Rede des Bundesvorsitzenden der FDP Dr. Guido Westerwelle zur
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Bekämpfung des internationalen
Terrorismus
vom 8. November 2001
Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, Sie haben in
Ihrer Regierungserklärung auf die Erklärung des
Deutschen Bundestages vom 19. September [vgl. z.B. Regierungserklärung des Bundeskanzlers] Bezug
genommen. Ebenso hat der Kollege Merz seine Rede
begonnen. Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass in dieser Regierungserklärung unter Bezugnahme auf die
Entscheidung des Deutschen Bundestages die Rede von der uneingeschränkten Solidarität
mit den Vereinigten Staaten und davon ist, dass konkrete Maßnahmen des Beistands folgen
werden.
Wir Freien Demokraten haben dieser Erklärung hier im Deutschen Bundestag am 19. September
einstimmig zugestimmt. Wir wussten damals um die Konsequenz dieser Entscheidung und wir
wissen auch heute darum.
Man sollte mit den folgenden Worten vorsichtig sein. Aber ich glaube, dass die Bezeichnung
"Zäsur", vielleicht sogar "historische Zäsur", für unsere Außen-
und Sicherheitspolitik an dieser Stelle zutrifft. Deswegen sollte sich jeder - gleich, ob
er auf der Oppositionsseite oder auf der Regierungsseite ist - der besonderen
Verantwortung in dieser Stunde und auch in der nächsten Woche bewusst sein.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Danach wird sich die Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands verändert haben.
Wir haben einen gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus zu führen. Dabei gibt es keine
Neutralität. Es wird in Diskussionen gelegentlich so getan, als könne es bei der
Bekämpfung von Terror eine neutrale Position der Deutschen geben. Wir Deutschen sind bei
der Bekämpfung des internationalen Terrorismus nicht neutral. Das sind wir auch und
gerade deshalb nicht, weil wir selber von diesem internationalen Terrorismus bedroht sind.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Die Menschen der zivilisierten Welt, egal, welcher Religion sie angehören, müssen diesen
Kampf gemeinsam führen; denn sie sind alle bedroht. Mir liegt daran, dies im Hinblick auf
manche Diskussion, die zurzeit feuilletonistisch in Deutschland geführt wird,
klarzustellen. Das ist kein Kampf von Glauben gegen Glauben. Das ist kein Kampf von
Christen gegen Moslems. Das ist übrigens auch kein Kampf des Westens gegen Afghanistan.
Es ist der selbstverteidigende Kampf des Rechts gegen das Unrecht des Terrors.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wir alle haben jetzt in der Tat schwierige Diskussionen vor uns, Herr Kollege Erler. Aber ich kann uns allen nur eine Empfehlung geben,
wenn ich mir das an dieser Stelle erlauben darf: Stimmungen muss man sehr ernst nehmen,
auch wenn sie in unseren Wahlkreisen und in unserer Bevölkerung manchmal heftig
ausschlagen. Aber letzten Endes erwarte ich ganz persönlich, dass sich kein Abgeordneter
des Deutschen Bundestages in dieser Frage zum Resonanzboden von Stimmungen macht, sondern
dass er diese Entscheidung aus sich selbst heraus verantwortungsbewusst und mit Festigkeit
trifft.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Wenn wir in dieser Frage nur das Echo von Stimmungen wären, dann würden wir vielleicht
auf Parteitagen oder da oder dort von irgendwelchen Gruppen begeistert gefeiert werden,
aber wir würden unserer Verantwortung nicht gerecht.
Ich möchte Ihnen an dieser Stelle eines sagen, weil Sie an den Herrn Kollegen Merz auch kritische Worte gerichtet haben. Ich meine, mit
Verlaub gesagt, dass die Bemerkungen des Herrn Kollegen Merz
völlig zutreffend sind.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Das gilt insbesondere für die Bemerkung hinsichtlich der Arbeitsteilung der Regierenden.
Ich sage Ihnen das auch deshalb, weil sich in der gesamten Diskussion bisher kein
Regierungsmitglied, kein Vertreter der Koalitionsfraktionen darüber beklagen konnte, dass
die Opposition - gleich, welche Fraktion man betrachtet - ihrer staatspolitischen
Verantwortung nicht gerecht geworden wäre. Es ist doch in Wahrheit so: Der Bundeskanzler
muss sich in der Außen- und Sicherheitspolitik gelegentlich auf die Opposition mehr
verlassen, als er sich auf die eigenen Leute verlassen kann.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Wenn Sie Herrn Kollegen Merz hier jetzt kleinkarierte
Kritik unterstellen, dann möchte ich Ihnen sagen: Ich habe mir in der Diskussion in den
letzten beiden Tagen, auch nach den Unterrichtungen im Bundeskanzleramt, bei Ihnen, Herr
Bundeskanzler, einmal vorgestellt, was jetzt in Deutschland eigentlich los wäre, wenn die
alte Koalition noch die Regierungsverantwortung hätte.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Die halbe Bundesregierung müsste man vor Bundeswehrkasernen von Sitzblockaden wegtragen.
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass Sie heute lernen müssen, dass man Frieden und
Freiheit nicht mit Sitzblockaden sichert.
(Detlev von Larcher [SPD]: Seien Sie nicht so hochmütig!)
Es kommt jetzt darauf an, dass wir eine wehrhafte Demokratie sind. So wie wir nach innen
wehrhaft sein müssen, müssen wir auch nach außen wehrhaft sein, sonst legen wir die Axt
an die Wurzel unseres Gemeinwesens.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, wir Freien Demokraten unterstützen den Kurs einer wehrhaften
Demokratie und es ist dabei aus unserer Sicht völlig klar, dass die Deutschen hier mehr
Verantwortung übernehmen müssen als in Form von finanziellen Leistungen. Aber gerade
weil die Opposition hier diese Verantwortung wahrnimmt, will ich an dieser Stelle doch
noch auf einige Dinge hinweisen.
Die Tatsache, Herr Bundeskanzler, dass Sie in der Unterrichtung im Bundeskanzleramt und
anschließend vor der Presse sagen, es habe fünf konkrete Anforderungen der Vereinigten
Staaten gegeben, und der amerikanische Verteidigungsminister dem noch am selben Tag
expressis verbis widersprochen hat, ist an sich schon bedenklich genug. Aber dass gestern
der deutsche Verteidigungsminister behauptet, es gebe sogar eine schriftliche Anforderung
der Vereinigten Staaten, im Fernsehen auch noch ein Brief gezeigt wird und Sie rufen:
"Das stimmt!" dazu kann ich Ihnen nur sagen: Herr Bundesverteidigungsminister,
wenn es diese schriftliche Anforderung gibt, wie Sie es gesagt haben, dann möchte ich als
Abgeordneter diese schriftliche Anforderung sehen, hier in diesem Hohen Hause. Denn die
Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es kann nicht in Ordnung sein, dass auf diese Art und Weise mit Nebel Politik gemacht
wird, um die Eigenen ruhig zu stellen. Das ist nicht vernünftig und das können wir nicht
akzeptieren.
Ich will eine zweite Sache anmerken, die wir in der nächsten Woche und in den Beratungen
sicherlich noch weiter diskutieren werden. Das ist nämlich die Frage, wer jetzt
eigentlich handelt. Ich finde es gut, Herr Bundeskanzler, dass Sie darauf hingewiesen
haben, dass für Deutschland die nationale Endentscheidung bestehen bleibt. Aber die Frage
ist, wenn man bündnispolitisch einen Schritt weiter denkt, schon berechtigt: Das Bündnis
hat den Bündnisfall ausgerufen, wer aber handelt jetzt? Handelt das Bündnis? Handeln die
Amerikaner? Handeln die 14 Staaten, von denen im Augenblick die Rede ist? Handeln wir
Deutsche? Die bündnispolitische Qualität dieses Vorgangs ist in meinen Augen noch nicht
reflektiert und das wird in den Ausschüssen eine wichtige Aufgabe der nächsten Woche
sein.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Zu dem Zweiten, das Sie gesagt haben. Herr Bundeskanzler,
Sie haben darauf hingewiesen, dass Sie am Sonntagabend einen so genannten kleinen Gipfel
gehabt haben. Sie haben so ein wenig darauf hingewiesen, als sollte das noch Anerkennung
finden. Ich möchte Ihnen aus meiner Sicht sagen: Gerade weil wir bereit sind, Ihre
Außen- und Sicherheitspolitik zu unterstützen, müssen diese kritischen Anmerkungen
erlaubt sein. Ich stelle mir schon die Frage: Soll das die neue Qualität der
Außenpolitik Europas werden, dass wir künftig in kleinen Zirkeln in Wahrheit Europa
entmachten?
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Nein, das ist nicht das, was wir uns an europäischer Politik auch in diesen Fragen
vorgestellt haben. Aus unserer Sicht ist das nicht sinnvoll.
Eine letzte Bemerkung, weil wir die abschließende Debatte in der nächsten Woche führen
werden und heute der entsprechende Antrag nur eingebracht wird. Ich möchte Sie bitten,
Herr Bundeskanzler, die Frage der Befristung wirklich noch einmal zu überdenken. Wir
haben die derzeit laufende Mazedonienentscheidung zu Recht auf drei Monate begrenzt, um
anschließend neu zu bewerten und zu entscheiden. Deswegen frage ich mich, warum wir eine
zwölfmonatige Grenze setzen. Frau Kollegin Merkel und Herr Kollege Stoiber haben gestern
ebenfalls darauf hingewiesen. Ich sage Ihnen aus meiner Sicht: Wenn wir eine
Parlamentsarmee haben wollen, wenn sich das Parlament insgesamt für die Bundeswehr
verantwortlich fühlen will, dann sollte nach meiner Überzeugung das Parlament in dieser
Woche nicht quasi einmal nicken, einmal entscheiden, und dann in einem Jahr, vielleicht
nach der Bundestagswahl, noch einmal gefragt werden. Dann sollte hier diese wichtige,
vielleicht sogar historische Entscheidung immer wieder zur Diskussion stehen. Das mag
Ihnen innenpolitisch manches Bauchgrimmen bescheren. Dem können Sie sich aber nicht
entziehen. Wir müssen hier in kürzeren Fristen zusammenkommen, um
den Erfolg und die Akzeptanz dieser Entscheidung, die wir mit zu treffen bereit sind, zu
diskutieren.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
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