Antrag der Bundesregierung auf Einsatz bewaffneter deutscher
Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe
gegen die USA
vom 7. November 2001[1]
Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der
gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Art. 51 der Satzung
der Vereinten Nationen und des Art. 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrats
der Vereinten Nationen
Der Deutsche Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag hat am 19. September die menschenverachtenden Terroranschläge in
den Vereinigten Staaten von Amerika aufs Schärfste verurteilt, die Solidarität
Deutschlands mit dem amerikanischen Volk bekundet und die Resolution 1368 (2001) des Sicherheitsrats
der Vereinten Nationen begrüßt, mit der die Anschläge als eine Bedrohung des
internationalen Friedens und der Sicherheit gewertet werden, gegen die das Recht der
individuellen und kollektiven Selbstverteidigung gegeben ist. Der Deutsche Bundestag hat
darüber hinaus seine Unterstützung für die Bereitschaft der Bundesregierung zum
Ausdruck gebracht, konkrete Maßnahmen des Beistands für die Vereinigten Staaten zu
ergreifen, zu denen politische und wirtschaftliche Unterstützung sowie die Bereitstellung
geeigneter militärischer Fähigkeiten zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus
zählen.
Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen gibt das Recht auf
individuelle oder kollektive Selbstverteidigung gegen die terroristischen Angriffe vom 11.
September 2001 auch mit militärischen Mitteln. Auf dieses Recht hat der Sicherheitsrat
der Vereinten Nationen mit der Resolution 1368 (2001) vom 12. September
2001 hingewiesen. Die Resolution 1373
(2001) vom 28. September ruft die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen darüber hinaus
zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus mit politischen, wirtschaftlichen,
polizeilichen und gesetzgeberischen Maßnahmen auf.
Das Regime der Taliban in Afghanistan beherbergt seit Jahren Führer und Ausbilder von
Terroristen, die weltweit agieren und zu denen die Täter von New York und Washington vom
11. September 2001 gehörten. Auch nach den Anschlägen gegen die USA stellt sich das
Regime in Kabul schützend vor diese Strukturen, die zusammenfassend als "Al
Qaida" bezeichnet werden. Sprecher der Al Qaida haben öffentlich weitere Angriffe
auf die USA angekündigt und andere dazu aufgerufen. Das Taliban-Regime macht sich mit der
Beherbergung und dem Schutz für eine solche Gruppierung, die in ihrer
menschenverachtenden Gesinnung eine spätestens jetzt offenbar gewordene Bedrohung aller
Völker darstellt, zum Mittäter geschehener und möglicher weiterer Terrorangriffe.
Deutschland beteiligt sich an einer Koalition aus zahlreichen Staaten der Welt, die dem
Aufruf des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen gefolgt sind. Zur Bekämpfung des
Terrorismus müssen die Staaten dieser Koalition in einem langfristigen, strategischen
Ansatz mit politischen Instrumenten die Bereitschaft beseitigen, das unheilvolle Wirken
solcher Terrorgruppierungen zu unterstützen. Die Grundlagen für die Vorbereitung und
Durchführung von terroristischen Handlungen im wirtschaftlichen Bereich, auf den
Finanzmärkten, beim internationalen Verkehr und bei illegalem Handel mit Waffen, Drogen
und auch mit Menschen, müssen entzogen werden.
Der Einsatz militärischer Mittel ist unverzichtbar, um die terroristische Bedrohung zu
bekämpfen und eine Wiederholung von Angriffen wie am 11. September 2001 nach Möglichkeit
auszuschließen. Der Deutsche Bundestag stimmt daher der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an der Operation ENDURING FREEDOM zu, wie sie die Bundesregierung am 7.
November 2001 auf der Grundlage der Art. 51
der Satzung der Vereinten Nationen und Art. 5
Nordatlantikvertrag sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrats
der Vereinten Nationen beschlossen hat.
Der Beschluss der Bundesregierung lautet:
1. Völkerrechtliche Grundlagen und politische Rahmenbedingungen
Am 11. September 2001 verübten Terroristen mit vier entführten Zivilluftfahrzeugen
Anschläge in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA), bei denen viele tausend Menschen
ihr Leben verloren, die zwei Hauptgebäude des "World Trade Center" zerstört
und das Pentagon stark beschädigt wurden. Am 12. September 2001 verabschiedete der
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Resolution 1368 (2001), die die Anschläge
als Bedrohung für den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit
qualifiziert. Die Resolution
bestätigt die Notwendigkeit, alle erforderlichen Schritte gegen solche Bedrohungen zu
unternehmen und unterstreicht das Recht zur individuellen und kollektiven
Selbstverteidigung.
Am 12. September 2001 beschloss der
NATO-Rat, dass die Terrorangriffe - sofern sie von außen gegen die USA gerichtet
waren - als Angriffe auf alle Bündnispartner im Sinne der Beistandsverpflichtung des Art.
5 des Nordatlantikvertrages zu betrachten seien. Am 2. Oktober 2001 legten die USA im
NATO-Rat dar, dass die Angriffe nachweislich von außen gegen die USA gerichtet waren.
Daraufhin bekräftigte und präzisierte der NATO-Rat am 4. Oktober 2001 die
Beistandsverpflichtung aus Art. 5. Damit ist auch die Bundesrepublik Deutschland
aufgefordert, im Rahmen der kollektiven Selbstverteidigung zu Maßnahmen der
Bündnispartner gegen den Terrorismus beizutragen.
Am 7. Oktober 2001 unterrichteten die USA und das Vereinigte Königreich von
Großbritannien und Nordirland den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen über ihre
Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus gemäß Art. 51 der Satzung
der Vereinten Nationen im Rahmen der Operation ENDURING FREEDOM. In seiner
Presseerklärung vom 8. Oktober 2001 würdigte der Präsident des Sicherheitsrats der
Vereinten Nationen die Unterrichtung durch diese beiden Staaten und bekräftigte die
Entschlossenheit, Resolution 1368
(2001) und die ergänzende, am 28. September 2001 verabschiedete Resolution 1373 (2001) vollständig
umzusetzen.
2. Verfassungsrechtliche Grundlagen
Der Deutsche Bundestag hat mit Beschluss vom 19. September 2001 die Verpflichtungen der
Bundesrepublik Deutschland aus Art. 5 Nordatlantikvertrag bekräftigt und die
Bereitstellung militärischer Fähigkeiten in Aussicht gestellt. Die deutschen
Streitkräfte handeln bei der Beteiligung an der Bekämpfung des internationalen
Terrorismus in Wahrnehmung des Rechts zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung
im Rahmen und nach den Regeln eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne
des Art. 24 Abs. 2 Grundgesetz. Der Einsatz dieser Kräfte darf
erfolgen, sobald der Deutsche Bundestag seine konstitutive Zustimmung erteilt hat.
3. Auftrag
Gegen Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit durch terroristische
Handlungen sind nach der Resolution 1368 (2001) alle erforderlichen
Schritte zu unternehmen. Deutsche Streitkräfte wirken mit den USA und Partnerstaaten auf
der Grundlage des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Art. 5
Nordatlantikvertrag bei der militärischen Bekämpfung des internationalen Terrorismus
zusammen. Dazu beteiligt sich die Bundeswehr an der Operation ENDURING FREEDOM. Diese
Operation hat zum Ziel, Führungs- und Ausbildungseinrichtungen von Terroristen
auszuschalten, Terroristen zu bekämpfen, gefangen zu nehmen und vor Gericht zu stellen
sowie Dritte dauerhaft von der Unterstützung terroristischer Aktivitäten abzuhalten.
Deutsche bewaffnete Streitkräfte tragen dazu mit ihren Fähigkeiten bei. Der Beitrag
schließt auch Leistungen zum Zweck humanitärer Hilfe ein.
4. Ermächtigung zum Einsatz, Beginn und Dauer
Der Bundesminister der Verteidigung wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem
Bundesminister des Auswärtigen für die deutsche Beteiligung an der Operation ENDURING
FREEDOM in Ziffer 5 und 8 genannte Kräfte anzuzeigen
und - nach der konstitutiven Zustimmung durch den Deutschen Bundestag - im Rahmen der
Operation ENDURING FREEDOM einzusetzen.
Diese Operation hat am 7. Oktober 2001 begonnen. Ihre Dauer richtet sich nach den
Erfordernissen der vielfältigen internationalen Bemühungen als Reaktion auf
terroristische Angriffe gegen die USA. Die Beteiligung mit deutschen Streitkräften an der
Operation ENDURING FREEDOM ist zunächst auf zwölf Monate begrenzt; der Zeitraum beginnt
mit der Zustimmung des Deutschen Bundestages zur deutschen Beteiligung an dieser
Operation. Sollte ein über diesen Zeitraum hinaus gehendes deutsches militärisches
Engagement beabsichtigt werden, wird die Bundesregierung den Deutschen Bundestag mit der
weiteren Beteiligung deutscher Kräfte vor Ablauf der Frist von zwölf Monaten erneut
konstitutiv befassen.
5. Einzusetzende Kräfte
Für die deutsche Beteiligung an der Operation ENDURING FREEDOM werden Kräfte der
Bundeswehr für Einsatz und Einsatzunterstützung, Führung und Aufklärung
einschließlich der Beteiligung an internationalen militärischen Hauptquartieren und in
integrierter Verwendung sowie als Verbindungsorgane zu internationalen Organisationen und
nationalen militärischen Dienststellen bereitgestellt.
Im Rahmen der Operation ENDURING FREEDOM werden bis zu 3900 Soldaten mit entsprechender
Ausrüstung bereitgestellt:
ABC-Abwehrkräfte, ca. 800 Soldaten,
Sanitätskräfte, ca. 250 Soldaten,
Spezialkräfte, ca. 100 Soldaten,
Lufttransportkräfte, ca. 500 Soldaten,
Seestreitkräfte einschließlich Seeluftstreitkräfte, ca. 1800 Soldaten,
erforderliche Unterstützungskräfte, ca. 450 Soldaten.
Unterhalb der festgelegten Obergrenze von 3900 Soldaten sind in Abhängigkeit von den
Erfordernissen des Einsatzes Abweichungen von der jeweils genannten Größenordnung
möglich.
Zur Vorbereitung des Einsatzes können Teile dieser Kräfte innerhalb des Einsatzgebiets
gemäß Ziffer 7 verlegt werden; im weiteren werden Kräfte verlegt, wenn
es die Lage erfordert. Zusätzlich werden Verbindungselemente bei Hauptquartieren anderer
Streitkräfte eingesetzt.
Deutsche Soldaten, die im Rahmen von Austauschprogrammen bei den Streitkräften anderer
NATO-Nationen verwendet werden, verbleiben in dieser Verwendung und nehmen auf Ersuchen
der Gastnation an Einsätzen ihrer Streitkräfte im Rahmen der Operation ENDURING FREEDOM
teil.
6. Status und Rechte
Die Anwendung militärischer Gewalt richtet sich nach den für den jeweiligen Einsatzraum
geltenden Einsatzregeln auf der Grundlage des Völkerrechts.
Beim Aufenthalt in NATO-Staaten richten sich Status und Rechte der eingesetzten deutschen
Soldaten nach den zwischen den NATO-Nationen abgeschlossenen Vereinbarungen.
In Nicht-NATO-Staaten richten sich Status und Rechte, soweit nicht allgemeines
Völkerrecht anzuwenden ist,
entweder nach den zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem jeweiligen Aufnahmestaat
getroffenen Vereinbarungen
oder nach Vereinbarungen, die ein Partnerstaat mit dem Aufnahmestaat für das deutsche
Kontingent getroffen hat.
7. Einsatzgebiet
Einsatzgebiet ist das Gebiet gemäß Art. 6 des Nordatlantikvertrags, die arabische
Halbinsel, Mittel- und Zentralasien und Nord-Ost-Afrika sowie die angrenzenden Seegebiete.
Deutsche Kräfte werden sich an etwaigen Einsätzen gegen den internationalen Terrorismus
in anderen Staaten als Afghanistan nur mit Zustimmung der jeweiligen Regierung beteiligen.
8. Personaleinsatz
Es werden eingesetzt nur Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit sowie aufgrund freiwilliger
Verpflichtung für besondere Auslandsverwendungen Grundwehrdienstleistende, die
freiwilligen zusätzlichen Wehrdienst leisten, Reservisten, frühere nicht mehr
wehrpflichtige Soldaten, frühere Soldatinnen sowie ungediente Frauen, die berufsbezogen
eingesetzt werden sollen.
Im Rahmen der Operation ENDURING FREEDOM kann der Einsatz von deutschem Personal in
Kontingenten anderer Nationen sowie der Einsatz von Personal anderer Nationen im Rahmen
des deutschen Kontingents auf der Grundlage bilateraler Vereinbarungen und in den Grenzen
der für Soldaten des deutschen Kontingents bestehenden rechtlichen Bindungen genehmigt
werden.
9. Besondere Auslandsverwendung
Bei dem Einsatz handelt es sich um eine besondere Auslandsverwendung im Sinne des § 58 a
des Bundesbesoldungsgesetzes. Dies gilt nicht für Soldaten, die im Rahmen der Operation
ENDURING FREEDOM ausschließlich in einem NATO-Staat Dienst verrichten und dabei keiner
Bedrohung ausgesetzt sind, die über die dort üblichen Gefahren des täglichen Lebens
hinausgeht.
10. Finanzierung
Die Finanzierung des deutschen Militäreinsatzes ist sichergestellt:
Im laufenden Jahr entstehen nach derzeitiger Einschätzung Mehrausgaben von ca. 50 Mio.
DM. Dieser Betrag wird im Rahmen der Haushaltsermächtigungen durch Umschichtung
finanziert.
Im Jahre 2002 werden zusätzliche Ausgaben bis zu 500 Mio. DM
erforderlich. Sie werden aus den zusätzlichen Anti-Terror-Mitteln finanziert.
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