Rede des Vorsitzenden der FDP-Fraktion Wolfgang Gerhardt
anlässlich der Debatte zur Regierungserklärung "Terroranschläge in den USA und
Beschlüsse des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sowie der NATO"
Vom 19. September 2001
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir brauchen drei Haltungen,
wenn wir die Herausforderungen bewältigen wollen. Wir brauchen zuallererst ein
freiheitliches Bewußtsein. Niemand muß meine Fraktion, die Freien Demokraten, darüber
belehren. Es ist bare Selbstverständlichkeit, daß zum Erhalt des freiheitlichen
Bewußtseins in den transatlantischen Beziehungen das gehört, was für uns in der
Bundesrepublik Deutschland Staatsräson war. Das kann man nur wiederholen. Das bedarf
überhaupt keiner weiteren Bemerkungen.
(Beifall bei der FDP)
Ich repräsentiere eine Partei, die auch in Zeiten, in denen es in der Bundesrepublik
Deutschland viele kritische Stimmen von Kolleginnen und Kollegen und von den Medien gegen
die Supermacht Amerika mit Wirkungen, die wir noch immer spüren, gab, wußte: Die
Bundesrepublik Deutschland wird ihre eigene Rolle weltweit nicht geachtet finden, wenn sie
sich nicht als Partner der Vereinigten Staaten von Nordamerika sieht und sich nicht
europäisisch einbettet. Das ist die Voraussetzung;. hierbei geht es um das freiheitliche
Bewußtsein. Wenn Sie jetzt nach Amerika blicken, spüren Sie, daß dies in dieser Nation
tief verankert ist. Es ist mir bitter aufgestoßen, daß jemand von einem
"schießwütigen Cowboy" gesprochen hat. Es ist in der gegenwärtigen Lage so
unpassend, wie es nur sein kann.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Wer sich die Gesichter der Rettungskräfte in New York ansieht, diese Charaktere wahrnimmt
und sieht, daß sie die amerikanische Fahne in den größten Trümmern aufstellen, der
kann nur ahnen, welche Kraft in diesem Land steckt. Diese Kraft muß mit uns zusammen
weltweit für Menschenwürde und Frieden nutzbar gemacht werden. Darauf kommt es jetzt an.
Dieses Land hat eine gewaltige ökonomische Kraft Sein Anteil am weltweiten
Bruttosozialprodukt liegt bei 30 Prozent, der Anteil an den Internetverbindungen liegt bei
40 Prozent. Weil das Land - wie Paul Kennedy schreibt - so international ist, stellt es 70
Prozent der Nobelpreisträger seit 1975. Es bestreitet 36 Prozent der weltweiten
Rüstungsausgaben - mehr als die folgenden neun Staaten zusammen. Jeder von uns spürt,
daß die amerikanische Führung einsieht, daß es: allein mit einem Koloß, einer
Militärmaschinerie und purer Kraft nicht geht. Wenn es eine komplette Veränderung über
den Atlantik hinweg gegeben hat, dann die, daß die Amerikaner spüren, daß ihnen ihre
eigene Kraft nichts nützt, wenn sie keine Verbündeten haben. Das ist eine wichtige
Erkenntnis.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Deshalb kommt es auf uns an, und zwar mehr, als wir vielleicht vermutet haben, und mehr,
als manche von uns mögen oder uns auch zutrauen. Bei den Haushaltsberatungen werden wir
deshalb eine andere Diskussion als bisher führen müssen. Es wird eine Auseinandersetzung
mit der Bundesregierung und auch mit dem Bundesverteidigungsminister stattfinden müssen,
Angesichts dieser Lage kann der Haushalt so nicht bestehen bleiben. Darüber werden wir zu
diskutieren haben.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
In dieser Situation müssen wir - der Bundeskanzler hat es auch getan - der
Öffentlichkeit ehrlicherweise sagen: Wir werden bei allen ökonomischen Anstrengungen,
allem freiheitlichen Bewußtsein und aller Armutsbekämpfung am Ende nicht darum
herumkommen, auch militärische Mittel einzusetzen, und zwar gegen Menschen, die -
entgegen dem, was wir uns als "Gutmenschen" in Deutschland so oft vorstellen -
absolut nicht therapierbar sind. Die Gegner sind nicht fest lokalisierbar. Es handelt sich
nicht um die traditionelle staatliche Auseinandersetzung. Die Situation ist auch nicht die
gleiche wie bei Pearl Harbor. Damals wußte man noch, gegen wen man anzutreten hatte.
Jetzt handelt es sich um eine Auseinandersetzung die viele Kräfte in vielen politischen
Bereichen beanspruchen wird. Am Ende werden notwendigerweise auch die militärische Kraft
und die militärischen Fähigkeiten eingesetzt werden müssen, denn zu unserer
Verantwortung für die Sicherheit der Bundesbürger in Deutschland einschließlich der
ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger gehört die Fähigkeit, diejenigen zu
bekämpfen, die das Leben von Menschen bedrohen.
In manchen Reden, die ich in den letzten Tagen gehört habe, habe ich dieses eine Wort
vermißt. Hier diskutiert niemand wie im Generalstab oder in Kriegsszenarien. Wer aber
Verantwortung hat, muß unseren Mitbürgern sagen: Wenn wir dieser Menschen habhaft werden
und sie bekämpfen wollen, müssen wir in der Lage sein, militärische Fähigkeiten zu
entwickeln. Das ist eine bare Selbstverständlichkeit.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Deshalb kommt es darauf an, die Öffentlichkeit nicht mit falschen Bildern vertraut zu
machen. Wir müssen uns mit Entschlossenheit gegen solche menschlichen Charaktere wehren,
in welchen Gesellschaften - einschließlich der der Bundesrepublik Deutschland - sie sich
auch immer befinden.
Wir können sie nicht alle in psychiatrische Anstalten einweisen und glauben, sie
therapieren zu können. Diplomatische Mittel werden im Übrigen nur dann wirkungsvoll
eingesetzt werden können, wenn dahinter militärische Fähigkeiten stehen. Es gibt
Menschen auf dieser Weit, die durch einen Botschafterbesuch nicht davon zu überzeugen
sind, ihre Meinung zu ändern. Auch gibt es Bedrohungen, die durch schlichte Verhandlungen
und Diplomatie nicht hinwegzudiskutieren sind.
In dieser großen, weltweiten Allianz gegen den Terrorismus haben sich in anderen Ländern
Führungseliten öffentlich zu dieser Allianz bekannt, deren Gesellschaften jedoch
schwanken. Niemand weiß, ob sie morgen nur zur Allianz stehen oder ob dort emotionale,
soziale oder religiöse Bewegungen die Oberhand gewinnen, die vom Bekenntnis zur Allianz
nichts halten. Oft sind sie fanatisch und haben mit Problemen zu kämpfen, die wir uns
überhaupt nicht vorstellen können.
Nein, es wird keine sauberen, schnellen und klaren Siege geben, wie dies Paul Kennedy
ausgedrückt hat. Dies wünschen sich die Amerikaner; denn bisher war es für sie in der
Geschichte immer so. Aber es wird nicht mehr so sein. Es wird einer unendlichen
Anstrengung der freien Gesellschaften bedürfen, um diesem Phänomen, das eine dramatische
Bedrohung der Freiheit von Menschen und Menschenwürde in diesem beginnenden Jahrtausend
darstellt, zu begegnen.
Hier wird sich erweisen müssen, ob die Bundesrepublik Deutschland nach einer
unglaublichen Entwicklung ökonomischer, freiheitlicher und demokratischer Stabilität in
der Läge ist, nach der größten Katastrophe des letzten Jahrhunderts die größte
Herausforderung ohne Panik, mit Standing, mit freiheitlichem Bewußtsein, dem Bekenntnis
zu ihren Verfassungsgrundsätzen, aber auch dem Bekenntnis, den Feinden von Demokratie im
Ernstfall entgegenzutreten, zu bewältigen, ob sie sich dessen bewußt ist und in der Lage
ist, ihre innere und wirtschaftliche Stabilität zu bewahren.
Zum Abschluß, Herr Bundeskanzler, zu den Haushaltsberatungen:
Es reicht heute, nach diesem Ereignis, nicht mehr aus, nur über die Probleme der
Wirtschaft zu diskutieren, Es gibt keine Wachstumsrate in den Vereinigten Staaten. Die
Konjunktur schwächelt und die Katastrophe tut ihr Übriges dazu. Sie dürfen nicht nur
woanders hinschauen. Wenn wir jetzt einen Beitrag leisten wollen, dann müssen wir alle
Anstrengungen unternehmen, ökonomisch und beschäftigungsdynamisch nach vorn zu kommen.
Gerade weil die Vereinigten Staaten jetzt so betroffen sind, haben wir - lassen Sie es
mich so ausdrücken - ein Stück wirtschaftspolitische und ökonomische
Führungsverantwortung in den freiheitlichen Gesellschaften. Wir sind keine beliebige
Volkswirtschaft.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Deshalb wird dies nicht nur eine Haushaltsberatung mit Blick auf die Sicherheit. Es wird
auch keine Haushaltsberatung in der Weise, wie sie der Finanzminister einmal in einer
Weltlage angenommen hat, die anders war als die heutige. Es wird eine Beratung, bei der
zuallererst die Regierung die Frage beantworten muß, ob sie wirklich glaubt, mit diesem
Haushalt den ökonomischen und sicherheitspolitischen Beitrag der Bundesrepublik
Deutschland angesichts der Veränderung der Weltlage leisten zu können. Ich sage Ihnen:
Es wäre klug, wenn uns das Kabinett angesichts der Ereignisse einen neuen Haushalt
vorlegen würde.
(Dr. Peter Struck (SPD); Das ist doch Unsinn!)
Der vorliegende wird der Lage in keinem Bereich mehr gerecht.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Während der Haushaltsdebatte dürfen diese Ereignisse nicht vergessen werden. Die Debatte
wird vonseiten der Freien Demokratischen Parte aber eine klare Präzision erfahren, was
wir nach diesen Anschlägen politisch und ökonomisch in Deutschland für notwendig
erachten, Das ist unsere Pflicht Heute haben Sie unsere Unterstützung, aber demnächst
müssen wir uns wieder mit Ihnen auseinander setzen. Das ist
notwendig. Nichtsdestoweniger finden Sie uns bei den von Ihnen abgegebenen Erklärungen
gegenüber den Vereinigten Staaten von Nordamerika an Ihrer Seite.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
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