[Königlicher Entwurf eines Verfassungs-Gesetzes für den
preußischen Staat.
Vom 20. Mai 1848.]
Wir Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden, König von Preußen etc.
etc.
Nachdem in Folge Unserer in dem Patente vom 18. März d. J.
ertheilten Verheißungen ein Verfassungsgesetz für Unsere, zum deutschen Bunde gehörigen
Lande entworfen worden ist, lassen Wir diesen Entwurf der zur Vereinbarung über die
Verfassung gewählten und berufenen Versammlung der Vertreter Unseres getreuen Volkes
hierdurch zu ihrer Erklärung geben.
Gegeben Potsdam, den 20. Mai 1848.
Friedrich Wilhelm.
Camphausen. Graf von Schwerin.
von Auerswald.
Bornemann. von Arnim. Hansemann.
Graf von Kanitz. Frhr. von Patow.
Botschaft
an die
zur Vereinbarung der Verfassung
berufene Versammlung.
Verfassungs-Gesetz
für
den preußischen Staat.
Wir Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden, König von Preußen etc.
etc.
thun kund und fügen hiermit zu wissen, daß Wir mit den nach dem Wahlgesetze vom 8. April
1848 gewählten und demnächst von Uns zusammenberufenen Vertretern Unseres getreuen
Volkes für Unsere zum deutschen Bunde gehörigen Lande die nachfolgende Verfassung
vereinbart haben, welche Wir demnach zur Kenntniß für Unsere getreuen Unterthanen und
für Jedermann zur gebührenden Nachachtung hierdurch verkünden.
Titel I.
Von dem Staatsgebiete.
§. 1.
Alle Landestheile der preußischen Monarchie in ihrem
gegenwärtigen Umfange, mit Ausschluß der einer besonderen nationalen Reorganisation und
Verfassung vorbehaltenen Theile des Großherzogthums Posen, bilden das zum deutschen Bunde
gehörige preußische Staatsgebiet.
§. 2.
Die Gränzen dieses Staatsgebietes können nur durch Gesetz verändert werden.
Titel II.
Von den Rechten der preußischen Staatsbürger.
§. 3.
Die Bedingungen für die Erwerbung und den Verlust des
preußischen Staatsbürgerrechts werden durch das Gesetz bestimmt.
§. 4.
Alle Staatsbürger sind vor dem Gesetze gleich.
§. 5.
Allen Staatsbürgern ist die persönliche Freiheit gewährleistet.
Kein Staatsbürger darf anders, als in den gesetzlich bestimmten Fällen und Formen
verhaftet werden.
§. 6.
Die Wohnung ist unverletzlich. Das Eindringen in diese ist nur in
den gesetzlich bestimmten Fällen und Formen gestattet.
§. 7.
Kein Staatsbürger darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.
§. 8.
Das Eigenthum kann nur aus Gründen des öffentlichen Wohles in
den durch das Gesetz festgestellten Formen gegen Entschädigung entzogen oder beschränkt
werden.
§. 9.
Die Strafe der Vermögens-Confiscation findet nicht statt.
§. 10.
Die Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte ist
unabhängig von dem religiösen Glaubens-Bekenntnisse. Allen Staatsbürgern ist die
Freiheit gemeinsamer Religions-Uebung gestattet, so weit dadurch weder ein Strafgesetz
übertreten, noch die öffentliche Sicherheit, die Ordnung und Sittlichkeit verletzt oder
gefährdet wird.
§. 11.
Der Verkehr der Religions-Gesellschaften mit ihren Oberen bleibt
ungehindert. Die Bekanntmachung kirchlicher Erlasse ist nur denjenigen Beschränkungen
unterworfen, welchen allen übrigen Veröffentlichungen unterliegen.
§. 12.
Die evangelische und die römisch-katholische Kirche, so wie jede
andere Religions-Gesellschaft, bleibt im Besitz und Genuß ihrer für Kultus-,
Unterrichts- und Wohlthätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonds.
§. 13.
Die Freiheit des Unterrichts ist nur den in den Gesetzen bestimmten
Beschränkungen unterworfen.
§. 14.
[1] Die Presse ist frei. Die Verfolgung und Bestrafung ihres Mißbrauchs wird
durch das Gesetz bestimmt.
[2] Die Censur bleibt für immer aufgehoben.
§. 15.
[1] Alle Staatsbürger sind berechtigt, sich ohne vorgängige
obrigkeitliche Erlaubniß friedlich und ohne Waffen in geschlossenen Räumen zu
versammeln.
[2] Diese Bestimmung bezieht sich nicht auf Versammlungen unter
freiem Himmel, welche in allen Beziehungen der Verfügung des Gesetzes unterworfen sind.
Bis zum Erlaß eines solchen Gesetzes ist von Versammlungen unter freiem Himmel 24 Stunden
vorher der Ortspolizei-Behörde Anzeige zu machen, welche die Versammlung zu verbieten
hat, wenn sie dieselbe für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährlich erachtet.
§. 16.
Alle Staatsbürger sind berechtigt, sich ohne vorgängige
obrigkeitliche Erlaubniß zu solchen Zwecken, welche den Strafgesetzen nicht
zuwiderlaufen, in Gesellschaften zu vereinigen.
§. 17.
[1] Das Petitionsrecht steht allen Staatsbürgern zu.
[2] Petitionen unter einem Gesammtnamen sind nur Behörden und Corporationen
gestattet.
§. 18.
Das Biefgeheimniß ist unverletzlich. Ausnahmen davon können nur
auf Grund von Gesetzen und nur zum Zweck eines gerichtlichen Strafverfahrens oder in
Kriegsfällen angeordnet werden.
§. 19.
Alle Preußen sind wehrpflichtig. Den Umfang und die Art
dieser Pflicht bestimmt das Gesetz. Auf das Heer finden die in den §§. 5, 6, 15 und 16 enthaltenen Bestimmungen
insoweit Anwendung, als die militairischen Disziplinar-Vorschriften nicht entgegenstehen.
Titel III.
Vom Könige.
§. 20.
[1] Die Person des Königs ist unverletzlich. Seine
Minister sind verantwortlich.
[2] Alle Regierungs-Akte des Königs bedürfen zu ihrer Gültigkeit der
Gegenzeichnung eines Ministers, welcher dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt.
§. 21.
[1] Dem Könige allein steht die vollziehende Gewalt zu.
[2] Er befiehlt die Verkündung der Gesetze und erläßt die zu deren
Vollziehung nöthigen Verordnungen.
§. 22.
Der König führt den Oberbefehl über das Heer und besetzt alle Stellen in
demselben.
§. 23.
Dem Könige gebührt die Besetzung aller Staats-Aemter.
§. 24.
[1] Der König hat das Recht, Krieg zu erklären, Frieden zu
schließen und Verträge mit fremden Regierungen zu errichten.
[2] Handelsverträge, so wie andere Verträge, durch welche dem Staat Lasten oder
einzelnen Staatsbürgern Verpflichtungen auferlegt werden, bedürfen zu ihrer Gültigkeit
der Zustimmung der Kammern.
§. 25.
Der König hat das Recht der Begnadigung und der
Strafmilderung. Zu Gunsten eines wegen seiner Amtshandlungen verurtheilten Ministers (§. 33) kann dies Recht nur auf Antrag einer Kammer ausgeübt werden.
§. 26.
Dem Könige steht die Verleihung des Adels, der Orden und anderer
Auszeichnungen zu.
§. 27.
Der König beruft die Kammern und schließt ihre Sitzungen.
Er kann sie entweder beide zugleich oder nur eine auflösen. Es müssen aber in einem
solchen Falle innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen nach der Auflösung die Wähler
und innerhalb eines Zeitraums von 60 Tagen nach der Auflösung die Kammern versammelt
werden.
§. 28.
Der König kann die Kammern vertragen. Die Vertagung darf aber
ohne Zustimmung der Kammern die Frist von 30 Tagen nicht überschreiten.
§. 29.
Die Krone ist, den Königlichen Hausgesetzen gemäß, erblich in
dem Mannesstamme des Königlichen Hauses nach dem Rechte der Erstgeburt und der
agnatischen Linealfolge.
§. 30.
Der König wird mit Vollendung des 18ten Lebensjahres volljährig.
§. 31.
Ist der König minderjährig, oder befindet er sich in der
Unmöglichkeit, zu regieren, so wird eine Regentschaft angeordnet. Die näheren
Bestimmungen darüber bleiben einem besonderen Gesetze vorbehalten.
§. 32.
Dem Kron-Fideikommiß-Fonds verbleibt die durch das Gesetz vom 17.
Januar 1820 auf die Einkünfte der Domainen und Forsten angewiesene Rente.
Titel IV.
Von den Ministern.
§. 33.
Die Minister können wegen einer durch eine Amtshandlung begangene
Gesetzverletzung durch einen Beschluß der zweiten Kammer in Anklagestand versetzt werden.
Ueber solche Anklagen entscheidet als Gerichtshof die erste Kammer. Die näheren
Bestimmungen bleiben einem besonderen Gesetze vorbehalten.
§. 34.
Die Minister haben Stimmrecht in der einen oder der
anderen Kammer nur dann, wenn sie Mitglieder derselben sind. Sie haben Zutritt zu jeder
Kammer und müssen auf ihr Verlangen gehört werden. Jede Kammer kann die Gegenwart der
Minister verlangen.
§. 35.
Die Minister sind berechtigt, zu ihrer Vertretung oder Assistenz
andere Staats-Beamte in die Kammer-Sitzungen abzuordnen, welchen dann dieselben Befugnisse
wie den Ministern zustehen.
Titel V.
Von den Kammern.
§. 36.
[1] Die gesetzgebende Gewalt wird gemeinschaftlich durch den König und
zwei Kammern ausgeübt.
[2] Die Uebereinstimmung des Königs und beider Kammern ist zu jedem
Gesetz erforderlich.
§. 37.
Dem Könige, so wie jeder Kammer, steht das Recht zu, Gesetze vorzuschlagen.
§. 38.
Die erste Kammer besteht |
|
1) aus den Prinzen des Königlichen Hauses, sobald sie das 18te Lebensjahr
zurückgelegt haben;
2) aus höchstens 60 vom Könige ernannten Mitgliedern. Dieselben werden aus der Zahl
derjenigen Staatsbürger ernannt, welche ein reines Einkommen von mindestens 8000 Rthlrn.
jährlich beziehen. Sie vererben das ihnen verliehene Recht auf ihre männlichen
Descendenten nach den Regeln der Erstgeburt. Das Recht erlischt aber, wenn der Erbe ein
reines Einkommen von 8000 Rthlrn. jährlich nicht nachzuweisen vermag.
3) aus 180 Mitgliedern, die durch dieselben Wahlmänner gewählt werden, welche die
Mitglieder der zweiten Kammern zu wählen haben. |
§. 39.
Wählbar für die erste Kammer (§. 38 3)
sind nur solche Staatsbürger, welche das 40ste Lebensjahr zurückgelegt haben und ein
reines Einkommen von mindestens 2500 Rthlrn. jährlich beziehen oder an direkten
Staatssteuern mindestens 300 Rthlr. jährlich entrichten. Die Mitglieder der höheren
Gerichtshöfe, die Mitglieder der Akademie der Wissenschaften und die Ober-Bürgermeister
der Städte von mehr als 25,000 Einwohnern, sofern sie ihr Amt mindestens 6 Jahre
verwaltet haben, sind auch dann in die erste Kammer wählbar, wenn sie ein geringeres
Einkommen beziehen oder eine geringere direkte Staatssteuer entrichten.
§. 40.
Die nach § 38 3 zu wählenden
Mitglieder der ersten Kammer werden auf 8 Jahre gewählt. Alle 4 Jahre werden die
Wahlen zur Hälfte erneuert. Die näheren Bestimmungen darüber bleiben dem Wahlgesetz
vorbehalten. Im Falle der Auflösung werden sämmtliche Wahlen erneuert.
§. 41.
Die zweite Kammer besteht aus gewählten Mitgliedern, welche
das 30ste Lebensjahr zurückgelegt haben. Die Zahl dieser Mitglieder wird durch das
Wahlgesetz bestimmt.
§. 42.
Die Mitglieder der zweiten Kammer werden auf 4 Jahre
gewählt. Alle 2 Jahre werden die Wahlen zur Hälfte erneuert. Die näheren Bestimmungen
darüber bleiben dem Wahlgesetz vorbehalten. Im Falle der Auflösung werden sämmtliche
Wahlen erneuert.
§. 43.
Die ausscheidenden Mitglieder der Kammern können jederzeit wieder gewählt
werden.
§. 44.
Die Bedingungen der Wahlberechtigung und Wählbarkeit für die
erste und zweite Kammer werden, so weit sie nicht durch die Verfassung festgestellt sind,
durch das Wahlgesetz bestimmt.
§. 45.
Niemand kann Mitglied beider Kammern sein.
§. 46.
Wenn ein Mitglied der zweiten Kammer oder ein gewähltes Mitglied
der ersten Kammer ein besoldetes Staatsamt oder eine Beförderung im Staatsdienst annimmt,
so verliert es damit Sitz und Stimme in der Kammer und kann seine Stelle nur durch eine
neue Wahl wieder erlangen.
§. 47.
Die Kammern werden durch den König regelmäßig im Januar jeden
Jahres und außerdem, so oft es die Umstände nöthig machen, außerordentlich versammelt.
§. 48.
Die Eröffnung und Schließung der Kammern geschieht durch den
König in Person oder durch einen dazu vom Könige beauftragten Minister in einer
vereinigten Sitzung beider Kammern.
§. 49.
Jede Kammer prüft die Legitimation ihrer Mitglieder und entscheidet darüber.
§. 50.
Die Sitzungen beider Kammern sind öffentlich. Jede Kammer tritt,
wenn ihr Präsident oder 10 Mitglieder darauf antragen, zu einer geheimen Sitzung
zusammen, in welcher dann zunächst über diesen Antrag zu beschließen ist.
§. 51.
Jede der beiden Kammern erwählt für die Sitzungs-Periode ihren
Präsidenten, ihre Vice-Präsidenten und ihre Schriftführer.
§. 52.
Jede Kammer faßt ihre Beschlüsse nach absoluter
Stimmen-Mehrheit, vorbehaltlich der durch die Geschäftsordnung für Wahlen etwa zu
bestimmenden Ausnahmen.
§. 53.
Keine der beiden Kammern kann einen Beschluß fassen, wenn nicht
ein Drittel ihrer Mitglieder anwesend sind.
§. 54.
Niemand darf den Kammern oder einer derselben in Person eine Bittschrift
überreichen.
§. 55.
Jede Kammer kann die an sie gerichteten Bittschriften an die
Minister überweisen. Wenn solche Bittschriften Beschwerden über die Verwaltung
enthalten, so sind die Minister verpflichtet, darüber der Kammer auf ihr Verlangen
Auskunft zu ertheilen.
§. 56.
Jede Kammer hat für sich das Recht, Adressen an den König zu richten.
§. 57.
Die Mitglieder der Kammern können weder für ihre Abstimmung in
der Kammer noch für ihre darin ausgesprochenen Meinungen zur Rechenschaft gezogen
werden.
§. 58.
Kein Mitglied kann während der Sitzungs-Periode ohne vorgängige
Erlaubniß der Kammer, welcher es angehört, wegen eines Verbrechens oder Vergehens
gerichtlich verfolgt oder verhaftet werden. Ausgenommen davon ist der Fall der Ergreifung
auf frischer That. Auch die Verhaftung eines Kammer-Mitgliedes wegen Schulden ist während
der Sitzungs-Periode nur unter gleicher Genehmigung zulässig.
§. 59.
Die Mitglieder beider Kammern sind Vertreter des ganzen
Volks. Sie stimmen in den Kammern nach ihrer unabhängigen Ueberzeugung und sind an
Aufträge und Instructionen nicht gebunden.
§. 60.
Jede Kammer wird ihren Geschäftsgang durch eine Geschäftsordnung regeln.
§. 61.
Die Mitglieder der ersten Kammer erhalten weder Reisekosten noch
Diäten. Die Mitglieder der zweiten Kammer erhalten eine durch das Gesetz festzustellende
Entschädigung.
Titel VI.
Von der richterlichen Gewalt.
§. 62.
[1] Die richterliche Gewalt wird im Namen des Königs durch
die Gerichte ausgeübt. Die Gerichte sind unabhängig und keiner anderen Autorität, als
der des Gesetzes unterworfen.
[2] Die Urtheile werden im Namen des Königs ausgefertigt und vollstreckt.
§. 63.
[1] Die Richter werden vom Könige auf Lebenszeit ernannt.
[2] Sie können nur durch Richterspruch und nur aus Gründen, welche die
Gesetze vorgesehen und bestimmt haben, ihres Amtes entsetzt oder zeitweise enthoben
werden.
[3] Eine Versetzung auf eine andere Stelle oder in den Ruhestand kann
wider ihren Willen nur auf Grund eines gerichtlichen Beschlusses in den durch das Gesetz
bestimmten Fällen und Formen erfolgen
[4] Auf die Versetzung und Pensionirungen, welche durch Veränderungen in
der Organisation der Gerichte oder ihrer Bezirke nöthig werden, findet diese Bestimmung
keine Anwendung.
§. 64.
Den Richtern dürfen andere besoldete Staats-Aemter nicht
übertragen werden. Ausnahmen sind nur auf Grund eines Gesetzes zulässig.
§. 65.
Die Errichtung und Organisation der Gerichte, ihr Bezirk, der Ort
ihres Sitzes, die Qualification zu den verschiedenen richterlichen Aemtern und die
Besoldung der Richterstellen werden durch Gesetz bestimmt.
§. 66.
Die Verhandlungen vor den erkennenden Gerichten in Civil- und
Strafsachen sollen öffentlich sein. Die Oeffentlichkeit kann jedoch durch ein öffentlich
zu verkündendes Urtheil ausgeschlossen werden, wenn sie der Ordnung oder den guten Sitten
Gefahr droht. Auch kann in Civilsachen die Oeffentlichkeit durch Gesetze beschränkt
werden.
§. 67.
Ueber die mit schwerer Strafe bedrohten Handlungen (Verbrechen),
so wie über politische und Preßvergehen, sollen die Gerichte unter Mitwirkung von
Geschworenen erkennen.
§. 68.
Die Organisation der Handels- und Gewerbegerichte, so wie der
Militairgerichte, das Verfahren bei diesen Gerichten, die Ernennungen ihrer Mitglieder,
die besonderen Verhältnisse der Letzteren und die Dauer ihres Amtes werden durch
besondere Gesetze festgestellt.
§. 69.
Die Kompetenz der Gerichte und Verwaltungs-Behörden wird durch
das Gesetz bestimmt. Ueber Kompetenz-Konflikte zwischen den Gerichten und der Verwaltung
entscheidet die durch das Gesetz bezeichnete Behörde.
Titel VII.
Von der Finanz-Verwaltung.
§. 70.
Alle Einnahmen und Ausgaben des Staats müssen für jedes Jahr im
voraus veranschlagt und auf den Staatshaushalts-Etat gebracht werden. Letzterer wird
jährlich durch ein Gesetz festgestellt.
§. 71.
Steuern und Abgaben für die Staats-Kasse dürfen nur, so weit sie
in den Staatshaushalts-Etat aufgenommen oder durch besondere Gesetze angeordnet sind,
erhoben werden.
§. 72.
[1] In Betreff der Steuern können Bevorzugungen
einzelner Stände oder Personen nicht eingeführt werden.
[2] Das bestehende Steuer-System soll einer Revision unterworfen und dabei
jede solche Bevorzugung abgeschafft werden.
§. 73.
Gebühren können Staats- und Kommunal-Beamte nur auf Grund von Gesetzen
erheben.
§. 74.
Die Aufnahme von Anleihen für die Staatskasse findet nur auf
Grund eines Gesetzes statt. Dasselbe gilt von der Uebernahme von Garantieen zu Lasten des
Staats.
§. 75.
Die Rechnungen über den Staats-Haushalt werden von der
Ober-Rechnungskammer geprüft. Die allgemeine Rechnung über den Staats-Haushalt jedes
Jahres wird von der Ober-Rechnungskammer den Kammern vorgelegt. Zu Etats-Ueberschreitungen
ist die nachträgliche Genehmigung der Kammern erforderlich.
Allgemeine Bestimmungen.
§. 76.
Ein die Verfassung abänderndes Gesetz muß in jeder Kammer durch
eine Stimmen-Mehrheit von mindestens zwei Drittheilen angenommen sein. Ein
Kammer-Beschluß über einen solchen Gesetz-Vorschlag ist nicht anders gültig, als wenn
an der Beschlußnahme mindestens die Hälfte der Mitglieder der Kammer Theil genommen hat.
§. 77.
[1] Nach erfolgter Annahme des gegenwärtigen
Verfassungs-Gesetzes wird der König in Gegenwart der zur Vereinbarung der Verfassung
berufenen Versammlung eidlich versprechen, die Verfassung und die Gesetze des preußischen
Staates aufrecht zu erhalten und zu schützen.
[2] Dasselbe eidliche Versprechen wird der jedesmalige Thronfolger vor den
vereinigten Kammern abgeben, welche, wenn sie nicht versammelt oder nicht auf einen
früheren Tag berufen sind, am zwanzigsten Tage nach dem Regierungswechsel ohne Berufung
zusammentreten.
§. 78.
Die Mitglieder der beiden Kammern, alle Staats-Beamte und das Heer
haben dem Könige und der Verfassung Treue und Gehorsam zu schwören.
§. 79.
Sollten durch die für Deutschland festzustellende Verfassung
Abänderungen des gegenwärtigen Verfassungs-Gesetzes nöthig werden, so wird der König
dieselben anordnen und diese Anordnungen den Kammern bei ihrer nächsten Versammlung
mittheilen. Die Kammern werden dann Beschluß darüber fassen, ob die vorläufig
angeordneten Abänderungen mit der deutschen Verfassung in Uebereinstimmung stehen.
§. 80.
Bis zum Erlaß eines neuen Wahlgesetzes bleiben für die Wahlen
zur zweiten Kammer die §§. 1-12 des Wahlgesetzes vom 8. April 1848 in Kraft. Für die
Wahlen zur ersten Kammer werden bis dahin von der Regierung nach Maßgabe der Bevölkerung
180 möglichst gleiche Wahlbezirke gebildet. In jedem solchen Bezirke wird die Wahl, unter
Leitung eines Regierungs-Kommissars, durch diejenigen Wahlmänner, welche die Mitglieder
der zweiten Kammer zu wählen haben, nach den Vorschriften des Wahlgesetzes vom
8. April 1848 vollzogen. Die Normen für die Feststellung des zur Wählbarkeit für
die erste Kammer erforderlichen Einkommens, so wie die zur Vollziehung dieser Wahlen sonst
noch erforderlichen Bestimmungen, bleiben einem vom Staats-Ministerium zu erlassenden
Reglement vorbehalten.
§. 81.
Zur Ausführung der in den §§. 4, 5,
6, 62, 63, 64, 65, 66, 67 und 68
ausgesprochenen Grundsätze werden besondere Gesetze ergehen. Bis zum Erlaß dieser
Gesetze bleiben die in Bezug auf die Gegenstände derselben bestehenden Gesetze und
Rechtsnormen in Gültigkeit. Alle den übrigen Bestimmungen der Verfassung
entgegenstehenden gesetzlichen Vorschriften treten sofort außer Kraft.
§. 82.
Die bestehenden Steuern und Abgaben werden forterhoben, bis sie durch
Gesetz abgeändert werden.
§. 83.
Alle durch das gegenwärtige Verfassungs-Gesetz nicht berührten
Gesetze und Rechtsnormen bleiben in voller Kraft.
§. 84.
Inwieweit die in den §§. 5,
6, 7, 15 und 16 des
Verfassungs-Gesetzes enthaltenen Bestimmungen für die Fälle eines Krieges oder Aufruhrs
außer Anwendung gesetzt werden können, bleibt der Gesetzgebung vorbehalten.
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