Rede des Staatsministers im Auswärtigen Amt Dr. Ludger Volmer
(Bündnis 90/Die Grünen) zum Thema "Sicherheit 21 - Was zur Bekämpfung des
internationalen Terrorismus jetzt zu tun ist"
Vom 18. Oktober 2001
Dr. Ludger Volmer, Staatsminister im Auswärtigen Amt [Bündnis 90/Die
Grünen]:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt in der Tat nur wenige Probleme und wenige
Politikbereiche, bei denen die Innen- und die Außenpolitik so eng verzahnt
zusammenarbeiten müssen wie bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus.
Zusammenspielen müssen auf der einen Seite Mechanismen, die repressiv wirken, die in der
Lage sind, die aktuelle Gefahr direkt zu unterdrücken und einzudämmen, und auf der
anderen Seite Mechanismen, die in der Lage sind, das Aufkeimen neuer Gefahren präventiv
zu verhindern. Wir reden also über aktuelles Krisenmanagement und wir reden über
strukturelle Vorkehrungen sowohl im innen- als auch im außenpolitischen Bereich.
Lassen Sie mich einige Aussagen zur Außenpolitik machen. Hierbei ist das Interesse der
Öffentlichkeit fokussiert auf die repressive Ebene, auf die militärische Bekämpfung des
Terrorismus, von der wir glauben, dass sie unvermeidlich ist. Wir brauchen die
militärische Komponente, da der harte Kern des Terrorismus nicht für politische Dialoge
ansprechbar ist. Es ist aber, Herr Schönbohm,
mehr als berechtigt, danach zu fragen, in welche politische Gesamtkonzeption diese
militärischen Aktivitäten eingebettet sind und ob die Außenpolitik ihren Beitrag dazu
leistet, auch die humanitären Probleme zu lösen, die im Zuge der Terrorismusbekämpfung
entstehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Dazu hat das Auswärtige Amt - übrigens in engem Dialog mit Abgeordneten dieses Hauses
und mit den europäischen Partnern - in den letzten Wochen ein Gesamtkonzept entwickelt,
das ich kurz skizzieren möchte.
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Herr Staatsminister, gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Dörflinger? - Bitte.
Thomas Dörflinger (CDU/CSU): Herr Staatsminister, können Sie bestätigen, dass
dem Deutschen Bundestag in seiner 13. Wahlperiode auf der Drucksache 13/4374 ein Antrag
Ihrer Fraktion vorgelegen hat mit dem Titel "Mehr Effektivität und demokratische
Transparenz bei der Gewinnung und Analyse außenpolitischer Erkenntnisse durch Auflösung
des Bundesnachrichtendienstes"?
(Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!)
Können Sie ausschließen, dass dies heute zu den Grundüberzeugungen Ihres Hauses
gehört?
(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Was sagt Ströbele?)
Dr. Ludger Volmer, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Ich kann bestätigen, dass
es in den letzten Jahren eine intensive Diskussion darüber gab, auch in die Richtung, ob
die Geheimdienste in der Form, in der sie existierten, noch in die Zeit passten. Dabei kam
es zu Antworten, die damals vielleicht richtig waren, die angesichts der neuen Situation
so aber nicht mehr tragfähig sind.
(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Ja oder Nein?)
Wir sind der Meinung, dass die Geheimdienste einer Reform bedürfen, dass sie zu einer
intensiveren Zusammenarbeit kommen müssen und dass sie fokussiert werden müssen auf die
neuen Gefahren, während die Geheimdienste, von denen Sie sprechen, noch im Sinne Ihrer
Sicherheitsperzeption auf den Kalten Krieg gerichtet sind, der längst vorbei ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Lachen bei der CDU/CSU und der
FDP)
Der Allgemeine Rat der Europäischen Union war sich gestern einig in den Grundzügen eines
politischen Lösungskonzepts für die Krise in Afghanistan und der Bekämpfung des
Taliban-Regimes. Wir Europäer meinen, dass es eine innerafghanische Lösung geben muss,
an der alle politischen Kräfte beteiligt sein müssen und bei der insbesondere die
paschtunische Mehrheit eine zentrale Funktion bei der Bildung einer neuen Regierung haben
muss. Wir meinen, dass diese Lösung durch die Einberufung der Großen Ratsversammlung
gefunden werden kann und dass der König hierbei eine Katalysatorfunktion einnehmen kann.
Das Auswärtige Amt und die anderen europäischen Partner befinden sich in engem Dialog
mit den entsprechenden Kräften in Afghanistan und mit dem König.
Wir meinen, dass auf der Basis dieser Ratsversammlung ein Verfassungsprozess in Gang
gesetzt werden muss, damit es nicht zu einem Rückfall in das Chaos der Vor-Taliban-Zeit
kommen kann. Wir meinen, dass die Vereinten Nationen eine wichtige, wenn nicht
entscheidende Funktion dabei haben, entsprechende Prozesse zu stabilisieren.
In diesen Zusammenhang gehört auch die Bekämpfung des humanitären Elends. Die
Bundesregierung hat 51 Millionen DM, die Europäische Kommission hat über 600 Millionen
DM für die aktuelle humanitäre Hilfe zur Verfügung gestellt. Das entspricht dem, was im
Moment nötig ist.
Wir haben das Problem des Zugangs. Um dieses Problem zu lösen, reist der Außenminister
in den nächsten Tagen in die Region, um mit Nachbarstaaten wie dem Iran oder
Tadschikistan darüber zu reden, ob die Grenzen für humanitäre Hilfe geöffnet werden
können. Das entspricht der Politik, die der Bundeskanzler bereits angekündigt hat und
die er auch auf dem Sondergipfel in dieser Form vertreten wird.
Neben der politischen Kompetenz zur Lösung des Problems müssen wir strukturelle
Vorkehrungen treffen, um den Terrorismus auch im außenpolitischen Bereich besser
bekämpfen zu können. Dazu hat das Auswärtige Amt einige Maßnahmen ergriffen. Sie
wissen, dass wir Mittel zur Krisenprävention haben. Diese sind - ich bedanke mich
besonders bei den Kolleginnen und Kollegen des Haushaltsausschusses - aufgestockt worden
und wir werden sie auch auf die Aufgabe präziser fokussieren, um solche Konflikte zu
lösen, die von Terroristen im Moment genutzt werden, um sich einen gewissen Resonanzboden
zu verschaffen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Das Auswärtige Amt hat einen Sonderbeauftragten zur Terrorismusbekämpfung eingesetzt,
der all diese Maßnahmen koordinieren soll und in enger Abstimmung mit dem Innenminister
stehen wird.
Erhard Eppler, unser ehemaliger Kollege, hat in einem bemerkenswerten Aufsatz im
"Spiegel", darauf hingewiesen, dass Terrorismus im Zuge einer Verkennung der
Wichtigkeit staatlicher Strukturen die Ausdrucksform einer privatisierten Gewalt ist,
(Zuruf von der CDU/CSU: Das kennen Sie ja von früher!)
was in vielen Debatten der letzten Jahre mit Bezug zum Neoliberalismus - auch in diesem
Hause - immer wieder zum Ausdruck kam.
(Dr. Max Stadler [FDP]: Unglaublicher Unfug!)
Wir meinen, dass in dem Moment, in dem Terrorismus bekämpft werden muss, nicht nur hier
innenpolitische Maßnahmen getroffen werden müssen; vielmehr hat auch die internationale
Gemeinschaft die Aufgabe, über Entwicklungsfinanzierung und über andere ihr zur
Verfügung stehende Mechanismen sowohl an der Entwicklung von Zivilgesellschaften als auch
am Aufbau von staatlichen Strukturen, von Institutionen und insbesondere von
Rechtssystemen mitzuwirken. Auch dieser Aufgabe wird sich die Bundesregierung verstärkt
stellen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen: Eine der wichtigsten Methoden zur
Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist der Dialog der Kulturen. Wenn wir das
Verständnis zwischen den Kulturen aufbauen, wenn andere Kulturen, andere Völker, andere
Regionen, andere Ethnien den Eindruck haben, dass sie weltweit Freunde haben, dass sie
verstanden werden, dass man ihre Kultur schätzt, dass man versucht, ihre Ethik zu
verstehen, wenn man versucht, die gemeinsame Ethik der Menschheit herauszuarbeiten, dann
werden sich die terroristischen Ambitionen erheblich vermindern. In diesem Zusammenhang
möchte ich hier noch einmal deutlich auf die Wichtigkeit der auswärtigen Kulturpolitik
hinweisen.
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Herr Staatsminister, bitte halten auch Sie
sich an die vorgegebene Redezeit.
Dr. Ludger Volmer, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Herr Präsident, ich komme
zum Schluss.
Die auswärtige Kulturpolitik wurde über lange Zeit als schmückendes Beiwerk zur
Außenpolitik verstanden. Heute wissen wir, dass deutsche Schulen, dass die
Stipendienvergabe und dass der Schutz von Kulturdenkmälern eine wichtige Funktion haben,
das Verständnis der Völker zu vertiefen. Es kann nicht angehen, dass Goethe-Institute
aus Gründen der Mittelknappheit geschlossen werden müssen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Das Auswärtige Amt hat Sondermittel für den Dialog mit islamischen Ländern eingestellt.
Die UNESCO führt im Auftrag der Vereinten Nationen das Jahr des Dialogs zwischen den
Kulturen durch. Wir meinen, dass Kofi Annan Recht hat, wenn er die Kultur der Prävention
als wichtigstes Mittel zur Bekämpfung des Terrorismus bezeichnet
sowie für eine Verzahnung aller Politikbereiche, für die Ausrichtung der Politik auf
frühzeitiges Erkennen von Konflikten und für die Verhinderung von Gewalt eintritt.
Ich danke Ihnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
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