Rede des Abgeordneten Dr. Gregor Gysi (PDS) zum Antrag der
Bundesregierung auf Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der
gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA und zum Antrag des
Bundeskanzlers gemäß Art. 68 des Grundgesetzes
vom 16. November 2001
Dr. Gregor Gysi (PDS):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesaußenminister
hat zu Recht darauf hingewiesen, dass unser Antrag vom 7. November - an dem Tag ist
er eingereicht worden - heute natürlich aufgrund der zwischenzeitlich eingetretenen
Veränderungen hinsichtlich einiger weniger Aussagen nicht mehr ganz aktuell ist.
Erstaunlicher finde ich aber, dass der gerade erst eingebrachte Antrag der Regierung, über den heute
entschieden werden soll, schon nicht mehr aktuell ist. Dort ist vom Talibanregime in Kabul
die Rede, das beseitigt werden soll. Zumindest in Kabul gibt es das nicht mehr. Insofern
hätten Sie Ihren Antrag vielleicht ändern müssen.
(Beifall bei der PDS)
Die PDS-Fraktion bleibt bei ihrem Nein zur Beteiligung Deutschlands an diesem Krieg, weil
wir diesen Krieg nach wie vor für falsch halten und weil wir ebenfalls davon überzeugt
sind, dass er jetzt in eine andere Phase tritt, die nicht etwa leichter, sondern zum Teil
sehr viel komplizierter wird. Es muss in dieser Gesellschaft immer noch möglich sein -
wenn man sich darüber einig ist, dass der Terrorismus zu bekämpfen ist -, über den Weg
der Bekämpfung demokratisch zu streiten. Da darf es auch keine falschen Disziplinierungen
geben.
(Beifall bei der PDS)
Afghanistan ist ein wirklich geschundenes Land - schon durch die sowjetische Invasion, die
über viele Jahre, von 1980 bis 1989, dauerte, dann auch durch die Mudschahedin und die
Taliban. Es wird höchste Zeit, dass ein anderes Regime kommt. Das hätte übrigens
vorausgesetzt, dass man über Jahre die demokratischen Kräfte Afghanistans hätte
unterstützen müssen, was aber nicht geschehen ist.
(Beifall bei der PDS)
Hier wird in diesem Zusammenhang sehr viel über Frauenrechte gesprochen. Ich bin dagegen,
die Dinge zu verschieben. Es wird doch nicht wegen der Frauenrechte bombardiert,
(Beifall bei der PDS)
sondern es wurde wegen der Anschläge in New York und Washington bombardiert. Denn wenn es
um die Frauenrechte ginge, frage ich: Wie viele Länder wollen Sie denn noch bombardieren,
bis Sie die durchgesetzt haben? Das kann nicht der Weg sein, um Frauenrechte
durchzusetzen.
(Beifall bei der PDS)
Der Weg führt nur über die Stärkung der demokratischen Kräfte.
In dem Antrag ist so vieles unklar.
Herr Bundeskanzler, Sie haben bis heute nicht die
Frage beantwortet, wohin eigentlich diese Spürpanzer fahren sollen. In Afghanistan werden
sie mit Sicherheit nicht gebraucht; dort gibt es gar keine ABC-Waffen - zumindest nach
allen Informationen, die uns vorliegen. Vielleicht ist es der Irak. Aber dann sagen Sie,
dass sie für den Irak vorgesehen sind, damit hier klar wird, dass dieser Krieg nicht mit
Afghanistan endet, sondern weitere Länder erfassen wird. Darüber das Parlament im
Unklaren zu lassen ist wirklich nicht in Ordnung.
(Beifall bei der PDS - Gernot Erler [SPD]: Lesen Sie doch mal Ziffer 7, Herr Gysi! Das ist ausgeschlossen!)
Ich will Ihnen sagen, was der Unterschied ist. Wir waren, was die Bekämpfung des
Terrorismus betrifft, für die Hauptüberschrift "Strafverfolgung". Das heißt
nämlich: Bestrafung der Schuldigen, aber auch Schutz der Unschuldigen. Krieg läuft unter
dieser Überschrift nicht; er trifft nicht die Schuldigen und schützt auch nicht die
Unschuldigen, ganz im Gegenteil. Das ist auch das Ergebnis dieses Krieges.
Ich habe mit großem Interesse gehört, Frau Bundesministerin,
wie Sie die Entwicklungshilfe fördern wollen. Nur, dann müssen Sie schon eines
klarstellen. Wenn das Ihre präventive Politik sein soll, wenn das das Neue an dieser
Regierung sein soll: Weshalb ist der Etat der Entwicklungshilfe heute noch immer niedriger
als im letzten Regierungsjahr von Kohl? Das ist die Wahrheit.
(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der FDP - Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das
stimmt! Wo er Recht hat, hat er Recht!)
Insofern bin ich davon überhaupt nicht überzeugt. Auch 2002 sollte er übrigens deutlich
niedriger sein als 2001. Aber die Haushaltsberatungen sind ja noch nicht abgeschlossen.
Nun haben Sie, Herr Bundeskanzler, das Ganze mit der Vertrauensfrage verbunden. Das wird
Ihnen ja vorgeworfen. Ich finde, es gibt doch eine gewisse Berechtigung. Ich will auch
sagen, weshalb - ich meine es ernst -: Der Bundeskanzler will zum zweiten Mal in dieser
Legislaturperiode, dass sich Deutschland an einem Krieg beteiligt. Für ihn ist es
selbstverständlich nicht unwichtig, ob seine eigenen Koalitionsfraktionen ihm
diesbezüglich vertrauen und ihn unterstützen. Wenn sie es nicht täten, könnte er
meines Erachtens diesen Krieg nicht führen; er könnte ihn nicht führen, allein
gestützt auf die bürgerliche Opposition. Insofern mag an der Vertrauensfrage etwas dran
sein.
Nur, es gibt einen entscheidenden Schönheitsfehler. Sie, Herr Bundeskanzler, haben
nämlich bis zum Sonntag erklärt: Es ist zwar bedauerlich, aber letztlich nicht
sonderlich wichtig, ob die Mehrheit aus den eigenen Fraktionen kommt. Hauptsache, es gibt
eine große Mehrheit des gesamten Parlaments. Damit haben Sie die so genannten Abweichler
geradezu animiert,
(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ermuntert!)
Erklärungen abzugeben und zu sagen: Wir sagen auf jeden Fall Nein. Nachdem die sich
festgelegt haben, kommen Sie mit der Keule der Vertrauensfrage, um sie erfolgreich
vorzuführen, und das wird Ihnen auch gelingen.
(Beifall bei der PDS - Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das war ganz hinterlistig!)
Das Folgende sage ich zu denen, die aus Überzeugung Nein sagen wollten. Herr Westerwelle hat ja Recht. Ich finde auch, dass es
das abenteuerlichste Argument ist, die militärischen Teilerfolge der USA und der
Nordallianz anzuführen.
(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja!)
Entweder ist der Krieg richtig - dann muss man ihn auch führen, wenn man keine
militärischen Teilerfolge vorweisen kann - oder er ist falsch. Dann kann man ihn nicht im
Ernst plötzlich für richtig halten, bloß weil es militärische Erfolge gibt. Das macht
einen Krieg nicht richtiger. Das ist wirklich eine abenteuerliche Argumentation.
(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Ich sage Ihnen in diesem Zusammenhang aber noch etwas anderes. Wenn diejenigen, die
schriftlich, mündlich und in Interviews erklärt haben, dass sie dem Krieg aus
Gewissensgründen nicht zustimmen können, heute sagen, dass sie jetzt doch zustimmen
werden, weil die Entscheidung mit der Vertrauensfrage verbunden ist, dann muss ich sagen,
dass das wirklich der blanke Opportunismus ist.
(Beifall bei der PDS sowie des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP])
Das führt zu einer Beschädigung von Demokratie und des Ansehens aller Politikerinnen und
Politiker; denn im Kern bedeutet dies doch: Ein bisschen Mandat und ein bisschen
Regierungsbeteiligung sind wichtiger als die Frage von Krieg und Frieden. Das zerstört
Vertrauen in dieses Parlament und auch in diese Koalition.
(Beifall bei der PDS)
Sie haben ja die Frage für sich schon beantwortet.
Ich muss Ihnen noch aus einem anderen Grunde einen Vorwurf machen: Ich lese immer wieder,
wie vielen ehemaligen Bürgerinnen und Bürger der DDR vorgeworfen wird, dass sie sich
unter den Bedingungen einer Diktatur opportunistisch verhalten haben. Man muss
hinzufügen: Wenn sie damals Nein gesagt hätten, wäre das mit existenziellen Fragen
verbunden gewesen. Hier geht es aber nur um ein Bundestagsmandat und Sie haben noch nicht
einmal den Mut, zu Ihrem Nein zu stehen, das Ihrer Überzeugung entspricht. Sie sind nicht
mehr berechtigt, Vorwürfe an die ehemaligen Bürgerinnen und Bürger der DDR zu richten.
(Beifall bei der PDS)
Eine weitere Bemerkung zu diesem Punkt. Es wird ein falsches Bild inszeniert, nämlich das
Bild, dass die Grünen insgesamt geschwankt haben. Die große Mehrheit von 39 war immer
dafür. Es gab nur wenige, die eine andere Auffassung hatten. Diese werden jetzt
erfolgreich diszipliniert. Das ist der eigentlich traurige Vorgang.
Angesichts der Ziererei - jeden Tag kann man in der Zeitung lesen, wie Sie sich immer
quälen - muss ich Ihnen sagen: Sagen Sie doch einfach Ja dazu. Das ist doch zum größten
Teil Ihre Überzeugung. Die anderen müssen den Mut zum Nein haben. Aber es darf nicht
diesen Eiertanz "ein bisschen weniger Bomben oder einen Tag aussetzen" geben.
Das ist doch nicht auszuhalten. In dieser Frage gibt es letztlich nur ein Ja oder ein
Nein. Zu den Konsequenzen muss man dann auch stehen.
(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der FDP)
Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Gysi, Ihre Redezeit ist deutlich überzogen.
Dr. Gregor Gysi (PDS): Eine letzte Bemerkung.
Herr Bundeskanzler, da Sie die Entscheidung mit der Vertrauensfrage verbunden haben,
möchte ich dem Bundesaußenminister raten: Äußern Sie sich nie wieder so schnell zur
Innenpolitik! Sie haben sich jahrelang damit nicht beschäftigt. Alle Ihre Aussagen zur
Arbeitslosigkeit, zur Wirtschaftskraft und zur Ökologie
(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Stimmen überhaupt nicht!)
stimmen nicht. Die innere Einheit ist in den letzten drei Jahren keinen Millimeter
vorangekommen. Im Gegenteil: Die Schere ist weiter auseinander gegangen. Deshalb können
Sie von uns kein Vertrauen erwarten, sondern nur ein Nein.
(Anhaltender Beifall bei der PDS - Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So etwas
wollte Regierender Bürgermeister werden!)
[...]
Präsident Wolfgang Thierse: Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem
Kollegen Werner Schulz.
Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich hatte, liebe Kolleginnen und
Kollegen, darauf gehofft, dass uns der Kollege Gregor Gysi heute eine Antwort gibt, warum
er neun Jahre lang ohne irgendwelche Zweifel einen grausamen Krieg in Afghanistan
mitgetragen hat, in dem es immerhin 1,5 Millionen Todesopfer gegeben hat. Die Möglichkeit
heute hat er ausgeschlagen und stattdessen uns des Opportunismus angeklagt.
(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Weil es stimmt!)
Die Abwägungsfrage, die sich uns stellt, ist sicher schwierig. Aber ich will sagen, wann
mir eine Partei besonders suspekt erscheint: wenn man 1980 eine Position hundertprozentig
eingenommen hat,
(Widerspruch bei der PDS)
eine geschlossene Meinung vertreten hat - es gab nicht eine einzige öffentliche
Abweichung - und heute hundertprozentig die entgegengesetzte Position einnimmt. Wieder
gibt es nicht einen Moment des Zweifels. Diese Kontinuität im Selbstverständnis, dass
die Partei immer Recht hat, das ist es, was mich an Ihnen und Ihrer Partei stört.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU
und der FDP)
Präsident Wolfgang Thierse: Das Wort zur Antwort erteile ich dem Kollegen Gregor
Gysi.
Dr. Gregor Gysi (PDS): Ich finde es zunächst völlig selbstverständlich, Herr
Kollege Schulz, dass Sie Dinge an der PDS stören. Deshalb sind Sie ja auch nicht bei uns;
das ist normal.
Wenn Sie sagen, dass wir keine Selbstzweifel haben, dann können Sie die Entwicklung der
PDS in den letzten zehn Jahren nicht beobachtet haben; denn sonst hätten Sie
festgestellt, welche Auseinandersetzungen wir hatten, übrigens auch gerade in Bezug auf
UNO-Truppen; ich nenne nur das Stichwort Münster. Ihre Äußerung ist völlig abwegig und
hat mit der Wahrheit nichts zu tun.
Jetzt sage ich Ihnen etwas zur Invasion. Woher wissen Sie eigentlich, wie welche
SED-Mitglieder darüber gedacht haben, und warum erwähnen Sie nie, dass zum Beispiel aus
dem Kreis der CDU, der Bauernpartei, der National -Demokratischen Partei, der
Liberal-Demokratischen Partei in der DDR nicht eine einzige öffentliche Kritik geäußert
wurde?
(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie richten sich immer nur gegen eine Kraft.
Dennoch sage ich Ihnen: Es waren Bedingungen der Diktatur. Wissen Sie auch, wer fünf
Jahre verantwortlich für den Krieg gegen Afghanistan war? - Michail
Gorbatschow, nämlich von 1985 bis 1989. Er wird jedes Mal, wenn er hierher kommt,
gefeiert und ist Ehrenbürger Berlins.
(Beifall bei Abgeordneten der PDS)
Aber jeder SED-Verkäuferin werfen Sie vor, dass sie nicht anständig genug Widerstand
geleistet hat! Sie jedoch bangen um Ihr kleines Mandat und sind nicht einmal dafür
bereit, ein einziges Nein im Bundestag zu riskieren.
(Beifall bei der PDS - Zuruf von der SPD: Unglaublich! - Weitere Zurufe von der SPD)
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