Zusätzliche Übereinkunft zu dem [Frankfurter] Friedensvertrage
zwischen Deutschland und Frankreich.[1]
Vom 12. Oktober 1871.
Der Fürst Otto v. Bismarck-Schönhausen, Kanzler des
Deutschen Reichs, und der Graf Harry v. Arnim, außerordentlicher Gesandter
und bevollmächtigter Minister Seiner Majestät des Deutschen Kaisers am heiligen Stuhle,
handelnd im Namen des Deutschen Reichs, einerseits,
andererseits Herr Augustin Thomas Joseph Pouyer-Quertier, Mitglied der
National-Versammlung, Finanz-Minister und speziell ernannter Bevollmächtigter der
Französischen Republik, bestallt als solcher durch ein Schreiben des Präsidenten
der Französischen Republik d. d. 6. Oktober 1871., handelnd im Namen Frankreichs,
haben vereinbart, wie folgt:
A r t i k e l 1.
[1] Die in Elsaß-Lothringen
fabrizirten Produkte werden in Frankreich zugelassen unter den nachstehend festgesetzten
Bedingungen: |
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1) vom 1. September bis zum 31. Dezember laufenden Jahres vollständig
zollfrei;
2) vom 1. Januar bis 30. Juni 1872. gegen ein Viertel, vom 1. Juli desselben Jahres bis
zum 31. Dezember 1872. gegen die Hälfte der Zölle, welche Deutschland gegenüber in
Gemäßheit der durch den Friedensvertrag
eingeräumten Behandlung auf dem Fuße der meistbegünstigsten Nation[2] in Anwendung gebracht werden oder zu bringen sein werden. |
[2] Von den unter Nr. 2. dieses
Artikels erwähnten Begünstigungen sind ausgeschlossen: die zur Nahrung dienenden Waaren,
wie Wein, Alkohol, Bier u. s. w. |
A r t i k e l 2.
Für den Fall, daß in Frankreich neue Steuern auf Rohstoffe und
Farbestoffe, welche zur Herstellung oder Fabrikation der in Elsaß-Lothringen erzeugten
Produkte dienen, gelegt werden sollten, dürfen Zuschlagszölle von diesen Produkten
behufs Ausgleichung der den französischen Fabrikanten damit neu auferlegten Lasten
erhoben werden.
A r t i k e l 3.
Französische Produkte, wie Gußeisen, Stabeisen oder
Eisenblech, Stahl in Stäben oder in Blech, baumwollene Garne und Gewebe, wollene Garne
und Gewebe und andere derartige Produkte, welche in Elsaß-Lothringen veredelt werden
sollen, werden in den erwähnten abgetretenen Territorien zollfrei eingeführt und nach
den in Deutschland geltenden gesetzlichen Bestimmungen über die zeitweilige zollfreie
Zulassung behandelt werden.
A r t i k e l 4.
Die nach Maßgabe des Artikels 3. bearbeiteten
Fabrikate zahlen bei ihrer Wiedereinfuhr nach Frankreich unter Zugrundelegung des von
elsaß-lothringischen Fabrikaten zu entrichtenden Zolles diejenige Zollquote, welche der
darauf verwendete Veredlungsarbeit entspricht.
A r t i k e l 5.
[1] Französische Produkte, wie Stärke, Kraftmehl,
Farbestoffe, chemische Produkte und andere gleichartige, zur Appretur verwendbare Stoffe,
welche in elsaß-lothringischen Fabriken oder Betriebsstätten behufs Verwendung zur
Fertigmachung der Fabrikate gebracht werden, gehen bis zum 31. Dezember d. J. zollfrei ein
und sind vom 1. Januar 1872. bis 30. Juni desselben Jahres einem Viertel und vom 1.
Juli 1872. bis 31. Dezember 1872. dem halben Betrage derjenigen Zölle unterworfen,
welchen gleichartige Produkte jetzt oder in der Folge in Deutschland allgemein
unterliegen. Die Quantitäten, welche in Fabriken oder Betriebsstätten Elsaß-Lothringens
eingeführt werden dürfen, werden auf den Bedarf der bezüglichen Fabriken oder
Betriebsstätten beschränkt werden.
[2] Es besteht darüber Einverständniß, daß die vorbezeichneten Produkte
nur über diejenigen Zollämter in Elsaß-Lothringen eingeführt werden dürfen, welche
von der Verwaltung Deutscherseits werden bezeichnet werden.
A r t i k e l 6.
Es besteht ferner darüber Einverständniß, daß die Zölle,
welche bis zum Beginn der Wirksamkeit dieses Vertrages bei der Einfuhr der Produkte, auf
welche die Artikel 1. und 5. des gegenwärtigen
Vertrages Anwendung finden, etwa gezahlt oder deponirt sein möchten, gegenseitig wieder
erstattet werden.
A r t i k e l 7.
[1] Um Defrauden zu verhüten und die
Vortheile der vorstehenden Bestimmungen auf die elsaß-lothringischen Fabrikate zu
beschränken, werden in Elsaß-Lothringen Ehrensyndikate in genügender Anzahl, um eine
wirksame Ueberwachung ausüben zu können, errichtet. Dieselben sind durch die
Handelskammern zu wählen und ausschließlich aus Elsässern und Lothringern
zusammenzusetzen, sie sind überdies von der Französischen Regierung zu bestätigen.
[2] Diesen Syndikaten liegt ob: |
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1) darüber zu wachen, daß die Produkte aus Elsaß-Lothringen,
welche nach Frankreich kraft des Artikels 1., sowie die französischen,
im Artikel 5. des gegenwärtigen Vertrages bezeichneten Produkte,
welche aus Frankreich nach den abgetretenen Gebietstheilen eingeführt werden, ihrer Menge
nach, das von den Syndikaten festzustellende Maß des gegenseitigen Handelsverkehrs, wie
er im Jahre 1869. stattgefunden hat, nicht überschreiten;
2) Ursprungscertifikate an die betreffenden Etablissements
auszustellen;
3) die Betriebsstätten derartig zu überwachen, daß keine Defraude, sei es durch
Vermehrung der in den Ursprungscertifikaten eingeschriebenen Quantitäten, sei es durch
Verwendung fremdländischer Stoffe, sofern diese letzteren nicht Rohmaterialien sind,
vorkommen kann;
4) die Genauigkeit und Aufrichtigkeit der Deklarationen zu überwachen. |
[3] Die Ursprungscertifikate lauten auf Namen und
sind nicht Gegenstand des Handels. |
A r t i k e l 8.
Die vorbezeichneten Syndikate sind verbunden, der davon
betroffenen Regierung jede Zuwiderhandlung gegen die oben angegebenen Bedingungen, sowie
gegen den Inhalt der Syndikatsstatuten, welche von Seiten der Französischen
Regierung bereits genehmigt worden sind, anzuzeigen. Die beschädigte Regierung
kann den Fabrikinhaber, welcher der Zuwiderhandlung sich schuldig gemacht hat, von
den aus den vorstehenden Bestimmungen sich ergebenden Begünstigungen ausschließen.
A r t i k e l 9.
[1] Den von Fabrikanten in Elsaß-Lothringen vor dem Kriege oder
während desselben mit Franzosen abgeschlossenen Lieferungsverträgen kommt für ihre
Ausführung während der Dauer gegenwärtiger Uebereinkunft die im §. 1. des Artikel 1. derselben zugesicherte Zollfreiheit zu Gute.
[2] Die nämliche Behandlung genießen auf Grund der Gegenseitigkeit die
im Artikel 5. bezeichneten französischen Produkte, welche
elsaß-lothringische Fabrikanten in Frankreich vor dem Kriege oder während desselben
bestellt haben.
A r t i k e l 10.
[1] Die Deutsche Regierung ihrerseits tritt an
Frankreich ab: |
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1) die Gemeinden Raon les Leaux und Raon sur Plaine, jedoch mit Ausschluß
alles innerhalb der Gemeindebezirke befindlichen, dem Staate gehörigen Grundeigenthums,
sowie der Gemeinde- und Privatgrundstücke, welche von den vorbezeichneten
Staatsgrundstücken eingeschlossen sind;
2) die Gemeinde Igney und den Theil des Gemeindebezirks von Avricourt zwischen der
Gemeinde Igney bis zu und einschließlich der Eisenbahn von Paris nach Avricourt und der
Eisenbahn von Avricourt nach Cirey. |
[2] Die Französische Regierung
übernimmt die Kosten für die Herstellung eines Bahnhofes an einer von der Deutschen
Regierung zu bezeichnenden Stelle, welche den militairischen und den Verkehrsinteressen in
gleicher Weise genügt, wie der von Avricourt.
[3] Die Kosten dieser Bauten, auf deren thunlichst baldige Herstellung die
Deutsche Regierung Bedacht nehmen wird, werden gemeinschaftlich veranschlagt werden.
[4] Bis zur Vollendung des neuen Bahnhofes verbleibt der Deutschen Regierung
das Recht zur militairischen Besetzung der Kommune Igney, sowie des oben bezeichneten
Theiles des Gemeindebezirkes von Avricourt.
[5] Die Kommission für die Grenzbezeichnung wird mit der Ziehung der
neuen Grenze beauftragt werden.[3] |
A r t i k e l 11.
Die Hohen kontrahirenden Theile sind übereingekommen, den Artikel
28. des am 2. August 1862. zwischen Frankreich und dem Zollverein abgeschlossenen
Vertrages, die Fabrik- und Handelszeichen betreffend, wieder in Kraft zu setzen.
A r t i k e l 12.
Die gegenwärtige Uebereinkunft wird ratifizirt durch Seine Majestät den
Deutschen Kaiser nach erfolgter Zustimmung des Bundesrathes und des Reichstages
einerseits, durch den Präsidenten der Französischen Republik andererseits, und die
Ratifikations-Urkunden werden innerhalb des Monats Oktober zu Versailles ausgetauscht. [4]
Zu Urkund dessen haben die beiderseitigen Bevollmächtigten gegenwärtige
Uebereinkunft unterzeichnet und mit ihrem Siegel versehen.
Geschehen Berlin, den 12. Oktober 1871.
v. Bismarck.
(L. S.)
Arnim.
(L. S.)
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Pouyer-Quertier.
(L. S.) |
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