Gesetz
über die Staatsanwaltschaft der Deutschen Demokratischen Republik.
Vom 23. Mai 1952
Die Festigung der demokratischen Gesetzlichkeit, die Stärkung der
antifaschistisch-demokratischen Ordnung und der Schutz der demokratischen Rechte der
Bürger ist eine Aufgabe unseres Staates. Die Achtung der Gesetzlichkeit ist die höchste
Pflicht eines jeden Staatsorgans und eines jeden Bürgers. Es ist die besondere Funktion
der Staatsanwaltschaft, die Einhaltung der Gesetze zu garantieren. Die Entwicklung der
Staatsanwaltschaft in der Deutschen Demokratischen Republik ist gekennzeichnet durch das Gesetz über die Errichtung der Obersten
Staatsanwaltschaft vom 8. Dezember 1949 (GBl. S. 111), die Verordnung über die
Vereinfachung der Justiz vom 27. September 1951 (GBl. S. 877) und den Beschluß des Ministerrats über die
Festigung der demokratischen Gesetzlichkeit vom 27. März 1952 (Min.Bl. S. 35).
In Fortführung dieser Entwicklung beschließt die Volkskammer folgendes Gesetz:
E r s t e r A b s c h n i t t
Organisation und Struktur der Staatsanwaltschaft
§ 1
(1) Die Staatsanwaltschaft der Deutschen Demokratischen Republik
ist ein von anderen Staatsorganen unabhängiges Organ der Staatsgewalt. Sie untersteht dem
Ministerrat.
(2) Es ist die besondere Aufgabe der Staatsanwaltschaft, die Aufsicht über die
strikte Einhaltung der Gesetze und Verordnungen der Deutschen Demokratischen Republik zu
führen, das Ermittlungs- und Untersuchungsverfahren zu leiten, vor Gericht in Straf- und
Zivilverfahren tätig zu sein und den Vollzug der Strafe zu überwachen.
§ 2
Die Staatsanwaltschaft wird von dem Generalstaatsanwalt der
Deutschen Demokratischen Republik geleitet. Alle Staatsanwälte sind seinen Weisungen
unterworfen. Er ernennt und entläßt alle Staatsanwälte.
§ 3
Der Generalstaatsanwalt der Deutschen Demokratischen Republik wird
gemäß den Bestimmungen der Verfassung von der
Volkskammer auf die Dauer von fünf Jahren gewählt.
§ 4
Staatsanwalt kann nur sein, wer nach seiner Persönlichkeit und
Tätigkeit die Gewähr dafür bietet, daß er sein Amt gemäß den Grundsätzen der Verfassung ausübt. Der Staatsanwalt muß eine staatlich
anerkannte juristische Ausbildung mit Erfolg beendet haben oder sonst auf Grund seiner
Persönlichkeit und Fähigkeiten für die Tätigkeit eines Staatsanwalts geeignet sein.
§ 5
(1) Jeder Staatsanwalt ist dem ihm übergeordneten Staatsanwalt
verantwortlich.
(2) Alle Staatsanwälte sind dem Generalstaatsanwalt der
Deutschen Demokratischen Republik verantwortlich.
§ 6
Jeder übergeordnete Staatsanwalt kann die Sachen, für deren
Bearbeitung ein nachgeordneter Staatsanwalt zuständig ist, selbst übernehmen oder einen
anderen Staatsanwalt mit ihrer Erledigung beauftragen.
§ 7
Dem Generalstaatsanwalt der Deutschen Demokratischen
Republik unterstehen |
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a) in den Ländern: die Landesstaatsanwälte
b) in den Kreisen: die Kreisstaatsanwälte. |
§ 8
Dem Generalstaatsanwalt, den Landesstaatsanwälten und den
Kreisstaatsanwälten ist die erforderliche Zahl von Staatsanwälten beigeordnet. Die
beigeordneten Staatsanwälte handeln als Vertreter des Leiters der jeweiligen
Staatsanwaltschaft.
§ 9
(1) Der Sitz der Generalstaatsanwaltschaft ist Berlin, die
Hauptstadt Deutschlands.
(2) Die Landesstaatsanwälte haben ihren Sitz am Sitz der Landesregierung. Die
Kreisstaatsanwälte haben ihren Sitz am Sitz des Rates des Kreises.
Z w e i t e r A b s c h n i t t
Die Aufsicht des Staatsanwalts
über die strikte Einhaltung der Gesetze und Verordnungen der Deutschen Demokratischen
Republik
§ 10
(1) Der Generalstaatsanwalt der Deutschen Demokratischen Republik
übt die höchste Aufsicht aus über die strikte Einhaltung der Gesetze und der
Verordnungen der Deutschen Demokratischen Republik.
(2) Diese Aufsicht erstreckt sich auf alle Ministerien, Ämter und ihnen
unterstellten Dienststellen und Einrichtungen, auf Betriebe und ebenso auf alle
Funktionäre des Staatsapparates und Bürger.
§ 11
Der Generalstaatsanwalt der Deutschen Demokratischen Republik
wacht darüber, daß die von den Ministerien und Ämtern sowie von allen übrigen Organen
der staatlichen Verwaltung und der Wirtschaft herausgegebenen Bestimmungen mit den
Gesetzen und Verordnungen der Deutschen Demokratischen Republik in Einklang stehen.
§ 12
Die Aufsicht über die Gesetzlichkeit wird vom Staatsanwalt
dadurch ausgeübt, daß er |
- auf sein Verlangen von den Ministerien und Ämtern sowie von allen übrigen Organen der
Verwaltung und der Wirtschaft alle Anordnungen, Beschlüsse und sonstigen
Bestimmungen erhält, die in Durchführung der Gesetze und der
Verordnungen der Deutschen Demokratischen Republik ergangen sind;
- von den im § 10 genannten Behörden, Organisationen, Betrieben und
Funktionären des Staatsapparates schriftliche und mündliche Berichte
über Tatsachen erhält oder der Presse Tatsachen entnimmt, aus denen auf
eine Verletzung von Gesetzen oder Verordnungen geschlossen werden kann;
- Beschwerden der Bürger über die Verletzung ihrer gesetzlichen Rechte und Interessen
entgegennimmt und diesen Beschwerden nachgeht;
- bei gerichtlichen Verhandlungen auf Tatsachen stößt, die auf eine Gesetzesverletzung
durch einzelne Organe oder Funktionäre des Staatsapparates schließen lassen.
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§ 13
(1) Stellt der Staatsanwalt eine Gesetzesverletzung fest, so hat
er die Gründe der Verletzung zu erforschen und unverzüglich die notwendigen Maßnahmen
zur Wiederherstellung der Gesetzlichkeit zu ergreifen.
(2) Er erhebt Einspruch gegen ungesetzliche Anordnungen, Beschlüsse und sonstige
Bestimmungen sowie gegen jede ungesetzliche Handlung eines Funktionärs des
Staatsapparates. Er legt die Gründe dar, die zur Feststellung der Ungesetzlichkeit
geführt haben und verlangt unmittelbar von dem Leiter des entsprechenden Organs die
Beseitigung der Ungesetzlichkeit. Erforderlichenfalls leitet der Staatsanwalt gegen den
Schuldigen das Strafverfahren ein.
§ 14
(1) Der Einspruch ist bei dem Organ einzulegen, gegen dessen Handlung er sich
richtet.
(2) Das Organ, bei dem der Einspruch eingelegt ist, hat binnen einer Frist von zwei
Wochen zu dem Einspruch Stellung zu nehmen. Erfolgt die Stellungnahme in dieser Frist
nicht, so ist die Durchführung der beanstandeten Maßnahme auszusetzen.
(3) Wir dem Einspruch nicht oder nicht in vollem Umfang stattgegeben, so
erhebt der übergeordnete Staatsanwalt den Einspruch bei der dem betreffenden Organ
übergeordneten Stelle. Der Staatsanwalt ist nicht befugt, Maßnahmen anderer
staatlicher Organe selbst aufzuheben, abzuändern oder ihre Durchführung zu
unterbrechen.
§ 15
(1) Hat der Staatsanwalt Anhaltspunkte für das Vorliegen einer
Gesetzesverletzung, so kann er zwecks völliger Aufklärung des Sachverhalts von dem
Leiter der Dienststelle, der Einrichtung oder des Betriebes verlangen, daß er eine
Revision oder Untersuchung durchführt.
(2) Der Staatsanwalt kann von den im Absatz 1 genannten Stellen auch die Vorlage
von Akten und Unterlagen verlangen. Er kann von den dazu zuständigen Stellen die
Entbindung von Angestellten von ihrer Pflicht zur Amtsverschwiegenheit fordern.
§ 16
(1) Der Generalstaatsanwalt der Deutschen Demokratischen Republik
hat das Recht, an den Sitzungen des Ministerrates der Deutschen Demokratischen Republik
teilzunehmen.
(2) Die Landesstaatsanwälte haben das Recht, an den Sitzungen der Landesregierung
teilzunehmen.
D r i t t e r A b s c h n i t t
Ermittlungsverfahren und Untersuchungsaufsicht
§ 17
Der Staatsanwalt führt das Ermittlungsverfahren in Strafsachen.
Er hat dafür Sorge zu tragen, daß die Umstände der Tat allseitig ermittelt und alle
belastenden und entlastenden Umstände aufgeklärt werden. Dem Staatsanwalt obliegt die
Aufsicht über alle Untersuchungen, die von den einzelnen Untersuchungsorganen
durchgeführt werden.
V i e r t e r A b s c h n i t t
Tätigkeit des Staatsanwalts im Gerichtsverfahren
§ 18
Der Staatsanwalt erhebt die Anklage und vertritt sie vor Gericht.
§ 19
Der Staatsanwalt wacht über die richtige und einheitliche
Anwendung der Gesetze durch die Gerichte, indem er gemäß der Strafprozeßordnung
Rechtsmittel einlegt und entsprechend dem Gesetz
vom 8. Dezember 1949 (GBl. S. 11) die Kassation rechtskräftiger Entscheidungen
beantragt.
§ 20
Der Staatsanwalt ist zum Zwecke der Wahrung der demokratischen
Gesetzlichkeit berechtigt, in jedem Zivilrechtsstreit und in jedem Verfahren der
freiwilligen Gerichtsbarkeit durch Einreichung von Schriftsätzen und durch Teilnahme an
Gerichtsverhandlungen mitzuwirken.
§ 21
Der Staatsanwalt führt selbst Zivilprozesse in dem Fällen, die
in der Zivilprozeßordnung vorgesehen sind.
§ 22
Der Generalstaatsanwalt der Deutschen Demokratischen Republik
beantragt beim Obersten Gericht die Kassation rechtskräftiger Entscheidungen in
Zivilsachen entsprechend dem Gesetz vom 8.
Dezember 1949 (GBl. S. 111).
§ 23
Der Generalstaatsanwalt der Deutschen Demokratischen Republik kann
beim Obersten Gericht der Deutschen Demokratischen Republik im Zusammenhang mit einer
Entscheidung des Obersten Gerichts den Erlaß von allgemein geltenden Richtlinien über
die Auslegung und Anwendung der Gesetze für die Praxis der Gerichte beantragen.
F ü n f t e r A b s c h n i t t
Strafvollstreckung, Strafvollzug, Begnadigung und Strafregister
§ 24
Die Staatsanwaltschaft überwacht die Vollstreckung der
Strafurteile und übt die Aufsicht über alle Haft- und Strafvollzugsanstalten aus.
§ 25
Die Staatsanwaltschaft wirkt im Begnadigungsverfahren nach Maßgabe der Gesetze
mit.
§ 26
Die Staatsanwaltschaft führt das Strafregister. Die Tilgung von
Strafvermerken und die Anordnung der Erteilung beschränkter Auskunft aus dem
Strafregister auf der Grundlage der hierfür geltenden Gesetze obliegt ausschließlich
ihr.
§ 27
Dieses Gesetz tritt am 1. Juni 1952 in Kraft. Einsprüche der
Staatsanwaltschaft gemäß § 13 dieses Gesetzes sind nur gegen
Maßnahmen zulässig, die nach Erlaß des Gesetzes vorgenommen werden.
Berlin, den 23. Mai 1952
Das vorstehende, vom Präsidenten der Volkskammer unter dem dreiundzwanzigsten
Mai neunzehnhundertundfünfzig ausgefertigte Gesetz wird hiermit verkündet.
Berlin, den dreiundzwanzigsten Mai neunzehnhundertundfünfzig
Der Präsident der
Deutschen Demokratischen Republik
W. Pieck
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