Verordnung,
betreffend die Disciplinarbestrafung in der Marine des Reichs.
[vom 8. März 1849]
Der Reichsverweser, in Erwägung, daß die Flotte ihre
ehrenvolle Aufgabe nicht zu lösen und die auf sie gestellten Hoffnungen des deutschen
Volkes nicht zu erfüllen vermag, wenn nicht jeder Offizier, Deckoffizier, Unteroffizier,
Matrose und Marinier, sowie jeder andere in ihr Angestellte und zum Dienste in ihr
Berufene, in der ihm angewiesenen Stelle willig und gehorsam die Anordnungen und Befehle
seines Vorgesetzten pünktlich und ohne Widerspruch vollzieht, verordnet wie folgt:
Tit. I.
Umfang der Disciplinarstrafgewalt.
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§. 1.
Der Disciplinarbestrafung sind die zur deutschen Marine
gehörenden und alle andern unter der deutschen Kriegsflagge befindlichen Personen
unterworfen.
§. 2.
Der Disciplinarbestrafung unterliegen: |
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1) Zuwiderhandlungen gegen die zur Handhabung der Schiffsordnung
ertheilten Vorschriften;
2) Nachlässigkeiten in Beziehung auf den Dienst, namentlich Verwahrlosung der
Schiffsgeräthschaften, der Wach- und Signalfeuer, der Waffen- und Montirungsstücke,
Fehlen oder zu spätes Erscheinen zum Dienst, Ausbleiben über Urlaub, Unreinlichkeit,
Unrichtigkeit der Meldungen, Unterlassung oder nachlässige Ausführung der
vorgeschriebenen Visitationen und dergleichen;
3) Dienstwidrige Handlungen, namentlich Uebertretung der Wachinstruction bei Verrichtung
des Wachdienstes, Anzünden von Feuer oder Licht in Zeiten oder an Orten, wo dies verboten
ist, heimliche Entfernung vom Schiffe oder Fahrzeug, Einschwärzung feuerfangender
Gegenstände und geistiger Getränke, vorschriftswidriges Anreden der Vorgesetzten,
ordnungswidriges Verhalten im Arrest u. s. w.;
4) Ungehorsam und unschickliche Aeußerungen gegen den Vorgesetzten;
5) Unwürdige Behandlung der Untergebenen und unstatthafte Nachsicht gegen die strafbaren
Handlungen und Unterlassungen der Untergebenen;
6) Leichtsinniges Schuldenmachen, verbotenes Spielen, Geldborgen von Untergebenen und
andere Handlungen, welche unpassende Verhältnisse zu den Untergebenen herbeiführen;
7) Streitigkeiten und Schlägereien der Mannschaften unter sich, oder mit andern Personen,
wenn nicht schwere Verletzungen dabei vorgekommen sind;
8) Unsittlichkeiten und Ausschweifungen jeder Art, namentlich Trunkenheit und unzüchtiger
Lebenswandel;
9) Unerlaubter Gebrauch fremden Eigenthums;
10) Kleine Diebstähle, Unterschlagung und Betrügereien. |
Tit. II.
Disciplinarstrafen für die Offiziere und Mannschaften.
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§. 3.
Die Disciplinarstrafen sind:
A. Für Offiziere, Deckoffiziere und die mit ihnen in gleichem Range
stehenden Personen.
1) Verweise: |
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a) ohne Zeugen oder im Beisein eines Offiziers - einfacher Verweis;
b) vor versammeltem Offizier-Corps - strenger Verweis; |
2) Schiffsarrest bis zu vier Wochen;
3) Hütten- (Cajütten-) Arrest bis zu einer Woche und zwar: |
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a) einfacher Arrest, wobei der Arrestant bis den Dienst versieht;
b) strenger Arrest mit Suspension vom Dienst, in beiden Fällen mit oder ohne Gestattung
des Verkehrs mit anderen Personen, und
c) geschärfter Arrest unter Verschluß oder Bewachung durch eine Schildwache. |
B. Für Schiffsfähndriche und See-Junker.
1) Verweise: |
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a) vor versammeltem Offizier-Corps;
b) im Beisein ihrer Kameraden; |
2) Strafwachen;
3) Schiffsarrest bis zu vier Wochen;
4) Arrest bei der Schildwache an der Capitains-Cajüte oder auf dem Hinterdeck bis
zu 48 Stunden, in angemessenen Zwischenräumen. |
C. Für Unteroffiziere und die mit ihnen in gleichem Range stehenden
Personen.
1) Verweise vor versammeltem Offizier-Corps im Beisein ihrer Kameraden;
2) Entziehung geistiger Getränke;
3) Strafwachen bei Tage;
4) Schiffsarrest bis zu vier Wochen;
5) Arrest bei der Schildwache bis auf 48 Stunden in angemessenen Zwischenräumen;
6) Einsamer Arrest mit Heranziehung zum Dienst;
7) Versetzung in eine niedere Rangstufe bis auf vier Wochen mit Herabsetzung der
Löhnung;
8) Degradation für unbestimmte Zeit (§. 17).
D. Für Matrosen, Soldaten und alle andere Personen, die nicht zu den
unter A. B. und C. Genannten gehören.
1) Entziehung geistiger Getränke;
2) Strafwachen bei Tage;
3) Nachexerziren;
4) Strafarbeiten, namentlich Eisenputzen, Reinigung der Waffen und Verrichtung
schmutziger Arbeiten;
5) Essen am nicht numerirten Platz (am Back-Rull);
6) Schiffsarrest bis zu vier Wochen;
7) Fesselung, durch Anlegen von Eisen an einem Fuß oder an beide Füße, bis zu
einer Woche;
8) Schließen an Deck mit einem Fuß oder mit beiden Füßen, höchstens zwei Tage
und eine Nacht, in beiden Fällen (No. 7 und 8) ohne weitere Verschärfung, oder einen Tag
um den andern bei Wasser und Brod und mit oder ohne Verlust der Löhnung.
9) Gefängniß einen Tag um den andern bei Wasser und Brod mit Verlust der Löhnung
bis zu fünf Tagen;
10) Anbinden an den Mast, dergestalt, daß der Bestrafte zwar aufrecht stehen,
nicht aber sich setzen oder niederlegen kann, täglich zwei Stunden und höchstens drei
Tage hintereinander;
11) Versetzung in die Strafklasse mit Entziehung von einem Viertel bis zur Hälfte
der Löhnung.
Tit. III.
Kompetenz der Befehlshaber zur Disciplinarbastrafung.
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§. 4.
[1] Die Disciplinarstrafgewalt steht im vollem Umfange (§. 3) dem kommandirenden Offizier eines Schiffes oder andern Fahrzeuges über
sämmtliche ihm untergebenen Offiziere und Mannschaften zu.
[2] Dieselbe ist nicht an die Charge, sondern an die Function geknüpft und geht
während der Stellvertretung auf den Stellvertreter im Kommando über.
§. 5.
[1] Die Kompetenz der einem
kommandirenden Offizier (§. 4) vorgesetzten höhern Befehlshaber zur
Disciplinarbestrafung tritt ein, wenn die dazu geeignete strafbare Handlung |
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a) unter ihren Augen begangen, oder
b) ihnen zur Entscheidung oder zur Bestimmung der Strafe gemeldet, oder
c) von dem Kommandirenden unbestraft gelassen ist. |
[2] Wenn die höheren Befehlshaber
hiernach in den Fall kommen, Disciplinarstrafen zu verfügen, so sind auch für sie,
sowohl hinsichtlich der Art, als der Dauer der Strafen die Vorschriften des §. 3 maßgebend. |
§. 6.
[1] Die in den §§. 4 und 5
genannten Offiziere, die Schiffsfähndriche, die Deckoffiziere, die See-Junker und die
Unteroffiziere haben zwar keine Disciplinargewalt, sie sind aber ebenso berechtigt wie
verpflichtet, die nach dem Grade oder bei gleichem Grade nach dem Dienstalter unter ihnen
stehende Personen zu verhaften, oder eine Verhaftung zu erwirken, wenn zur Erhaltung der
Disciplin solches erforderlich ist.
[2] Eine solche Verhaftung muß von ihnen sofort dem nächsten mit
Disciplinargewalt versehenen Vorgesetzten des Verhafteten gemeldet werden.
§. 7.
[1] In außerordentlichen Fällen, insbesondere wenn das Schiff
oder Fahrzeug sich in See befindet, imgleichen bei der Weigerung, den zur Beseitigung
dringender Gefahr ertheilten Dienstbefehlen pünktlich Folge zu leisten, oder
pflichtwidrigen Handlungen zu unterlassen, stehen jedem Offizier und Deckoffizier, unter
strenger Verantwortlichkeit für die ergriffenen Maßregeln, ebenso wie jedem
kommandirenden Offizier und höhern Befehlshaber, alle Mittel zu Gebote, seinen Befehlen
den nöthigen Gehorsam zu verschaffen.
[2] Dieselbe Befugniß unter gleicher Verantwortlichkeit hat jeder Offizier, ohne
Rücksicht auf den Rang und Grad, und jeder Deckoffizier zum Zweck der Abwehr eines
thätlichen Angriffs des Untergebenen, im Fall der äußersten Bedrängniß.
Tit. IV.
Bestimmung über die Ausübung der Disciplinargewalt.
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§. 8.
Jeder mit Disciplinarstrafgewalt versehene kommandirende Offizier
ist verpflichtet, vor Verhängung einer Disciplinarstrafe von der Verschuldung des zu
Bestrafenden auf eine seinem pflichtmäßigen Ermessen überlassene Weise sich zu
überzeugen.
§. 9.
Die Anordnung einer Untersuchung zum Zwecke der
Disciplinarbestrafung ist zwar nur in den Fällen, wo es der §. 13
vorschreibt, erforderlich, aber der kommandirende Offizier muß auch in anderen Fällen,
insofern er über die Schuld oder den Grad der Strafbarkeit zweifelhaft ist, vor
Verfügung der Strafe den Hergang der Sache durch mündliche Verhandlungen näher
aufklären.
§. 10.
Die Art und das Maß der Disciplinarstrafe hat der kommandirende
Offizier oder Befehlshaber innerhalb der Grenzen seiner Disciplinarstrafgewalt mit
Berücksichtigung der Individualität des zu Bestrafenden, seiner bisherigen Führung und
des durch die Uebertretung mehr oder minder gefährdeten Dienstinteresses zu bestimmen.
§. 11.
Ein und dieselbe strafbare Handlung darf nur Ein Mal bestraft
werden. Auch muß die zu erwählende Strafart der strafbaren Handlung möglichst
entsprechen.
§. 12.
Die härterem Strafgrade müssen in der Regel
eintreten: |
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1) wenn die strafbare Handlung zur Nachtzeit begangen worden ist;
2) wenn der zu Bestrafende bereits früher wegen eines selchen, als des zur Bestrafung
vorliegenden Vergehens bestraft worden ist. |
§. 13.
Die Verfügung folgender im §. 3
aufgeführten Strafen: |
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A. N°. 3 c. Geschärfter Arrest unter Verschluß oder Bewachung durch
eine Schildwache,
C. N°. 7 und 8. Versetzung in eine niedere Rangstufe auf kurze Zeit und Degradation,
D. N°. 10 und 11. Anbinden an den Mast u. s. w. und Versetzung in die Strafklasse, |
kann nur erfolgen, wenn zuvor wegen des Vergehens, wofür
eine dieser Strafen eintreten soll, durch eine vom kommandirenden Offizier zu ernennende,
aus drei Offizieren oder Deckoffizieren bestehende Kommission eine
Disciplinar-Untersuchung stattgefunden hat, und von dieser Kommission in dem, über das
Ergebniß der Untersuchung zu erstattenden, schriftlichen Berichte die Verhängung einer
der erwähnten Strafen beantragt wird. |
Tit. V.
Bestimmung über die Vollstreckung der Disciplinarstrafen.
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§. 14.
Die Vollstreckung der Disciplinarstrafen muß, sofern die
Umstände es irgend gestatten, sogleich nach der Festsetzung erfolgen.
§. 15.
Bei Vollziehung der Disciplinarstrafen ist sorgfältig darauf zu
achten, daß sie der Gesundheit des zu Bestrafenden nicht nachtheilig werden. Läßt der
Gesundheitszustand desselben nach dem Urtheile des Schiffsarztes die Vollstreckung der
verhängten Strafe nicht zu, so muß eine gelindere Strafe gewählt werden.
§. 16.
Bei dem Schließen in Eisen ist die Fesselung so einzurichten,
daß dadurch zwar der Gang erschwert, die Bewegung aber nicht gehemmt wird. Auch darf die
Fesselung nicht in Eisenstangen bestehen.
§. 17.
Die Aufhebung der Strafe der Degradation und der Versetzung in die
Strafklasse, kann bei fortgesetzter guter Führung des Bestraften nach drei Monaten auf
Antrag des kommandirenden Offiziers durch den ihm zunächst im Kommando Vorgesetzten
erfolgen.
§. 18.
Ueber die Disciplinarbestrafungen wird auf jedem Schiff und Fahrzeuge ein Strafregister geführt, für dessen Richtigkeit der
kommandirende Offizier verantwortlich ist.
Tit. VII.
Beschwerdeführung über Disciplinarbestrafung.
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§. 19.
Beschwerden über Disciplinarbestrafung dürfen nur bei dem
unmittelbaren Vorgesetzten desjenigen kommandirenden Offiziers, welcher die Strafe
verfügt hat, im Dienstwege und blos von dem Bestraften selbst angebracht werden.
Tit. VIII.
Aufsichtsführung über die Ausübung der Disciplinarstrafgewalt.
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§. 20.
Die gerechte und zweckmäßige Anwendung der
Disciplinarstrafgewalt auf den einzelnen Schiffen und Fahrzeugen haben die höhern
Befehlshaber, namentlich durch sorgfältige Prüfung der Strafliste, genau zu überwachen.
§. 21.
Finden die höheren Befehlshaber, daß ein ihnen untergebener
kommandirender Offizier bei der Disciplinarbestrafung ungesetzlich verfahren ist, so sind
sie verpflichtet, die Ueberschreitungen der Disciplinarstrafgewalt, nach Maßgabe der
Verschuldung, entweder disciplinarisch zu rügen, oder die gerichtliche Untersuchung und
Bestrafung zu veranlassen.
Tit. IX.
Besondere Bestimmungen für die Zeit, wo Offiziere oder Mannschaften sich am Lande
befinden.
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§. 22.
[1] Die Vorschriften der §§. 2. bis 18. finden keine Anwendung auf die zur deutschen Marine gehörenden
Personen, welche am Lande sich befinden, ohne zur Besatzung eines ausgerüsteten oder in
der Ausrüstung begriffenen Schiffes oder sonstigen Fahrzeuges zu gehören.
[2] Für dieselben gelten nach Maßgabe ihrer Charge und ihres Ranges die
Vorschriften über die Disciplinarbestrafung im Heere [vgl. dazu Disciplinar-Strafordnung für das deutsche
Reichsheer], wobei dem Capitain die Disciplinarstrafgewalt in dem Umfange eines
Regiments-Befehlshabers über seine Untergebenen zusteht.
§. 23.
Mit der Ausführung dieser Verordnung wird der Reichsminister der Marine
beauftragt.
Frankfurt, den 8. März 1849.[1]
Der Reichsverweser
Erzherzog Johann. |
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Der Reichsminister des Handels |
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ad interim mit der Verwaltung des
Marine-Departements beauftragt: |
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Duckwitz.
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