Rede des stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion
Wolfgang Bosbach zu Gesetzentwürfen zur Bekämpfung des Terrorismus und Erhöhung der
inneren Sicherheit
Vom 11. Oktober 2001
Wolfgang Bosbach (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese Debatte findet zu einem entscheidenden
Zeitpunkt statt. Denn wir befinden uns mitten in der Phase drei des folgenden Ablaufs, den
wir in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten schon oft - wie wir meinen, zu oft - hatten:
Erste Phase: Es geschieht ein fürchterliches Verbrechen. Die Menschen sind entsetzt. Die
Folgen sind Trauer, Wut, Empörung. Wir alle sind uns einig, dass sich eine solche
Katastrophe nicht wiederholen darf.
Es folgt dann die Phase zwei: Die Politik wird aufgefordert, nun endlich die notwendigen
Konsequenzen zu ziehen; so jedenfalls gehe es nicht mehr weiter.
Sobald die ersten Vorschläge erarbeitet und konkrete Maßnahmen ergriffen werden, beginnt
dann die Phase drei: In düsteren Farben wird das Bild eines Furcht er regenden Polizei-
und Überwachungsstaates an die Wand gemalt. Angeblich sind die Bürgerrechte in akuter
Gefahr. Der Staat dürfe jetzt nicht überreagieren; die Gesetze würden ausreichen, man
müsse sie nur anwenden.
Zum Schluss kommt dann die Phase vier: Alles bleibt beim Alten, und zwar genauso lange,
bis wiederum ein fürchterliches Verbrechen geschieht. Dann beginnt alles wieder von
vorne.
Diesen Teufelskreis müssen wir diesmal durchbrechen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
An starken Worten hat es seit dem 11. September nicht gefehlt, im Gegenteil. Entscheidend
sind jetzt starke Taten. Wenn wir in dieser schwierigen Situation nicht unverzüglich die
Maßnahmen ergreifen würden, die notwendig und zum Teil längst überfällig sind, um die
Bürger wirksamer vor dem Terrorismus und anderen Formen der Kriminalität zu schützen,
würden wir unverantwortlich handeln. Seit dem 11. September ist genau ein Monat
vergangen. Es ist jetzt nicht nur unsere Aufgabe, sondern es ist unsere Pflicht, das im
wahrsten Sinne des Wortes Notwendige zu tun.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat lange vor dem 11. September einen Gesetzentwurf zur
Verbesserung der Bekämpfung von Straftaten der organisierten Kriminalität und des
Terrorismus vorgelegt
(Zuruf von SPD: Abgeschrieben habt ihr den!)
und darüber hinaus vor wenigen Tagen ein Konzept für mehr innere und äußere
Sicherheit. Wenn Sie sagen, er sei abgeschrieben, dann können Sie ihm ja zustimmen, dann
gibt es keinen einzigen Grund, diesen Gesetzentwurf abzulehnen.
(Beifall bei der CDU/CSU - Alfred Hartenbach [SPD]: Wer sich mit fremden Federn
schmückt!)
Es gibt kein Patentrezept für einen allumfassenden Schutz vor Anschlägen oder anderen
Formen der Kriminalität. Daher muss eine Fülle von einzelnen Maßnahmen ergriffen
werden. Das Entscheidende aber ist, dass jetzt Schluss gemacht werden muss mit der
Diffamierung derjenigen, die für mehr äußere und innere Sicherheit plädieren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
CDU und CSU wollen keinen allmächtigen Staat, keinen Überwachungsstaat, aber einen
starken Staat, der seine Bürger wirksam vor Verbrechen zu schützen weiß.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Sicherheit und Freiheit sind keine Gegensätze. Ohne ausreichende Sicherheit gibt es keine
wirkliche Freiheit. Mehr noch: Weniger Sicherheit bedeutet niemals mehr Freiheit, sondern
mehr Schutzlosigkeit gegenüber Verbrechen aller Art. Vor allem die Grünen werden sich
entscheiden müssen, ob sie bei ihren traditionellen politischen Positionen bleiben
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind entschieden!)
oder ob sie spät, aber immerhin, einsehen, dass ihre Haltung in vielen Fragen der
Sicherheitspolitik unverantwortlich ist.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Eigentlich müssten mittlerweile wir alle wissen, dass wir von unseren Diensten mehr
sicherheitsrelevante Informationen benötigen und nicht etwa weniger.
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die richtigen!)
Im Programm der Grünen noch für die letzte Bundestagswahl heißt es wörtlich:
Geheimdienste haben fast alle Aufgaben verloren. Zwecks Arbeitsbeschaffung werden
krampfhaft neue Betätigungsfelder gesucht, zum Beispiel Scientology ... Die Geheimdienste
sind schrittweise aufzulösen.
Wo stünden wir eigentlich in Deutschland heute, wenn sich die Grünen in diesem Punkt bei
den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt hätten?
Deswegen die Frage an die Grünen mit der Bitte um eine klare Antwort: Ist das nach wie
vor Ihre Auffassung, was ich aus Ihrem Programm für die Bundestagswahl zitiert habe, oder
sind Sie mittlerweile auf dem Weg der Besserung?
(Beifall bei der CDU/CSU)
Anderes Beispiel: Der Innenminister will zukünftig in den Personalausweis oder Reisepass
zum Bild des Inhabers einen Fingerabdruck aufnehmen.
(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)
Es sollen keine neuen personenbezogenen Daten darüber hinaus gespeichert werden. Der
Kollege Özdemir lässt sich in der "Welt" von gestern wie folgt ein: Es blüht
die Gefahr, dass man aus dem Fingerabdruck auch noch andere Daten ablesen kann.
(Lachen bei der CDU/CSU - Friedrich Merz [CDU/CSU]: Den Kontostand! - Jörg van Essen
[FDP]: Man muss schon grüner Politiker sein, um so etwas zu äußern!)
Dabei geht es allein um die Erhöhung der Fälschungssicherheit. Herr Kollege Özdemir,
hier blüht in der Tat einiges, und zwar blüht hier Unsinn. Wenn es so wäre, dass man
aus einem in Folie eingeschweißten Fingerabdruck andere sensible personenbezogene Daten
ablesen könnte, dann müsste man konsequenterweise jeden Fingerabdruck verbieten.
(Alfred Hartenbach [SPD]: Das sind doch Straftäter! Sie reden Unsinn!)
Dann müsste man im Übrigen auch nach jeder Trunkenheitsfahrt die Abnahme einer Blutprobe
verbieten; denn aus einer Blutprobe könnten Sie auch mehr Informationen herausfiltern als
nur die Blutalkoholkonzentration. Das ist blühen der Unsinn!
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Alfred Hartenbach [SPD]: Wollen Sie jetzt die
Blutprobe abschaffen? - Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie die
Blutprobe in den Pass einschweißen oder wie soll ich das verstehen?)
Die innere Unsicherheit der Koalition über das, was jetzt zu tun ist, darf nicht die
innere Sicherheit des Landes gefährden.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Auch Teile der SPD - ich sage ausdrücklich: Teile der SPD - müssen sich fragen lassen,
ob sie noch auf der Höhe der Zeit sind. Im gleichen Moment, in dem diese Bundesregierung
einen neuen § 129 b StGB kreiert, um auch die Unterstützung ausländischer Terrorgruppen
im Inland strafrechtlich verfolgen zu können, startet der rot-grüne Übergangssenat in
Berlin eine Gegeninitiative mit dem Ziel, die Werbung für eine terroristische Vereinigung
zu künftig straffrei zu stellen.
(Zuruf von der CDU/CSU: Wissen das die Berliner Wähler schon?)
Gibt es hier im Hause tatsächlich irgendjemanden, der ernsthaft glaubt, man könne den
Terrorismus dadurch wirksamer bekämpfen, dass man Werbung für terroristische Gruppen
zukünftig nicht mehr strafrechtlich verfolgt?
Wenn einzelne Politiker solche Thesen vertreten, ist es schlimm. Wenn Regierungen solche
Thesen vertreten, dann müssen sie abgewählt werden!
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Zum Thema Einsatz der Bundeswehr im Innern. Schon diese Formulierung löst ja bei einigen
Empörung aus. Aufgabe der Bundeswehr sei die Landes- und die Bündnisverteidigung und
dabei müsse es bleiben. Das ist richtig und falsch. Natürlich hat die Bundeswehr die
Aufgabe der Landes- und der Bündnisverteidigung. Deswegen müssen wir sie personell und
technisch so ausstatten, dass sie bündnisfähig wird und auf Dauer bleibt. Aber schon
nach jetzt gelten der Rechtslage kann sie im Inland eingesetzt werden, ohne dass dies
bislang für Aufregung gesorgt hätte: nach Art. 35
GG im Wege der Amtshilfe, zum Beispiel bei der
Bewältigung von Naturkatastrophen, und nach Art. 87 a GG
im Spannungs- und im Verteidigungsfall sowie beim inneren Notstand.
Richtig ist auch: Wenn es Defizite im Bereich der Sicherheit gibt, dann müssen wir die
Dienste, Polizeien und Strafverfolgungsbehörden so ausstatten, dass sie ihre Aufgaben
wahrnehmen können. Die Bundeswehr kann nicht eine Art zweiter Bereitschaftspolizei sein,
zumal sie ja nicht nur andere Aufgaben, sondern auch eine andere Ausrüstung hat und die
Soldaten eine andere Ausbildung als unsere Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten haben.
Aber es gibt zwei Fragen, die wir ernsthaft prüfen und rasch beantworten müssen:
Erstens. Ist es richtig, dass die Bundeswehr außerhalb des Verteidigungs- und des
Spannungsfalles nicht zum Schutz ziviler Objekte, zum Beispiel lebenswichtiger
Infrastruktureinrichtungen, eingesetzt werden kann, auch wenn wir eine ganz konkrete
Gefährdungslage haben und die Polizeien und der Grenzschutz nicht mehr in der Lage sind,
die notwendigen Aufgaben zu erledigen, weil sie schon jetzt an ihrer Kapazitätsgrenze
angelangt sind? Wollen wir auf den Schutz, den die Bundeswehr in diesen Situationen bieten
kann, verzichten? Die Bundeswehr kann und soll Polizei und Bundesgrenzschutz nicht
ersetzen. Es geht ausdrücklich und ausschließlich um deren Unterstützung in einer
besonderen Gefährdungslage, wie wir sie ganz unzweifelhaft heute haben.
Zweitens. Müssen wir die Bundeswehr nicht dann einsetzen dürfen, wenn nur sie über
diejenigen Fähigkeiten verfügt, die notwendig sind, um eine ganz konkrete Gefahr
abzuwehren? Eigentlich müsste bekannt sein, dass in bestimmten Situationen, zum Beispiel
bei inländischen Angriffen aus der Luft, nur die Bundeswehr über diejenigen Fähigkeiten
verfügt, die benötigt werden, um die Gefahr abwehren zu können. Es soll niemand
glauben, dass solch fürchterliche Anschläge, wie wir sie vor einem Monat in den USA
erlebt haben, ausgerechnet in unserem Land nicht stattfinden könnten. Eine solche Annahme
wäre irreal.
Ich empfehle jedem, das 12. Kapitel in Georg Lebers Buch "Vom Frieden" zu lesen.
11. September 1972: Schlussfeier der Olympischen Spiele in München. Wenige Tage zuvor
hatte es das fürchterliche Massaker auf dem Flugplatz von Fürstenfeldbruck gegeben.
Leber beschreibt eindrucksvoll die Lage, als ihn die Nachricht ereilte, dass ein
gestohlenes Flugzeug Kurs auf das Olympiastadion genommen habe, um dort Bomben abzuwerfen.
Von der Polizei in München sei er gebeten worden, die Luftwaffe zur Abwehr eines solchen
Vorhabens einzusetzen. In dem Buch von Georg Leber heißt es wörtlich:
Der Vorgang war ungewöhnlich und gleichzeitig schaffte er einen zeitlichen Zwang, der
langes Nachdenken ausschloss. Dass jede Entscheidung, die zu treffen war, eine Fülle
staatsrechtlicher und politischer Probleme in sich barg, war mir sofort klar ... Als
feststand, dass das Flugzeug den angegebenen Kurs in Richtung München fortsetzte, gab ich
den Befehl zum Start einer Alarmrotte mit scharfen Waffen und weitere Befehle abzuwarten
... Kurz vor dem Punkt, an dem ich nach meiner Einschätzung nicht mehr warten durfte,
wenn der Waffeneinsatz nicht in der Nähe des Olympiastadions erfolgen sollte, kam die
Meldung, das unbekannte Flugzeug habe sich verirrt und bitte um die Erlaubnis zur Landung
in München-Riem. Höchstens zwei Minuten später hätte dieser Vorgang, der sich jetzt
wie eine Episode anhört, einen anderen Verlauf genommen ... Seit diesem Tag sind Jahre
vergangen. Vor dem Vorfall blieb vieles im Dunkeln. Es wäre aber gut, wenn er einmal
juristisch und politisch aufgearbeitet würde. Niemand kann ausschließen, dass es sich in
ähnlicher Form wieder einmal ereignet. Wieder wäre derjenige, der dann - ohne sich in
der Kürze der Zeit mit Krisenstäben beraten zu können - zu entscheiden hätte, neben
der Last der direkten Verantwortung in der Sache auch noch mit einer außerordentlich
komplizierten Rechtslage konfrontiert.
Seit diesem Vorfall sind 29 Jahre vergangen, seit dem Erscheinen des Buches 20 Jahre. Die
Kritiker unserer Vorschläge sollten sich einmal gut über legen, ob sie angesichts
unserer Erfahrungen bei ihrer Kritik bleiben.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege, bitte denken Sie an Ihre
Redezeit.
Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Es könnte nämlich sein, dass diesmal ein
Gesinnungswandel zu spät wäre.
Danke fürs Zuhören.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
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