[Zweites] Gesetz zum Schutze der Republik.
Vom 25. März 1930.
Der Reichstag hat das folgende Gesetz beschlossen, das mit Zustimmung des
Reichsrats hiermit verkündet wird:
§ 1
[1] Wer an einer Verbindung oder Verabredung teilnimmt, die
Verbrechen wider das Leben bezweckt oder als Mittel für andere Zwecke in Aussicht nimmt,
oder wer eine solche Verbindung unterstützt, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten
bestraft.
[2] Nach diesen Vorschriften wird nicht bestraft, wer der Behörde oder
dem Bedrohten so rechtzeitig Nachricht gibt, daß eine Verfolgung der Bestrebungen
der Verbindung oder Verabredung beabsichtigtes Verbrechen wider das Leben verhindert
werden kann.
§ 2
[1] Wer von dem Bestehen einer im § 1 genannten
Verbindung oder Verabredung oder von dem Plane oder dem Vorhaben, eine Person zu töten,
glaubhafte Kenntnis erhält und es unterläßt, von dem Bestehen der Verbindung oder
Verabredung, von dem Plane oder dem Vorhaben und von den ihm bekannt gewordenen
Beteiligten der Behörde oder dem Bedrohten rechtzeitig Anzeige zu
machen, wird mit Gefängnis bestraft.
[2] Ein Geistlicher ist nicht verpflichtet, anzuzeigen, was ihm bei Ausübung der
Seelsorge anvertraut worden ist.
[3] Wer eine Anzeige unterläßt, die er gegen Verwandte auf- und absteigender
Linie, Ehegatten oder Geschwister erstatten müßte, ist straffrei, wenn er sich ernstlich
bemüht hat, sie von der Tat abzuhalten oder den Erfolg abzuwenden, es
sei denn, daß es zu einer Tötung oder einem Tötungsversuche gekommen ist, die bei
rechtzeitiger Erstattung der Anzeige hätten verhindert werden können. Unter denselben
Voraussetzungen ist ein Rechtsanwalt, Verteidiger oder Arzt straffrei, der
nicht anzeigt, was ihm bei Ausübung seines Berufs anvertraut worden ist.
§ 3
[1] Wer gegen den Reichspräsidenten oder gegen ein Mitglied der
Reichsregierung oder einer Landesregierung einen Angriff auf Leib und Leben
(Gewalttätigkeit) begeht, wird, soweit nicht andere Vorschriften einen schwerere Strafe
androhen, mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft.
[2] Wer eine solche Gewalttätigkeit mit einem anderen verabredet oder, nachdem sie
begangen worden ist, belohnt, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren, jedoch nicht unter
einem Monat, bestraft.
§ 4
Mit Gefängnis nicht unter drei Monaten wird,
soweit nicht andere Vorschriften eine schwerere Strafe androhen, bestraft: |
- wer an einer geheimen oder staatsfeindlichen Verbindung (§§ 128, 129 des
Strafgesetzbuchs), die die Bestrebung verfolgt, die verfassungsmäßige
republikanische Staatsform des Reichs oder eines Landes zu untergraben, teilnimmt oder wer
eine solche Verbindung unterstützt;
- wer sich einer geheimen oder staatsfeindlichen Verbindung (§§ 128, 129 des
Strafgesetzbuchs) anschließt, die selbst oder deren Mitglieder unbefugt Waffen besitzen.
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§ 5
[1] Mit Gefängnis nicht unter drei Monaten,
neben dem auf Geldstrafe erkannt werden kann, wird bestraft, wer öffentlich oder in einer
Versammlung |
- die verfassungsmäßig festgestellte republikanische Staatsform des Reichs oder eines
Landes beschimpft oder böswillig und mit Überlegung verächtlich macht oder dadurch
herabwürdigt, daß er den Reichspräsidenten oder ein Mitglied des Reichs- oder einer
Landesregierung beschimpft oder verleumdet;
- die Farben oder Flaggen des Reichs oder eines Landes beschimpft oder böswillig und mit
Überlegung herabzusetzen sucht;
- einen verstorbenen Reichspräsidenten oder ein verstorbenes Mitglied der Reichsregierung
oder einer Landesregierung in Beziehung auf sein Amt beschimpft oder verleumdet;
- zu Gewalttätigkeiten gegen andere wegen ihrer politischen Betätigung oder zu
Gewalttätigkeiten der im § 3 Abs. 1 bezeichneten Art auffordert
oder eine solche Gewalttätigkeit, nachdem sie begangen worden ist, oder einen Hochverrat
(§§ 81 bis 86 des Strafgesetzbuchs), der gegen die verfassungsmäßig festgestellte
republikanische Staatsform des Reichs oder eines Landes oder den
Bestand des Reichs oder eines Landes begangen worden ist, verherrlicht oder
ausdrücklich billigt.
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[2] Sind mildernde Umstände vorhanden, so ist
die Strafe Gefängnis, neben dem auf Geldstrafe erkannt werden kann. |
§ 6
[1] Die Verurteilung zu Zuchthaus wegen Hochverrats oder wegen
eines Verbrechens nach § 1 Abs. 2 dieses Gesetzes hat außer den im §
31 des Strafgesetzbuchs genannten Folgen den Verlust der aus öffentlichen Wahlen
hervorgegangenen Rechte von Rechts wegen zur Folge.
[2] Wird wegen Hochverrats oder wegen einer der in den §§ 1 bis 5 dieses Gesetzes bezeichneten Handlungen auf Gefängnis erkannt, so kann
zugleich auf Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter oder bei Soldaten auf
Lösung des Dienstverhältnisses erkannt werden. Soweit nach anderen Vorschriften auf
Verlust der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte erkannt werden kann, behält
es dabei sein Bewenden.
§ 7
Deutsche und Ausländer können wegen der in den §§ 1
bis 5 bezeichneten Handlungen auch dann verfolgt werden, wenn diese Taten
im Ausland begangen sind.
§ 8
[1] Versammlungen, in denen Zuwiderhandlungen gegen die §§ 1, 3, 4 oder 5 den
Frieden stören und geduldet werden, können durch Beauftragte der Polizeibehörde
aufgelöst werden.
[2] Für die Mitteilung der Gründe der Auflösung, für das Beschwerdeverfahren
und für die Bestrafung von Zuwiderhandlungen gelten die Vorschriften der § 2 Abs. 2, §
14 Abs. 2, §§ 16 und 18 Nr. 4 des Reichsvereinsgesetzes.
§ 9
[1] Sofern der Zweck eines Vereins den Strafbestimmungen dieses
Gesetzes oder den §§ 81 bis 86 des Strafgesetzbuchs zuwiderläuft, sind für seine nach
§ 2 Abs. 1 des Reichsvereinsgesetzes zulässige Auflösung die obersten
Landesbehörden oder die von ihnen bestimmten Stellen zuständig.
[2] Der Reichsminister des Innern kann die obersten Landesbehörden um die
Auflösung ersuchen. Glaubt die oberste Landesbehörde, einem solchen Ersuchen
nicht entsprechen zu können, so teilt sie dies unverzüglich auf telegraphischem
oder telephonischem Wege, spätestens aber am zweiten Tage nach Empfang des
Ersuchens dem Reichsminister des Innen mit und ruft gleichzeitig auf
demselben Wege die Entscheidung des Reichsverwaltungsgerichts an.
Entscheidet dieses für die Auflösung, so hat die oberste Landesbehörde die
erforderlichen Maßnahmen sofort zu treffen.
[3] Gegen die Anordnung der Auflösung eines Vereins ist binnen zwei Monaten vom
Tage der Zustellung oder Veröffentlichung ab die Beschwerde zulässig; sie hat keine
aufschiebende Wirkung. Die Beschwerde ist bei der Stelle einzureichen, gegen deren
Anordnung sie gerichtet ist. Diese hat sie unverzüglich an die oberste Landesbehörde
abzugeben. Die oberste Landesbehörde kann der Beschwerde außer im Falle des Abs. 2
abhelfen; andernfalls hat sie die Beschwerde unverzüglich dem Reichsverwaltungsgerichte
zur Entscheidung vorzulegen. Gegen eine Entscheidung der obersten Landesbehörde, die der
Beschwerde abhilft, kann der Reichsminister des Innern die Entscheidung des
Reichsverwaltungsgerichts anrufen.
[4] Solange das Reichsverwaltungsgericht nicht besteht, tritt an seine Stelle ein
Senat des Reichsgerichts, der durch den Geschäftsverteilungsplan bestimmt wird. Der
Reichsminister erläßt im Einvernehmen mit dem Reichsminister der Justiz und mit
Zustimmung des Reichsrats die Vorschriften über das Verfahren.[1]
§ 10
[1] Wird ein Verein, weil sein Zweck den Strafbestimmungen dieses
Gesetzes oder der §§ 81 bis 86 des Strafgesetzbuchs zuwiderläuft, aufgelöst, so kann
sein Vermögen zugunsten des Landes beschlagnahmt und eingezogen werden.
[2] Zur Vermeidung von Härten kann das Land aus dem eingezogenen Vereinsvermögen
Gläubiger des Vereins befriedigen.
§ 11
[1] Wer sich an einem Verein, der wegen eines den
Strafbestimmungen dieses Gesetzes oder der §§ 81 bis 86 des Strafgesetzbuchs
zuwiderlaufenden Zwecks aufgelöst worden ist, als Mitglied beteiligt oder ihn auf andere
Weise unterstützt oder den durch den Verein geschaffenen organisatorischen Zusammenhalt
weiter aufrechterhält, wird mit Gefängnis nicht unter einem Monat bestraft.
[2] Neben der Gefängnisstrafe kann auf Geldstrafe erkannt werden.
§ 12
Die Vorschriften des Gesetzes über die Presse vom 7. Mai 1874
(Reichsgesetzbl. S. 65) über die Beschlagnahme von Druckschriften ohne richterliche
Anordnung (§§ 23 ff. des Gesetzes) finden auf die in den §§ 1, 4 und 5 dieses Gesetzes und in den §§ 81 bis 86 und 110
des Strafgesetzbuchs bezeichneten strafbaren Handlungen mit der Maßgabe Anwendung, daß
der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluß des Gerichts, der die vorläufige Beschlagnahme
aufhebt, die sofortige Beschwerde mit aufschiebender Wirkung zusteht.
§ 13
[1] Wird durch den Inhalt einer periodischen Druckschrift die
Strafbarkeit einer der in den §§ 1, 4 und 5
dieses Gesetzes und in den §§ 81 bis 86 des Strafgesetzbuchs bezeichneten Handlungen
begründet, so kann die periodische Druckschrift, wenn es sich um eine Tageszeitung
handelt, bis auf die Dauer von vier Wochen, in anderen Fällen bis auf die Dauer von sechs
Monaten verboten werden. Auf die Zuständigkeit und das Verfahren finden die Vorschriften
des § 9 Anwendung.[2]
[2] Das Verbot einer Druckschrift umfaßt auch jede angeblich neue Druckschrift,
die sich fachlich als die alte darstellt.
§ 14
[1] Wer eine nach § 13 verbotene periodische
Druckschrift herausgibt, verlegt, druckt oder verbreitet, wird mit Gefängnis nicht unter
drei Monaten bestraft, neben dem auf Geldstrafe erkannt werden kann.
[2] Für die Beschlagnahme solcher Druckschriften gelten die Vorschriften des § 12.
§ 15
Dieses Gesetz tritt mit dem Tage nach der Verkündung in Kraft.[3] Es tritt mit dem Inkrafttreten des neuen Allgemeinen
Deutschen Strafgesetzbuchs, spätestens aber am 31. Dezember 1932 außer Kraft.[4]
Berlin, den 25. März 1930.
Der Reichspräsident
von Hindenburg
Der Reichsminister des Innern
Severing
Reichsminister der Justiz
v. Guérard
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