Rede des Ministerpräsidenten des Freistaats Sachsen Dr. Kurt
Biedenkopf (CDU) zum Antrag der Bundesregierung auf Einsatz bewaffneter deutscher
Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe
gegen die USA und zum Antrag des Bundeskanzlers gemäß Art. 68 des Grundgesetzes
vom 16. November 2001
Dr. Kurt Biedenkopf, Ministerpräsident (Sachsen) [CDU] (von
Abgeordneten der CDU/CSU mit Beifall begrüßt):
Ich kann ja verstehen, dass eine gewisse Aufregung im Haus herrscht.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn Sie gestatten, würde ich
gerne zu der Rede des Bundeskanzlers zurückkehren,
mit der er sowohl die vorgeschlagene Entschließung wie auch seine Entscheidung, die
Vertrauensfrage zu stellen, begründet hat.
Herr Bundeskanzler, Sie haben gesagt, die
Vertrauensfrage sei notwendig, um die Verlässlichkeit Deutschlands als Bündnispartner zu
sichern. Ich würde das gerne etwas abwandeln und sagen: Die Vertrauensfrage ist
notwendig, um die Verlässlichkeit der Koalition als Bündnispartner zu sichern.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)
Die Verlässlichkeit Deutschlands als Bündnispartner wäre jedermann deutlich gewesen,
wenn Sie die Vertrauensfrage nicht gestellt hätten. Das ist meiner Meinung nach das
Problem.
(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sehr richtig!)
Ich glaube, dass man diesen Vorgang auch einmal aus dem Blickwinkel unserer Verbündeten
und nicht nur aus dem Blickwinkel der Koalition und ihrem Interesse an ihrer
Selbsterhaltung beurteilen sollte. Ich hätte mir gewünscht, dass der Außenminister dieser Frage in seiner Rede nachgegangen wäre. Das ist nämlich seine
Aufgabe.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Stattdessen hat er uns mit einem rhetorischen Feuerwerk erfreut, bei dem mich nur die
Disziplin der Bundesratsbank davon abgehalten hat, "helau" zu rufen.
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU - Gernot Erler [SPD]: Sie verwechseln die Reden!
Sie meinten Herrn Glos!)
Tatsache ist, dass unsere Verbündeten, insbesondere die Vereinigten Staaten und deren
Führung - auf deren Aufforderung hin beteiligen wir uns an der kollektiven Verteidigung,
nachdem der Bündnisfall nach Art. 5 des NATO-Vertrages ausgerufen wurde; dies ist die
Ursache für das, worüber hier jetzt diskutiert wird -, das heutige Vorgehen mit
wahrscheinlich sehr gemischten Gefühlen betrachten.
Der Fraktionsvorsitzende der SPD, der Kollege Struck,
hat in seiner Rede eindrucksvoll geschildert,
(Gernot Erler [SPD]: Die Rede war eindrucksvoll)
wie sich frühere Kanzler bei schwierigsten politischen Fragen um eine breite Mehrheit
bemüht haben. Er hat insbesondere Konrad Adenauer und dessen Bemühungen um eine breite
Zustimmung zur Wiederbewaffnung erwähnt. Ich habe diese Debatte damals miterlebt. Herr
Kollege Struck, genau das hat der Bundeskanzler nicht
getan: Er hat die Bildung einer breiten Mehrheit für die Beteiligung deutscher
Streitkräfte - diese Mehrheit halten Sie für durchaus wichtig - mit dem Stellen der
Vertrauensfrage blockiert.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Der Bundeskanzler hat die Wirkung dieser Blockade auf die Oppositionsparteien
ausdrücklich akzeptiert. Das heißt, er ist davon ausgegangen, dass die
Oppositionsfraktionen trotz der großen Bedeutung der zur Abstimmung stehenden
außenpolitischen Frage wegen des damit verknüpften Stellens der Vertrauensfrage Nein
sagen. Man kann ihnen nicht zumuten, über ihren Schatten zu springen. Das heißt, Herr
Kollege Struck, genau das, was Sie eigentlich
einfordern, eine breite Mehrheit, erreichen Sie mit dem heutigen Vor gehen nicht.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)
Die Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland beruht nach dem Verständnis des
Bundeskanzlers auf dem Zusammenhalt der Koalition. Dieser Zusammenhalt ist nur durch das
Stellen der Vertrauensfrage zu gewährleisten. Nun kann man aber nicht bei jeder
Entscheidung über eine wichtige außenpolitische Frage die Vertrauensfrage stellen.
(Zuruf von der SPD: Machen wir auch nicht!)
In diesem Zusammenhang ist nun, und zwar aus politischen und nicht aus juristischen
Gründen, die Beantwortung der Frage der Zurückholbarkeit der Soldaten innerhalb der
vorgesehenen 12 Monate wesentlich. Ich versuche wiederum, mir mit den Augen unserer
Verbündeten diesen Teil der Debatte zu vergegenwärtigen. Dazu muss ich sagen: Das, was
der Bundestag beschließen soll, nämlich die Ermächtigung des
Bundesverteidigungsministers - er ist ja für die Einzelheiten zuständig -, deutsche
Streitkräfte an der Operation Enduring Freedom für 12 Monate zu beteiligen, ist jetzt
infrage gestellt worden.
Der Kollege Struck hat gesagt: Wir müssen das Recht
haben, den Beschluss zurückzuholen, wenn wir der Meinung sind, dass die Sache nicht mehr
sinnvoll ist. Weiterhin hat er gesagt: Wir müssen die Möglichkeit haben, diesen
zurückzuholen, wenn wir die Verluste für zu hoch halten. Meine sehr verehrten Damen und
Herren, was ist denn nun der konkrete Inhalt der Bündnisverlässlichkeit, die durch
diesen Entscheid unter Beweis gestellt werden soll?
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Es ist schon
sehr peinlich für einen Professor, dass Sie so einen Unsinn erzählen!)
- Das hat mit Professor nichts zu tun. Was mich stört, ist die fehlende inhaltliche
Schlüssigkeit des Arguments.
(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was mich stört, ist, dass Sie so daneben liegen!)
Genau nach dieser inneren Schlüssigkeit werden auch unsere Bündnispartner fragen. Sie
hingegen fragen nur danach, ob Sie alle Stimmen kriegen. Die Menschen, die außerhalb der
Bundesrepublik Deutschland unsere Belastbarkeit und Verlässlichkeit als Bündnispartner
prüfen, werden sagen müssen: Die Regierung hat ihre Bündnisfähigkeit nur noch unter
extremen Bedingungen gewährleisten können.
(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sehr richtig!)
Gleichzeitig wird die getroffene Entscheidung inhaltlich wieder infrage gestellt. Das
schadet der Bundesrepublik Deutschland.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Wir haben keine aufgrund sicherer Mehrheit belastbare Regierung.
(Ludwig Stiegler [SPD]: Das werden Sie gleich sehen!)
Ob diese Belastbarkeit gegeben ist, wird sich erst erweisen, wenn sich die Risiken, die
mit dieser Entscheidung verbunden sind, verwirklichen. Für mich war interessant, dass
alle Redner aus dem Koalitionslager direkt oder indirekt dar auf hingewiesen haben, dass
die Risiken eigentlich nur noch sehr gering seien.
(Gernot Erler [SPD]: Soll man das bedauern, oder was?)
- Nein, das sollen Sie nicht bedauern.
(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Was soll das denn?)
Wenn Sie politisch verantwortlich handeln wollen, müssen Sie sich aber die Frage stellen,
welche Risiken damit verbunden sind.
(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Was meinen Sie, was wir tun?)
Unsere Soldaten in Sachsen und anderen Orten Deutschlands fragen uns nicht, ob die
Koalition hält, sondern, welchen Risiken sie ausgesetzt sein wer den, wenn sie dort
hingehen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Michael Müller (Düsseldorf) [SPD]: Dafür
brauchen wir Sie!)
Ich habe gerade wieder Soldaten in den Kosovo verabschiedet und mit ihnen diskutiert. Es
kann sein, dass Sie das stört, aber mich interessieren diese jungen Männer und Frauen,
die aus ganz Deutschland kommen und für diese Aufgabe ausgebildet werden. Ich fühle mich
für sie verantwortlich, und zwar nicht nur, weil sie Sachsen, sondern weil sie Deutsche
sind.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Und wir nicht?
- Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist eine Frechheit!)
Diese Verantwortung gebietet es, auch über die Risiken zu sprechen.
(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Wer tut das denn nicht? - Joseph Fischer,
Bundesminister: Das ist ja unglaublich!)
- Herr Fischer, ich habe von Ihnen in Ihrer Rede dazu nichts gehört.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Ludwig Stiegler [SPD]: Geschlafen! - Joseph
Fischer, Bundesminister: Sie waren das letzte Mal ja auch nicht dabei!)
Wenn Sie das für unglaublich halten, dann ist das Ihr Privatvergnügen.
(Ludwig Stiegler [SPD]: Gepennt haben Sie die letzten acht Wochen!)
Ich bin der Meinung, dass wir im Zusammenhang mit der heutigen Entscheidung die
Belastbarkeit der Regierung auch unter dem Gesichtspunkt prüfen müssen, ob sie hält,
wenn sich die Risiken verwirklichen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir müssen prüfen, ob die Bündnisfähigkeit auch dann noch gegeben ist oder ob der vom
Kollegen Struck in Aussicht gestellte Sachverhalt
eintritt,
(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Warten Sie das doch alles ab!)
dass man nämlich die Dinge neu prüfen muss.
(Gernot Erler [SPD]: Unsinn! Das hat er doch gar nicht gesagt! Das ist eine Rechtsfrage,
Herr Professor!)
Eines geht nämlich nicht: Innerhalb eines Bündnisses, innerhalb eines kollektiven
Verteidigungssystems können wir uns einen derartigen Ermessensspielraum nicht
vorbehalten. Wenn wir das tun, sind wir eben nicht zuverlässig.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Gernot Erler [SPD]: Sie bauen doch einen Popanz
auf!)
Zur Bündnisfähigkeit gehört im Übrigen - das ist der zweite Punkt, den ich auch mit
Blick auf unsere Soldaten vortragen möchte -, dass wir die Bundeswehr mit Ressourcen
ausstatten, die sie wirklich leistungsfähig und kampffähig machen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)
Das, was wir dazu in den letzten Monaten - auch von führenden Militärs - gehört haben,
spricht nicht dafür, dass dies der Fall ist.
(Gernot Erler [SPD]: Wie lange sind Sie denn im Verteidigungsausschuss gewesen?)
Ich möchte hier feststellen, dass nach meiner Überzeugung durch die gegenwärtige
Bundesregierung die Prioritäten falsch gesetzt werden. Ich habe erlebt, dass es ohne
lange Debatten möglich war, für die Lösung des Konfliktes im Zusammenhang mit der
Rentenversicherung vergleichsweise große Milliardenbeträge einzusetzen. Bis zu 20
Milliarden DM Subventionen wurden gezahlt, von denen jeder Sachverständige weiß, dass
ungefähr die Hälfte durch Mitnahmeeffekte verloren geht. Die andere Hälfte ist
sozialpolitisch sicherlich sinnvoll. Wäre in den letzten Jahren die Bundeswehr mit der
gleichen Großzügigkeit in die Lage versetzt worden, ihr Gerät zu erneuern, ihr Personal
gut zu bezahlen und die Ausbildung zu verbessern, bräuchten wir in diesem oder einem
anderen Hause nicht über die Probleme der Bundeswehr zu reden.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: In den letzten
Jahren war auch Rühe mal Verteidigungsminister!
Die Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland wird auch daran gemessen, welche
Anstrengungen wir in unseren Haushalten unternehmen, um mögliche Verpflichtungen, die aus
dem kollektiven Verteidigungsauftrag erwachsen, angemessen erfüllen zu können.
Wenn wir - wiederum von außen - auf die Diskussion über den gegenwärtigen Zustand der
Bundeswehr blicken, stellen wir fest, dass auch diese Diskussion
unsere Bündnisfähigkeit belastet. Die Ergebnisse der Entwicklungen der letzten Wochen
und Jahre, die unsere Bündnisfähigkeit beeinträchtigen, sind eine Koalition, die nur
mit Hilfe der Vertrauensfrage zusammenbleibt, und eine unzureichende Ausstattung der
Bundeswehr. Die Bundesregierung muss diese Defizite beseitigen. Sie muss - ungeachtet
dessen, ob die Vertrauens frage positiv oder negativ beantwortet wird - Klarheit über die
Stabilität schaffen. Es muss zu einer Veränderung der Prioritäten zugunsten unserer
Verteidigungsfähigkeit kommen, so wie auch eine Veränderung der Prioritäten zugunsten
einer besseren inneren Sicherheit stattgefunden hat.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Gernot Erler [SPD]: Wären Sie doch in Düsseldorf
geblieben!)
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