Rede des Stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Fraktion Gernot
Erler zur Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Bekämpfung des
internationalen Terrorismus
vom 8. November 2001
Gernot Erler (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits am 19. September [vgl. z.B. Regierungserklärung des Bundeskanzlers] hat
der Deutsche Bundestag mit sehr deutlicher Mehrheit die große Solidarität mit dem am 11.
September angegriffenen Amerika zum Ausdruck gebracht, die in den Tagen der Tragödie von
New York und Washington von den Menschen in Deutschland ausging und zugleich von der
deutschen Politik aufgegriffen wurde. Es hieß, diese Solidarität werde nicht verbal oder
virtuell, sondern konkret sein.
Schon damals, acht Tage nach den Terroranschlägen, haben wir uns zu politischer und
wirtschaftlicher Unterstützung sowie zur Bereitstellung geeigneter militärischer
Fähigkeiten zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus bekannt. Dann folgte in dem
Beschluss ein Satz, den ich zitiere:
Über diese Maßnahmen ist nach Kenntnis der amerikanischen Unterstützungswünsche in
eigener Verantwortung und gemäß der verfassungsrechtlichen
Vorgaben zu entscheiden.
Genau an diesem Punkt sind wir heute angelangt: Die amerikanische Regierung hat ihre
Wünsche artikuliert, die Bundesregierung hat daraufhin erklärt, welche Art der
Unterstützung sie für leistbar und geeignet hält. Herr Kollege Merz, selbstverständlich hat die Bundesregierung dabei
unsere eigenen Interessen vertreten; Sie sollten nicht mit einer so kleinkarierten
Philisterei unsere Debatte belasten, wie Sie es getan haben.
(Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der CDU/CSU)
Weil es in Deutschland nach unserer Verfassung
in solchen Fällen ein Entscheidungsrecht des Deutschen Bundestages, den so genannten
Parlamentsvorbehalt, gibt, müssen wir jetzt prüfen und entscheiden, ob wir die
Vorschläge der Regierung für überzeugend und verantwortbar halten.
Nach dem Kabinettsbeschluss sollen
fünf Kategorien militärischer Fähigkeiten bereitgestellt und im Bedarfsfall auch
eingesetzt werden. Lassen Sie mich diese etwas näher beleuchten:
Erstens. Wer will eigentlich widersprechen, wenn Deutschland Sanitätskräfte, besonders
solche zur Rettungsevakuierung von verwundeten Zivilisten oder Soldaten, bereitstellen
will?
Zweitens. Dasselbe gilt für Lufttransportmittel, die ebenso militärisches Gerät wie
zivile Hilfsgüter aufnehmen können.
Drittens. Die Bundeswehr hat gerade mit dem Spürpanzer Fuchs besonders anerkannte
ABC-Schutzkräfte. Einen Teil davon jetzt auf einen eventuellen Einsatz vorzubereiten
macht Sinn, auch wenn wir alle hoffen, dass dieser Einsatz gar nicht notwendig wird.
Viertens. Marinekräfte sollen zum Beispiel am Horn von Afrika den Seetransport schützen,
also in einer Region, in der es in den vergangenen Wochen schon einen Anschlag auf ein
Fahrzeug gegeben hat und weitere Terrorangriffe auf die zivile Seeschifffahrt nicht
ausgeschlossen werden können.
Fünftens. Schließlich geht es um 100 Mann Spezialkräfte, die über polizeiähnliche
Zugriffsmöglichkeiten im so genannten Hit-and-Run-Verfahren verfügen und besonders
geeignet sind, identifizierte mutmaßliche Täter dingfest zu machen.
Zu diesen fünf Fähigkeiten nennt der Kabinettsbeschluss
jeweils zahlenmäßige Obergrenzen, die sich auf die genannten 3900 Soldaten addieren.
Die Fachausschüsse werden alle Einzelheiten sorgfältig beraten. Aber schon jetzt kann
man den Eindruck gewinnen, dass diese Zusammenstellung von zahlenmäßig limitierten
militärischen Fähigkeiten die Grenze des Leistbaren und des Verantwortbaren nicht
überschreitet.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich möchte aber betonen, dass für die SPD-Bundestagsfraktion einige Punkte in diesem
Zusammenhang besonders wichtig sind. Wir finden es richtig und wichtig, dass in Kapitel 7 hinsichtlich des Einsatzgebietes
eine eindeutige Eingrenzung des Operationsrahmens für die deutschen Kräfte ausdrücklich
festgelegt wird. Diese Eingrenzung heißt: Afghanistan oder Länder, bei denen eine
Zustimmung der Regierung vorliegt. Wir betonen diesen Punkt deshalb so ausdrücklich, weil
wir davon überzeugt sind, dass der Kampf gegen den Terrorismus auf die große politische
Allianz, die sich gebildet hat, angewiesen ist. Diese große politische Allianz ist
gegenwärtig davon abhängig, dass der Kampf gegen den Terrorismus einen Täterbezug
bewahrt. Die Spuren der Täter vom 11. September führen nun einmal nach Afghanistan und
nirgends anders hin.
Wichtig ist für uns auch die Frage, mit welcher Sicherheit wir ausschließen können,
dass die bereitzustellenden deutschen Kräfte nicht in Szenarien geraten können, in denen
das Geschehen von unserer Seite weder kontrolliert noch gesteuert werden kann. Deswegen
war für uns die Aussage des Bundeskanzlers wichtig - er hat sie eben noch einmal
wiederholt und wir verlassen uns auf sie -, dass es bei jedem Einsatz deutscher Kräfte
bei einer Entscheidung in deutscher Verantwortung und auch bei einer deutschen
Kommandoverfügung bleiben wird.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Schließlich weise ich auf einen dritten wichtigen Punkt hin. Unsere Verfassung sieht vor, dass der Bundestag zu der
Entscheidung, welche und wie viele militärische Kräfte für wie lange und für welche
Zwecke bereitgestellt und eingesetzt werden, seine Zustimmung geben muss. Das
Bundesverfassungsgericht hat uns aber auch klar gemacht, dass Entscheidungen über die
Modalitäten, die Umfänge und die Dauer der Einzeleinsätze Sache der Exekutive sind.
Der Kabinettsbeschluss ersucht uns
nun, die Einzelentscheidungen für zwölf Monate in die Hand der Bundesregierung zu legen.
Es ist unbestreitbar vernünftig, Herr Kollege Merz, bei
den Besonderheiten der terroristischen Herausforderung einen solchen relativ langen
Zeitraum vorzusehen, aber dieser Antrag enthält auch ebenso unbestreitbar Elemente eines
Vertrauensvorschusses. Herr Bundeskanzler, wir sind bereit zu diesem Vertrauen, aber wir
bitten Sie zugleich - da unterscheidet sich meine Bitte von der von Herrn Merz - um eine Rückzahlung in Raten, nämlich in Form
regelmäßiger und detaillierter Informationen an den Deutschen Bundestag über den
Verlauf, die Ergebnisse und die Erfahrungen mit den deutschen Einsätzen im Kampf gegen
den weltweiten Terrorismus.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg.
Jörg van Essen [FDP] - Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das ist aber nicht viel! Monitoring!)
In diesem Punkt präzisiere ich diese Bitte sogar noch. Das Kapitel 5 "Einzusetzende Kräfte"
gibt Obergrenzen für die einzelnen militärischen Fähigkeiten an, also beispielsweise
1800 Mann Seestreitkräfte und 100 Mann Spezialkräfte. Dann ist aber davon die Rede, dass
es auch unterhalb der Gesamtobergrenze je nach Einsatzerfordernis Abweichungen von den
genannten Einzelgrößenordnungen geben kann. Im Extremfall könnte das eine Umkehrung
dieser Kräfteverhältnisse bedeuten. Wir wissen natürlich ganz genau, dass das praktisch
gar nicht möglich wäre. Es ist aber, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, der Vorschlag der
SPD-Bundestagsfraktion als ein Ergebnis unserer gestrigen vielstündigen Beratungen, der
Bundesverteidigungsminister solle bei signifikanten Abweichungen von diesen
Einzelgrößenordnungen die Fachausschüsse informieren und sie kontinuierlich befassen,
natürlich nicht im Sinne konstitutiver Beschlüsse, sondern im Sinne einer fachlichen
Begleitung.
(Beifall bei der SPD -Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das sind ja gewaltige Zugeständnisse!)
Wir glauben, dass eine entsprechende Zusage von Ihnen, so zu verfahren, die weitere
Beratung des Kabinettsbeschlusses in den Ausschüssen erleichtern würde.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stellen uns jetzt der Aufgabe, eine verantwortbare
deutsche militärische Beteiligung im Kampf gegen den Terrorismus freizugeben. Wir wissen
dabei sehr gut: Das militärische Vorgehen ist notwendig, aber allein nicht hinreichend.
Es muss zugleich ein politisches Gesamtkonzept geben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
In den letzten Wochen ist deutlich geworden: Im politischen Bereich hat die
Bundesregierung gleich auf mehreren Feldern stark an Profil gewonnen. Das ist
international anerkannt worden und das unterstützen wir hier ausdrücklich. Kein einziges
Land hat so schnell und energisch die Mittel für humanitäre Hilfe heraufgesetzt, von 16
auf 86 Millionen DM. Das wirkt sich auf die Versorgungslage vor Ort bereits aus.
(Beifall bei der SPD)
Es gibt sonst kein so großes Engagement bei der Frage der politischen Perspektiven in
dieser Region und für Afghanistan. Bei dem so genannten Post-Taliban-Prozess und bei der
Nahostpolitik schauen heute doch wirklich viele auf Europa und auf Deutschland, wenn es
darum geht, die Friedensverhandlungen endlich wieder aufzunehmen.
Herr Außenminister, wir unterstützen voll Ihren Einsatz und Ihre Vermittlungsversuche,
die darauf abzielen, diesen Friedensprozess wieder aufzunehmen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Aber eines muss klar bleiben und das sollte uns auch bei dem folgenden Beratungsprozess
begleiten: Wer weiterhin will, dass die Bundesregierung in diesem politischen Bereich
gestaltend etwas beiträgt, der kann nicht eine Arbeitsteilung zwischen risikolosen und
risikobehafteten Aufgaben wollen, sondern der muss auch einen risikoreichen militärischen
Beitrag der Bundesrepublik Deutschland unterstützen. Unsere Freunde und Alliierten werden
eine solche Arbeitsteilung, bei der wir das politisch Konzeptionelle, das Populäre, das
Risikolose und alles andere die anderen machen, nicht akzeptieren. Das ist auch der Grund,
weshalb schon jetzt 14 verschiedene Länder in Europa und jenseits des Atlantiks entweder
militärische Zusagen gemacht oder sie in Aussicht gestellt haben: weil eine solche
Arbeitsteilung nicht geht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Wenn wir jetzt darangehen, die Zusagen, die wir gemacht haben, auch einzulösen, dann
machen wir uns keine Illusionen. Wir alle gehen, was die Reaktionen der Menschen in
unseren Wahlkreisen anbelangt, schweren Tagen und schwierigen Diskussionen entgegen. Die
öffentliche Meinung ist gespalten. Die Verunsicherung rührt auch daher, dass es bei der
Planung und Durchführung der militärischen Operationen in Afghanistan offensichtlich
eine Reihe von Fehleinschätzungen und einige zum Teil tragische Fehlentwicklungen gab. Es
war übrigens Amerika selbst, wo eine öffentliche kritische Diskussion darüber begonnen
wurde.
Die Unterteilung - auch da unterscheide ich mich von Herrn Merz
- in Friedensengel auf der einen Seite und Kriegstreiber auf der anderen Seite
(Michael Glos [CDU/CSU]: Furien auf der anderen Seite!)
hat niemand gemacht und sie ist auch völlig unsinnig.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir müssen uns alle, Herr Merz, den kritischen Fragen
und Positionen von Bürgern,
(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das ist nicht der Punkt! Das wissen Sie!)
von Menschenrechtsorganisationen, von Kirchen und Verbänden offen und zur Argumentation
bereit stellen und uns mit ihnen auseinander setzen. Dazu gehört auch ein eigenes Risiko
für uns als gewählte Abgeordnete. Aber - darauf möchte ich besonders hinweisen - wie
wir das machen, wie überzeugend und wie entschlossen wir das tun, das wird auch von
außen sehr genau beobachtet, ganz besonders in den arabischen und islamisch geprägten
Ländern, deren gemäßigte Regierungen ein unvergleichlich höheres Risiko eingegangen
sind, als sie sich in dieser herausfordernden Situation an die Seite von Amerika und in
diese große Allianz gestellt haben, und die dabei bleiben, auch wenn sie täglich mit
gewaltsamen Demonstrationen fanatisierter Gegner konfrontiert werden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Wir sind darauf angewiesen, dass sie bei dieser Linie bleiben. Aber das heißt, wenn wir
ihnen helfen wollen, müssen auch wir bei unserer Linie bleiben. Aufmunternde Worte allein
reichen nicht.
Ich meine, dass wir für die kommenden schwierigen Beratungen noch eine Klarheit mitnehmen
sollten. Wir alle sind auch und nicht zuletzt dafür gewählt worden, den Menschen
Sicherheit zu geben. Nach dem 11. September müssen wir dafür zusätzliche Anstrengungen
erbringen. Nicht zufällig werden in diesem Haus parallel, praktisch gleichzeitig,
Antiterrorpakete zur inneren Sicherheit und, wie heute, Maßnahmen zur äußeren
Sicherheit beraten, also defensive und offensive Schutzmaßnahmen. Wer die Verantwortung
für die offensiven Maßnahmen, also den militärischen Druck gegen die Netze des Terrors
und ihre Beschützer, nicht übernehmen will, der muss automatisch mehr im Inneren tun,
(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Wo ist da die Logik?)
also noch mehr die Freiheitsrechte einer offenen demokratischen Gesellschaft
einschränken, um mehr passiven Schutz zu schaffen.
(Michael Glos [CDU/CSU]: Das geht gegen Schily!)
Das ist ein wichtiges Argument bei der Diskussion darüber, ob der Antrag der
Bundesregierung auf die Bereitstellung und den Einsatz zahlenmäßig begrenzter
militärischer Kräfte mit einem verantwortbaren Aufgabenradius unsere Zustimmung verdient oder nicht. Wir stellen uns auch in diesem Punkt unserer
Verantwortung.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
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