Verordnung über den Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik.
Vom 29. Juli 1922.[1]
Auf Grund des § 12 Abs. 2
Satz 7 und Abs. 3 Satz 4 des Gesetzes zum Schutze der
Republik vom 21. Juni 1922 (Reichsgesetzbl. I S. 585) verordne ich mit Zustimmung des
Reichsrats:
§ 1
Auf den Staatsgerichtshof zum Schutze der
Republik finden die Bestimmungen des 13. bis 16. Titels des
Gerichtsverfassungsgesetzes mit folgenden Maßgaben entsprechende Anwendung: |
- Das Ersuchen um Rechtshilfe darf nicht abgelehnt werden.
- Der Gerichtshof kann an jedem Orte innerhalb des Deutschen Reichs Amtshandlungen durch
einen beauftragten Richter vornehmen lassen.
- Wenn ein Berichterstatter ernannt ist, so gibt er zuerst seine Stimme ab; der
Vorsitzende stimmt zuletzt; im übrigen stimmen die nichtrichterlichen Mitglieder vor den
richterlichen Mitgliedern.
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§ 2
[1] Die Mitglieder des Staatsgerichtshof und die
Stellvertreter haben vor ihrer ersten Dienstleistung in öffentlicher Sitzung des
Staatsgerichtshofs, an der der Oberreichsanwalt und ein Gerichtsschreiber teilnehmen,
einen Eid zu leisten.
[2] Mitglieder und Stellvertreter schwören, daß sie die ihnen
anvertrauten Obliegenheiten eines Mitglieds des Staatsgerichtshofs zum Schutze der
Republik treu und gewissenhaft erfüllen und ihre Stimmen nach bestem
Wissen und Gewissen abgeben werden. Der Eid kann in der religiösen Form des § 51 des
Gerichtsverfassungsgesetzes oder in nichtreligiöser Form geleistet
werden.
[3] Über die Eidesleistung ist ein Protokoll aufzunehmen, das von dem
Vorsitzenden, den Mitgliedern oder Stellvertretern, die den Eid geleistet haben, und dem
Gerichtsschreiber zu unterschreiben ist.
§ 3
[1] Die zur Erledigung der Geschäfte des Staatsgerichtshofs
erforderlichen Gerichtsschreiberei-, Kanzlei- und Unterbeamten beruft der Präsident des
Reichsgerichts.
[2] Der Präsident des Reichsgerichts trifft die erforderlichen Anordnungen über
die Geschäftsräume und Geschäftsbedürfnisse des Staatsgerichtshofs.
[3] Die ergänzenden Bestimmungen über den Geschäftsgang und die
Geschäftsverteilung trifft der Vorsitzende des Staatsgerichtshofs.
§ 4
Auf das Verfahren in den zur Zuständigkeit des Staatsgerichtshofs
gehörenden Sachen finden, soweit nachstehend nichts anderes bestimmt ist, die
Vorschriften der Strafprozeßordnung über die Zuständigkeit der
Strafkammern gehörenden Sachen entsprechende Anwendung.
§ 5
[1] Die nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung im
vorbereiteten Verfahren dem Amtsrichter obliegenden Geschäfte können auch durch einen
besonderen Ermittlungsrichter des Staatsgerichtshofs vorgenommen werden, den der
Reichsminister der Justiz ernennt.
[2] Soweit nach der Strafprozeßordnung die Verfügungen des Amtsrichters einer
Beschwerde unterliegen, gilt dies auch für die Verfügungen des Ermittlungsrichters.
Über die Beschwerde gegen die Verfügungen des Amtsrichters und Ermittlungsrichters
entscheidet der Staatsgerichtshof. Das gleiche gilt für die nach § 20 des Gesetzes zum
Schutze der Republik zugelassenen Beschwerde.
§ 6
[1] Die Verteidigung ist in allen Sachen notwendig, die vor dem
Staatsgerichtshofe zu verhandeln sind.
[2] Der bestellte Verteidiger darf die Übernahme der Verteidigung nicht ablehnen.
§ 7
Die Voruntersuchung wird durch einen Untersuchungsrichter des
Staatsgerichtshofs geführt, den der Reichsminister der Justiz ernennt. Der Vorsitzende
des Staatsgerichtshofs kann im einzelnen Falle einen anderen
Untersuchungsrichter bestimmen; zum Untersuchungsrichter kann jedes Mitglied
eines deutschen Gerichts und jeder Amtsrichter bestimmt werden.
§ 8
Der Ermittlungsrichter und der Untersuchungsrichter des
Staatsgerichtshofs werden auf die Dauer eines Geschäftsjahrs ernannt.
§ 9
Ein Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens ergeht
nicht. Die nach § 148 Abs. 2, 3 der Strafprozeßordnung an die Eröffnung des
Hauptverfahrens geknüpften Wirkungen treten mit der Einreichung der Anklageschrift ein.
Die Wirkungen, die nach der Strafprozeßordnung an die Verlesung des
Eröffnungsbeschlusses geknüpft sind, treten mit dem Beginne der Vernehmung des
Angeklagten zur Sache (§ 242 Abs. 3 der Strafprozeßordnung) ein.
§ 10
Nach Ablauf der gemäß § 199 der Strafprozeßordnung bestimmten
Frist beraumt der Vorsitzende Termin zur Hauptversammlung an. Hat der Angeschuldigte eine
Voruntersuchung oder einzelne Beweiserhebung beantragt oder hat er Einwendungen gegen die
Hauptversammlung erhoben, so entscheidet der Staatsgerichtshof; das gleiche gilt, wenn der
Vorsitzende gegen die Hauptversammlung Bedenken hat.
§ 11
Auf die von dem Staatsgerichtshof erkannten Strafen und auf ihre
Vollstreckung finden die Vorschriften über die von dem Reichsgericht in erster Instanz
erkannten Strafen und deren Vollstreckung entsprechende Anwendung.
§ 12
[1] Die Kosten des Staatsgerichtshofs einschließlich der Kosten
der Untersuchungshaft und der Strafvollstreckung trägt das Reich; die Verpflichtung des
Verurteilten und dritter Personen zur Tragung der Kosten wird hierdurch nicht berührt.
Soweit der Verurteilte oder dritte Personen zur Tragung der Kosten verpflichtet sind,
fließen die von ihnen gezahlten Kosten in die Reichskasse.
[2] In den zur Zuständigkeit des Staatsgerichtshofs gehörenden Sachen finden
das Gerichtskostengesetz und die Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige
entsprechende Anwendung. Die Gebühren der Rechtsanwälte bestimmen sich nach den
Vorschriften der Gebührenordnung für Rechtsanwälte, die für die vor dem
Reichsgericht in erster Instanz zu verhandelnden Sachen gelten.
[3] Die Vorschriften des Gesetzes, betreffend die Entschädigung der im
Wiederaufnahmeverfahren freigesprochenen Personen, vom 20. Mai 1898 (Reichsgesetzbl.
S. 345) und des Gesetzes, betreffend die Entschädigung für unschuldig erlittene
Untersuchungshaft, vom 14. Juli 1904 (Reichsgesetzbl. S. 321) finden entsprechende
Anwendung.
§ 13
Die Verordnung tritt gleichzeitig mit der Verordnung in Kraft,
durch die der Reichsminister der Justiz gemäß § 27
des Gesetzes zum Schutze der Republik den
Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik für errichtet erklärt.
Berlin, den 29. Juli 1922.
Der Reichsminister der Justiz
Dr. Radbruch
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