Rede des Abgeordneten Dr. Max Stadler (FDP) zum Thema "Sicherheit 21 - Was zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus jetzt zu tun ist"

Vom 18. Oktober 2001


Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrte Frau Kollegin Vogt, ich dachte bisher, es sei unstrittig, dass die einzige Voraussetzung für Interviews ist, dass man frank und frei seine eigene Meinung sagt.

(Ute Vogt [Pforzheim] [SPD]: Ja!)

Diese Meinung zu dem heute behandelten Thema will ich Ihnen für die FDP gern vortragen. Sie beruht auf drei Grundthesen.

Erstens. Der inneren Sicherheit ist am besten gedient, wenn die bestehenden Gesetze vollständig und konsequent angewandt werden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD - Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

- Kollege Marschewski, in den Jahren 1990 bis 1998 haben Union und FDP gemeinsam zahlreiche Gesetze zur Sicherheit verabschiedet, aber das Defizit beim Vollzug dieser Gesetze ist doch die Achillesferse der deutschen Innenpolitik.

(Beifall bei der FDP)

Wir müssen die Sicherheitsbehörden personell, finanziell und technisch so ausstatten, dass sie ihre Aufgaben wirkungsvoll erfüllen können.

Zweitens. Darüber hinaus wird die FDP notwendigen und geeigneten neuen Gesetzen zustimmen, natürlich nach einer sorgfältigen Beratung, nach Sachverständigenanhörungen, nach einem geordneten parlamentarischen Verfahren.

Drittens. Selbstverständlich muss die Grenze der bewährten und auch nach dem 11. September 2001 weiterhin gültigen rechtsstaatlichen Grundsätze eingehalten werden. Einige der derzeit öffentlich diskutierten Vorschläge sind daher für uns nicht akzeptabel.

Ich beginne mit dem vorliegenden Antrag der Union, der Anlass für die heutige Debatte ist. Die CDU/CSU befindet sich gewissermaßen in einem Hase-und-Igel-Wettstreit mit dem Bundesinnenminister um immer neue Vorschläge.

(Ludwig Stiegler [SPD]: Der Otto ist schon hier!)

Es verwundert daher nicht, dass sich bei einer solchen Vielzahl von Vorschlägen viele richtige Gesichtspunkte finden, dass Sie aber auch immer wieder Vorschläge aus der Schublade geholt haben, die in der Vergangenheit zu Recht keine Mehrheit im Bundestag gefunden haben.

(Walter Hirche [FDP]: So ist es!)

Ich nenne als Beispiel nur Ihre Forderung nach der optischen Überwachung von Wohnräumen. Das geht zu weit; das lehnen wir ab.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, wichtiger ist natürlich, welche Vorschläge aus dem Bundesinnenministerium kommen werden, denn von diesen kann man an nehmen, dass sie demnächst Gesetz werden. Dort wird bekanntlich über ein Terrorismusbekämpfungsgesetz diskutiert. Darin sind Maßnahmen enthalten, die sich auch im Sicherheitspapier der FDP-Fraktion finden und denen wir da her zustimmen werden. Ich nenne als Beispiele die Ausdehnung der Sicherheitsüberprüfungen über den Kreis der an Flughäfen Tätigen hinaus für Personen, die in sicherheitsrelevanten Bereichen tätig sind. Ich nenne den Wegfall des Religionsprivilegs im Vereinsrecht sowie verbesserte Möglichkeiten der Identitätsfeststellung.

Aber wir werden die Diskussionsvorschläge aus dem Innenministerium natürlich nicht unbesehen übernehmen. Ist es wirklich richtig, privaten Stellen - privaten Stellen! - eine Auskunftspflicht gegenüber dem Verfassungsschutz aufzuerlegen? Bisher sind es die Strafverfolgungsbehörden, die von Banken, Post- oder Telekommunikationsunternehmen bei Verdacht aufgrund eines geordneten Verfahrens mit richterlichen Beschlüssen Auskünfte verlangen können. Diese Auskünfte stehen dann auch den Diensten zur Verfügung.

Wir finden, der bisherige Weg der Informationsgewinnung ist aus rechtsstaatlichen Gründen vorzugswürdig, auch deshalb, weil es sonst kaum mehr einen Rechtsschutz gäbe. Es spricht also viel dafür, es in diesem Bereich bei der geltenden Rechtslage zu belassen.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, wir müssen uns auch vor der Tendenz hüten, in rechtsstaatliche Grundstrukturen einzugreifen. Jedermann will eine bessere Bekämpfung der illegalen Geldströme, der Geldwäsche. Wir sagen als FDP ganz klar: 16 Bedienstete beim Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen reichen als Aufsicht über 3000 Banken im Zusammenhang mit der Geldwäsche nicht aus.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wenn man aber, wie dies die EU am Dienstag beschlossen hat, in die Berufsgeheimnisse von Rechtsanwälten und Steuerberatern eingreift und wenn man diesen in bestimmten Fällen eine Meldepflicht gegenüber den Strafverfolgungsbehörden auferlegt, dann sind dies doch sehr bedenkliche Einschnitte. In der "Süddeutschen Zeitung" von gestern bemerkt Andreas Oldag zu Recht, dass das Vertrauensverhältnis von Anwälten und Steuerberatern zu ihren Mandanten auf dem Spiel stehe; man dürfe nicht die Gunst der Stunde nutzen, um ein perfektes Kontroll- und Überwachungssystem aufzubauen. - Diese Einschätzung sollten wir sehr wohl erwägen - darüber muss noch diskutiert werden -, wenn es um die Umsetzung dieser Richtlinie geht.

Was soll denn als Nächstes kommen? Gehen wir dann etwa an das Berufsgeheimnis von Journalisten heran? Sollen Journalisten verpflichtet werden, Auskunft zu geben und gegenüber Strafverfolgungsbehörden Meldung zu machen, wenn sie etwas Verdächtiges wissen? Warum sollte dann am Ende nicht das Beichtgeheimnis in gleicher Weise eingeschränkt werden? Das kann doch alles nicht richtig sein!

(Beifall bei der FDP - Ludwig Stiegler [SPD]: Ihr habt das Bankgeheimnis immer höher gehalten als das Beichtgeheimnis!)

Ich komme damit zum Ausgangspunkt zurück: Entscheidend für die innere Sicherheit ist und bleibt die Frage, ob die Politik willens und fähig ist, die Sicherheitsbehörden bestmöglich auszustatten. Ich nenne zum Beispiel das Finanzvolumen für die Sachausstattung der Bereitschaftspolizeien der Länder, wofür der Bund aufgrund vertraglicher Vereinbarungen zuständig ist.


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Stadler, erlau ben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?

Dr. Max Stadler (FDP): Bitte sehr.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte, Herr Ströbele.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Stadler, geben Sie mir Recht, dass es einen Unterschied zwischen Journalisten und Banken gibt? Das Bundesverfassungsgericht hat den Journalisten, aber auch der Presse und den Medien insgesamt eine ganz besondere Bedeutung in unserem Gesellschafts- und Rechtssystem zugewiesen; manche reden von der vierten Gewalt. Stimmen Sie mir zu, dass dies für die Banken nicht zutrifft?


Dr. Max Stadler (FDP): Herr Kollege Ströbele, gerade die FDP hat darauf gedrängt - das entsprechende Gesetz befindet sich zurzeit im Vermittlungsverfahren -, dass das Berufsgeheimnis von Journalisten wesentlich besser geschützt wird als in der Vergangenheit.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben es gemacht!)

Aber der entscheidende Punkt, über den wir hier diskutieren, ist doch, dass ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Anwälten und Mandanten, zwischen Steuerberatern und Mandanten sowie zwischen Journalisten und Informanten besteht. Dieses Vertrauensverhältnis ist schon für sich alleine ein Wert. Das wurde im Gesetz zum Ausdruck gebracht, indem die se Berufsgruppen nach der Strafprozessordnung ein besonderes Aussageverweigerungsrecht haben.

Wenn man in dieses Recht eingreift, dann geht es nur vordergründig um die bessere Bekämpfung von Geldwäsche. In Wahrheit geht es darum, Hand an dieses althergebrachte Prinzip eines schützenswerten Vertrauensverhältnisses zu legen, aufgrund dessen Dinge besprochen werden, die einen Dritten nichts, aber auch gar nichts angehen und die vor allem den Staat nichts angehen. Diese Einschränkungen kann die FDP nicht akzeptieren. Dabei geht es nicht allein um die Banken. Hier geht es um die Grundsätze der freien Berufe, die plötzlich nicht mehr gelten sollen. Da sage ich Ihnen: Diese Grundsätze gelten nach wie vor.

(Beifall bei der FDP)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Stadler, erlauben Sie eine Frage des Kollegen Wiefelspütz?

Dr. Max Stadler (FDP): Ja.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön, Herr Wiefelspütz.

Dieter Wiefelspütz (SPD): Geschätzter Herr Kollege Stadler, habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie das Beichtgeheimnis in einen Zusammenhang mit dem Bankgeheimnis bringen?

(Ludwig Stiegler [SPD]: Das Beichtgeheimnis der FDP ist das Bankgeheimnis!)

Können Sie uns einmal die Maßstäbe erläutern, die Sie bei diesem Vergleich im Kopf haben?

Ich möchte noch eine zweite Frage anschließen: Hat die rot-grüne Koalition in ihrem entschiedenen Kampf, Geldwäsche zu verhindern und kriminelle Geldkreisläufe zu unterbinden, die Unterstützung der FDP?

(Ludwig Stiegler [SPD]: Nein!)


Dr. Max Stadler (FDP): Herr Kollege Wiefelspütz, wenn Sie meine Rede von Anfang an aufmerksam verfolgt haben, was ich unterstelle, dann werden Sie bemerkt haben, dass ich einen zentralen Punkt bei der Geldwäschebekämpfung bereits genannt habe. Dazu brauchen Sie natürlich Personal in aus reichender Stärke. Es gibt 3000 Banken und 1700 Finanzdienstleistungsunter nehmen.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hatten 16 Jahre lang Zeit!)

Mit 16 Bediensteten beim Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen können Sie unmöglich eine effektive Aufsicht über diese Institute führen. Da muss zunächst einmal angesetzt werden. Das ist etwas, was sehr schnell machbar ist.

(Beifall bei der FDP - Walter Hirche [FDP]: Wäre! Wenn der Wille da wäre!)

Zum Zweiten. Herr Kollege Wiefelspütz, Sie sind klug genug, um zu wissen, dass es in der Juristerei ein so genanntes Argumentum ad absurdum gibt. Diese Argumentationsfigur habe ich jetzt verwendet; denn selbstverständlich will niemand das Beichtgeheimnis antasten. Ich stelle nur folgende Frage: Wenn es wichtig ist, bestimmte Formen von Kriminalität zu bekämpfen, und wenn deswegen plötzlich einzelne Berufsgruppen, die etwas wissen, verpflichtet werden, der Polizei ihr Wissen mitzuteilen, mit welchem Argument wollen Sie dann bei der einen oder anderen Berufsgruppe Halt machen? Ist es dann nicht das Interesse des Staates, dass all diese Berufsgruppen ihr Wissen offen baren? Wenn Sie mir da zustimmen, dann werden Sie erkennen, dass das Grundproblem immer das gleiche ist, nämlich: Der Staat muss Kriminalität wirksam bekämpfen; es gibt aber Bereiche, in die er nicht eingreifen darf, die er nicht antasten darf. Wir wollen eine wirksame Bekämpfung der Kriminalität, aber nicht den gläsernen Bürger. Deswegen wollen wir die Berufsgeheimnisse von Anwälten, Steuerberatern und Journalisten erhalten und sogar noch besser schützen.

(Beifall bei der FDP)

Das Finanzvolumen für die Sachausstattung der Bereitschaftspolizei ist in den letzten beiden Jahren von 50 Millionen DM auf 10 Millionen DM gekürzt worden. Wenn man es nun wieder um 6 Millionen DM erhöhen will, dann ist dies keine ausreichende Maßnahme; denn allein für die Ersatzbeschaffung von Material müsste der alte Sockel von 50 Millionen DM wieder erreicht werden. Außerdem müsste er für die nächsten Jahre zuverlässig festgeschrieben wer den, um den Investitionsstau von 170 Millionen DM bei der Bereitschaftspolizei zu überwinden. 50 000 Stellen für Polizeibeamte müssten in Deutschland neu geschaffen werden.

Wie sieht das Konzept der Bundesregierung für die Personalgewinnung aus? Wie wird der Zeitraum überbrückt, bis neue Polizeibeamte ausgebildet sind? Ist die Koalition bereit, für die Gewinnung von hervorragend qualifizierten Beamten attraktive Rahmenbedingungen zu schaffen? Oder bleibt die Koalition dabei, etwa mit Eingriffen in die Altersversorgung,

(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Pensionskürzung! Sehr wahr!)

die von den Betroffenen als doppelte Benachteiligung empfunden werden, eine psychologisch verheerende Wirkung zu erzielen? Wann wird das neue polizeiliche Informationssystem INPOL, das am 1. April 2001 betriebsbereit sein sollte, endlich eingeführt? Kann man wirklich bis zum Jahr 2006 warten, bis die technische Ausstattung mit Digitalfunkgeräten bei der Polizei flächendeckend ein geführt ist?

In diesen Punkten ist nach Auffassung der FDP-Fraktion allergrößter und sofortiger Handlungsbedarf gegeben.

(Beifall bei der FDP - Walter Hirche [FDP]: Taten und nicht nur Worte!)

Zum Antrag der Union eine letzte Anmerkung. Zur dringend notwendigen Strukturreform der Bundeswehr hat die FDP eine andere Auffassung als der Bundesverteidigungsminister, aber auch als die CDU/CSU. Wir benötigen eine hoch motivierte, gut ausgebildete und modern ausgerüstete Bundeswehr. Sie muss kleiner werden, wie dies von der Weizsäcker-Kommission vorgeschlagen wurde. Sie muss deutlich mehr Geld bekommen und die Wehrpflicht muss schnellstens ausgesetzt werden. Nur so wird die Bundeswehr ihre Aufgaben einschließlich der Bekämpfung des internationalen Terrorismus erfüllen können.

Ich sage Ihnen für die FDP eines klipp und klar: Genau so, wie Geheimdienste und Polizei ihre jeweils eigenen Aufgaben haben, die sie getrennt erledigen müssen, bleibt es dabei, dass Bundeswehr und Polizei unterschiedliche, eigene Aufgaben haben.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Idee, die Bundeswehr über das jetzt zulässige Maß hinaus einzusetzen, ist und bleibt daher ein Irrweg.

(Beifall des Abg. Walter Hirche [FDP] und des Abg. Dieter Wiefelspütz [SPD])

Vernünftige rechtsstaatliche Maßnahmen zur Verbesserung der inneren Sicherheit werden dagegen die Zustimmung der FDP finden.

(Beifall bei der FDP)

 

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Quelle: Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, Stenographischer Bericht der 195. Sitzung vom 18. Oktober 2001 (Plenarprotokoll 14/195).


Empfohlene Zitierweise des Dokumentes:
Rede des Abgeordneten Dr. Max Stadler (FDP) zum Thema "Sicherheit 21 - Was zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus jetzt zu tun ist" (18.10.2001), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/brd/2001/rede_stadler_1018.html, Stand: aktuelles Datum.


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Letzte Änderung: 03.03.2004
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