Rede des Bundesvorsitzenden der FDP Dr. Guido Westerwelle zum Antrag der Bundesregierung auf Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA und zum Antrag des Bundeskanzlers gemäß Art. 68 des Grundgesetzes

vom 16. November 2001


Dr. Guido Westerwelle (FDP) (von der FDP mit Beifall begrüßt):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Außenminister, das war eine klasse Parteitagsrede für den nächsten Sonntag.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sehr gut!)

Für den Deutschen Bundestag war das aber reichlich wenig, wenn man bedenkt, dass der Außenminister eine - wie der Kanzler gesagt hat - historische Entscheidung begründen sollte.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Gernot Erler [SPD]: Was hat denn der Glos gemacht? Das war die Antwort auf Glos! - Weiterer Zuruf von der SPD: Das hat er gut gemacht!)

Sie haben hier schon einmal geübt. Das gibt uns eine Ahnung davon, wie es in Rostock bei den Grünen weitergeht.

Übrigens kann ich Ihnen eines voraussagen, Herr Bundeskanzler: Sie werden die heutige Abstimmung bestehen. Daran habe ich überhaupt keine Zweifel.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Waffenbrüder werden sich umarmen, sie werden Blumen bringen, heute Mittag wird Sekt getrunken, heute Abend gehen sie auf dem Bundespresseball mit breitem Grinsen tanzen - das alles ist der Abgesang einer sterbenden Koalition.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Eine Partnerschaft, die nur durch Nötigung, Einschüchterung und Erpressung erhalten werden soll, ist in Wahrheit nämlich längst am Ende.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie sind am Ende, auch wenn Sie als Koalition heute noch einmal knapp die Hürde nehmen.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist sehr bemerkenswert, was der Herr Außenminister hier vorgetragen hat. Erst einmal spricht er von Stoßgebeten der Union: Um Himmels willen, keine Neuwahlen. - Ich will gar nicht ausschließen, dass bei der Union sich mancher jetzt noch keine Neuwahlen wünscht

(Zurufe von der CDU/CSU)

- ich sage nur, ich will es nicht ausschließen -, aber ich kenne noch jemanden, der ein Stoßgebet zum Himmel schickt, das ist der Bundeskanzler. Der wünscht sich nämlich nichts anderes als Neuwahlen, weil er genau weiß: In schwierigen Zeiten ist mit diesem Koalitionspartner keine Regierung stabil zu halten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Zurufe von der SPD: Aber Guido!)

- Herr Erler ruft dazwischen. Das ist derjenige, der am Montag gesagt hat: Am Freitag wird die Koalition durch ein Fegefeuer gehen. - Ich erkläre Ihnen das mit dem Fegefeuer gern einmal. Durch das Fegefeuer geht man nur, wenn man vorher heftig gesündigt hat, Herr Kollege. So ist das!

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, dann hat der Herr Außenminister - das ist bemerkenswert - hier auf Mazedonien Bezug genommen. Ihre Außenpolitik in der Mazedonien-Frage - Herr Bundesaußenminister, das wissen Sie - ist doch in Wahrheit von der Opposition mehr gestärkt worden als von Ihren eigenen Abgeordneten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir würden doch heute gar nicht über die Vertrauensfrage abzustimmen haben, wenn Sie bei der Mazedonien-Frage nicht gerade jüngst erst bemerkt hätten, dass Sie in wesentlichen Fragen der deutschen Außenpolitik keine eigene Mehrheit haben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie hatten sie bei der Mazedonien-Entscheidung nicht und Sie haben sie in Wahrheit auch heute nicht. Denn was ist das eigentlich für eine Mehrheit, die heute hier zustande kommt?

Frau Vollmer, unsere gewissenspolitische Sprecherin der Nation,

(Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU)

lässt sich am Donnerstag auf dem "Stern"-Titel feiern: "Stoppt diesen Krieg!" Als in dieser Woche die Vertrauensfrage bekannt wurde, erklärte sie: Ich werde mit Ja stimmen. Es ist ein Ja, das eigentlich ein Nein ist. So entsteht Politikverdrossenheit, Frau Kollegin.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der PDS)

Herr Hermann verkündet heute, er müsse das jetzt gar nicht mehr ganz so ernst nehmen. Das ist jetzt ganz geschickt gemacht worden. Wahrscheinlich haben Sie gelost, wer von den acht Leuten mit Ja und wer mit Nein stimmen muss, damit Sie knapp beim erforderlichen Votum bleiben.

Dann erleben wir hier persönliche Erklärungen. Frau Kollegin Beer erklärt, die Vertrauensfrage sei ein Angriff auf die Gewissensfreiheit. Es werden Erklärungen zu Protokoll gegeben, die in Wahrheit das Misstrauen für diese politische Entscheidung zum Ausdruck bringen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Michael Glos [CDU/CSU]: So ist es!)

Es wird ein getürktes Ergebnis auf die Vertrauensfrage geben, das Sie nur mit der Rute bewirkt haben, das Sie nur bewirken konnten, Herr Bundeskanzler, weil Sie den Grünen mit Verlust ihres Dienstwagens gedroht haben. Und darauf wollt ihr nicht verzichten!

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ihr steigt heute aus der Friedensbewegung auf den Feldherrnhügel und euer Fall wird ganz schön tief sein.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist bemerkenswert, was jetzt alles hier passiert und welche Legitimationen heute herhalten müssen. Zu nächst einmal kommen Sie ja nicht nur mit Drohungen zu dem Ergebnis Ihrer Vertrauensfrage, sondern auch mit nun wirklich offenkundig falschen Erklärungen. Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung, das lernt man schon im ersten Semester.

(Zuruf von der CDU/CSU: Auch Herr Struck?)

Deswegen möchte ich Ihren Blick einmal auf das lenken, was in Wahrheit die verfassungsrechtliche Grundlage unserer heutigen Entscheidung ist. Das ist nämlich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Entscheidungsband 90, Seite 286 ff. Es schadet ja im Leben nicht, wenn man noch mehr zu Ende gemacht hat als die Fahrschule.

Da steht wörtlich:
Freilich ist der Bundestag bei seiner Beschlussfassung an die mit seiner Zustimmung zustande gekommenen rechtlichen Festlegungen über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte gebunden.

Wenn Sie heute zustimmen, reden Sie sich nicht damit heraus, Sie könnten den Beschluss zurücknehmen. Aus eigener Kraft können Sie das nicht,

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

sondern nur, wenn Sie von der Bundesregierung hinters Licht geführt würden oder sich die weltpolitischen Umstände dramatisch änderten, also quasi die Geschäftsgrundlage wegfiele.

(Unruhe bei der SPD)

Das ist die verfassungsrechtliche Ausgangslage, die uns allen das Verfassungsgericht vorgibt. Wenn Sie Ihre eigene Fraktion nur dadurch für sich gewinnen können, dass Sie Ihre Politik mit falschen juristischen Angaben unter mauern, ist Ihre Koalition weiß Gott am Ende.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Dann hören wir vom Herrn Außenminister - auch ein bemerkenswerter Vorgang -, dass er diese Entscheidung, weil die Taliban immer mehr vertrieben werden - Gott sei Dank -, weil die Nordallianz zunehmend Landgewinne zu verzeichnen hat, also weil es militärischen Erfolg gibt, plötzlich akzeptieren und moralisch rechtfertigen will. Welche Werte enthält eigentlich eine solche Politik, meine Damen und Herren?

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der PDS)

Entweder sind Sie der Meinung, eine Beteiligung an der Antiterrorallianz sei moralisch geboten - dann müssen Sie zustimmen - oder Sie sind der Meinung, sie sei moralisch falsch - dann dürfen Sie nicht zustimmen. Sie dürfen aber Ihre Zustimmung in diesem Hause nicht von Landgewinnen und momentanen militärischen Erfolgen abhängig machen. Eine solche Politik orientiert sich nicht an Werten und ist nicht fundiert.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der PDS)

Ich sage Ihnen mit großer Klarheit: Wir werden bei dieser Vertrauens frage mit Nein stimmen, und zwar nicht, weil wir die Außen- und Sicherheitspolitik in dieser Frage kritisieren. Nein, das trifft in keiner Weise zu und das werden wir auch in Entschließungsanträgen deutlich machen. Die Soldatinnen und Soldaten, ihre Familien und Freunde, die uns jetzt zuschauen, wissen, dass die bürgerliche Opposition in diesem Hause hinter ihnen steht.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Aber es kommt ganz gewiss nicht infrage, Rot-Grün insgesamt das Vertrauen auszusprechen.

Lesen Sie nur einmal den in dieser Woche veröffentlichten Bericht der Wirtschaftsweisen; Sie stellen dann fest, dass die Bundesrepublik Deutschland zum ersten Mal seit ihrer Gründung das absolute Schlusslicht in ganz Europa beim Wirtschaftswachstum ist. Auch früher gab es Zeiten mit geringem Wirtschaftswachstum, aber da standen wir in Europa wenigstens relativ gut da. Jetzt sind wir das Schlusslicht.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: So ist das!)

Sie führen dieses Land mit Ihrer bürokratischen, staatswirtschaftlichen Politik in die Rezession.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) [SPD]: Unsinn!)

Diese führt zu mehr Arbeitslosigkeit. Dafür geben wir Ihnen nicht unser Vertrauen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Der Bundeskanzler - ich werde es ihm beim nächsten Gespräch bei einer Zigarre wieder alles erzählen; dann werden Sie wieder schön kuschen, um das klar zu sagen -

(Lachen bei der SPD)

- Das ist ja für Sie schon ein wichtiges Disziplinierungsinstrument geworden.

(Gernot Erler [SPD]: Billig!)

Herr Bundeskanzler, ich sage Ihnen mit großer Klarheit: Stellen Sie Ihre Vertrauensfrage nicht an dieses Haus, stellen Sie Ihre Vertrauensfrage an das deutsche Volk! Wir wollen, dass in dieser historischen Situation das Volk gefragt wird. Wir wollen, dass es Wahlen gibt. Lassen Sie die Wähler entscheiden, ob dieser Weg mit dieser Koalition weitergegangen werden soll.

(Gernot Erler [SPD]: Mit euch niemals!)

Wir jedenfalls werden gegen diese Koalition kämpfen.

(Anhaltender Beifall bei der FDP - Beifall bei der CDU/CSU)

 

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Quelle: Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, Stenographischer Bericht der 202. Sitzung vom 16.11.2001 (Plenarprotokoll 14/202).


Empfohlene Zitierweise des Dokumentes:
Rede des Bundesvorsitzenden der FDP Dr. Guido Westerwelle zum Antrag der Bundesregierung auf Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA und zum Antrag des Bundeskanzlers gemäß Art. 68 des Grundgesetzes (16.11.2001), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/brd/2001/rede_westerwelle_1116.html, Stand: aktuelles Datum.


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Letzte Änderung: 03.03.2004
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