Denkschrift Sr. Majestät des Königs von Preußen Friedrich
Wilhelm IV. über die preußische Staatsverfassung.
Vom 15. September 1848.
Sanssouci, 15. September 1848.
Promemoria
Die Einsicht, die ich von den Dingen habe, lehrt mich unwidersprechlich, daß
dies die letzte Stunde ist, um den Thron, Preußen, Teutschland, ja den Begriff der
von Gott eingesetzten Obrigkeit in Europa zu retten. Jetzt oder nie! Seit dem 10. d. M.
hab ich nur Departementsverwalter, aber keine Minister.[1]
Die ganze Verantwortlichkeit des Augenblicks lastet auf mir, u. ich kenne meine Pflichten
u. mein Recht.
Kraft dieser Erkenntnis bin ich entschlossen, nicht von meinem Ministerium ein
System anzunehmen, sondern nur solche Minister zu nehmen, die nach meinen Überzeugungen
u. Entschlüssen handeln wollen.
Ich will "verantwortliche Minister". Aber dieselben sollen zuerst
und vor allem Gott gegenüber sich verantwortlich fühlen; demnächst mir; dann erst den
Landtägen, welche unsere künftige Verfassung uns geben wird; dem jetzt versammelten
außerordentlichen Landtage aber gegenüber entschieden nur in soweit, als derselbe in den
Schranken bleibt, die ihm meine Berufung und das Mandat seiner Wähler gesteckt haben.
Derselbe steht seit dem 7. d. M. im Zustand der Usurpation.[2] Einer solchen Versammlung "verantwortlich sein zu
wollen", ist Verrat am Amte.
Die Männer, die ich unter diesen exzeptionellen Umständen mit
Ministerien bekleide, müssen durchaus Männer des mächtigen und energischen
Entschlusses, der mächtigen und energischen Tat und des weiten, freien Blicks, sie
müssen echte Preußen und treue Teutsche sein.
Ich nehme sie nur dann zu Ministern, wenn sie mir mit Hand, Wort und Schrift
an Eidesstatt geloben, mit mir Eines Mutes, Eines Sinnes, Einer Absicht zu sein und
namentlich folgenden speziellen Gang innehalten zu wollen. Das neue Ministerium setzt
zuerst ein Programm auf. Es bekennt darin seine "Verantwortlichkeit" gegen die
ihrer Berufung und ihrem Mandate treuen Versammlung, ihre Nichtverantwortlichkeit gegen
die beides verletzende Versammlung. Es erklärt seinen Entschluß, dem Zustande der
Unwirksamkeit der bestehenden Gesetze, der Ordnungs- und Zuchtlosigkeit, der
uns entehrt und zugrunde richtet, ein Ende machen zu wollen, sowohl durch Handhabung
der bestehenden Gesetze als durch Vorlage neuer Gesetze. Es gelobt, das
konstitutionelle Wesen zur Wahrheit machen zu wollen und erklärt fest und entschieden als
sein Endziel den Grundsatz: ein freies Volk unter einem freien Könige;
als seinen Weg aber: schonendes Behandeln der wohlerworbenen Rechte; als Mittel:
einige wesentliche Veränderungen im Verfassungsentwurf
und namentlich Abänderung des Wahlmodus und der Zusammensetzung der Landtäge. Das
Nähere bleibt mündlicher Besprechung vorbehalten.
Der 1. Akt des neuen Kabinetts ist die Kgl. Botschaft,
welche den Beschluß der Versammlung vom 7.
[September 1848] annulliert. Das ist der entscheidende Schritt. Durch ihn sind die
Würfel geworfen. Er bedingt die entschlossene Vorbereitung auf 2
Eventualitäten.
1. Die Versammlung gibt nach. Dann wird dieselbe nach Brandenburg verlegt, die
Verfassungsveränderungen vorbereitet und die in meinem kleinen Programm sub ad erwähnten Gesetze
gegen die "Unordnungen und Unleidlichkeiten" vorgelegt.
2. Die Versammlung widersteht der kgl. Botschaft. Dann wird dieselbe sofort
aufgelöst. Die Folge ist fast ohne Zweifel die eigene Permanenzerklärung der
Versammlung. Darauf bin ich vorbereitet durch das Konzentrieren von 30.000 Mann um
Berlin. Dieselben schreiten ein nach einem zum Teil festgestellten Plan. Gibt Gott
den Sieg, so schlag ich vor, "sogleich eine neue Versammlung nach einem neuen
Wahlgesetz zu berufen", aber nicht nach Berlin.
Die Benutzung des Sieges, er sei ein friedlicher (was Gott geben wolle!)
oder ein blutiger ... [sic, K.H.], die Benutzung des Sieges, der Preußens Stellung zu
Teutschland wesentlich ändert und bessert, ist die Hauptsache, die erste
Pflicht des Königs und seiner Regierung. Er muß vor allem für das der Auflösung
preisgegebene unglückliche Teutschland benutzt werden, indem ich den kaiserlichen Hof,
Bayern, Sachsen und Hannover etc. auffordere, zu Frankfurt eine gemeinschaftliche (durch
ein preußisches Heer in Thüringen klangvoll gemachte) Sprache über Bedingungen
zu führen, unter welchen allein wir in die Bildung des Bundesstaates und
Wiederherstellung des Teutschen Reiches willigen. Die hauptsächlichsten sind 1.
die Bildung des Kollegiums der Könige und Fürsten (nach unserm bekannten Vorschlag),
welches Kollegium die Souveränetät des Reichs mit dem Reichsoberhaupt (und dem
Reichsministerium, welches auf wenige, notwendige Departements beschränkt wird) teilt, 2.
die sofortige Institution des Reichsoberhauses (oder Staatenhauses), 3. die Bildung des
Reichsunterhauses aus den einzelnen Landesrepräsentationen oder Ständen. Gelingt das
Verständnis mit den gedachten Mächten, so stellen wir 5 (der
kleinen Braunschweig, Oldenburg, Mecklenburg (!) etc. nicht zu gedenken)
30.000.000 oder mehr als ¾ Teutschlands dar und haben das göttliche und menschliche
Recht für uns, den Widerstand des Südwestens, die Waffen in der Hand, niederzuwerfen,
was dann aller Wahrscheinlichkeit nach nicht nötig sein wird.
Sobald uns Gott den Sieg im eigenen Hause gegeben haben wird, erlasse ich
meine Ansprache "an mein Volk", und die werd ich selbst schreiben.
Alles in meinem Programm
Aufgeführte und Ausgeführte und hier nicht Erwähnte oder Abgeänderte wird als
integrierter Teil dieses Promemoria angesehen.
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