Gesetz,
betreffend die Wahlen der Abgeordneten zum Volkshause.
["Frankfurter Reichswahlgesetz"]
[vom 12. April 1849]
Der Reichsverweser, in Ausführung des Beschlusses der
Reichsversammlung vom 27. März 1849, verkündet als Gesetz:
Reichsgesetz
über die Wahlen zum Volkshause.
Artikel I.
§. 1.
Wähler ist jeder unbescholtene Deutsche, welcher das
fünfundzwanzigste Lebensjahr zurückgelegt hat.
§. 2.
Von der Berechtigung sind ausgeschlossen: |
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1) Personen, welche unter Vormundschaft oder Curatel stehen;
2) Personen, über deren Vermögen Concurs- oder Fallitzustand gerichtlich eröffnet
worden ist, und zwar während der Dauer dieses Concurs- oder Fallitverfahrens;
3) Personen, welche eine Armenunterstützung aus öffentlichen oder Gemeindemitteln
beziehen oder im letzten der Wahl vorhergegangenen Jahre bezogen haben. |
§. 3.
Als bescholten, also von der Berechtigung zum Wählen
ausgeschlossen, sollen angesehen werden: |
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Personen, denen durch rechtskräftiges Erkenntniß nach den
Gesetzen des Einzelstaates, wo das Urteil erging, entweder unmittelbar oder mittelbar der
Vollgenuß der staatsbürgerlichen Rechte entzogen ist, sofern sie in diese Rechte nicht
wieder eingesetzt worden sind. |
§. 4.
Des Rechts zu wählen soll, unbeschadet der sonst verwirkten
Strafen, für eine Zeit von 4 bis 12 Jahren durch strafrechtliches Erkenntniß verlustig
erklärt werden, wer bei dem Wählen Stimmen erkauft, seine Stimme verkauft, oder mehr als
einmal bei der für einen und denselben Zweck bestimmten Wahl seine Stimme abgegeben, oder
zur Einwirkung auf die Wahl überhaupt gesetzlich unzulässige Mittel angewendet hat.
Artikel II.
§. 5.
[1] Wählbar zum Abgeordneten des Volkshauses ist jeder
wahlberechtigte Deutsche, welcher das fünfundzwanzigste Lebensjahr zurückgelegt, und
seit mindestens drei Jahren einem deutschen Staate angehört hat.
[2] Erstandene oder durch Begnadigung erlassene Strafe wegen politischer Verbrechen
schließt von der Wahl in das Volkshaus nicht aus.
§. 6.
Personen, die ein öffentliches Amt bekleiden, bedürfen zum Eintritt in das
Volkshaus keines Urlaubs.
Artikel III.
§. 7.
In jedem Einzelstaat sind Wahlkreise von je 100,000 Seelen der
nach der letzten Volkszählung vorhandenen Bevölkerung zu bilden.
§. 8.
[1] Ergiebt sich in einem Einzelstaate bei der Bildung der
Wahlkreise ein Ueberschuß von wenigstens 50,000 Seelen, so ist hierfür ein besonderer
Wahlkreis zu bilden.
[2] Ein Ueberschuß von weniger als 50,000 Seelen ist unter die anderen Wahlkreise
des Einzelstaates verhältnißmäßig zu vertheilen.
§. 9.
[1] Kleinere Staaten mit einer Bevölkerung von wenigstens 50,000
Seelen bilden einen Wahlkreis.
[2] Diesen soll die Stadt Lübeck gleichgestellt werden.
[3] Diejenigen Staaten, welche keine Bevölkerung von 50,000 Seelen haben, werden
mit andern Staaten nach Maßgabe der Reichswahlmatrikel (Anlage A) zur
Bildung von Wahlkreisen zusammengelegt.
§. 10.
Die Wahlkreise werden zum Zweck des Stimmenabgebens in kleinere Bezirke
eingetheilt.
Artikel IV.
§. 11.
[1] Wer das Wahlrecht in einem Wahlbezirke ausüben will, muß in
demselben zur Zeit der Wahl seinen festen Wohnsitz haben. Jeder darf nur an einem Orte
wählen.
[2] Der Standort der Soldaten und Militärpersonen gilt als Wohnsitz und berechtigt
zur Wahl, wenn derselbe seit drei Monaten nicht gewechselt worden ist. - In den Staaten,
wo Landwehr besteht, tritt für diese dahin eine Ausnahme ein, daß Landwehrpflichtige,
welche sich zur Zeit der Wahlen unter den Fahnen befinden, an dem Orte ihres Aufenthalts
für ihren Heimatbezirk wählen. Die näheren Anordnungen zur Ausführung dieser
Bestimmung bleiben den Regierungen der Einzelstaaten überlassen.
§. 12.
[1] In jedem Bezirke sind zum Zwecke der Wahlen Listen anzulegen,
in welchen die zum Wählen Berechtigten nach Zu- und Vornamen, Alter, Gewerbe und Wohnort
eingetragen werden. Diese Listen sind spätestens vier Wochen vor dem zur ordentlichen
Wahl bestimmten Tage zu Jedermanns Einsicht auszulegen und dies öffentlich bekannt zu
machen.
[2] Einsprachen gegen die Listen sind binnen acht Tagen nach öffentlicher
Bekanntmachung bei der Behörde, welche die Bekanntmachung erlassen hat, anzubringen und
innerhalb der nächsten vierzehn Tage zu erledigen, worauf die Listen geschlossen werden.
Nur diejenigen sind zur Theilnahme an der Wahl berechtigt, welche in den Listen
aufgenommen sind.
Artikel V.
§. 13.
[1] Die Wahlhandlung ist öffentlich. Bei derselben sind
Gemeindemitglieder zuzuziehen, welche kein Staats- oder Gemeinde-Amt bekleiden.
[2] Das Wahlrecht wird in Person durch Stimmzettel ohne Unterschrift ausgeübt.
§. 14.
[1] Die Wahl ist direct. Sie erfolgt durch absolute
Stimmenmehrheit aller in einem Wahlkreis abgegebenen Stimmen.
[2] Stellt bei einer Wahl eine absolute Stimmenmehrheit sich nicht heraus, so ist
eine zweite Wahlhandlung vorzunehmen. Wird auch bei dieser eine absolute Stimmenmehrheit
nicht erreicht, so ist zum dritten Mal nur unter den zwei Candidaten zu wählen, welche in
der zweiten Wahlhandlung die meisten Stimmen erhalten haben.
[3] Bei Stimmengleichheit entscheidet das Loos.
§. 15.
Stellvertreter der Abgeordneten sind nicht zu wählen.
§. 16.
[1] Die Wahlen sind im Umfang des ganzen Reichs an einem und
demselben Tage vorzunehmen, den die Reichsregierung bestimmt.
[2] Die Wahlen, welche später erforderlich werden, sind von den Regierungen der
Einzelstaaten auszuschreiben.
§. 17.
Die Wahlkreise und Wahlbezirke, die Wahldirectoren und das
Wahlverfahren, in so weit dieses nicht durch das gegenwärtige Gesetz
festgestellt worden ist, oder durch Anordnung der Reichsgewalt noch festgestellt werden
wird, werden von den Regierungen der Einzelstaaten bestimmt.
Anlage A.
Reichswahlmatrikel.
Zum Zweck der Wahlen der Abgeordneten zum Volkshaus werden zusammengelegt:
1) Liechtenstein mit Oesterreich.
2) Hessen-Homburg v. d. Höhe mit dem Großherzogthum Hessen; - das hessen-homburgische
Oberamt Meisenheim auf dem linken Rheinufer mit Rheinbayern.
3) Schaumburg-Lippe mit Hessen-Cassel.
4) Hohenzollern-Hechingen mit Hohenzollern-Sigmaringen.
5) Reuß älterer Linie mit Reuß jüngerer Linie.
6) Anhalt-Cöthen mit Anhalt-Bernburg.
7) Lauenburg mit Schleswig-Holstein.
8) Der auf der linken Rheinseite gelegene Theil des Großherzogthums Oldenburg mit
Rheinpreußen.
9) Pyrmont mit Preußen.
Frankfurt, den 12. April 1849.[1]
Der Reichsverweser
Erzherzog Johann.
Die interimistischen Reichsminister
H. v. Gagern. v. Peucker. v. Beckerath.
Duckwitz. R. Mohl.
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