Rede des Parlamentarischen Geschäftsführers der FDP-Fraktion Jörg van Essen zu Gesetzentwürfen zur Bekämpfung des Terrorismus und Erhöhung der inneren Sicherheit

Vom 11. Oktober 2001


Jörg van Essen (FDP):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP sagt ein klares Ja zur notwendigen Verbesserung der inneren Sicherheit. Für uns Liberale ist es selbstverständlich, dass die Freiheit des Bürgers wirksam geschützt werden muss. Sicherheit und Freiheit gehören für die FDP eng zusammen.

(Beifall bei der FDP)

Der Staat muss die Grundrechte und die Freiheit seiner Bürger gewährleisten. Nur ein Staat, der in der Lage ist, die Grundrechte seiner Bürger zu schützen, wird auch als Rechtsstaat akzeptiert.

(Beifall des Abg. Dr. Max Stadler [FDP])

Es gibt einen doppelten Anlass, über das Thema Sicherheit neu nachzudenken. Es ist zum einen die bisher nicht gekannte Herausforderung durch den internationalen Terrorismus und zum anderen auch das Hamburger Wahlergebnis, das signalisiert, dass eine große Zahl unserer Bürger mit der Behandlung des Themas innere Sicherheit nicht zufrieden ist. Die Bestandsaufnahme macht für die FDP deutlich, dass die notwendige Verbesserung der inneren Sicherheit auf zwei Säulen fußen muss: der Beseitigung des Vollzugsdefizits auf der einen und der Prüfung der Frage auf der anderen Seite, welche gesetzgeberischen Konsequenzen zusätzlich notwendig sind.

Wer sich die Frage des Vollzugsdefizits stellt, muss feststellen, dass die alte Koalition unter maßgeblicher Beteiligung der FDP in über 50 Gesetzen zwischen 1990 und 1998 zusätzliche Instrumentarien geschaffen hat, um besser gegen Rauschgifthandel, Geldwäsche, Korruption und organisierte Kriminalität vorgehen zu können.

(Joachim Stünker [SPD]: War alles Flickwerk!)

Viele dieser Gesetze haben schon deshalb auch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus Bedeutung, weil sich Terroristen häufig durch Drogenhandel und andere Delikte der Schwerstkriminalität finanzieren.

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das Sicherheitsrisiko ist Herr Beck!)

Die in Afghanistan hergestellten Heroinmengen sind dafür ein Beispiel.

(Beifall bei der FDP - Joachim Stünker [SPD]: Ja, und?)

Diese Gesetze bleiben auf weiter Strecke unwirksam, weil bundesweit bei der Polizei 30000 Stellen unbesetzt sind und bei den Nachrichtendiensten und Katastrophenschutzorganisationen Stellen in unverantwortlicher Weise abgebaut worden sind. Wenn im rot-grün-regierten Berlin aus Personalmangel zum Beispiel 2000 genetische Fingerabdrücke nicht bearbeitet und 60 - ich wiederhole: 60 - richterlich angeordnete Telefonüberwachungen nicht umgesetzt werden können,

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Hört! Hört!)

dann ist das ein unerträglicher Skandal.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das 1992 beschlossene polizeiliche Informationssystem INPOL neu ist trotz der Ausgabe dreistelliger Millionenbeträge immer noch nicht realisiert und es ist auch nicht abzusehen, wann dies jemals umgesetzt werden kann.

Personal- und Ausstattungsverbesserungen bei den Strafverfolgungsbehörden und den Nachrichtendiensten sind deshalb - diese Beispiele machen es deutlich - für die FDP unverzichtbar.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU])

Noch so viele Gesetzesänderungen, die beschlossen werden, können nicht umgesetzt werden, wenn das Personal nicht vorhanden ist, das diese Gesetze anwendet. Hier ist nicht nur der Bund, hier sind in besonderer Weise auch die Länder gefordert.

Die FDP ist darüber hinaus selbstverständlich auch bereit, die Bundesregierung bei all den Vorstellungen zu unterstützen, die notwendig und geeignet sind, die innere Sicherheit zusätzlich zu verbessern. Wir sprechen uns für die Wiedereinführung einer rechtsstaatlichen Kronzeugenregelung aus. Ich erinnere an die Debatte, die wir hier geführt haben. Ich habe noch sehr genau im Ohr, was die Kollegen aus der SPD-Fraktion und insbesondere aus der Fraktion der Grünen gegen die Kronzeugenregelung gesagt haben. Ich bin froh darüber, dass es jetzt hier ein vernünftiges Umdenken gibt; denn die Kronzeugenregelung ist ein wichtiges Mittel.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Was der Kollege Beck hier wieder aufzeigen wollte, nämlich dass die alte Kronzeugenregelung nichts gebracht hat, ist schlicht falsch

(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und macht für mich deutlich, dass es bei Ihnen offensichtlich immer noch Widerstände gegen diese notwendige Kronzeugenregelung gibt. Wer beispiels weise sieht, welchen Erfolg wir mit dieser Regelung im Bereich der Terrororganisation PKK hatten,

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Genau!)

der weiß, wie viel sie gebracht hat, auch an Aufklärung und an Überführung von Schwersttätern.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das macht deutlich, dass sie offensichtlich auch - Sie haben das bestritten - in ethnisch abgeschotteten Strukturen wirkt.

Für uns als Liberale ist aber auch klar, dass wir eine Kronzeugenregelung wollen, bei der es keine Verurteilung allein auf der Grundlage der Aussage eines Kronzeugen geben darf; es müssen weitere Gesichtspunkte hinzukommen.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Wilhelm Schmidt [Salzgit ter] [SPD]: Wie versteht sich das mit dem, was Sie eben gesagt haben? Sie widerlegen Ihre eigene Polemik! - Margot von Renesse [SPD]: Das haben Sie vorher nicht vorgetragen!)

Wir begrüßen es ganz außerordentlich, dass die auf gesetzlicher Grundlage, nämlich in der Strafprozessordnung und in vielen Polizeigesetzen, klar geregelte Rasterfahndung jetzt zum Einsatz kommt. Es ist schlicht falsch zu behaupten, dass die Rasterfahndung in der Vergangenheit keine Erfolge gebracht hat. Sie hat Erfolge in vielfältiger Form gebracht.

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: So ist es!)

Wir haben übrigens - das muss in diesem Zusammenhang auch erwähnt wer den - einen erheblichen Zeitverlust dadurch, dass einige Länder jetzt erst über hastet gesetzliche Regelungen für die Rasterfahndung einführen müssen.

(Albert Deß [CDU/CSU]: Zum Beispiel dort, wo der Bundeskanzler Ministerpräsident war!)

Die Aufhebung des Religionsprivilegs im Vereinsrecht ist ein weiterer Vorschlag, der von uns unterstützt wird. Ich übersehe nicht, dass er durchaus verfassungsrechtliche Fragen aufwirft. Es macht uns große Sorgen, dass sich extremistische Vereinigungen als Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften tarnen. Es ist auch im Interesse der Kirchen und der vielen rechtstreuen Muslime in unserem Land, dass Religion nicht missbraucht wird.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und der CDU/CSU)

Wir als FDP sind auch für die Schaffung eines § 129 b StGB, der die Tätigkeit und Unterstützung für ausländische terroristische Organisationen unter Strafe stellt. Wer die dringende Notwendigkeit dieser Vorschrift sieht, ärgert sich umso mehr darüber, dass noch im März dieses Jahres die Vorsitzende der Grünen, Claudia Roth, und die Bundesministerin Renate Künast in einer Zeitungsan zeige die Aufhebung des Terrorismusparagraphen 129 a des Strafgesetzbuches gefordert haben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Norbert Geis [CDU/CSU]: Das muss man mal sagen!)

Man muss es sich noch einmal vor Augen führen: Eine Ministerin dieser Regierung forderte im März dieses Jahres in einer Zeitungsanzeige, dass Terroristen in Deutschland nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden können. Unerträglich!

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Albert Deß [CDU/CSU]: Frau Künast hat sich bis heute nicht distanziert!)

Aber die Bürger erwarten von der FDP auch ein klares Nein da, wo wir uns von einem Vorschlag keine Verbesserung der Sicherheit erwarten.

(Margot von Renesse [SPD]: Das Bankgeheimnis!)

Das gilt zum Beispiel für die hochgespielte Frage des Einsatzes der Bundeswehr im Inneren. Der Kollege Bosbach hat zu Recht gesagt: Die Bundeswehr wird bereits jetzt im Rahmen der geltenden Verfassung im Innern eingesetzt - und das ist auch gut so. Sie hilft bei Naturkatastrophen wie dem Oderhochwasser und sie leistet Amtshilfe, wenn beispielsweise Aufklärungsflugzeuge nach verschwundenen Kindern suchen.

Ich möchte auch klar stellen - Herr Bosbach, Sie haben daran sozusagen ein Fragezeichen angebracht -: Es gehört beispielsweise zu den klassischen Aufgaben der Bundeswehr, für die Luftverteidigung in ganz Deutschland zuständig

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Genau!)

und deshalb mit Flugzeugen und Flugabwehrstellungen im Inneren präsent zu sein.

(Dr. Max Stadler [FDP]: Richtig!)

Es ist völlig wurscht, woher diese Flugzeuge kommen und wohin sie fliegen. Wir brauchen keinerlei neue Regelung.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wer die Bundeswehr zusätzlich zu den immer neuen Aufgaben auf dem Balkan und bei der Bekämpfung des Terrorismus zum Lückenfüller, zur billigen Hilfspolizei machen will, der hat die Zeichen der Zeit nicht verstanden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD - Norbert Geis [CDU/CSU]: Das will keiner!)

Polizei und Bundeswehr müssen gleichzeitig für ihre eigentlichen Aufgaben gestärkt werden.

Das Gleiche gilt für den Vorschlag zur Einführung eines Sicherheitsamtes.

(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Richtig!)

Nicht neue Bürokratie ist gefragt, sondern bessere Koordinierung und Zusammenarbeit. Das erwartet die FDP auch auf europäischer Ebene, weil sonst angesichts der offenen Grenzen viele Maßnahmen ins Leere laufen würden.

Wir wenden uns auch - Frau von Renesse, Sie haben danach schon gefragt - gegen die Abschaffung des Bankgeheimnisses.

(Margot von Renesse [SPD]: Das ist kein Wunder!)

Im Rahmen der strafrechtlichen Ermittlungen - darauf darf ich als Oberstaatsanwalt hinweisen - gibt es gar kein Bankgeheimnis.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Beim Verdacht auf eine Straftat, auch steuerlicher Art, sind Banken ganz selbstverständlich auskunftspflichtig.

(Joachim Stünker [SPD]: Da hat er Recht!)

Wir wünschen uns auch in diesem Punkt einen besseren Vollzug. Wer sich anschaut, dass beim Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen lediglich 16 Beschäftigte die Geldwäscheaufsicht über rund 3000 Banken und 1700 Finanzdienstleistungsinstitute wahrnehmen müssen, der sieht, dass es auf diesem Gebiet Defizite gibt, die dringend beseitigt werden müssen.

(Beifall bei der FDP)

Das würde auch die flächendeckende Registrierung von Bankkonten überflüssig machen.

Dass dies nicht erforderlich ist, zeigt im Übrigen ein weiterer Umstand: Nach wenigen Tagen waren alle deutschen Banken in der Lage, die Konten beispielsweise von Bin Laden und anderen zu benennen, sodass sie danach gesperrt werden konnten. Das ist gut und richtig so.

Aus all dem folgt, dass der Bundesinnenminister auf die Unterstützung der FDP bei vielen seiner Überlegungen für die Verbesserung der inneren Sicherheit rechnen kann. Wir erwarten von ihm aber auch, dass er sich innerhalb der eigenen Koalition schnell durchsetzt. Wer die, insbesondere aufgrund des Widerstandes der Grünen, immer wiederkehrenden Verschiebungen der Verabschiedung der verschiedenen Terrorpakete sieht, der ärgert sich über den Zeitverlust. Wir brauchen dringend eine Verbesserung der inneren Sicherheit. Die FDP ist zu konstruktiven Gesprächen bereit.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Alfred Hartenbach [SPD]: Schwacher Beifall!)

 

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Quelle: Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, 192. Sitzung vom 11. Oktober 2001, Stenographischer Bericht (Plenarprotokoll 14/192).


Empfohlene Zitierweise des Dokumentes:
Rede des Parlamentarischen Geschäftsführers der FDP-Fraktion Jörg van Essen zu Gesetzentwürfen zur Bekämpfung des Terrorismus und Erhöhung der inneren Sicherheit (11.10.2001), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/brd/2001/rede_van-essen_1011.html, Stand: aktuelles Datum.


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