Rede des Vorsitzenden der FDP-Fraktion Dr. Wolfgang Gerhardt zum
Antrag der Bundesregierung auf Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der
Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA und zum
Antrag des Bundeskanzlers gemäß Art. 68 des Grundgesetzes
vom 16. November 2001
Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist wie immer: Ich habe zwei Juristen gehört,
ratlos bleibe ich weiterhin.
Es gibt in diesem Hause, verehrte Kolleginnen und Kollegen, eine deutliche Mehrheit, die
genau weiß, was in dieser Situation zu tun ist. Es gibt eine breite Mehrheit, die weiß,
dass viele Spuren nach den brutalen Anschlägen am 11. September nach Afghanistan weisen.
Es gibt eine breite Mehrheit, die ein klares Bild von dem bisher dort im Amt befindlichen
menschenverachtenden System hat, das Opposition und Frauen unterdrückt hat, eine desolate
wirtschaftliche Lage, wenn man davon überhaupt reden kann, zu verantworten hat, in dessen
Land eine niedrige Lebenserwartung und hohe Säuglingssterblichkeit herrschten und das im
Übrigen auch für 90 Prozent der Opiate, die auf die westeuropäischen Märkte kommen,
verantwortlich ist. Dieses Regime bringt das Land um seine Zukunft.
Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland ist aber in Kenntnis dieser Lage
gezwungen, trotz der Bündnisverpflichtungen Deutschlands, trotz einer Mandatierung durch
die Vereinten Nationen und trotz der selbst im privaten Leben logischerweise empfundenen
Beistandsverpflichtung die Vertrauensfrage zu stellen, um die Unterstützung seiner
eigenen Koalition für eine Veränderung dieser Situation zu bekommen. Das ist ein
Armutszeugnis für die Bundesrepublik Deutschland.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, eine Entscheidung
dieses Hauses zu dem haben wollen, was Sie unseren Bündnispartnern zugesagt haben, dann
schließe ich mich der Aufforderung des Kollegen Merz an
- Herr Bundeskanzler. Sie haben es in der Hand -: Trennen Sie die Abstimmungen! Das wäre
parlamentarisch das beste Verfahren.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Es entspräche der Ausübung des freien Mandats. Ich bin überzeugt, Sie hätten eine
übergroße Mehrheit, die unseren Verbündeten mehr über den Willen der Deutschen
aussagen würde als Ihre zusammengezimmerte Mehrheit, die Sie nachher durch die Vertrauens
frage erreichen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Selbst wenn Sie nachher eine Mehrheit erhalten, sind Sie politisch am Ende. Sie selbst
haben es nicht so deutlich ausgedrückt, aber Sie haben uns wissen lassen, warum Sie die
Vertrauensfrage stellen: wegen der Notwendigkeit, fest stellen zu müssen, ob Sie das
Vertrauen Ihrer eigenen Koalition haben. Damit dient die Vertrauensfrage zumindest mit
Blick auf die Grünen nur als Zaumzeug, nicht mehr und nicht weniger.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Die Grünen werden nach Anwendung dieses "pädagogischen Rohrstocks" auch
folgsam sein. Zum wiederholten Male breiten sie öffentlich all ihre Seelenqualen aus,
sprechen in hohen Tönen vom hohen moralischen Wert des freien Mandats, an allererster
Stelle die verehrte Frau Bundestagsvizepräsidentin. Heute Morgen erklärt ein Grüner,
dass man sich entschieden habe und von den bisherigen acht Neinsagern vier zustimmen
würden, um deutlich zu machen, sie seien gegen den Militäreinsatz, aber für den
Bundeskanzler. Das deutsche Volk sollte sich von dieser Partei nicht so hinters Licht
führen lassen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Die NATO ist ein Bündnis von Staaten, die sich zur Verteidigung von Werten entschlossen
haben und die wie wir ihre politischen Ziele an verfassungsgebundenem Handeln ausrichten.
Diese Staaten sind zu Recht eine Beistandsverpflichtung eingegangen. Im privaten Leben
würden das die Grünen als Zivilcourage bezeichnen, weil es für jeden Menschen
selbstverständlich ist, dass er anderen helfen muss, wenn diese in Bedrängnis kommen.
Das fordern Sie von allen friedensbewegten Menschen. Aber Sie hätten wissen müssen, als
Sie in die Regierung eintraten, dass das gleiche Prinzip, die gleiche Charaktereigenschaft
und die gleiche Haltung gefordert sind, wenn man in Deutschland regieren will.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Da Sie das nicht können, hätten Sie nicht eintreten sollen. Der bundesdeutsche
Steuerzahler finanziert mit Ihrer Regierungsbeteiligung die teuersten Ausbildungsplätze
in Deutschland.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)
Sie müssen sich jetzt der Reifeprüfung stellen; Sie müssen unter Druck die
Vertrauensfrage beantworten. Aber daraus erwächst keine Zukunftsperspektive für Sie.
Sie wissen wie wir, dass eine der fundamentalsten Voraussetzungen für friedliches
menschliches Zusammen leben die Prinzipien sind, die Bin Laden missachtet, die die Taliban
missachten, auf die aber freie Gesellschaften angewiesen sind, wenn sie menschenwürdiges
Leben sichern wollen. Deshalb ist eine Entscheidung der Bundesregierung und eine
Entscheidung des Bundestages, diese Prinzipien durchzusetzen, eine bare
Selbstverständlichkeit einer aufgeklärten Gesellschaft und einer zielgerichteten
Politik. Eine solche bare Selbstverständlichkeit wochenlang in dieser Art und Weise, wie
es die staunende deutsche Öffentlichkeit erlebt hat, so in allen Blättern, in allen
Spalten, in allen Magazinen auszubreiten zeigt jedem, dass die Grünen nicht in der Lage
sind, unbequeme Fragen der Zeit zu beantworten. Wenn sie das nicht können, sollten sie
aus dieser Bundesregierung ausscheiden.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Psychotherapeutische Maßnahmen Terroristen angedeihen zu lassen, vielleicht runde Tische
aufzustellen, ihnen die Menschenrechtskonvention vorzulesen, ihnen die UNO-Charta
vorzulesen,
(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD - Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
O je, o je!)
das - Sie wissen es doch - reicht nicht aus. Deshalb lautet die klare Kernaussage: Sie
können in dieser Situation Menschen nur helfen, wenn Sie auch bereit sind, zu einer
politischen Lösung Militär einzusetzen, weil es eben Menschen gibt, die ohne diesen
deutlichen Hinweis nicht bereit sind, sich politisch zu bewegen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wenn wir dies tun, geben wir einer guten politischen Lösung einen Vorlauf.
Zurück zur Vertrauensfrage, Herr Bundeskanzler. Die Vertrauensfrage - Sie haben das zum
Ausdruck gebracht - dient dem Zusammenhalt der Koalition und dem Fortgang Ihrer Politik.
Wenn es sich nur um die außenpolitische Frage der Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik
Deutschland handeln würde, dann wäre das ja noch - gelinde gesagt - politisch als
richtig zu bewerten. Aber die Vertrauensfrage, die Sie stellen, bedeutet im Grunde,
Verantwortung für die wirtschaftliche Lage der Bundesrepublik Deutschland in einer
desolaten Situation zu übernehmen,
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
einer Situation, die gekennzeichnet ist von nahezu 4 Millionen Arbeitslosen, von der
Tatsache, dass unser Land im internationalen Vergleich die rote Laterne hat, und von der
höchsten Steuer- und Abgabenbelastung.
(Hans Eichel, Bundesminister: Keine Ahnung!)
Unser Land hat seine Hausaufgaben nicht gemacht und für diese Hausaufgaben sind nicht die
Opposition oder die Bundestagsfraktion der Freien Demokraten zuständig; die verantworten
Sie. Deshalb werden Sie Verständnis dafür haben, dass wir nicht willens, nicht bereit
und auch nicht in der Lage sind, Ihnen das Vertrauen auszusprechen und in Verantwortung
und in Haftung für diese desolate Lage der Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik
Deutschland genommen zu werden.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Wir haben deshalb als Bundestagsfraktion der FDP einen einfachen Antrag eingebracht, der
auch Sie in der wichtigen außenpolitischen Frage nicht ohne Unterstützung lässt. Der
Antrag bietet Ihnen an, in eine Abstimmung darüber einzutreten, dass der Deutsche
Bundestag auf Antrag der FDP den von Ihnen gewünschten und für notwendig gehaltenen
Einsatz von 3.900 Soldaten ebenfalls für notwendig hält. Diese Notwendigkeit steht
außer Frage. Der Antrag weist in einem zweiten Punkt darauf hin - da müssen wir uns gar
nicht in einen juristischen Streit begeben -, dass der Bundestag erwartet, dass
spätestens nach sechs Monaten das Mandat durch eine Erklärung der Bundesregierung oder
durch eigene Diskussion zur Debatte gestellt wird, weil das Verfahren transparent und im
Parlament bleiben soll.
Der Antrag geht ferner davon aus - das ist auch wünschenswert -, dass, wenn man eine
Beistandsverpflichtung eingeht und wenn man die NATO anruft, die NATO im weiteren Prozess
die militärische Führung der Aktion übernimmt und dass nicht nur Verabredungen und
Treffen stattfinden wie jüngst in der Downing Street Nr. 10. Der Antrag möchte darauf
hinweisen, dass das Parlament und die Öffentlichkeit umfassend unterrichtet werden
wollen. Das haben Sie ohnehin zugesagt.
Es gibt dafür eine breite Mehrheit in diesem Haus. Deshalb fordere ich Sie auf, dieser
breiten Mehrheit den Vorzug zu geben. Ich erkläre Ihnen aber auch genauso offen - Sie
verstehen und wissen das auch -: Da Sie Ihre persönliche Vertrauensfrage nach dem Grundgesetz ausschließlich an Ihre eigene
Koalition und deren Fortbestand richten, muss ich Ihnen für die Freien Demokraten
mitteilen, dass wir daran kein Interesse haben. Wir haben kein Interesse an dem
Fortbestand von Rot-Grün
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
und wir werden deshalb Ihre Vertrauensfrage auch nicht positiv beantworten können.
Zum Abschluss. In dieser Haltung fühlen wir uns in tiefem Einklang mit allen, die
aufmerksam das politische Leben in der Bundesrepublik Deutschland beobachten, darüber
schreiben und die jetzt Ihre Notwendigkeiten und Ihre enge Situation
bewerten. Sie gewinnen möglicherweise heute knapp eine Abstimmung. Ihre Politik ist
damit aber zugleich am Ende angekommen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
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