stärke sie erheischt, überlassen.
[2] Für die größeren militärischen Ganzen, zu denen Truppen mehrerer Staaten
vereinigt sind, ernennt die Reichsgewalt die gemeinschaftlichen Befehlshaber.
[3] Für den Krieg ernennt die Reichsgewalt die commandirenden Generale der
selbstständigen Corps, sowie das Personale der Hauptquartiere.
§. 18.
[1] Der Reichsgewalt steht die Befugniß zu, Reichsfestungen und
Küstenvertheidigungswerke anzulegen und, insoweit die Sicherheit des Reiches es
erfordert, vorhandene Festungen gegen billige Ausgleichung, namentlich für das
überlieferte Kriegsmaterial, zu Reichsfestungen zu erklären.
[2] Die Reichsfestungen und Küstenvertheidigungswerke des Reiches werden auf
Reichskosten unterhalten.
§. 19.
[1] Die Seemacht ist ausschließliche Sache des Reiches. Es ist
keinem Einzelstaate gestattet, Kriegsschiffe für sich zu halten oder Kaperbriefe
auszugeben.
[2] Die Bemannung der Kriegsflotte bildet einen Theil der deutschen Wehrmacht. Sie
ist unabhängig von der Landmacht.
[3] Die Mannschaft, welche aus einem einzelnen Staate für die Kriegsflotte
gestellt wird, ist von der Zahl der von demselben zu haltenden Landtruppen abzurechnen.
Das Nähere hierüber, sowie über die Kostenausgleichung zwischen dem Reiche und den
Einzelstaaten bestimmt ein Reichsgesetz.
[4] Die Ernennung der Offiziere und Beamten der Seemacht geht allein vom Reiche
aus.
[5] Der Reichsgewalt liegt die Sorge für die Ausrüstung, Ausbildung und
Unterhaltung der Kriegsflotte und die Anlegung, Ausrüstung und Unterhaltung von
Kriegshäfen und See-Arsenalen ob.
[6] Ueber die zur Errichtung von Kriegshäfen und Marine-Etablissements nöthigen
Enteignungen, so wie über die Befugnisse der dabei anzustellenden Reichsbehörden,
bestimmen die zu erlassenden Reichsgesetze.
Artikel IV.
§. 20.
[1] Die Schifffahrtsanstalten am Meere und in den Mündungen der
deutschen Flüsse (Häfen, Seetonnen, Leuchtschiffe, das Lotsenwesen, das Fahrwasser usw.)
bleiben der Fürsorge der einzelnen Uferstaaten überlassen. Die Uferstaaten unterhalten
dieselben aus eigenen Mitteln.
[2] Ein Reichsgesetz wird bestimmen, wie weit die Mündungen der einzelnen Flüsse
zu rechnen sind.
§. 21.
[1] Die Reichsgewalt hat die Oberaufsicht über die Anstalten und
Einrichtungen.
[2] Es steht ihr zu, die betreffenden Staaten zu gehöriger Unterhaltung derselben
anzuhalten, auch dieselben aus den Mitteln des Reiches zu vermehren und zu erweitern.
§. 22.
Die Abgaben, welche in den Seeuferstaaten von den Schiffen und
deren Ladungen für die Benutzung der Schifffahrtsanstalten erhoben werden, dürfen die
zur Unterhaltung dieser Anstalten nothwendigen Kosten nicht übersteigen. Sie unterliegen
der Genehmigung der Reichsgewalt.
§. 23.
[1] In Betreff dieser Abgaben sind alle deutschen Schiffe und deren Ladungen
gleichzustellen.
[2] Eine höhere Belegung fremder Schifffahrt kann nur von der Reichsgewalt
ausgehen.
[3] Die Mehrhabgabe von fremder Schifffahrt fließt in die Reichskasse.
Artikel V.
§. 24.
[1] Die Reichsgewalt hat das Recht der Gesetzgebung und die
Oberaufsicht über die in ihrem schiffbaren Lauf mehrerer Staaten durchströmenden oder
begrenzenden Flüsse oder Seen und über die Mündungen der in dieselben fallenden
Nebenflüsse, so wie über den Schifffahrtsbetrieb und die Flößerei auf denselben.
[2] Auf welche Weise die Schiffbarkeit dieser Flüsse erhalten oder verbessert
werden soll, bestimmt ein Reichsgesetz.
[3] Die übrigen Wasserstraßen bleiben der Fürsorge der Einzelstaaten
überlassen. Doch steht es der Reichsgewalt zu, wenn sie es im Interesse des allgemeinen
Verkehrs für nothwendig erachtet, allgemeine Bestimmungen über den Schifffahrtsbetrieb
und die Flößerei auf denselben zu erlassen, so wie einzelne Flüsse unter derselben
Voraussetzung den oben erwähnten gemeinsamen Flüssen gleich zu stellen.
[4] Die Reichsgewalt ist befugt, die Einzelstaaten zu gehöriger Erhaltung der
Schiffbarkeit dieser Wasserstraßen anzuhalten.
§. 25.
[1] Alle deutschen Flüsse sollen für die deutsche Schifffahrt
von Flußzöllen frei sein. Auch die Flößerei soll auf schiffbaren Flußstrecken solchen
Abgaben nicht unterliegen. Das Nähere bestimmt ein Reichsgesetz.
[2] Bei den mehrere Staaten durchströmenden oder begrenzenden Flüssen tritt für
die Aufhebung dieser Flußzölle eine billige Ausgleichung ein.
§. 26.
[1] Die Hafen-, Krahn-, Waag-, Lager-, Schleusen- und dergleichen
Gebühren, welche an den gemeinschaftlichen Flüssen und den Mündungen der in dieselben
sich ergießenden Nebenflüsse erhoben werden, dürfen die zur Unterhaltung derartiger
Anstalten nöthigen Kosten nicht übersteigen. Sie unterliegen der Genehmigung der
Reichsgewalt.
[2] Es darf in Betreff dieser Gebühren keinerlei Begünstigungen der Angehörigen
eines deutschen Staates vor denen anderer deutscher Staaten stattfinden.
§. 27.
Flußzölle und Schifffahrtsabgaben dürfen auf fremde Schiffe und
deren Ladungen nur durch die Reichsgewalt gelegt werden.
Artikel VI.
§. 28.
Die Reichsgewalt hat über die Eisenbahnen und deren Betrieb,
soweit es der Schutz des Reiches oder das Interesse des allgemeinen Verkehrs erheischt,
die Oberaufsicht und das Recht der Gesetzgebung. Ein Reichsgesetz wird bestimmen, welche
Gegenstände dahin zu rechnen sind.
§. 29.
Die Reichsgewalt hat das Recht, soweit sie es zum Schutze des
Reiches oder im Interesse des allgemeinen Verkehrs für nothwendig erachtet, die Anlage
von Eisenbahnen zu bewilligen, so wie selbst Eisenbahnen anzulegen, wenn der Einzelstaat,
in dessen Gebiet die Anlage erfolgen soll, deren Ausführung ablehnt. Die Benutzung der
Eisenbahnen für Reichszwecke steht der Reichsgewalt jederzeit gegen Entschädigung frei.
§. 30.
Bei der Anlage oder Bewilligung von Eisenbahnen durch die
einzelnen Staaten ist die Reichsgewalt befugt, den Schutze des Reiches und das Interesse
des allgemeinen Verkehrs wahrzunehmen.
§. 31.
Die Reichsgewalt hat über die Landstraßen die Oberaufsicht und
das Recht der Gesetzgebung, soweit es der Schutz des Reiches oder das Interesse des
allgemeinen Verkehrs erheischt. Ein Reichsgesetz wird bestimmen, welche Gegenstände dahin
zu rechnen sind.
§. 32.
[1] Die Reichsgewalt hat das Recht, soweit sie es zum Schutze des
Reiches oder im Interesse des allgemeinen Verkehrs für nothwendig erachtet, zu verfügen,
daß Landstraßen und Kanäle angelegt, Flüsse schiffbar gemacht oder deren Schiffbarkeit
erweitert werde.
[2] Die Anordnung der dazu erforderlichen baulichen Werke erfolgt nach vorgängigem
Benehmen mit den betheiligten Einzelstaaten durch die Reichsgewalt.
[3] Die Ausführung und Unterhaltung der neuen Anlagen geschieht von Reichswegen
und auf Reichskosten, wenn eine Verständigung mit den Einzelstaaten nicht erzielt wird.
Artikel VII.
§. 33.
[1] Das deutsche Reich soll Ein Zoll- und Handelsgebiet bilden,
umgeben von gemeinschaftlicher Zollgrenze, mit Wegfall aller Binnengrenzzölle.
[2] Die Aussonderung einzelner Orte und Gebietstheile aus der Zolllinie bleibt der
Reichsgewalt vorbehalten.
[3] Der Reichsgewalt bliebt es ferner vorbehalten, auch nicht zum Reiche gehörige
Länder und Landestheile mittelst besonderer Verträge dem deutschen Zollgebiete
anzuschließen.
§. 34.
Die Reichsgewalt ausschließlich hat die Gesetzgebung über das
gesammte Zollwesen, so wie über gemeinschaftliche Produktions- und Verbrauchs-Steuern.
Welche Produktions- und Verbrauchs-Steuern gemeinschaftlich sein sollen, bestimmt die
Reichsgesetzgebung.
§. 35.
[1] Die Erhebung und Verwaltung der Zölle, so wie der
gemeinschaftlichen Produktions- und Verbrauchs-Steuern, geschieht nach Anordnung und unter
Oberaufsicht der Reichsgewalt.
[2] Aus dem Ertrage wird ein bestimmter Theil nach Maaßgabe des ordentlichen
Budgets für die Ausgaben des Reiches vorweggenommen, das Uebrige wird an die einzelnen
Staaten vertheilt.
[3] Ein besonderes Reichsgesetz wird hierüber Näheres feststellen.
§. 36.
Auf welche Gegenstände die einzelnen Staaten Produktions- und
Verbrauchs-Steuern für Rechnung des Staates oder einzelner Gemeinden legen dürfen, und
welche Bedingungen und Beschränkungen dabei eintreten sollen, wird durch die
Reichsgesetzgebung bestimmt.
§. 37.
Die einzelnen deutschen Staaten sind nicht befugt, auf Güter,
welche über die Reichsgrenze ein- oder ausgehen, Zölle zu legen.
§. 38.
Die Reichsgewalt hat das Recht der Gesetzgebung über den Handel
und die Schifffahrt und überwacht die Ausführung der darüber erlassenen Reichsgesetze.
§. 39.
Der Reichsgewalt steht es zu, über das Gewerbewesen Reichsgesetze
zu erlassen und die Ausführung derselben zu überwachen.
§. 40.
Erfindungs-Patente werden ausschließlich von Reichswegen auf
Grundlage eines Reichsgesetzes ertheilt; auch steht der Reichsgewalt ausschließlich die
Gesetzgebung gegen den Nachdruck von Büchern, jedes unbefugte Nachahmen von Kunstwerken,
Fabrikzeichen, Mustern und Formen und gegen andere Beeinträchtigungen des geistigen
Eigenthums zu.
Artikel VIII.
§. 41.
[1] Die Reichsgewalt hat das Recht der Gesetzgebung und die
Oberaufsicht über das Postwesen, namentlich die Organisation, Tarife, Transit,
Portotheilung und die Verhältnisse zwischen den einzelnen Postverwaltungen.
[2] Dieselbe sorgt für gleichmäßige Anwendung der Gesetze durch
Vollzugsverordnungen, und überwacht deren Durchführung in den einzelnen Staaten durch
fortdauernde Controle.
[3] Der Reichsgewalt steht es zu, die innerhalb mehrerer Postgebiete sich
bewegenden Course im Interesse des allgemeinen Verkehrs zu ordnen.
§. 42.
Postverträge mit ausländischen Postverwaltungen dürfen nur von
der Reichsgewalt oder mit deren Genehmigung geschlossen werden.
§. 43.
Die Reichsgewalt hat die Befugniß, insofern es ihr nöthig
scheint, das deutsche Postwesen für Rechnung des Reiches in Gemäßheit eines
Reichsgesetzes zu übernehmen, vorbehaltlich billiger Entschädigung der Berechtigten.
§. 44.
[1] Die Reichsgewalt ist befugt, Telegraphenlinien anzulegen, und
die vorhandenen gegen Entschädigung zu benutzen, oder auf dem Wege der Enteignung zu
erwerben.
[2] Weitere Bestimmungen hierüber, so wie die Benutzung der Telegraphen für den
Privatverkehr, sind einem Reichsgesetz vorbehalten.
Artikel IX.
§. 45.
[1] Die Reichsgewalt ausschließlich hat die Gesetzgebung und die
Oberaufsicht über das Münzwesen. Es liegt ihr ob, für ganz Deutschland dasselbe
Münzsystem einzuführen.
[2] Sie hat das Recht, Reichsmünzen zu prägen.
§. 46.
Der Reichsgewalt liegt es ob, in ganz Deutschland dasselbe System
für Maaß und Gewicht, so wie für den Feingehalt der Gold- und Silberwaaren zu
begründen.
§. 47.
Die Reichsgewalt hat das Recht, das Bankwesen und das Ausgeben von
Papiergeld durch die Reichsgesetzgebung zu regeln. Sie überwacht die Ausführung der
darüber erlassenen Reichsgesetze.
Artikel X.
§. 48.
Die Ausgaben für alle Maaßregeln und Einrichtungen, welche von
Reichswegen ausgeführt werden, sind von der Reichsgewalt aus den Mitteln des Reiches zu
bestreiten.
§. 49.
Zur Bestreitung seiner Ausgaben ist das Reich zunächst auf seinen
Antheil an den Einkünften aus den Zöllen und den gemeinsamen Produktions- und
Verbrauchs-Steuern angewiesen.
§. 50.
Die Reichsgewalt hat das Recht, insoweit die sonstigen Einkünfte
nicht ausreichen, Matrikularbeiträge aufzunehmen.
§. 51.
Die Reichsgewalt ist befugt, in außerordentlichen Fällen
Reichssteuern aufzulegen und zu erheben oder erheben zu lassen, so wie Anleihen zu machen
oder sonstige Schulden zu contrahiren.
Artikel XI.
§. 52.
Der Umfang der Gerichtsbarkeit des bestimmt der Abschnitt vom Reichsgericht.
Artikel XII.
§. 53.
Der Reichsgewalt liegt es ob, die kraft der Reichsverfassung allen
Deutschen verbürgten Rechte oberaufsehend zu wahren.
§. 54.
[1] Der Reichsgewalt liegt die Wahrung des
Reichsfriedens ob.
[2] Sie hat die für die Aufrechterhaltung der innern Sicherheit und Ordnung
erforderlichen Maaßregeln zu treffen: |
- wenn ein deutscher Staat von einem andern deutschen Staate in seinem Frieden gestört
oder gefährdet wird;
- wenn in einem deutschen Staate die Sicherheit und Ordnung durch Einheimische oder Fremde
gestört oder gefährdet wird. Doch soll in diesem Falle von der Reichsgewalt nur dann
eingeschritten werden, wenn die betreffende Regierung sie selbst dazu auffordert, es sei
denn, daß dieselbe dazu notorisch außer Stande ist oder der gemeinsame Reichsfrieden
bedroht erscheint;
- wenn die Verfassung eines deutschen Staates gewaltsam oder einseitig aufgehoben oder
verändert wird, und durch das Anrufen des Reichsgerichtes unverzügliche Hülfe nicht zu
erwirken ist.
|
§. 55.
[1] Die Maaßregeln, welche von der Reichsgewalt zur Wahrung des
Reichsfriedens ergriffen werden können, sind: 1) Erlasse, 2) Absendung von Commissarien,
3) Anwendung von bewaffneter Macht.
[2] Ein Reichsgesetz wird die Grundsätze bestimmen, nach welchen die durch solche
Maaßregeln veranlaßten Kosten zu tragen sind.
§. 56.
Der Reichsgewalt liegt es ob, die Fälle und Formen, in welchen
die bewaffnete Macht gegen Störungen der öffentlichen Ordnung angewendet werden soll,
durch ein Reichsgesetz zu bestimmen.
§. 57.
Der Reichsgewalt liegt es ob, die gesetzlichen Normen über Erwerb
und Verlust der Reichs- und Staatsbürgerrechts festzusetzen.
§. 58.
Der Reichsgewalt steht es zu, über das Heimathsrecht
Reichsgesetze zu erlassen und die Ausführung derselben zu überwachen.
§. 59.
Der Reichsgewalt steht es zu, unbeschadet des durch die
Grundrechte gewährleisteten Rechte der freien Vereinigung und Versammlung, Reichsgesetze
über das Associationswesen zu erlassen.
§. 60.
Die Reichsgesetzgebung hat für die Aufnahme öffentlicher
Urkunden diejenigen Erfordernisse festzustellen, welche die Anerkennung ihrer Aechtheit in
ganz Deutschland bedingen.
§. 61.
Die Reichsgewalt ist befugt, im Interesse des Gesammtwohls
allgemeine Maaßregeln für die Gesundheitspflege zu treffen.
Artikel XIII.
§. 62.
Die Reichsgewalt hat die Gesetzgebung, soweit es zur Ausführung der ihr
verfassungsmäßig übertragenen Befugniß und zum Schutze der ihr überlassenen Anstalten
erforderlich ist.
§. 63.
Die Reichsgewalt ist befugt, wenn sie im Gesammtinteresse
Deutschlands gemeinsame Einrichtungen und Maaßregeln nothwendig findet, die zur
Begründung derselben erforderlichen Gesetze in den für die Veränderung der Verfassung
vorgeschriebenen Formen zu erlassen.
§. 64.
Der Reichsgewalt liegt es ob, durch die Erlassung allgemeiner
Gesetzbücher über bürgerliches Recht, Handels- und Wechselrecht, Strafrecht und
gerichtliches Verfahren die Rechtseinheit im deutschen Volke zu begründen.
§. 65.
Alle Gesetze und Verordnungen der Reichsgewalt erhalten
verbindliche Kraft durch ihre Verkündung von Reichswegen.
§. 66.
Reichsgesetze gehen den Gesetzen der Einzelstaaten vor, insofern
ihnen nicht ausdrücklich eine nur subsidiäre Geltung beigelegt ist.
Artikel XIV.
§. 67.
[1] Die Anstellung der Reichsbeamten geht vom Reiche aus.
[2] Die Dienstpragmatik des Reiches wird ein Reichsgesetz feststellen.
Abschnitt III. Das Reichsoberhaupt.
Artikel I.
§. 68.
Die Würde des Reichsoberhauptes wird einem der regierenden deutschen Fürsten
übertragen.
§. 69.
Diese Würde ist erblich im Hause des Fürsten, dem sie
übertragen worden. Sie vererbt im Mannesstamme nach dem Rechte der Erstgeburt.
§. 70.
Das Reichsoberhaupt führt den Titel: Kaiser der Deutschen.
§. 71.
[1] Die Residenz des Kaisers ist am Sitze der Reichsregierung.
Wenigstens während der Dauer des Reichstags wird der Kaiser dort bleibend residiren.
[2] So oft sich der Kaiser nicht am Sitze der Reichsregierung befindet, muß einer
der Reichsminister in seiner unmittelbaren Umgebung sein.
[3] Die Bestimmungen über den Sitz der Reichsregierung bleiben einem Reichsgesetz
vorbehalten.
§. 72.
Der Kaiser bezieht eine Civilliste, welche der Reichstag festsetzt.
Artikel II.
§. 73.
[1] Die Person des Kaisers ist unverletzlich.
[2] Der Kaiser übt die ihm übertragene Gewalt durch verantwortliche, von ihm
ernannte Minister aus.
§. 74.
Alle Regierungshandlungen des Kaisers bedürfen zu ihrer
Gültigkeit der Gegenzeichnung von wenigstens einem der Reichsminister, welcher dadurch
die Verantwortung übernimmt.
Artikel III.
§. 75.
Der Kaiser übt die völkerrechtliche Vertretung des deutschen
Reiches und der einzelnen deutschen Staaten aus. Er stellt die Reichsgesandten und die
Consuln an und führt den diplomatischen Verkehr.
§. 76.
Der Kaiser erklärt Krieg und schließt Frieden.
§. 77.
Der Kaiser schließt die Bündnisse und Verträge mit den
auswärtigen Mächten ab, und zwar unter Mitwirkung des Reichstags, insoweit diese in der
Verfassung vorbehalten ist.
§. 78.
Alle Verträge nicht rein privatrechtlichen Inhalts, welche
deutsche Regierungen unter sich oder mit auswärtigen Regierungen abschließen, sind dem
Kaiser zur Kenntnißnahme, und insofern das Reichsinteresse dabei betheiligt ist, zur
Bestätigung vorzulegen.
§. 79.
Der Kaiser beruft und beschließt den Reichstag; er hat das Recht, das Volkshaus
aufzulösen.
§. 80.
Der Kaiser hat das Recht des Gesetzvorschlages. Er übt die
gesetzgebende Gewalt in Gemeinschaft mit dem Reichstage unter den verfassungsmäßigen
Beschränkungen aus. Er verkündet die Reichsgesetze und erläßt die zur Vollziehung
derselben nöthigen Verordnungen.
§. 81.
[1] In Strafsachen, welche zur Zuständigkeit des Reichsgerichts
gehören, hat der Kaiser das Recht der Begnadigung und Strafmilderung. Das Verbot der
Einleitung oder Fortsetzung von Untersuchungen kann der Kaiser nur mit Zustimmung des
Reichstages erlassen.
[2] Zu Gunsten eines wegen seiner Amtshandlungen verurtheilten Reichsministers kann
der Kaiser das Recht der Begnadigung und Strafmilderung nur dann ausüben, wenn dasjenige
Haus, von welchem die Anklage ausgegangen ist, darauf anträgt. Zu Gunsten von
Landesministern steht im ein solches Recht nicht zu.
§. 82.
Dem Kaiser liegt die Wahrung des Reichsfriedens ob.
§. 83.
Der Kaiser hat die Verfügung über die bewaffnete Macht.
§. 84.
Ueberhaupt hat der Kaiser die Regierungsgewalt in allen Angelegenheiten des
Reiches nach Maaßgabe der Reichsverfassung. Ihm als Träger dieser Gewalt stehen
diejenigen Rechte und Befugnisse zu, welche in der Reichsverfassung der Reichsgewalt
beigelegt und dem Reichstage nicht zugewiesen sind.
Abschnitt IV. Der Reichstag.
Artikel I.
§. 85.
Der Reichstag besteht aus zwei Häusern, dem Staatenhaus und dem Volkshaus.
Artikel II.
§. 86.
Das Staatenhaus wird gebildet aus den Vertretern der deutschen Staaten.
§. 87.
Die Zahl der Mitglieder vertheilt sich nach folgendem Verhältniß:
Preußen .................................................... |
40 Mitglieder. |
Oesterreich ............................................... |
38 " |
Bayern ...................................................... |
18 " |
Sachsen ................................................... |
10 " |
Hannover .................................................. |
10 " |
Würtemberg ............................................... |
10 " |
Baden ....................................................... |
9 " |
Kurhessen ................................................. |
6 " |
Großherzogthum Hessen ............................... |
6 " |
Holstein (-Schleswig, s. Reich §. 1)
................. |
6 " |
Mecklenburg-Schwerin ................................. |
4 " |
Luxemburg-Limburg ..................................... |
3 " |
Nassau ..................................................... |
3 " |
Braunschweig ............................................. |
2 " |
Oldenburg ................................................. |
2 " |
Sachsen-Weimar ........................................ |
2 " |
Sachsen-Coburg-Gotha ................................ |
1 " |
Sachsen-Meiningen-Hildburghausen ................ |
1 " |
Sachsen-Altenburg ..................................... |
1 " |
Mecklenburg-Strelitz ................................... |
1 " |
Anhalt-Dessau ........................................... |
1 " |
Anhalt-Bernburg ......................................... |
1 " |
Anhalt-Köthen ............................................ |
1 " |
Schwarzburg-Sondershausen ........................ |
1 " |
Schwarzburg-Rudolstadt .............................. |
1 " |
Hohenzollern-Hechingen ............................... |
1 " |
Liechtenstein ............................................. |
1 " |
Hohenzollern-Sigmaringen ............................. |
1 " |
Waldeck .................................................... |
1 " |
Reuß ältere Linie ......................................... |
1 " |
Reuß jüngere Linie ....................................... |
1 " |
Schaumburg-Lippe ...................................... |
1 " |
Lippe-Detmold ............................................ |
1 " |
Hessen-Homburg ........................................ |
1 " |
Lauenburg ................................................. |
1 " |
Lübeck ..................................................... |
1 " |
Frankfurt ................................................... |
1 " |
Bremen ..................................................... |
1 " |
Hamburg ................................................... |
1 " |
|
______________ |
|
192 Mitglieder. |
So lange die
deutsch-österreichischen Lande an dem Bundesstaate nicht Theil nehmen, erhalten
nachfolgende Staaten eine größere Anzahl von Stimmen im Staatenhause, nämlich |
Bayern ...................................................... |
20 |
Sachsen ................................................... |
12 |
Hannover .................................................. |
12 |
Würtemberg ............................................... |
12 |
Baden ....................................................... |
10 |
Großherzogthum Hessen ............................... |
8 |
Kurhessen ................................................. |
7 |
Nassau ..................................................... |
4 |
Hamburg ................................................... |
2 |
§. 88.
[1] Die Mitglieder des Staatenhauses werden zur Hälfte durch die
Regierungen und zur Hälfte durch die Volksvertretungen der betreffenden Staaten ernannt.
[2] In denjenigen deutschen Staaten, welche aus mehreren Provinzen oder Ländern
mit abgesonderter Verfassung oder Verwaltung bestehen, sind die durch die
Volksvertretungen dieses Staates zu ernennenden Mitglieder des Staatenhauses nicht von der
allgemeinen Landesvertretung, sondern von den Vertretungen der einzelnen Länder oder
Provinzen (Provinzialständen) zu ernennen.
[3] Das Verhältniß, nach welchem die Zahl der diesen Staaten zukommenden
Mitglieder unter die einzelnen Länder oder Provinzen zu vertheilen ist, bleibt der
Landesgesetzgebung vorbehalten.
[4] Wo zwei Kammern bestehen und eine Vertretung nach Provinzen nicht Statt findet,
wählen beide Kammern in gemeinsamer Sitzung nach absoluter Stimmenmehrheit.
§. 89.
[1] In denjenigen Staaten, welche nur Ein Mitglied in das
Staatenhaus senden, schlägt die Regierung drei Candidaten vor, aus denen die
Volksvertretung mit absoluter Stimmenmehrheit wählt.
[2] Auf dieselbe Weise ist in denjenigen Staaten, welche eine ungerade Zahl von
Mitgliedern senden, in Betreff des letzten derselben zu verfahren.
§. 90.
Wenn mehrere deutsche Staaten zu einem Ganzen verbunden werden, so
entscheidet ein Reichsgesetz über die dadurch etwa nothwendig werdende Abänderung in der
Zusammensetzung des Staatenhauses.
§. 91.
Mitglied des Staatenhauses kann nur sein, wer |
- Staatsbürger des Staates ist, welcher ihn sendet,
- das 30ste Lebensjahr zurückgelegt hat,
- sich im vollen Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte befindet.
|
§. 92.
[1] Die Mitglieder des Staatenhauses werden auf sechs Jahre gewählt. Sie werden
alle drei Jahre zur Hälfte erneuert.
[2] Auf welche Weise nach den ersten drei Jahren das Ausscheiden der einen Hälfte
Statt finden soll, wird durch ein Reichsgesetz bestimmt. Die Ausscheidenden sind stets
wieder wählbar.
[3] Wird nach Ablauf dieser drei Jahre und vor Vollendung der neuen Wahlen für das
Staatenhaus ein außerordentlicher Reichstag berufen, so treten, so weit die neuen Wahlen
noch nicht stattgefunden haben, die früheren Mitglieder ein.
Artikel III.
§. 93.
Das Volkshaus besteht aus den Abgeordneten des deutschen Volkes.
§. 94.
[1] Die Mitglieder des Volkshauses werden für das erste Mal auf
vier Jahre, demnächst immer auf drei Jahre gewählt.
[2] Die Wahl geschieht nach den in dem Reichswahlgesetze enthaltenen Vorschriften.
Artikel IV.
§. 95.
Die Mitglieder des Reichstages beziehen aus der Reichskasse ein
gleichmäßiges Taschengeld und Entschädigung für ihre Reisekosten. Das Nähere bestimmt
ein Reichsgesetz.
§. 96.
Die Mitglieder beider Häuser können durch Instruktionen nicht gebunden werden.
§. 97.
Niemand kann gleichzeitig Mitglied von beiden Häuser sein.
Artikel V.
§. 98.
[1] Zu einem Beschluß eines jeden Hauses des Reichstages ist die
Teilnahme von wenigstens der Hälfte der gesetzlichen Anzahl seiner Mitglieder und die
einfache Stimmenmehrheit erforderlich.
[2] In Falle der Stimmengleichheit wird ein Antrag als abgelehnt betrachtet.
§. 99.
Das Recht des Gesetzvorschlags, der Beschwerde, der Adresse und
der Erhebung von Thatsachen, sowie der Anklage der Minister steht jedem Hause zu.
§. 100.
Ein Reichstagsbeschluß kann nur durch die Uebereinstimmung beider Häuser
gültig zu Stande kommen.
§. 101.
[1] Ein Reichstagsbeschluß, welcher die Zustimmung der
Reichsregierung nicht erlangt hat, darf in derselben Sitzungsperiode nicht wiederholt
werden.
[2] Ist von dem Reichstage in drei sich unmittelbar folgenden ordentlichen
Sitzungsperioden derselbe Beschluß unverändert gefaßt worden, so wird derselbe, auch
wenn die Zustimmung der Reichsregierung nicht erfolgt, mit dem Schlusse des dritten
Reichstages zum Gesetz. Eine ordentliche Sitzungsperiode, welche nicht wenigstens vier
Wochen dauert, wird in dieser Reihenfolge nicht mitgezählt.
§. 102.
Ein Reichstagsbeschluß ist in folgenden Fällen erforderlich: |
- Wenn es sich um die Erlassung, Aufhebung, Abänderung oder Auslegung von Reichsgesetzen
handelt.
- Wenn der Reichshaushalt festgestellt wird, wenn Anleihen contrahirt werden, wenn das
Reich eine im Budget nicht vorgesehene Ausgabe übernimmt, oder Matrikularbeiträge oder
Steuern erhebt.
- Wenn fremde See- oder Flußschifffahrt mit höheren Abgaben belegt werden soll.
- Wenn Landesfestungen zu Reichsfestungen erklärt werden sollen.
- Wenn Handels-, Schifffahrts- und Auslieferungsverträge mit dem Auslande geschlossen
werden, so wie überhaupt völkerrechtliche Verträge, insofern sie das Reich belasten.
- Wenn nicht zum Reich gehörige Länder oder Landestheile dem deutschen Zollgebiete
angeschlossen, oder einzelne Orte oder Gebietstheile von der Zolllinie ausgeschlossen
werden sollen.
- Wenn deutsche Landestheile abgetreten, oder wenn nichtdeutsche Gebiete dem Reiche
einverleibt oder auf andere Weise mit demselben verbunden werden sollen.
|
§. 103.
Bei Feststellung des Reichshaushaltes treten folgende Bestimmungen
ein: |
- Alle die Finanzen betreffenden Vorlagen der Reichsregierung gelangen zunächst an das
Volkshaus.
- Bewilligungen von Ausgaben dürfen nur auf Antrag der Reichsregierung und bis zum Belauf
dieses Antrags erfolgen. Jede Bewilligung gilt nur für den besonderen Zweck, für welchen
sie bestimmt worden. Die Verwendung darf nur innerhalb der Grenzen der Bewilligung
erfolgen.
- Die Dauer der Finanzperiode und Budgetbewilligung ist ein Jahr.
- Das Budget über die regelmäßigen Ausgaben des Reiches und über den Reservefond, so
wie über die für beides erforderlichen Deckungsmittel, wird auf dem ersten Reichstage
durch Reichstagsbeschlüsse festgestellt. Eine Erhöhung dieses Budgets auf späteren
Reichstagen erfordert gleichfalls einen Reichstagsbeschluß.
- Dieses ordentliche Budget wird auf jedem Reichstage zuerst dem Volkshause vorgelegt, von
diesem in seinen einzelnen Ansätzen nach den Erläuterungen und Belegen, welche die
Reichsregierung vorzulegen hat, geprüft und ganz oder theilweise bewilligt oder
verworfen.
- Nach erfolgter Prüfung und Bewilligung durch das Volkshaus wird das Budget an das
Staatenhaus abgegeben. Diesem steht, innerhalb des Gesammtbetrages des ordentlichen
Budgets, so wie derselbst auf dem ersten Reichstage oder durch spätere
Reichstagsbeschlüsse festgestellt ist, nur das Recht zu, Erinnerungen und Ausstellungen
zu machen, über welche das Volkshaus endgültig beschließt.
- Alle außerordentlichen Ausgaben und deren Deckungsmittel bedürfen, gleich der
Erhöhung des ordentlichen Budgets, eines Reichstagsbeschlusses.
- Die Nachweisung über die Verwendung der Reichsgelder wird dem Reichstage, und zwar
zuerst dem Volkshause, zur Prüfung und zum Abschluß vorgelegt.
|
Artikel VI.
§. 104.
[1] Der Reichstag versammelt sich jedes Jahr am Sitze der
Reichsregierung. Die Zeit der Zusammenkunft wird vom Reichsoberhaupt bei der Einberufung
angegeben, insofern nicht ein Reichsgesetz dieselbe festsetzt.
[2] Außerdem kann der Reichstag zu außerordentlichen Sitzungen jederzeit vom
Reichsoberhaupt einberufen werden.
§. 105.
Die ordentlichen Sitzungsperioden der Landtage in den
Einzelstaaten sollen mit denen des Reichstages in der Regel nicht zusammenfallen. Das
Nähere bleibt einem Reichsgesetz vorbehalten.
§. 106.
[1] Das Volkshaus kann durch das Staatsoberhaupt aufgelöst werden.
[2] In dem Falle der Auflösung ist der Reichstag binnen drei Monaten wieder zu
versammeln.
§. 107.
[1] Die Auflösung des Volkshauses hat die gleichzeitige Vertagung
des Staatenhauses bis zur Wiedereinberufung des Reichstages zur Folge.
[2] Die Sitzungsperioden beider Häuser sind dieselben.
§. 108.
Das Ende der Sitzungsperioden des Reichstages wird vom Reichsoberhaupt bestimmt.
§. 109.
[1] Eine Vertagung des Reichstages oder eines der beiden Häuser
durch das Staatsoberhaupt bedarf, wenn sie nach Eröffnung der Sitzung auf länger als
vierzehn Tage ausgesprochen werden soll, der Zustimmung des Reichstages oder des
betreffenden Hauses.
[2] Auch der Reichstag selbst so wie jedes der beiden Häuser kann sich auf
vierzehn Tage vertagen.
Artikel VII.
§. 110.
Jedes der beiden Häuser wählt seinen Präsidenten, seine Vizepräsidenten und
seine Schriftführer.
§. 111.
Die Sitzungen beider Häuser sind öffentlich. Die
Geschäftsordnung eines jeden Hauses bestimmt, unter welchen Bedingungen vertrauliche
Sitzungen stattfinden können.
§. 112.
Jedes Haus prüft die Vollmachten seiner Mitglieder und entscheidet über die
Zulassung derselben.
§. 113.
Jedes Mitglied leistet bei seinem Eintritt den Eid: "Ich
schwöre, die deutsche Reichsverfassung getreulich zu beobachten und aufrecht zu erhalten,
so wahr mir Gott helfe."
§. 114.
[1] Jedes Haus hat das Recht, seine Mitglieder wegen unwürdigen
Verhaltens im Hause zu bestrafen und äußersten Falls auszuschließen. Das Nähere
bestimmt die Geschäftsordnung jedes Hauses.
[2] Eine Ausschließung kann nur ausgesprochen werden, wenn eine Mehrheit von zwei
Dritteln der Stimmen sich dafür entscheidet.
§. 115.
Weder Ueberbringer von Bittschriften noch überhaupt Deputationen
sollen in den Häusern zugelassen werden.
§. 116.
Jedes Haus hat das Recht, sich seine Geschäftsordnung selbst zu
geben. Die geschäftlichen Beziehungen zwischen beiden Häusern werden durch Uebereinkunft
beider Häuser geordnet.
Artikel VIII.
§. 117.
Ein Mitglied des Reichstages darf während der Dauer der
Sitzungsperiode ohne Zustimmung des Hauses, zu welchem es gehört, wegen strafrechtlicher
Anschuldigungen weder verhaftet, noch in Untersuchung gezogen werden, mit alleiniger
Ausnahme der Ergreifung auf frischer That.
§. 118.
In diesem letzteren Falle ist dem betreffenden Hause von der
angeordneten Maaßregel sofort Kenntniß zu geben. Es steht demselben zu, die Aufhebung
der Haft oder Untersuchung bis zum Schlusse der Sitzungsperiode zu verfügen.
§. 119.
Dieselbe Befugniß steht jedem Hause in Betreff einer Verhaftung
oder Untersuchung zu, welche über ein Mitglied desselben zur Zeit seiner Wahl verhängt
gewesen, oder nach dieser bis zur Eröffnung der Sitzungen verhängt worden ist.
§. 120.
Kein Mitglied des Reichstages darf zu irgend einer Zeit wegen
seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines Berufes gethanen Aeußerungen
gerichtlich oder disciplinarisch verfolgt oder sonst außerhalb der Versammlung zur
Verantwortung gezogen werden.
Artikel IX.
§. 121.
Die Reichsminister haben das Recht, den Verhandlungen beider Häuser des
Reichstages beizuwohnen und jederzeit von denselben gehört zu werden.
§. 122.
Die Reichsminister haben die Verpflichtung, auf Verlangen jedes
der Häuser des Reichstages in demselben zu erscheinen und Auskunft zu ertheilen, oder den
Grund anzugeben, weshalb dieselbe nicht ertheilt werden könne.
§. 123.
Die Reichsminister können nicht Mitglieder des Staatenhauses sein.
§. 124.
Wenn ein Mitglied des Volkshauses im Reichsdienst ein Amt oder
eine Beförderung annimmt, so muß es sich einer neuen Wahl unterwerfen; es behält seinen
Sitz im Hause, bis die neue Wahl stattgefunden hat.
Abschnitt V. Das Reichsgericht.
Artikel I.
§. 125.
Die dem Reiche zustehende Gerichtsbarkeit wird durch ein Reichsgericht
ausgeübt.
§. 126.
Zur Zuständigkeit des Reichsgerichts gehören: |
|
a) Klagen der Einzelstaaten gegen die Reichsgewalt wegen Verletzung der
Reichsverfassung durch Erlassung von Reichsgesetzen und durch Maaßregeln der
Reichsregierung, sowie Klagen der Reichsgewalt gegen einen Einzelstaat wegen Verletzung
der Reichsverfassung.
b) Streitigkeiten zwischen dem Staatenhause und dem Volkshause unter sich und zwischen
jedem von ihnen und der Reichsregierung, welche die Auslegung der Reichsverfassung
betreffen, wenn die streitenden Theile sich vereinigen, die Entscheidung des
Reichsgerichts einzuholen.
c) Politische und privatrechtliche Streitigkeiten aller Art zwischen den einzelnen
deutschen Staaten.
d) Streitigkeiten über Thronfolge, Regierungsfähigkeit und Regentschaft in den
Einzelstaaten.
e) Streitigkeiten zwischen der Regierung eines Einzelstaates und dessen Volksvertretung
über die Gültigkeit oder Auslegung der Landesverfassung.
f) Klagen der Angehörigen eines Einzelstaates gegen die Regierung wegen Verletzung der
Landesverfassung können bei dem Reichsgericht nur angebracht werden, wenn die in der
Landesverfassung gegebenen Mittel der Abhülfe nicht zur Anwendung gebracht werden
können.
g) Klagen deutscher Staatsbürger wegen Verletzung der durch die Reichsverfassung ihnen
gewährten Rechte. Die näheren Bestimmungen über den Umfang ihres Klagerechts und die
Art und Weise, dasselbe geltend zu machen, bleiben der Reichsgesetzgebung vorbehalten.
h) Beschwerden wegen verweigerter oder gehemmter Rechtspflege, wenn die landesgesetzlichen
Mittel der Abhülfe erschöpft sind.
i) Strafgerichtsbarkeit über die Anklagen gegen die Reichsminister, insofern sie deren
ministerielle Verantwortlichkeit betreffen.
k) Strafgerichtsbarkeit über die Anklagen gegen die Minister der Einzelstaaten, insofern
sie deren ministerielle Verantwortlichkeit betreffen.
l) Strafgerichtsbarkeit in den Fällen des Hoch- und Landesverraths gegen das Reich.
Ob noch andere Verbrechen gegen das Reich der Strafgerichtsbarkeit des
Reichsgerichts zu überweisen sind, wird späteren Reichsgesetzen vorbehalten.
m) Klagen gegen den Reichsfiscus.
n) Klagen gegen deutsche Staaten, wenn die Verpflichtung, dem Anspruche Genüge zu
leisten, zwischen mehreren Staaten zweifelhaft oder bestritten ist, so wie wenn die
gemeinschaftliche Verpflichtung gegen mehrere Staaten in einer Klage geltend gemacht wird. |
§. 127.
Ueber die Frage, ob ein Fall zur Entscheidung des Reichsgerichts
geeignet sei, erkennt einzig und allein das Reichsgericht selbst.
§. 128.
[1] Ueber die Einsetzung und Organisation des Reichsgerichts,
über das Verfahren und die Vollziehung der reichsgerichtlichen Entscheidungen und
Verfügungen wird ein besonderes Gesetz ergehen.
[2] Diesem Gesetze wird auch die Bestimmung, ob und in welchen Fällen bei dem
Reichsgericht die Urtheilsfällung durch Geschworene erfolgen soll, vorbehalten.
[3] Ebenso bleibt vorbehalten: ob und wie weit dieses Gesetz als organisches
Verfassungsgesetz zu betrachten ist.
§. 129.
Der Reichsgesetzgebung bleibt es vorbehalten, Admiralitäts- und
Seegerichte zu errichten, so wie die Bestimmungen über die Gerichtsbarkeit der Gesandten
und Consuln des Reiches zu treffen.
Abschnitt VI. Die Grundrechte des deutschen Volkes.
§. 130.
Dem deutschen Volke sollen die nachstehenden Grundrechte gewährleistet sein.
Sie sollen den Verfassungen der deutschen Einzelstaaten zur Norm dienen, und keine
Verfassung oder Gesetzgebung eines deutschen Einzelstaates soll dieselben je aufheben oder
beschränken können.
Artikel I.
§. 131.
Das deutsche Volk besteht aus den Angehörigen der Staaten, welche das deutsche
Reich bilden.
§. 132.
Jeder Deutsche hat das deutsche Reichsbürgerrecht. Die ihm Kraft
dessen zustehenden Rechte kann er in jedem deutschen Lande ausüben. Ueber das Recht, zur
deutschen Reichsversammlung zu wählen, verfügt das Reichswahlgesetz.
§. 133.
[1] Jeder Deutsche hat das Recht, an jedem Orte des Reichsgebietes
seinen Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen. Liegenschaften jeder Art zu erwerben und
darüber zu verfügen, jeden Nahrungszweig zu betreiben, das Gemeindebürgerrecht zu
gewinnen.
[2] Die Bedingungen für den Aufenthalt und Wohnsitz werden durch ein
Heimathsgesetz, jene für den Gewerbebetrieb durch eine Gewerbeordnung für ganz
Deutschland von der Reichsgewalt festgesetzt.
§. 134.
Kein deutscher Staat darf zwischen seinen Angehörigen und andern
Deutschen einen Unterschied im bürgerlichen, peinlichen und Proceß-Rechte machen,
welcher die letzteren als Ausländer zurücksetzt.
§. 135.
Die Strafe des bürgerlichen Todes soll nicht stattfinden, und da,
wo sie bereits ausgesprochen ist, in ihren Wirkungen aufhören, soweit nicht hierdurch
erworbene Privatrechte verletzt werden.
§. 136.
[1] Die Auswanderungsfreiheit ist von Staatswegen nicht
beschränkt; Abzugsgelder dürfen nicht erhoben werden.
[2] Die Auswanderungsangelegenheit steht unter dem Schutze und der Fürsorge des
Reiches.
Artikel II.
§. 137.
[1] Vor dem Gesetz gilt kein Unterschied der Stände. Der Adel als
Stand ist aufgehoben.
[2] Alle Standesvorrechte sind abgeschafft.
[3] Die Deutschen sind vor dem Gesetze gleich.
[4] Alle Titel, insoweit sie nicht mit einem Amte verbunden sind, sind aufgehoben
und dürfen nie wieder eingeführt werden.
[5] Kein Staatsangehöriger darf von einem auswärtigen Staate einen Orden
annehmen.
[6] Die öffentlichen Aemter sind für alle Befähigten gleich zugänglich.
[7] Die Wehrpflicht ist für Alle gleich; Stellvertretung bei derselben findet
nicht Statt.
Artikel III.
§. 138.
[1] Die Freiheit der Person ist unverletzlich.
[2] Die Verhaftung einer Person soll, außer im Falle der Ergreifung auf frischer
That, nur geschehen in Kraft eines richterlichen, mit Gründen versehenen Befehls. Dieser
Befehl muß im Augenblicke der Verhaftung oder innerhalb der nächsten vier und zwanzig
Stunden dem Verhafteten zugestellt werden.
[3] Die Polizeibehörde muß Jeden, den sie in Verwahrung genommen hat, im Laufe
des folgenden Tages entweder freilassen oder der richterlichen Behörde übergeben.
[4] Jeder Angeschuldigte soll gegen Stellung einer vom Gerichte zu bestimmenden
Caution oder Bürgschaft der Haft entlassen werden, sofern nicht dringende Anzeigen eines
schweren peinlichen Verbrechens gegen denselben vorliegen.
[5] Im Falle einer widerrechtlich verfügten oder verlängerten Gefangenschaft ist
der Schuldige und nöthigenfalls der Staat dem Verletzten zur Genugthuung und
Entschädigung verpflichtet.
[6] Die für das Heer- und Seewesen erforderlichen Modifikationen dieser
Bestimmungen werden besonderen Gesetzen vorbehalten.
§. 139.
Die Todesstrafe, ausgenommen wo das Kriegsrecht sie vorschreibt,
oder das Seerecht im Fall von Meuterei sie zuläßt, so wie die Strafen des Prangers, der
Brandmarkung und der körperlichen Züchtigung, sind abgeschafft.
§. 140.
[1] Die Wohnung ist unverletzlich.
[2] Eine Haussuchung ist nur zulässig: |
- in Kraft eines richterlichen, mit Gründen versehenen Befehl, welcher sofort oder
innerhalb der nächsten vier und zwanzig Stunden dem Betheiligten zugestellt werden soll,
- im Falle der Verfolgung auf frischer That, durch den gesetzlich berechtigten Beamten,
- in Fällen und Formen, in welchen das Gesetz ausnahmsweise bestimmten Beamten auch ohne
richterlichen Befehl dieselbe gestattet.
|
[3] Die Haussuchung muß, wenn thunlich, mit Zuziehung von
Hausgenossen erfolgen.
[4] Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist kein Hinderniß der Verhaftung eines
gerichtlich Verfolgten. |
§. 141.
Die Beschlagnahme von Briefen und Papieren darf, außer bei einer
Verhaftung oder Haussuchung, nur in Kraft eines richterlichen, mit Gründen versehenen
Befehls vorgenommen werden, welcher sofort oder innerhalb der nächsten vier und zwanzig
Stunden dem Betheiligten zugestellt werden soll.
§. 142.
[1] Das Briefgeheimniß ist gewährleistet.
[2] Die bei strafgerichtlichen Untersuchungen und in Kriegsfällen nothwendigen
Beschränkungen sind durch die Gesetzgebung festzustellen.
Artikel IV.
§. 143.
[1] Jeder Deutsche hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck und
bildliche Darstellung seine Meinung frei zu äußern.
[2] Die Preßfreiheit darf unter keinen Umständen und in keiner Weise durch
vorbeugende Maaßregeln, namentlich Censur, Concessionen, Sicherheitsbestellungen,
Staatsauflagen, Beschränkungen der Druckereien oder des Buchhandels, Postverbote oder
andere Hemmungen des freien Verkehrs beschränkt, suspendirt oder aufgehoben werden.
[3] Ueber Preßvergehen, welche von Amts wegen verfolgt werden, wird durch
Schwurgerichte geurtheilt.
[4] Ein Preßgesetz wird vom Reiche erlassen werden.
Artikel V.
§. 144.
[1] Jeder Deutsche hat volle Glaubens- und Gewissensfreiheit.
[2] Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Ueberzeugung zu offenbaren.
§. 145.
[1] Jeder Deutsche ist unbeschränkt in der gemeinsamen
häuslichen und öffentlichen Uebung seiner Religion.
[2] Verbrechen und Vergehen, welche bei Ausübung dieser Freiheit begangen werden,
sind nach dem Gesetze zu bestrafen.
§. 146.
Durch das religiöse Bekenntniß wird der Genuß der bürgerlichen
und staatsbürgerlichen Rechte weder bedingt noch beschränkt. Den staatsbürgerlichen
Pflichten darf dasselbe keinen Abbruch thun.
§. 147.
[1] Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre
Angelegenheiten selbstständig, bleibt aber den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen.
[2] Keine Religionsgesellschaft genießt vor andern Vorrechte durch den Staat; es
besteht fernerhin keine Staatskirche.
[3] Neue Religionsgesellschaften dürfen sich bilden; eine Anerkennung ihres
Bekenntnisses durch den Staat bedarf es nicht.
§. 148.
Niemand soll zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit gezwungen werden.
§. 149.
Die Formel des Eides soll künftig lauten: "So wahr mir Gott helfe."
§. 150.
[1] Die bürgerliche Gültigkeit der Ehe ist nur von der Vollziehung des
Civilactes abhängig; die kirchliche Trauung kann nur nach Vollziehung des Civilactes
Staat finden.
[2] Die Religionsverschiedenheiten ist kein bürgerliches Ehehinderniß.
§. 151.
Die Standesbücher werden von den bürgerlichen Behörden geführt.
Artikel VI.
§. 152.
Die Wissenschaft und Lehre ist frei.
§. 153.
Das Unterrichts- und Erziehungswesen steht unter der Oberaufsicht
des Staats, und ist, abgesehen vom Religionsunterricht, der Beaufsichtigung der
Geistlichkeit als solcher enthoben.
§. 154.
[1] Unterrichts- und Erziehungsanstalten zu gründen, zu leiten
und an solchen Unterricht zu ertheilen, steht jedem Deutschen frei, wenn er seine
Befähigung der betreffenden Staatsbehörde nachgewiesen hat.
[2] Der häusliche Unterricht unterliegt keiner Beschränkung.
§. 155.
[1] Für die Bildung der deutschen Jugend soll durch öffentliche
Schulen überall genügend gesorgt werden.
[2] Eltern oder deren Stellvertreter dürfen ihre Kinder oder Pflegebefohlenen
nicht ohne den Unterricht lassen, welcher für die unteren Volksschulen vorgeschrieben
ist.
§. 156.
[1] Die öffentlichen Lehrer haben das Recht der Staatsdiener.
[2] Der Staat stellt unter gesetzlich geordneter Betheiligung der Gemeinden aus der
Zahl der Geprüften die Lehrer der Volksschulen an.
§. 157.
[1] Für den Unterricht in Volksschulen und niederen Gewerbeschulen wird kein
Schulgeld bezahlt.
[2] Unbemittelten soll auf allen öffentlichen Unterrichtsanstalten freier
Unterricht gewährt werden.
§. 158.
Es steht einem Jeden frei, seinen Beruf zu wählen und sich für denselben
auszubilden, wie und wo er will.
Artikel VII.
§. 159.
[1] Jeder Deutsche hat das Recht, sich mit Bitten und Beschwerden
schriftlich an die Behörden, an die Volksvertretungen und an den Reichstag zu wenden.
[2] Dieses Recht kann sowohl von Einzelnen als von Corporationen und von Mehreren
im Vereine ausgeübt werden; beim Heer und der Kriegsflotte jedoch nur in der Weise, wie
es die Disciplinarvorschriften bestimmen.
§. 160.
Eine vorgängige Genehmigung der Behörden ist nicht nothwendig,
um öffentliche Beamte wegen ihrer amtlichen Handlungen gerichtlich zu verfolgen.
Artikel VIII.
§. 161.
[1] Die Deutschen haben das Recht, sich friedlich und ohne Waffen
zu versammeln; eine besondere Erlaubniß dazu bedarf es nicht.
[2] Volksversammlungen unter freiem Himmel können bei dringender Gefahr für die
öffentliche Ordnung und Sicherheit verboten werden.
§. 162.
Die Deutschen haben das Recht, Vereine zu bilden. Dieses Recht
soll durch keine vorbeugende Maaßregeln beschränkt werden.
§. 163.
Die in den §§. 161 und 162
enthaltenen Bestimmungen finden auf das Heer und die Kriegsflotte Anwendung, insoweit die
militärischen Disciplinarvorschriften nicht entgegenstehen.
Artikel IX.
§. 164.
[1] Das Eigenthum ist unverletzlich.
[2] Eine Enteignung kann nur aus Rücksichten des gemeinen Besten, nur auf Grund
eines Gesetzes und gegen gerechte Entschädigung vorgenommen werden.
[3] Das geistige Eigenthum soll durch die Reichsgesetzgebung geschützt werden.
§. 165.
[1] Jeder Grundeigenthümer kann seinen Grundbesitz unter Lebenden
und von Todes wegen ganz oder theilweise veräußern. Den Einzelstaaten bleibt
überlassen, die Durchführung des Grundsatzes der Theilbarkeit alles Grundeigenthums
durch Uebergangsgesetze zu vermitteln.
[2] Für die todte Hand sind Beschränkungen des Rechts, Liegenschaften zu erwerben
und über sie zu verfügen, im Wege der Gesetzgebung aus Gründen des öffentlichen Wohls
zulässig.
§. 166.
Jeder Unterthänigkeits- und Hörigkeitsverband hört für immer auf.
§. 167.
[1] Ohne Entschädigung wird aufgehoben: |
- Die Patrimonialgerichtsbarkeit und die grundherrliche Polizei, sammt den aus diesen
Rechten fließenden Befugnisse, Exemtionen und Abgaben.
- Die aus dem guts- und schutzherrlichen Verbande fließenden persönlichen Abgaben und
Leistungen.
|
[2] Mit diesen Rechten fallen auch die
Gegenleistungen und Lasten weg, welche dem bisher Berechtigten dafür oblagen. |
§. 168.
[1] Alle auf Grund und Boden haftenden Abgaben und Leistungen,
insbesondere die Zehnten, sind ablösbar; ob nur auf Antrag des Belasteten oder auch des
Berechtigten, und in welcher Weise, bleibt der Gesetzgebung der einzelnen Staaten
überlassen.
[2] Es soll fortan kein Grundstück mit einer unablösbaren Abgabe oder Leistung
belastet werden.
§. 169.
[1] Im Grundeigenthum liegt die Berechtigung zur Jagd auf eigenem
Grund und Boden.
[2] Die Jagdgerechtigkeit auf fremden Grund und Boden, Jagddienste, Jagdfrohnden
und andere Leistungen für Jagdzwecke sind ohne Entschädigung aufgehoben.
[3] Nur ablösbar jedoch ist die Jagdgerechtigkeit, welche erweislich durch einen
lästigen mit dem Eigenthümer des belasteten Grundstückes abgeschlossenen Vertrag
erworben ist; über die Art und Weise der Ablösung haben die Landesgesetzgebungen das
Weitere zu bestimmen.
[4] Die Ausübung des Jagdrechts aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und des
gemeinen Wohls zu ordnen, bleibt der Landesgesetzgebung vorbehalten.
[5] Die Jagdgerechtigkeit auf fremden Grund und Boden darf in Zukunft nicht wieder
als Grundgerechtigkeit bestellt werden.
§. 170.
[1] Die Familienfideicommisse sind aufzuheben. Die Art und
Bedingungen der Aufhebung bestimmt die Gesetzgebung der einzelnen Staaten.
[2] Ueber die Familienfideicommisse der regierenden fürstlichen Häuser bleiben
die Bestimmungen den Landesgesetzgebungen vorbehalten.
§. 171.
Aller Lehensverband ist auszuheben. Das Nähere über die Art und
Weise der Ausführung haben die Gesetzgebungen der Einzelstaaten anzuordnen.
§. 172.
Die Strafe der Vermögenseinziehung soll nicht stattfinden.
§. 173.
Die Besteuerung soll so geordnet werden, daß die Bevorzugung
einzelner Stände und Güter in Staat und Gemeinde aufhört.
Artikel X.
§. 174.
Alle Gerichtsbarkeit geht vom Staate aus. Es sollen keine Patrimonialgerichte
bestehen.
§. 175.
[1] Die richterliche Gewalt wird selbstständig von den Gerichten
geübt. Cabinets- und Minsterialjustiz ist unstatthaft.
[2] Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Ausnahmegerichte
sollen nie stattfinden.
§. 176.
[1] Es soll keinen privilegirten Gerichtsstand der Personen oder
Güter geben.
[2] Die Militärgerichtsbarkeit ist auf die Aburtheilung militärischer Verbrechen
und Vergehen, so wie der Militär-Disciplinarvergehen beschränkt, vorbehaltlich der
Bestimmungen für den Kriegszustand.
§. 177.
[1] Kein Richter darf, außer durch Urtheil und Recht, von seinem
Amt entfernt, oder in Rang und Gehalt beeinträchtigt werden.
[2] Suspension darf nicht ohne gerichtlichen Beschluß erfolgen.
[3] Kein Richter darf wider seinen Willen, außer durch gerichtlichen Beschluß in
den durch das Gesetz bestimmten Fällen und Formen, zu einer anderen Stelle versetzt oder
in Ruhestand gesetzt werden.
§. 178.
[1] Das Gerichtsverfahren soll öffentlich und mündlich sein.
[2] Ausnahmen von der Oeffentlichkeit bestimmt im Interesse der Sittlichkeit das
Gesetz.
§. 179.
[1] In Strafsachen gilt der Anklageprozeß.
[2] Schwurgerichte sollen jedenfalls in schweren Strafsachen und bei allen
politischen Vergehen urtheilen.
§. 180.
Die bürgerliche Rechtspflege soll in Sachen besonderer
Berufserfahrung durch sachkundige, von den Berufsgenossen frei gewählten Richter geübt
oder mitgeübt werden.
§. 181.
[1] Rechtspflege und Verwaltung sollen getrennt und von einander
unabhängig sein.
[2] Ueber Competenzconflicte zwischen den Verwaltungs- und Gerichtsbehörden in den
Einzelstaaten entscheidet ein durch das Gesetz zu bestimmender Gerichtshof.
§. 182.
[1] Die Verwaltungsrechtspflege hört auf; über alle Rechtsverletzungen
entscheiden die Gerichte.
[2] Der Polizei steht keine Strafgerichtsbarkeit zu.
§. 183.
[1] Rechtskräftige Urtheile deutscher Gerichte sind in allen
deutschen Ländern gleich wirksam und vollziehbar.
[2] Ein Reichsgesetz wird das Nähere bestimmen.
Artikel XI.
§. 184.
Jede Gemeinde hat als Grundrechte ihrer Verfassung: |
|
a) die Wahl ihrer Vorsteher und Vertreter;
b) die selbstständige Verwaltung ihrer Gemeindeangelegenheiten mit Einschluß der
Ortspolizei, unter gesetzlich geordneter Oberaufsicht des Staates;
c) die Veröffentlichung ihres Gemeindehaushaltes;
d) Oeffentlichkeit der Verhandlungen als Regel. |
§. 185.
[1] Jedes Grundstück soll einem Gemeindeverband angehören.
[2] Beschränkungen wegen Waldungen und Wüsteneien bleiben der Landesgesetzgebung
vorbehalten.
Artikel XII.
§. 186.
[1] Jeder deutsche Staat soll eine Verfassung mit Volksvertretung haben.
[2] Die Minister sind der Volksvertretung verantwortlich.
§. 187.
[1] Die Volksvertretung hat eine entscheidende Stimme bei der
Gesetzgebung, bei der Besteuerung, bei der Ordnung des Staatshaushaltes; auch hat sie - wo
zwei Kammern vorhanden sind, jede Kammer für sich - das Recht des Gesetzvorschlags, der
Beschwerde, der Adresse, so wie der Anklage der Minister.
[2] Die Sitzungen der Landtage sind in der Regel öffentlich.
Artikel XIII.
§. 188.
Den nicht deutsch redenden Volksstämmen Deutschlands ist ihre
volkthümliche Entwicklung gewährleistet, namentlich die Gleichberechtigung ihrer
Sprachen, so weit deren Gebiete reichen, in dem Kirchenwesen, dem Unterrichte, der innern
Verwaltung und der Rechtspflege.
Artikel XIV.
§. 189.
Jeder deutsche Staatsbürger in der Fremde steht unter dem Schutze des Reiches.
Abschnitt VII. Die Gewähr der Verfassung.
Artikel I.
§. 190.
[1] Bei jedem Regierungswechsel tritt der Reichstag, falls er
nicht schon versammelt ist, ohne Berufung zusammen, in der Art, wie er das letzte Mal
zusammengesetzt war. Der Kaiser, welcher die Regierung antritt, leistet vor den zu einer
Sitzung vereinigten Häusern des Reichstages einen Eid auf die Reichsverfassung.
[2] Der Eid lautet: "Ich schwöre, das Reich und die Rechte des deutschen
Volkes zu schirmen, die Reichsverfassung aufrecht zu erhalten und sie gewissenhaft zu
vollziehen. So wahr mit Gott helfe."
[3] Erst nach geleistetem Eid ist der Kaiser berechtigt, Regierungshandlungen
vorzunehmen.
§. 191.
Die Reichsbeamten haben beim Antritt ihres Amtes einen Eid auf die
Reichsverfassung zu leisten. Das Nähere bestimmt die Dienstpragmatik des Reiches.
§. 192.
Ueber die Verantwortlichkeit der Reichsminister soll ein Reichsgesetz erlassen
werden.
§. 193.
Die Verpflichtung auf die Reichsverfassung wird in den
Einzelstaaten mit der Verpflichtung auf die Landesverfassung verbunden und dieser
vorangesetzt.
Artikel II.
§. 194.
Keine Bestimmung in der Verfassung oder in den Gesetzen eines
Einzelstaates darf mit der Reichsverfassung in Widerspruch stehen.
§. 195.
Eine Aenderung der Regierungsform in einem Einzelstaate kann nur
mit Zustimmung der Reichsgewalt erfolgen. Diese Zustimmung muß in den für Aenderungen
der Reichsverfassung vorgeschriebenen Form gegeben werden.
Artikel III.
§. 196.
[1] Abänderungen in der Reichsverfassung können
durch einen Beschluß beider Häuser und mit Zustimmung des Reichsoberhaupts erfolgen.
[2] Zu einem Beschluß bedarf es in jedem der beiden Häuser: |
- der Anwesenheit von wenigstens zwei Dritteln der Mitglieder;
- zweier Abstimmungen, zwischen welchen ein Zeitraum von wenigstens acht Tagen liegen
muß;
- einer Stimmenmehrheit von wenigstens zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder bei jeder
der beiden Abstimmungen.
|
[3] Der Zustimmung des Reichsoberhaupts bedarf es
nicht, wenn in drei sich unmittelbar folgenden ordentlichen Sitzungsperioden derselbe
Reichstagsbeschluß unverändert gefaßt worden. Eine ordentliche Sitzungsperiode, welche
nicht wenigstens vier Wochen dauert, wird in dieser Reihenfolge nicht mitgezählt. |
Artikel IV.
§. 197.
[1] Im Falle des Krieges oder Aufruhrs können
die Bestimmungen der Grundrechte über Verhaftung, Haussuchung und Versammlungsrecht von
der Reichsregierung oder der Regierung eines Einzelstaates für einzelne Bezirke zeitweise
außer Kraft gesetzt werden; jedoch nur unter folgenden Bedingungen: |
- die Verfügung muß in jedem einzelnen Falle von dem Gesammtministerium des Reiches oder
Einzelstaates ausgehen;
- das Ministerium des Reiches hat die Zustimmung des Reichstages, das Ministerium des
Einzelstaates die des Landtages, wenn dieselben zur Zeit versammelt sind, sofort
einzuholen. Wenn dieselben nicht versammelt sind, so darf die Verfügung nicht länger als
14 Tage dauern, ohne daß dieselben zusammenberufen und die getroffenen Maaßregeln zu
ihrer Genehmigung vorgelegt werden.
|
[2] Weitere Bestimmungen bleiben einem
Reichsgesetz vorbehalten.
[3] Für die Verkündigung des Belagerungszustandes in Festungen bleiben die
bestehen gesetzlichen Vorschriften in Kraft. |
Zur Beurkundung:
Frankfurt a. M., den 28. März 1849.[1]
Martin Eduard Simson von Königsberg in Preußen,
d. Z. Präsident der verfassunggebenden Reichsversammlung.
Carl Kirchgeßner aus Würzburg,
d. Z. II. Stellvertreter des Vorsitzenden, Abgeordneter des Wahlbezirkes Weiler in Bayern.
Friedrich Siegm. Jucho aus Frankfurt a. M.,
I. Schriftführer.
Karl August Fetzer aus Stuttgart,
Schriftführer.
Dr. Anton Riehl aus Wien,
Abgeordneter für Zwettl, Schriftführer.
Karl Biedermann aus Leipzig
Abgeordneter für den XI. sächsischen Wahlbezirk, Schriftführer.
Gustav Robert v. Mahlzahn aus Cüstrin,
Abgeordneter für den Wahlkreis Königsberg i. d. R., Schriftführer.
Mar Neumayr aus München,
Abgeordneter für den X. oberbayerischen Wahlbezirk, Schriftführer.
[...][2]
[Ausgegeben Frankfurt a. M., den 28. April 1849.]
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