Rede des Justizsenators des Landes Berlin Wolfgang Wieland (Bündnis 90/Die Grünen) zum Thema "Sicherheit 21 - Was zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus jetzt zu tun ist"

Vom 18. Oktober 2001


Wolfgang Wieland, Senator [für Justiz] [Bündnis 90/Die Grünen] (Berlin):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch die terroristischen An griffe stehen wir vor einer neuen Herausforderung. Das ist keine Frage. Auch wir als Grüne stellen uns dieser Herausforderung. Dass Teppichmesser als Bewaffnung ausreichen, um aus Passagierjets Angriffswaffen zu machen, die tausendfachen Tod bringen, hat sich doch vorher außer den Tätern niemand im Ernst vorzustellen vermocht. Genau so wenig war es noch vor zehn Tagen vor stellbar, dass weltweit Briefe nur noch befangen und unter Angst geöffnet werden können - bis dato eine Horrorvision, heute traurige Realität bei uns.

Diese neue Qualität der Bedrohung durch die Nomaden des Terrors - so hat man sie genannt und das sind sie wohl auch - erfordert neue Antworten. Wir Grüne stellen uns dieser Herausforderung. Wir haben das Sicherheitspaket I hier im Bundestag mitgetragen. Wir haben vor allem auch auf Landes ebene, so auch hier in Berlin, mit einem Sofortprogramm zur inneren Sicherheit reagiert. Aber alle Vorschläge, die - auch von Ihnen - gemacht werden, müssen auf den Prüfstand, ob sie geeignet sind, ob sie erforderlich sind und ob sie im Sinne des Rechtsstaates und der Bürgerrechte verhältnismäßig sind. Das setzen wir als Maßstab bei uns und auch bei Ihnen an.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es fällt in der Tat auf, dass Sie als Antworten auf neue Herausforderungen weitestgehend alte Konzepte aus den Schubladen und aus der Mottenkiste geholt haben, die Sie schon immer gerne realisiert haben wollten, die Sie beispielsweise vor der Sommerpause

(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Wen meinen Sie? Den Innenminister oder uns?)

- ich meine Sie, die CDU-Fraktion - in Ihren Leitlinien zur inneren Sicherheit vorgelegt haben.

(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Nennen Sie doch mal ein paar! Erstens! Zweitens! Drittens!)

- Ich folge Ihnen gerne und werde konkret.

(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Das ist gut!)

Erstens. Verdeckte Ermittler sollen Straftaten, nicht einmal mehr beschränkt auf den Bereich der mittleren Kriminalität, begehen dürfen.

(Zuruf von der CDU/CSU)

- Lesen Sie Ihr Sicherheitspaket 21! - Wir meinen nach wie vor: Der Polizist und der Verbrecher müssen unterscheidbar bleiben. Diesen Irrweg gehen wir nicht mit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf des Abg. Norbert Geis [CDU/CSU])

- Ich habe sehr genau gelesen.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Dann haben Sie es nicht verstanden!)

Zweitens. Wie schon in den Leitlinien zur inneren Sicherheit schlagen Sie, Herr Geis, wiederum vor, die Grenzen der akustischen Wohnraumüberwachung - vulgo: großer Lauschangriff - zu überschreiten, ohne zu sagen, welche Grenzen Sie eigentlich meinen. Ich habe hier seiner zeit schon gesagt: Ich kann mir nur vorstellen, dass Sie dann auch in die Anwaltskanzleien und in die Redaktionsbüros wollen. Denn diese sind seinerzeit als Einzige ausgenommen worden. Sie fügen nun hinzu - Herr Stadler hat darauf hingewiesen -, Sie wollen auch noch die Videoüberwachung. Das Richtmikrofon und die Wanze reichen nicht. Nun soll auch noch die Videokamera kommen. Da sagen wir ganz deutlich: Hier lässt Orwell grüßen. Nicht mit uns! Auch diesen Weg können wir nicht mitgehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Friedrich Merz [CDU/CSU]: Quatsch! Unsinn! Unfug!)

Drittens - beinahe selbstverständlich -: Die alte Kronzeugenregelung, 1999 ausgelaufen, soll wieder in Kraft gesetzt werden. Auch dies ist einer Ihrer konkreten Vorschläge.

(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Jetzt sagen Sie mal genau, was Sie wollen!)

- Wir werden etwas Besseres bekommen. Im Moment wird über die Strafmilderung für den Aufklärungsgehilfen - so wird er dann heißen - verhandelt. Dann haben wir nicht mehr die Straffreiheit auch des Schwerverbrechers, nur weil er andere belastet. Dann sind wir einen deutlichen Schritt weiter und eindeutig auf rechtsstaatlicher Ebene.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Bernd Reuter [SPD])

Ich verstehe Ihre Schwierigkeit, den Bundesinnenminister sozusagen rechts zu überholen. Das verstehe ich durchaus; er lässt da wenig Raum.

(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Das geht gar nicht mehr!)

- Ja, da kann man auf unausgegorene Ideen kommen. - Aber die Bundeswehr nun ergänzend im Innern einzusetzen, wie Sie es wollen, ist tatsächlich ein alter Traum aus Zeiten der Notstandsdebatte. Selbst die Deutsche Polizeigewerkschaft hat gerade vor zwei Tagen darauf hin gewiesen, dass seinerzeit abgewehrt wurde, dass die Polizei einen Kombattantenstatus erhält.

Interessant ist die Pauschalität, in der Sie Ihre Forderungen formulieren. Wir erinnern uns noch an Herrn Schäuble, der die Bundeswehr Anfang der 90er-Jahre gegen angebliche Asylantenfluten einsetzen wollte. Wir haben Frau Merkel täglich im Ohr - und dies, obwohl sie von ihrem Präsidium etwas gedämpft wurde -, die sagt: Wir brauchen die Bundeswehr ohne Beschränkungen. - Wenn Sie den Einsatz der Bundeswehr so pauschal fordern, dann kann man über durchaus sinnvolle Dinge, zum Beispiel über das Heran ziehen der Bundeswehr zur Luftraumüberwachung oder über die Amtshilfe bei Milzbranduntersuchungen und anderem, nicht mehr sprechen. Sie wollen nicht sehen, dass ein grundsätzlicher Unterschied darin besteht, dass der Soldat seinen Feind vernichtet - dazu ist er ausgebildet; das ist sein Berufsbild - und dass der Polizist den Straftäter festnimmt. Letzterer soll das Töten nach Möglichkeit vermeiden. Diese beiden Berufe sind also zweierlei bzw. aus gutem Grund getrennt. Die Verfassung ist hier eindeutig und so soll es auch bleiben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Wir können doch die zum Teil nach Vorgabe der Alliierten bei uns gewachsene Verfassungstradition - das betrifft auch die Trennung von Polizei und Geheimdiensten - nicht über Bord werfen und so tun, als hätte dies alles keinen Sinn. Es wurde niemals ein Bundessicherheitshauptamt eingerichtet - und das aus gutem Grund. Denn man wollte hier die Balance halten und das Prinzip des Föderalismus, also die Polizei als Länderangelegenheit, durchsetzen. Dies hat sich bewährt; daran sollte man nicht rütteln.


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Senator Wieland, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bonitz?

Wolfgang Wieland, Senator (Berlin): Gerne.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön, Frau Bonitz.

Sylvia Bonitz (CDU/CSU): Herr Senator, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass Polizei und BGS, die seit dem 11. September 2001 sieben Tage die Woche ununterbrochen in Zwölfstundenschichten arbeiten, inzwischen an der Grenze ihrer Belastbarkeit angekommen sind, dass es besondere Gefährdungslagen geben kann, in denen die Bundeswehr aufgrund ihrer spezifischen Kenntnisse und Fertigkeiten

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf die hat er doch gerade hingewiesen!)

in Ergänzung zur Polizei durchaus herangezogen werden sollte, und dass da her die gesetzlichen Grundlagen in Art. 35 und 87 a des Grundgesetzes möglicherweise einer Überprüfung bzw. Änderung bedürfen?


Wolfgang Wieland, Senator (Berlin): Wir in Berlin wissen sehr wohl, was die Polizei leistet. Denn es ist weitgehend die Polizei des Landes Berlin, die diese Sicherungsaufgaben übernehmen muss. Sie vermag dies; sie schafft dies; sie hat diese Leistungsfähigkeit.

Die Verfassung besagt eindeutig: Wir brauchen einen Verteidigungsfall - den haben wir nicht -, oder wir brauchen einen inneren Notstand - davon sind wir glücklicherweise Meilen entfernt -, damit ein Bundeswehreinsatz möglich ist. - Wir werden nicht in diese Situation kommen. Das ist völlig eindeutig; auch Rudolf Scharping hat das deutlich betont. Daran sollte man nicht rütteln.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Terroristen bekämpft man am effektivsten durch gute kriminalpolizeiliche Arbeit. Ich bin so altmodisch, zu sagen: Effektiver als jede Rasterfahndung ist immer noch das Notizbuch des Kriminalhauptkommissars.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Die Täter, die in Hamburg lebten, und auch die, die im Zusammenhang mit dem geplanten Attentat in Straßburg festgenommen worden sind, haben Spuren hinterlassen. Hier ist Aufklärung möglich und zum Teil auch schon erfolgt. Man sollte sich nicht kleiner machen, als man ist.

Vor allen Dingen sollte man eines im Kopf haben: Den Rechtsstaat verteidige ich nur, indem ich ihn bewahre, und nicht dadurch, dass ich ihn abbaue. - Genau dies wollen die Terroristen. Diesen Gefallen dürfen wir ihnen nicht tun. "Liberty dies by inches" - "Die Freiheit stirbt zentimeterweise" -, so sagt man im Englischen. Ich füge hinzu: Sie stirbt sogar meterweise.

Lassen wir es nicht dazu kommen! Lassen Sie uns einen kühlen Kopf bewahren und die Maßnahmen treffen, die rechtsstaatlich verträglich sind, die Maßnahmen, die dazu führen, dass wir uns gemeinsam der aktuellen Bedrohung erwehren! Dann haben wir die große Leistung vollbracht, dass ein Rechtsstaat sich einwandfrei und sauber wehrt und zeigt, dass er die überlegene Form des Zusammenlebens ist.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

 

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Quelle: Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, Stenographischer Bericht der 195. Sitzung vom 18. Oktober 2001 (Plenarprotokoll 14/195).


Empfohlene Zitierweise des Dokumentes:
Rede des Justizsenators des Landes Berlin Wolfgang Wieland (Bündnis 90/Die Grünen) zum Thema "Sicherheit 21 - Was zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus jetzt zu tun ist" (18.10.2001), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/brd/2001/rede_wieland_1018.html, Stand: aktuelles Datum.


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Letzte Änderung: 03.03.2004
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