Erklärung des Vorsitzenden der FDP-Fraktion Dr. Wolfgang
Gerhardt zu den Anschlägen in den Vereinigten Staaten von Amerika
vom 12. September 2001
Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den großen
Veränderungen im ausgehenden letzten Jahrhundert hat Joachim Fest einmal geschrieben, ob
sich die freien Gesellschaften ausreichend klar über die Voraussetzungen ihrer
freiheitlichen Existenz seien. Dabei ging es ihm um das Bewusstsein, das wir gestern
angegriffen fühlten, um eine Zivilisation, die auf einem Grundbestand von Regeln für
menschliches Maß fußt, die aber auch ein scharfes und waches Bewusstsein für die
großen Gefährdungen hat, die von Menschen ausgehen können. Fest schrieb - nahezu
wörtlich -: Eine Zivilisation braucht befestigte Linien, die niemandem preisgegeben
werden dürfen. - Darum geht es. Es geht uns und unseren amerikanischen Freunden um diesen
Kern des gemeinsamen Nenners, der Deutschland aus seiner größten Katastrophe
herausgebracht hat und eine gefestigte transatlantische Partnerschaft begründet hat, die
wir nicht zerschlagen lassen werden, durch wen auch immer.
(Beifall im ganzen Hause)
Heute, einen Tag nach einem unbegreiflichen, unfassbaren und unvorstellbaren Anschlag, der
unsere amerikanischen Freunde getroffen hat, der aber uns allen galt, müssen wir jenseits
aller Diskussionen wieder auf den Kern zurückkommen. Wir müssen wissen, wo wir stehen,
ohne jeden Schnörkel. Dies heißt, dass der gestrige Anschlag auch ein Anschlag auf
unsere Zivilisation, auf unsere Werte, auf unser Leben, auf alle Menschen war, die in
freiheitlichen Gesellschaften leben. Deshalb steht für die Freie Demokratische Partei
außer Frage: Wir sind an der Seite der Vereinigten Staaten von Nordamerika und wir
bleiben an ihrer Seite. Wir fühlen mit unseren Freunden in Nordamerika und wir trauern
mit den Familien um ihre Toten.
Wir sind heute nicht in der Lage, wirklich zu erkennen, wer für diesen feigen Mord an
Menschen verantwortlich ist. Wir wissen nur eines: Der Geist der Menschen, die für den
Anschlag verantwortlich sind, darf niemals obsiegen. Freiheitliche Demokratien sind zwar
empfindlich. Sie sind auch leicht zu gefährden und sie sind verwundbar. Aber sie sind
letztlich nicht wehrlos. Wir werden in der Lage sein, uns am Ende zu behaupten sowie
Gewalt und Unterdrückung zurückzuweisen, weil es keine Alternative dazu gibt.
(Beifall im ganzen Hause)
Es klingt jetzt groß und die Menschen, die uns bei diesen ersten Stellungnahmen
vielleicht zusehen, werden angesichts der Dramatik des Ereignisses Skepsis haben. Aber wir
müssen ihnen sagen - das ist unsere Überzeugung -: Wir sind davon überzeugt, wie es der
amerikanische Präsident ausgedrückt hat, dass wir, die Menschen, die in Freiheit leben
wollen, die sich gegenseitig respektieren wollen, die Toleranz üben und die Probleme
friedlich lösen wollen, gewinnen werden, weil wir sonst überhaupt nicht zuversichtlich
leben können.
Wir wollen ihnen aber auch sagen, in welchem Stil wir das tun. Wir wollen als Vertreter
unterschiedlicher Kräfte unseren deutschen Mitbürgerinnen und Mitbürgern sagen: Wir
wollen das gemeinsam tun. Wir, das sind die Vertreter, aber auch die Mitglieder der
demokratischen Parteien, denen wir angehören, die demokratisch gewählte legitimierte
Regierung der Bundesrepublik Deutschland sowie die Europäische Union. Wir, das sind am
Ende die Deutschen und die Amerikaner, weil uns eine gemeinsame Geschichte verbindet. In
einer globalisierten Welt muss jeder wissen, dass seine Haltung, seine Reaktion, seine
Entscheidungen zugleich viele Menschen überall auf diesem Erdball mit betreffen. Niemand
kann so tun, als hätte er in seinen eigenen Entscheidungen und in seiner Haltung nicht
auch zugleich ganz persönliche Verantwortung für die Geschicke der ganzen Menschheit.
Das müssen wir nach einem solchen Ereignis eindringlich in das Bewusstsein der
Öffentlichkeit hineinbringen.
Ich hoffe, wir alle hoffen, dass unsere amerikanischen Freunde spüren, dass - trotz
unterschiedlicher Lagebewertungen, die wir oft hatten, und manchmal trotz der Erwartung
feinfühligerer Reaktionen bei einer großen Macht, aber auch gleichzeitig der Erwartung
der Vereinigten Staaten von Amerika, denen Europa so kompliziert erschien, dass wir doch
manche Fragen weltweit klarer beantworten - Meinungsverschiedenheiten und unterschiedliche
Lageeinschätzungen angesichts eines solchen Ereignisses gewaltig an Bedeutung verlieren.
Ich hoffe, dass sie spüren, dass sie durch eigenes Engagement in einer schwierigen
Situation unserer Geschichte in Deutschland wirklich einen großen Freund gewonnen haben,
der auch dauerhaft und überzeugt an ihrer Seite bleibt und mit ihnen fühlt.
Wir verneigen uns vor den Toten und sprechen ihren Familien und dem amerikanischen Volk
unser Mitgefühl aus.
(Beifall im ganzen Hause)
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