Regierungserklärung des Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD)
zur Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Bekämpfung des internationalen
Terrorismus
vom 8. November 2001
Gerhard Schröder, Bundeskanzler [SPD]:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Der Deutsche Bundestag unterstützt die Bereitschaft der Bundesregierung, den Bekundungen
der uneingeschränkten Solidarität mit den Vereinigten Staaten konkrete Maßnahmen des
Beistands folgen zu lassen. Dazu zählen politische und wirtschaftliche Unterstützung
sowie die Bereitstellung geeigneter militärischer Fähigkeiten zur Bekämpfung des
internationalen Terrorismus.
Dies hat dieses Hohe Haus bereits am 19. September dieses Jahres [vgl. z.B. Regierungserklärung des Bundeskanzlers] mit
großer Mehrheit beschlossen. Es geht jetzt darum, die Konsequenzen aus diesem Beschluss
des Deutschen Bundestages zu ziehen.
Rufen wir uns in Erinnerung: Am 11. September 2001 haben skrupellose, kaltblütige
Terroristen mit entführten Flugzeugen Anschläge in New York und Washington verübt.
Diesen barbarischen Attentaten sind Tausende unschuldiger Menschen zum Opfer gefallen. Ich
kann verstehen, wenn Einzelne, sogar viele Einzelne angesichts des Grauens der Bilder, die
man nicht täglich ertragen kann, zur Verdrängung dessen neigen, was geschehen ist. Das
ist menschlich nachvollziehbar. Aber dies kann und darf nicht die Leitlinie politischer
Entscheidungen sein; denn diejenigen, die politische Entscheidungen dieser Tragweite zu
treffen haben, können und dürfen, so sehr sie das individuell bedauern mögen, nicht
verdrängen, sondern sie müssen immer wieder den Gegebenheiten ins Auge schauen und die -
gelegentlich leider - notwendigen Konsequenzen ziehen.
Das ist der Grund, warum der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen schon unmittelbar nach
den Anschlägen vom 11. September die völkerrechtlich verbindliche Resolution 1368 einstimmig verabschiedet
hat. Darin wird festgestellt - auch das gilt es immer wieder in Erinnerung zu rufen -,
dass die Angriffe eine Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit
darstellen und dass die Folge dessen die legitimierte Inanspruchnahme des
Selbstverteidigungsrechtes nach Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen ist. Mir ist es im
Hinblick auf die Öffentlichkeit wichtig - hier im Hohen Hause weiß man das ja -,
festzustellen, dass alle Maßnahmen einschließlich der militärischen exakt auf dieser
völkerrechtlich verbindlichen Basis getroffen worden sind, also durch die
Staatengemeinschaft und durch das internationale Recht in vollem Umfang legitimiert sind.
Der NATO-Rat hat am 4. Oktober dieses Jahres erstmalig in der Geschichte des Bündnisses
den Bündnisfall nach Art. 5 des
NATO-Vertrages festgestellt. Das ist eine Entscheidung von großer Tragweite, die uns
übrigens nicht nur formal, also nach den Buchstaben des Vertrages, verpflichtet. Nein,
ich denke, unsere Verpflichtung geht weiter, als lediglich eine Bündnispflicht zu er
füllen. Wir haben gemeinsam immer wieder darauf hingewiesen, dass insbesondere die
Angriffe auf New York und Washington, also die Angriffe auf die Vereinigten Staaten von
Amerika, nicht nur Angriffe auf die Werte waren, nach denen sich die Amerikaner politisch
konstituieren, sondern auch Angriffe auf jene Werte, die für uns politisch konstitutiv
sind, nämlich die Werte des Grundgesetzes.
Deshalb geht es nicht nur um eine formale Verpflichtung, die aus Bündnispflichten
resultiert. Das ist sie auch und das ist bereits wichtig genug. Es geht vielmehr darum:
Solidarität darf in einem Bündnis keine Einbahnstraße sein. Wir haben über Jahrzehnte
Solidarität erfahren. Deshalb ist es schlicht unsere Pflicht - das entspricht unserem
Verständnis von Selbstachtung -, wenn wir in der jetzigen Situation Bündnissolidarität
zurückgeben.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)
In der Öffentlichkeit sind zum Beispiel die Fragen gestellt worden: Warum leistet ihr
denn Solidarität? Ist denn der Erfolg dieser Bündnisleistung gewährleistet? - Niemand
kann das sagen, jedenfalls nicht mit letzter Sicherheit. Aber was wäre das für eine
Solidarität, die wir vom Erfolg einer Maßnahme abhängig machten?
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU
und der FDP)
Deswegen denke ich: Wir haben uns gemeinsam, also das gesamte Hohe Haus - ich habe
eingangs aus dem entsprechenden Beschluss des Bundestages zitiert -, zu uneingeschränkter
Solidarität verpflichtet. Wir haben sie jetzt als Konsequenz aus unseren eigenen
Entscheidungen auch zu leisten.
Vor diesem Hintergrund hat die amerikanische Regierung konkrete Anfragen an uns gerichtet.
Sie umfassen die Bereitstellung von ABC-Abwehrkräften, einer Einheit zur Evakuierung von
Verletzten, von Spezialkräften der Bundeswehr, von Lufttransportkräften zum Transport
von Personen und Material sowie von Seestreitkräften zum Beispiel zur Kontrolle des
freien Schiffsverkehrs und zum Schutz von Schiffen mit gefährlicher Ladung. Das
Bundeskabinett hat gestern beschlossen, dieser Bitte der Vereinigten Staaten zu
entsprechen. Wir erfüllen damit die an uns gerichteten Erwartungen und leisten das, was
uns objektiv möglich ist und was in dieser Situation politisch verantwortet werden kann.
Alles in allem werden an der Operation "Enduring Freedom" maximal 3900 deutsche
Berufs- und Zeitsoldaten beteiligt sein. Das ist eine Obergrenze, die auf der Basis der
konkreten Anforderungen berechnet worden ist. Ich habe in jeder öffentlichen
Verlautbarung darauf hingewiesen, dass man diese Zahlen nicht als exakte Zahlen nehmen
kann; diese Obergrenze ist aber festgestellt und steht auch in dem Antrag, den die
Bundesregierung dem Deutschen Bundestag zugeleitet hat. Ein gleichzeitiger Einsatz aller
Soldaten ist nicht zu er warten.
Das Mandat ist - nach unserer Auffassung richtigerweise - auf zwölf Monate begrenzt. Dies
entspricht auch den Erwartungen unserer Bündnispartner. Bei einer Verlängerung müsste
der Deutsche Bundestag erneut befasst werden. Mir ist wichtig, festzustellen, dass letzte
Entscheidungen über Einsätze in vollem Umfang bei der Bundesregierung verbleiben. Ebenso
wichtig ist mir, festzuhalten, dass keine Absicht besteht, die militärischen Maßnahmen
auf ein anderes Land auszudehnen. Im Übrigen, kann es Einsätze - ich betone das - nur
mit Zustimmung der Regierung des entsprechenden Landes geben. Das ist die Konsequenz
dessen, was wir vorschlagen.
Zunächst geht es nur um die Bereitstellung der deutschen Kräfte - natürlich um die
Bereitstellung zu einem Einsatz -, auch wenn der Bundestag schon jetzt um die Zustimmung
zu einem späteren Einsatzbeschluss gebeten wird.
Bezogen auf die juristischen Bedenken, die gelegentlich geäußert worden sind, will ich
sagen, dass das Verfahren, das wir Ihnen vorschlagen, nicht neu ist. Genauso hat der
Bundestag in völligem Einklang mit der Verfassung
und der Rechtslage bei seinem Kosovo-Beschluss vom 16. Oktober 1998 gehandelt.
Mir ist besonders wichtig festzuhalten: Es geht weder um eine deutsche Beteiligung an
Luftangriffen noch um die Bereitstellung von Kampftruppen am Boden. Der Beitrag, den wir
leisten wollen, ist auch Ausdruck unserer Bereitschaft, der gewachsenen Verantwortung
Deutschlands in der Welt durch konkretes Handeln Rechnung zu tragen. Es muss deutlich
werden: Es geht nicht um irgendeine außenpolitische Strategie; es geht um die Vertretung
der eigenen Interessen und um den Schutz der eigenen Werte, nach denen wir leben und
weiter leben wollen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU
und der FDP)
Natürlich stellen sich viele Menschen in Deutschland jetzt besorgt die Frage, welche
Konsequenzen der deutsche Beitrag für uns hat und insbesondere für die Soldaten haben
wird. Niemand hat darauf eine endgültige Antwort. Jedem - nicht zuletzt mir - ist
bewusst, das jeder Auslandseinsatz Risiken und Gefahren in sich birgt. Aber klar ist, dass
die Bundesregierung alles tun wird, um die bestmögliche Sicherheit unserer Soldaten zu
gewährleisten.
Im Übrigen sind wir nicht die einzigen, die gebeten worden sind, ihrer Verantwortung auch
durch einen militärischen Beitrag zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus
nachzukommen. Kanada und Australien zählen ebenso wie Großbritannien - das ist bekannt
-, die Türkei, die Tschechische Republik sowie Frankreich und Italien als weitere
europäische Partner zu den Staaten, die sich an den Maßnahmen beteiligen. Auch das gilt
es zu bedenken, wenn hier im Hohen Hause darüber nachgedacht wird, ob man zustimmen kann
und will oder nicht. Auch die Konsequenzen für Gemeinsamkeiten mit unseren Partnern in
Europa sind bei einer politisch verantwortlich zu treffenden Entscheidung zu
berücksichtigen.
Die militärischen Operationen richten sich auf der Grundlage der Resolution 1368 des Weltsicherheitsrates
gegen das terroristische Netzwerk von Osama Bin Laden und gegen das den Terrorismus
unterstützende Talibanregime in Afghanistan. Ich bitte Sie, sich in Erinnerung zu rufen
und niemals zu vergessen, dass es sich um ein Gewaltregime handelt, das den Tod vieler
Tausend Afghanen, vor allem Kinder und Frauen, Unterdrückung und Massenvertreibung, auch
Akte kultureller Barbarei zu verantworten hat. All das fand statt - das ist für die
öffentliche Diskussion wichtig -, lange bevor die militärischen Maßnahmen gegen dieses
Regime begonnen hatten.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)
Wenn es ein Versäumnis der internationalen Staatengemeinschaft gibt, dann dies - das
sollten wir in einer solchen Debatte selbstkritisch eingestehen -, dass wir alle nach dem
Abzug der vormaligen Sowjettruppen aus Afghanistan dieses Land und die Barbarei in diesem
Land viel zu lange nicht beachtet haben.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Es handelt sich um ein Regime, das darüber hinaus terroristische Bestrebungen mit dem
Ziel fördert, die Stabilität arabischer und muslimischer Staaten zu erschüttern -
wiederum mit gefährlichen außen- und sicherheitspolitischen Folgen nicht nur für die
angegriffenen Vereinigten Staaten, sondern für die gesamte zivilisierte Welt. Deshalb
betone ich noch einmal: Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus ist nicht allein
mit militärischen Mitteln zu gewinnen; das wissen wir sehr wohl. Deshalb müssen wir
dauerhafte Anstrengungen auf vielerlei Ebenen unternehmen, um dieser Herausforderung zu
begegnen. Wir können und dürfen den militärischen Beitrag daher nicht los gelöst von
einer solchen umfassenden Strategie, einer Strategie für Sicherheit und für Stabilität
in der Welt, diskutieren.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, während meiner Reise nach Pakistan, Indien, China und dann auch
Russland in der vergangenen Woche habe ich eine große Übereinstimmung darüber
feststellen können, dass die Überwindung des Talibanregimes als wesentliche
Voraussetzung für eine menschenwürdige Zukunft Afghanistans gesehen wird. Auf die
Staatengemeinschaft kommen in diesem Zusammenhang langfristig enorme Aufgaben zu. Das gilt
vor allem für die Europäische Union. Ich bin der Auffassung, dass in dem Prozess, den
man Post-Taliban-Prozess nennt, nicht nur die Nationalstaaten, die ganz natürlicherweise
Adressat der Beistandserwartungen der angegriffenen Amerikaner waren und sind, Gesicht
zeigen müssen, sondern dass - das ist auch in dem Gespräch deutlich geworden, das die
europäischen Regierungschefs am letzten Sonntagabend in London geführt haben - vor allem
auch das integrierte Europa, das dabei ist, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
zu schaffen, Gesicht zeigen und seine Rolle wahrnehmen muss. Wir in Deutschland treten
dafür ein, dass dies für Europa möglich wird und dann auch so geschieht.
Es geht jetzt in erster Linie um humanitäre Anstrengungen, mit denen das Leid von
Millionen von Afghanen gelindert werden kann. Viele scheinen das Ausmaß der humanitären
Katastrophe noch gar nicht richtig erfasst zu haben. Es geht dabei nicht nur um die
Versorgung von Flüchtlingen, von Flüchtlingen übrigens - das gilt es hervorzuheben -,
die völlig unabhängig von den militärischen Maßnahmen, die angeordnet worden sind,
weil sie notwendig sind, auf der Flucht waren und sind, sondern es geht auch um die
Versorgung von Menschen, die als Folge der Unterdrückung und der Unfähigkeit des Regimes
Hunger leiden. Wir müssen befürchten, dass Abertausende verhungern. Auch um diese
Menschen geht es uns.
Jedenfalls müssen und werden wir unsere Anstrengungen zur Abwehr von Hunger und
Flüchtlingselend noch einmal verstärken. Wenn diesem so vielfach gebeutelten Land nach
Beseitigung des Terrorregimes eine Perspektive gegeben werden soll, dann brauchen wir auch
eine Vorstellung davon und die Bereitschaft dazu, den Wiederaufbau zu unterstützen.
Nicht zuletzt wird es darum gehen, an den Rahmenbedingungen für das friedliche
Zusammenleben der Bevölkerungsgruppen Afghanistans mitzuwirken. Ich sage noch einmal: Wir
treten gemeinsam mit unseren europäischen Partnern für eine Lösung ein, die nicht von
außen oktroyiert sein darf - das ist übrigens auch die Auffassung unserer amerikanischen
Freunde -, sondern die sich aus dem Land heraus entwickeln muss. Es geht um eine Lösung,
die alle ethnischen Gruppen einbezieht und die die berechtigten Interessen der
Nachbarstaaten berücksichtigt.
Dabei kann diese Lösung für eine gewisse Zeit nur unter dem Dach der Vereinten Nationen
herbeigeführt werden. In diesem Prozess dürfen sich Europa und damit Deutschland ihrer
Verantwortung nicht entziehen und sie werden es auch nicht tun.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU
und der FDP)
Darüber hinaus wollen und werden wir unsere Zusammenarbeit mit den zentralasiatischen
Staaten ausbauen. Wir sind daran interessiert, eine Destabilisierung durch den von
Afghanistan ausgehenden internationalen Terrorismus zu vermeiden.
Schließlich dürfen wir in unseren Bemühungen um eine Lösung des Nahostkonfliktes nicht
nachlassen. Der ungelöste Nahostkonflikt darf keine Berufungsgrundlage für das
verbrecherische Handeln der Terroristen sein.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der
CDU/CSU)
Bezogen auf die Anstrengungen zur Lösung dieses Konflikts, gilt auch: Es gibt keine
direkte Beziehung zwischen dem internationalen Terrorismus und dem schwelenden Konflikt im
Nahen Osten. Anders ausgedrückt: Auch wenn dieser Konflikt morgen gelöst wäre, dann
dürfte man nicht nachlassen, den internationalen Terrorismus zu bekämpfen, weil er
unabhängig von diesem Konflikt besteht.
(Dr. Peter Struck [SPD]: Richtig!)
Die Lösung des Konfliktes - natürlich auch aus sich selbst heraus - ist nicht zuletzt
deshalb wichtig, weil er den Terroristen die Mobilisierung von Massen für ihr
verbrecherisches Handeln immer wieder erlaubt hat und - wenn wir zu keiner Lösung kommen
- weiterhin erlauben wird.
Der unermüdliche Einsatz des Bundesaußenministers zur Überwindung der Gegensätze in
der Region hat den Respekt vieler seiner und vieler meiner Kollegen. Er verdient auch
unseren Respekt und unsere Anerkennung.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])
Wir würden die Möglichkeiten Deutschlands - dabei geht es auch, aber nicht nur um
Personen - falsch einschätzen, weil wir sie überschätzten, wenn wir glaubten, dass
dieser Konflikt allein durch unsere oder durch gemeinsame europäische Anstrengungen zu
lösen wäre. In dieser zutiefst Besorgnis erregenden Situation ist es erforderlich, dass
insbesondere die Vereinigten Staaten erkennen, dass sie im Nahen Osten auf höchster Ebene
- möglicherweise gemeinsam mit Russland, mit der Europäischen Union und naturgemäß mit
den Vereinten Nationen - eine herausgehobene Verantwortung für die Lösung dieses
Konflikts tragen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Die Eindämmung des internationalen Terrorismus verlangt - das ist klar - große
Anstrengungen und vor allen Dingen einen langen Atem. Wir haben ein gemeinsames Interesse,
die militärischen Operationen zu einem raschen und erfolgreichen Ende zu führen. Wir
begrüßen ausdrücklich die Zusage der amerikanischen Regierung, alle nur möglichen
Vorkehrungen zu treffen, um zivile Opfer zu vermeiden.
Gerade mit Bezug auf die öffentliche Debatte bitte ich auch in diesem Fall um Fairness.
Die Fairness besteht darin, dass man nicht einerseits sagt, man solle so vor gehen, dass
möglichst wenig zivile Opfer zu beklagen sind, andererseits aber zugleich den Vorwurf
erhebt, dass ein solches Vorgehen dann naturgemäß länger dauert, als wenn man anders
vorginge. Beides lässt sich nicht gut verbinden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Man muss sich entscheiden. Ich denke, auch das gehört zur Redlichkeit im Umgang
miteinander und im Umgang mit unseren Partnern und muss bei Entscheidungen im Deutschen
Bundestag beachtet werden.
Mit unseren humanitären Bemühungen machen wir zugleich deutlich, dass sich die
militärischen Operationen eben nicht gegen das afghanische Volk richten, sondern gegen
den internationalen Terrorismus, der vom Talibanregime unterstützt wird, welches insoweit
Teil des internationalen Terrorismus ist. Allein Deutschland hat übrigens - das können
wir ruhig selbstbewusst sagen - in den vergangenen Jahren humanitäre Leistungen in Höhe
von mehr als 100 Millionen DM erbracht. Afghanistan war - das gilt ungeachtet der
selbstkritischen Bemerkungen, die ich gemacht habe - immer ein Schwerpunktland unserer
humanitären Hilfe. Auch deswegen haben wir in diesem Jahr den Vorsitz in der Afghanistan
Support Group inne.
Mindestens ebenso wichtig wie militärisches und humanitäres Engagement sind politische
und diplomatische Bemühungen. Wirtschaftliche Maßnahmen ebenso wie die notwendige
Zusammenarbeit der Nachrichtendienste müssen hinzukommen. Schließlich müssen wir uns
auch der geistigen Auseinandersetzung mit dem Terrorismus stellen. Das heißt, wir müssen
uns vor allem der Tatsache stellen, dass Terroristen kulturelle, soziale und politische
Missstände für ihre mörderischen Zwecke instrumentalisieren. Diese geistige
Auseinandersetzung haben wir im Dialog mit den muslimischen Gesellschaften zu führen, die
dabei - auch das gilt es einzufordern - auch ihrer eigenen Verantwortung nachkommen
müssen, um das Ziel einer gemeinsamen friedlichen und humanen Entwicklung zu erreichen.
Nur auf der Grundlage eines so umfassenden Konzeptes und gemeinsamen Handelns wird die
internationale Koalition im Kampf gegen den Terrorismus am Ende erfolgreich sein. Dieser
Erfolg ist nicht nur notwendig, sondern - davon bin ich überzeugt - er wird auch erreicht
werden. Wir stehen im Kampf gegen den Terrorismus vor einer großen Herausforderung. Sie
ist nicht zu bewältigen, ohne Risiken einzugehen. Niemand hat das behauptet und niemand
kann das behaupten. Sie birgt aber auch die Chance, Gefahren für die friedliche Existenz
und das friedliche Zusammenleben der Völker zu Beginn des 21. Jahrhunderts dauerhaft zu
beseitigen.
Ich will aber noch auf eines hinweisen: Bei der anstehenden Entscheidung geht es auch um
die Bündnisfähigkeit Deutschlands, also darum, dass wir die richtige Konsequenz aus dem,
was wir alle miteinander erklärt und bekannt haben, ziehen. Ich möchte mich in diesem
Zusammenhang ausdrücklich dafür bedanken, dass es möglich gewesen ist, die ganze Zeit
über so miteinander umzugehen und uns gegenseitig so zu informieren, wie das dem Thema
angemessen ist. Diesen Dank spreche ich dem ganzen Haus aus, allen, die dabei sind. Ich
habe den Fraktions- und Parteivorsitzenden zugesagt - ich habe das auch dem Bundeskabinett
berichtet, welches das zustimmend zur Kenntnis genommen hat -, dass ich diese angemessene
Informationspolitik auch weiterführen werde, insbesondere dann, wenn es um die
Konsequenzen aus dem hoffentlich mit breiter Mehrheit gefällten Beschluss in der
nächsten Woche geht.
Mehr als 50 Jahre - lassen Sie mich das abschließend sagen, meine Damen und Herren -
haben die Vereinigten Staaten in Solidarität zu uns gestanden. Es waren nicht zuletzt die
Amerikaner, die uns die Rückkehr in die Völkergemeinschaft ermöglicht, die unsere
Freiheit garantiert und letztlich unsere staatliche Einheit und deren Werden unterstützt
haben.
Über viele Jahrzehnte haben wir diese Solidarität Amerikas für selbst verständlich
gehalten und haben unseren Nutzen daraus gezogen. Bündnissolidarität ist aber keine
Einbahnstraße. Deshalb geht es jetzt - nicht nur, aber auch - darum, unseren praktischen
Beitrag zur Solidarität, die unseren gemeinsamen Werten, unseren gemeinsamen Zielen und
unserer gemeinsamen Zukunft in Sicherheit und Freiheit gilt, zu leisten. Wir tun das, wie
sich zeigt, in offener, in demokratischer und auch in kritischer Diskussion; das ist kein
Nach teil in unserer Gesellschaft. Ich hoffe aber auch, dass wir das
in großer Geschlossenheit und mit einem entsprechenden Ergebnis tun.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Beifall bei der FDP
sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
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