Gesetz,
zum Schutze der verfassunggebenden Nationalversammlung und der Beamten der provisorischen
Centralgewalt.
["Reichsverfassungsschutzgesetz"]
[vom 10. Oktober 1848]
Der Reichsverweser, in Ausführung des Beschlusses der
Reichsversammlung vom 9. October 1848, verkündet als Gesetz:
Art. 1.
Ein gewaltsamer Angriff auf die Reichsversammlung, in der Absicht,
dieselbe auseinander zu treiben, oder Mitglieder aus ihr zu entfernen, oder die
Versammlung zur Fassung oder Unterlassung eines Beschlusses zu zwingen, ist Hochverrat,
und wird mit Gefängniß und nach Verhältniß der Umstände mit Zuchthausstrafe bis zu
zwanzig Jahren bestraft. Wer zu solchen Handlungen öffentlich auffordert, wird nach
richterlichem Ermessen bestraft.
Art. 2.
[1] Die Theilnahme an einer Zusammenrottung, welche während der
zu einer Sitzung anberaumten Zeit in der Nähe des Sitzungslokales stattfindet und sich
nicht auf die dreimaligen Aufforderung der zuständigen Behörde oder auf den Befehl des
Vorsitzenden der Nationalversammlung auflöst, wird bei Anstiftern oder mit Waffen
versehenen Theilnehmern mit Gefängniß bis zu einem Jahre, bei anderen Theilnehmern bis
zu drei Monaten bestraft.
[2] Die Aufforderung muß von allgemein wahrnehmbaren Zeichen (z. B. Aufpflanzung
einer Fahne oder eines weißen Tuches, Trommelschlag oder dergl.) begleitet seyn.
Art. 3.
Es ist während der ganzen Dauer der Reichsversammlung verboten,
eine Volksversammlung unter freiem Himmel innerhalb einer Entfernung von fünf Meilen von
dem Sitze der Versammlung zu halten. Die öffentliche Aufforderung zur Abhaltung einer
solchen Versammlung, die Führung des Vorsitzes oder das öffentliche Auftreten als Redner
in derselben wird mit Gefängniß bis zu sechs Monaten bestraft.
Art. 4.
[1] Ein gewaltsames Eindringen Nichtberechtigter in das
Sitzungslokal der Reichsversammlung, oder thätliche Widersetzlichkeit gegen die mit
Ausweisung dort befindlicher Personen Beauftragten, endlich eine im Sitzungslokale von
Nichtmitgliedern der Versammlung ausgeübte Bedrohung oder Beleidigung der Versammlung,
eines ihrer Mitglieder, Beamten oder Diener, wird mit Gefängniß bis zu zwei Jahren
bestraft.
[2] Thätlichkeiten im Sitzungslokale an einem Mitgliede, Beamten oder Diener der
Versammlung verübt, werden außer der gesetzlichen Bestrafung der Handlung an sich, mit
Gefängniß bis zu fünf Jahren belegt.
Art. 5.
Oeffentliche Beleidigungen der Reichsversammlung auch außerhalb
des Sitzungslokales verübt, unterliegen einer Gefängnißstrafe bis zu zwei Jahren.
Art. 6.
[1] Eine an einem Mitgliede der Reichsversammlung in Beziehung auf
seine Eigenschaft oder sein Verhalten als Abgeordneter verübte Thätlichkeit wird, außer
der gesetzlichen Strafe der Handlung, mit Gefängniß bis zu drei Jahren bestraft.
[2] Bei gefährlichen Bedrohungen oder öffentlichen Beleidigungen dieser Art tritt
eine Gefängnißstrafe bis zu sechs Monaten ein. Wegen solcher öffentlichen Beleidigungen
findet eine Verfolgung nur auf Antrag des Beleidigten statt.
Art. 7.
Als eine öffentliche wird jede Beleidigung betrachtet, welche an
öffentlichen Orten oder in öffentlichen Versammlungen stattgefunden hat, oder in
gedruckten oder ungedruckten Schriften, welche verkauft, vertheilt oder umhergetragen,
oder zur Ansicht des Publikums angeschlagen oder ausgestellt werden, enthalten ist.
Art. 8.
Die Bestimmungen des Art. 4. finden auch
Anwendung auf Bedrohungen, Beleidigungen und Thätlichkeiten gegen Beamte der
provisorischen Centralgewalt.
Art. 9.
Vorstehendes Gesetz tritt in dem Gebiete der freien Stadt
Frankfurt mit dem dritten Tage, im Kurfürstenthum Hessen, dem Großherzogthum Hessen, dem
Herzogthum Nassau, der Landgrafschaft Hessen-Homburg, in dem Königl. Preußischen Kreise Wetzlar mit dem zehnten Tage, in allen übrigen Theilen Deutschlands
mit dem zwanzigsten Tage nach dem Tage der Ausgabe des betreffenden Reichsgesetzblattes in
Frankfurt in Kraft.
Frankfurt, den 10. October 1848.[1]
Der Reichsverweser
Erzherzog Johann. |
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Der Reichsminister der Justiz
R. Mohl.
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